HERKUNFT UND FAMILIENLEBEN

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Förderpreise Dokumentarfotografie der Wüstenrotstiftung – revisited

bis zum 30. Juni 2024 im Museum für Photographie Braunschweig

Vier ehemalige Preisträger:innen aus unterschiedlichen Jahrgängen: Espen Eichhöfer, Verena Jaekel, Birte Kaufmann und Maziar Moradi stellen ihre fotografischen Arbeiten zu diesen beiden kontinuierlich weiterverfolgten Themen vor.

Die professionelle und engagierte Umsetzung der vielschichtigen künstlerischen Konzepte macht die Ausstellung nicht nur zu einem gelungenen Besuchserlebnis, sondern auch zu einer diversen Wanderung durch scheinbar wie Lichtjahre voneinander entfernte Lebenswelten.

Verena Jäkels Arbeiten inspirieren sich aus der konventionellen Portraitmalerei. Durch ihre analoge Großformatkamera verbindet sie sich auch mit dem klassischen, analog fotografierten Familienportrait der Vergangenheit.

Verena Jaekel, a.d. Serie Familiengeschichten-Family HIstories (c) Verena Jaekel und VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Wie sie selbst sagt, nutzt sie diese Darstellungsform als Brücke zwischen dem Vertrauten und dem Unbekannten, zur Verbindung mit aktuellen gesellschaftlichen Diskursen zu Familie und Diversität; aber vor allem wohl auch, um künstlerisch einen Moment in der Zeit festzuhalten, als etwas Besonderes und Dauerndes.

Meine Absicht ist es, ein Werk internationaler Familienporträts zu schaffen, das die Vielfalt zeitgenössischer Familienkonstellationen und damit auch die Vielfalt unserer Gesellschaft sichtbar macht.”

Verena Jaekel Familienportraits (Foto M. Brandes)

Auf eigenen Migrationserfahrungen beruhen die Re-Inszenierungen von Schlüsselerlebnissen in der Serie Ich werde deutsch von Maziar Moradi. Dafür sammelte er Geschichten von Menschen, die nach Deutschland emigriert, eingewandert oder hier als Kinder von Einwandererfamilien geboren wurden.

Maziar Moradi. aus der Serie Ich werde deutsch, 2008-2016 (c) Maziar Moradi

Einige dieser manchmal traurigen, manchmal absurden Geschichten (die als Textheft im Museum ausliegen) visualisierte der Künstler in aufwändig inszenierten, dramatischen, opulenten und überraschenden Fotografien, die sich Besucher:innen auf “großer Leinwand” (in Dauerschleife) anschauen können.

Fotoinszenierung von Maziar Moradi (Foto M. Brandes)

Erschütternd in seiner Trostlosigkeit, aber gleichzeitig auch faszinierend und aufrüttelnd ist Maziar Moradis zweite Arbeit, eine wie eine Pinnwand angelegte, “sachliche” Bestandsaufnahme von deutschen Flüchtlingsheimen in Fotos, Fakten und Zahlen.

Dafür ist er durch ganz Deutschland gereist, hat fotografiert, recherchiert und soweit es möglich und erlaubt war, auch mit den dort Untergebrachten und ihren Verwaltern gesprochen.

Für Moradi sind es Pufferzonen für Personen, die zwischengelagert werden müssen, geschaffen aus umgewandelten Bürogebäuden, Lagerhallen, Containern. Vielleicht geeignet als Beleg für deutsche Flexibilität in der Beschaffung von Raum, aber nicht für die Behandlung von Menschen.

Espen Eichhöfer hat familiäre Wurzeln im ländlichen Norwegen, die er auch oft zu Themen in seinen Bilderwelten werden lässt. Da ist aus dem Landleben auch die allerletzte Romantik herausgewrungen, verdunstet.

Ausstellung Herkunft, Familienleben (c) Espen Eichhöfer

Und doch zeigen die ausdrucksstarken Bilder auch den eigenwilligen Stolz dieser schon sehr alten Onkel und Tanten auf ihr Leben, auf ihre Abgeschiedenheit, zeigen die Verbundenheit mit ihrem Land, natürlich in ihrem Besitz.

Espen Eichhöfer (rechts), Museumsdirektorin Barbara Hofmann-Johnson (links) Foto. M. Brandes

Sie zeigen auch den Stolz der Menschen, so zu sein wie sie sind und so frugal zu leben. Aber schließlich hat auch eine Thailänderin Platz in dieser Welt gefunden, die auf den ersten Blick so weit entfernt wirkt, aber jetzt dazugehört zu diesem verwelkenden Lebensstil.

Birte Kaufmanns Fotos sind von einer starken, unwiderstehlichen Intensität. Ihr gelingt es, durch die künstlerische Kraft ihrer Bilder zu berühren und Emotionen zu wecken.

Birte Kaufmann, a.d. Serie The Travellers, 2011-2022 (c) Birte Kaufmann und VG Bild-Kunst, Bonn 2024

In „The Travellers“ dokumentiert sie in den Alltag der größten Minderheitengruppe Irlands, die in einer Art Parallelwelt mit ganz eigenen Regeln und traditionellen Geschlechterrollen lebt.

Birte Kaufmann The Travellers (Foto M. Brandes)

Alltag ist auch Thema des Fotoprojekts Gjakmarrje – In the Blood (2015-2017) über eine in Albanien lebende Familie, die in eine Blutfehde verwickelt ist, bei der in Abfolge von jahrelangen blutigen Racheakten und einem Selbstmord nur noch der Vater und seine sechs Söhne die letzten Überlebenden einer Großfamilie sind.

Diese Ausstellung vereint unterschiedliche bildnerische Konzepte. So können – natürlich mit etwas Zeit zum Anschauen der vielschichtigen und oft hintergründigen Bilder – Besucher:innen sehr verschiedene Lebenswelten aus sehr verschiedenen künstlerischen Blickwinkeln kennenlernen.

https://www.photomuseum.de

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