“Das Wissen der Menschen über Außenpolitik ist sehr begrenzt”

Interview

In welcher Verfassung ist der außenpolitische Diskurs in Deutschland? Gibt es Themen, die wir gar nicht auf dem Schirm haben, die aber in anderen Ländern diskutiert werden?

Pagung: In unterschiedlichen Ländern gibt es unterschiedliche strategische Kulturen und unterschiedliche Arten über Außenpolitik zu reden, auch bei den Themen Osteuropa und Russland. Einiges ist in der Öffentlichkeit schwerer zu besprechen, zum Beispiel das Thema Abschreckung. Es wird mit Dingen verbunden, die als nicht richtig oder unangenehm empfunden werden. Außenpolitik wird außerdem immer mehr durch die innenpolitische Linse betrachtet und eben nicht anhand von außenpolitischen Notwendigkeiten. Das macht es sehr schwer, gute Außenpolitik zu formulieren.

Inwiefern?

Pagung: Gerade in Deutschland dienen Russland und Osteuropa sehr stark als Projektionsfläche von innenpolitischen Befindlichkeiten. Wenn Menschen sagen, sie finden Putin gut, weil „das ist ein starker Mann, der setzt noch was durch, der steht für traditionelle Werte“, treffen sie damit auch eine Aussage über Deutschland selbst. Das macht es schwierig, mit Leuten wirklich über Außenpolitik ins Gespräch zu kommen.

Sarah Pagung leitet den Programmbereich Internationale Politik bei der Körber-Stiftung. Sie ist ausgewiesene Expertin für Osteuropa forscht vor allem zur russischen Außen- und Sicherheitspolitik. Mit ihrer Expertise ist sie der Öffentlichkeit vor allem bekannt, weil sie in Funk, Fernsehen und Print hilft, den Ukrainekrieg zu verstehen und Ereignisse einordnet. (c) Sebastian Höhn
Sarah Pagung leitet den Programmbereich Internationale Politik bei der Körber Stiftung Sie ist ausgewiesene Expertin für Osteuropa forscht vor allem zur russischen Außen und Sicherheitspolitik Mit ihrer Expertise ist sie der Öffentlichkeit vor allem bekannt weil sie in Funk Fernsehen und Print hilft den Ukrainekrieg zu verstehen und Ereignisse einordnet c Sebastian Höhn

 

Es ist bekannt, dass Russland gezielt mit ­Desinformationskampagnen und Trollfarmen Themen ins deutsche Internet schiebt. Wie groß ist dieses Problem eigentlich?

Weizenegger: Ich glaube, wir haben eine gewisse Naivität in Deutschland. Die Ukrainer haben das spätestens 2014 abgelegt. Was wir erleben, ist für die kalter Kaffee. Das merkt man in der Debatte, wenn die typischen Narrative erzählt werden, etwa: „Wenn wir keine Waffen liefern, ist der Krieg beendet.“ Das glauben einige Leute ernsthaft. Da frage ich mich, ob sich eine Diskussion überhaupt lohnt. Ehrlich gesagt: Ich glaube eher nicht. Man kann diese Menschen nicht von Fakten überzeugen. Das finde ich sehr schmerzhaft in der Diskussion.

Was sind so ganz typische Fake-News in Ihrem Gebiet, die Ihnen immer wieder begegnen, obwohl sie längst widerlegt sind?

Vinke: „Das Klima hat sich schon immer geändert!“ An sich stimmt das, aber es verschleiert, dass der anthropogene Klimawandel über einen viel kürzeren Zeitraum verläuft und dadurch enorme Risiken birgt. Eine typische Fake News ist auch das Argument, die nun beobachtete Erwärmung sei nicht menschengemacht. Ebenso im Bereich der Klimaanpassung gibt es viele Missverständnisse. Selbst in Leitmedien wird manchmal stipuliert, dass wir uns an ein Hochemissionsszenario anpassen könnten. In einer vier Grad wärmeren Welt wäre das allerdings nicht mehr möglich.

Eine Tiktokerin hat das Terror­manifest von Osama Bin Laden „An Amerika“ ­wiederentdeckt und ist damit viral gegangen. Wie kann das passieren?

Pagung: Ich glaube, Debatten, die – vorsichtig formuliert – sehr weit weg von der Fachdiskussion sind, gab es schon immer, sie sind mit sozialen Medien nur sichtbarer. Was Außenpolitik betrifft: Das Wissen der Menschen über Außenpolitik ist sehr begrenzt. Ich kann das verstehen: Die Fragen sind relativ weit weg vom Alltag, man ist vielleicht nicht so betroffen wie von der Rentenpolitik, das Geschehen findet nicht direkt vor der Haustür statt, es ist häufig sehr abstrakt. Das ist ein Risiko dafür, wie Quellen eingeschätzt und Zusammenhänge eingeordnet werden. Der außenpolitische Diskurs in Deutschland bedarf viel Bildungsarbeit.

Zurück zur Geopolitik. Was würde eine erneute Amtszeit Donald Trumps für die deutsche und ­europäische Strategie bedeuten? Er droht mit dem Austritt der USA aus der Nato.

Pagung: Das grundsätzliche Problem ist, dass wir absolut nicht wissen, was dann passiert. Das große Risiko ist, dass die USA die Unterstützung für die Ukraine und die Waffenlieferungen massiv reduziert. Aber ob und in welcher Form das passiert, ist nicht ausgemacht. Gerade Politik gegenüber Russland ist in den USA stark innenpolitisch getrieben. Hier gibt es auch in der republikanischen Partei sehr unterschiedliche Strömungen und Interessen. Besonders, wenn man das dann im Wechselspiel mit den Demokraten betrachtet. Das haben wir auch bei den letzten Präsidentschaften gesehen.

Die Ukraine kann in diesem Krieg nur bestehen, wenn sie verlässliche Partner hat, die verlässlich liefern, weil sie auf westliche Unterstützung angewiesen ist. Wenn nur der Anschein erweckt wird, dass das wackelt, hat das auf die Ukraine massive Auswirkungen. Die europäische Sicherheit betrifft, dass Trump immer wieder öffentlich in Frage stellt, wie viel der NATO-Artikel 5, also die Beistandsklausel, im Angriffsfall wert ist, schwächt unsere Sicherheit erheblich. Solche Bemerkungen werden in Russland genau registriert. Abgesehen von dieser Sicherheitsdimension ist die Frage auch: Was macht das mit der Stabilität westlicher Demokratien insgesamt, wenn die Leitnation demokratisch den Bach runter geht?

Welche Konsequenzen einer erneuten Trump-Präsidentschaft wären für den Klimaschutz zu erwarten?

Vinke: Das Pariser Abkommen wurde vor Trumps ersten Wahlsieg geschlossen – und hat gehalten. Trumps Ankündigung, die USA austreten zu lassen, hat keinen anderen Staat dazu bewogen nachzuziehen. Das würde bei einer zweiten Amtszeit hoffentlich so bleiben.
Die Auswirkungen wären dennoch prekär, weil heute ein deutlich kleineres Emissionsbudget verbleibt, bevor wir bestimmte Erwärmungsgrenzen überschreiten. Weitere Verzögerungen im globalen Klimaschutz bedeuten in letzter Konsequenz auch, dass mehr Menschen durch Extremwetterereignisse zu Tode kommen.

Die USA sind einer der größten CO2-Emittenten. Der Präsident hat zwar viele Befugnisse, aber es gibt auch Bereiche, wo einzelne Bundesstaaten eine wichtige Rolle spielen. Kaliforniens Wirtschaft ist riesig – wäre es ein Land, wäre es die weltweit fünftgrößte. Dort haben die Demokraten die Mehrheit und wenden sich dem Klimaschutz zu. In der ersten Amtszeit von Donald Trump schlossen sich Städte und Bundesstaaten zu Initiativen zusammen. Die Bewegung „We Are Still In“ war auf den internationalen Klimaschutzverhandlungen präsent und hat deutlich gemacht: Wir fühlen uns weiterhin zum Klimaschutz verpflichtet. Aber zur Einhaltung des Pariser Abkommens bräuchten wir jemanden, der oder die jetzt schneller die Veränderungen zur Nachhaltigkeit herbeiführt und nicht noch auf die Bremse tritt.

Kira Vinke leitet das Zentrum für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sie beschäftigt sie sich mit den geopolitischen Dimensionen der Klimakrise und den Folgen des Klimawandels in Regionen, die von der Erderwärmung am stärksten betroffen sind: den Ländern des Globalen Südens. Vinke ist zudem Co-Vorsitzende des Beirats der Bundesregierung Zivile Krisenprävention und Friedensförderung. (c) Sebastian Höhn
Kira Vinke leitet das Zentrum für Klima und Außenpolitik der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik DGAP Sie beschäftigt sie sich mit den geopolitischen Dimensionen der Klimakrise und den Folgen des Klimawandels in Regionen die von der Erderwärmung am stärksten betroffen sind den Ländern des Globalen Südens Vinke ist zudem Co Vorsitzende des Beirats der Bundesregierung Zivile Krisenprävention und Friedensförderung c Sebastian Höhn

 

Wieder zum Thema Kommunikation. Was für Möglichkeiten gibt es und welche Möglichkeiten haben Sie im Umgang mit sozialen Medien, um sich mit Ihrer Expertise zu platzieren?

Pagung: Ich bin nicht sehr gut in Social-Media-Nutzung. Mein LinkedIn-Account ist im Grunde genommen ein Zombie. Auf Twitter bin ich phasenweise sehr aktiv, manchmal ist es ein bisschen zu viel. Und dann nutze ich es wieder gar nicht, so wie jetzt ein halbes Jahr lang. Dann denke ich: Ich müsste eigentlich wieder, denn gerade Twitter nehme ich schon nach wie vor als sehr wichtiges Medium wahr. Ich habe für mich noch nicht die Balance gefunden, wie ich es beruflich gut nutze und gleichzeitig nicht regelmäßig genervt bin. Aber wenn es darum geht, Gedanken zu platzieren und Agenda-Settings zu betreiben – öffentliche Politikberatung quasi – sind Soziale Medien zentral.

Weizenegger: Ich nutze drei Tools: Instagram, Linkedin, Twitter. Linkedin nutze ich recht gut und professionell, würde ich behaupten. Zu Twitter oder X habe ich ein ambivalentes Verhältnis. Erstens ist es zeitintensiv und irgendwann auch nervig. Zweitens erwische mich dabei, wie ich andere nerve und nicht mehr professionell kommuniziere. Auf LinkedIn finde ich das interessanter, wobei ich da nicht groß Diskussionen austrage, sondern es eher als Plattform nutze, um Botschaften der Bundeswehr und auch Innovationsdenken zu platzieren.

Auf Twitter finde ich das schwierig. Ich frage mich, wieso soll ich Mühe und Zeit investieren in diese Person, die wahrscheinlich eh nicht existiert und mit einem dumpfen Phantasienamen daherkommt. Dazu kommt: Als Führungskraft muss ich führen. Wenn ich jetzt jeden Tag auf Twitter 300 Tweets raushaue, wie wirkt das auf meine Mitarbeiter? Klar gibt es einige, die durch Twitter groß geworden sind. Ich stelle mir manchmal die Frage: Ist das eigentlich deren Job? Oder ist es nicht eher, tatsächlich Wirkung zu entfalten, mit den Menschen, mit denen man direkt zu tun hat? Wenn man tiefer guckt, stellt man fest: Einen richtigen Outcome gibt es bei den meisten dann tatsächlich nicht. Das finde ich sehr schade.

Vinke: Ich nutze diverse Social-Media-Plattformen, aber eher zurückhaltend. Ich gebe Informationen weiter, etwa auf LinkedIn oder Twitter. Beispielsweise schreibe ich über neue Publikationen oder kommende Veranstaltungen. Meinungsbeiträge versuche ich in anderen Medien zu platzieren. Denn gerade auf Twitter nimmt der polarisierende Diskurs schnell seinen Lauf. Einige Kolleg:innen sagen sogar: Je provokanter die These, desto größer das Medienecho.

Das klingt, als würden viele das mit Absicht machen. Ist das so?

Vinke: Im Gegenteil, viele üben sich eher in Zurückhaltung. Es gibt auch Wissenschaftler:innen oder ThinkTanker:innen, die soziale Medien sehr effektiv für ihre Kommunikation nutzen. Aber das kostet Zeit, die schließlich anderswo fehlt. Somit muss man abwägen.

Aber noch mal: Wenn man ein zeckiges Hot-Take raushaut, dann kriegt man eine Medienanfrage?

Pagung: Das ist keine Regel und kein grundsätzliches Rezept, aber es kann funktionieren. Ich mache das auch nicht in Form von Hot-Takes – das finde ich angesicht ohnehin aufgeheizter Debatten schwierig – sondern Threads, die ein Ereignis oder eine Entwicklung sachlich erklären. Aber ich glaube, es ist Teil des Spiels, wenn man schon eine gewisse Position innehat. Wenn irgendein Fake-Account, sagen wir Uwe12345, etwas rausposaunt, passiert das wahrscheinlich eher nicht.

Aber Uwe macht es trotzdem.

Weizenegger: Ja, Uwe macht es trotzdem, aber andere haben Relevanz, das ist der Unterschied. Dann reagieren Medien auch. Ich mache das ehrlich gesagt eher selten. Manchmal tippe ich etwas und dann sende ich es nicht ab. Was passiert danach? Second order thinking: Was sind die Konsequenzen? Ich will mich jetzt nicht verantworten müssen, weil ich mal aus Lust und Laune beim Kaffee jemandem auf den Schlips treten wollte. Davon habe ich nichts – außer mehr Stress.

Sven ­Weizenegger leitet das Cyber Innovation Hub der Bundeswehr (CIHBw). Weizenegger versteht den CIHBw als „Do-Tank“ der deutschen Streitkräfte: Digitale Innovationen sollen von der Truppe kommen und für die Truppe gemacht werden. Ein weiteres Ziel des CIHBw ist der Kulturwandel innerhalb der Bundeswehr. (c) Sebastian Höhn
Sven ­Weizenegger leitet das Cyber Innovation Hub der Bundeswehr CIHBw Weizenegger versteht den CIHBw als Do Tank der deutschen Streitkräfte Digitale Innovationen sollen von der Truppe kommen und für die Truppe gemacht werden Ein weiteres Ziel des CIHBw ist der Kulturwandel innerhalb der Bundeswehr c Sebastian Höhn

 

Sie wurden als Young Thinkers ausgezeichnet: junge Intellektuelle, die bereits jetzt ­Einfluss auf Öffentlichkeit und Politik genießen.­ ­Welche Instrumente nutzen sie in der Politikberatung?

Pagung: Bei mir hat es drei Ebenen. Zunächst einmal die politische Beratung, die an meine Person gebunden ist. Ich berate als Sachverständige. Manchmal gehe ich auch mit jemandem zum Mittagessen. Es ist durchaus ein großer informeller Teil dabei, den man auch aus demokratietheoretischer Sicht kontrovers diskutieren kann. Da geht es auch um Zugänge. Über Projekte der Körber-Stiftung versuchen wir Personen aus der Politik an unseren Projekten zu beteiligen.

Wie läuft das zum Beispiel ab?

Pagung: Wir haben zum Beispiel das Körber Policy Game. Andere Formate der Körber-Stiftung sind eher klassisch ausgerichtet. Wir versuchen Raum für Austausch und Debatten zu bieten. Die dritte Ebene sind Medien. Mein persönlicher Eindruck ist, dass das immer wichtiger wird. Hier geht es um Öffentlichkeitswirksamkeit oder Agenda-Setting. Ich schreibe etwas auf Twitter oder sage etwas in einem Interview. Damit versuche ich, die Debatte zu beeinflussen. Mittelfristig auch bestimmte Themen in der Politik zu setzen.

Vinke: In der Politikberatung zählen gute Ideen und tiefe Fachkenntnis. Viele, die im politischen Bereich arbeiten, müssen sich mit mehreren komplexen Themen parallel beschäftigen. Wenn man ihnen konkrete Vorschläge an die Hand gibt, die auf einer tieferen Kenntnis, der Fach­ebene beruhen, ist ihnen am meisten geholfen.

Haben Sie ein Beispiel für eine ihrer Ideen, die es in die ­politische Praxis geschafft hat?

Vinke: Der Nachteil der Politikberatung ist, dass sich das oft nicht deutlich zuordnen lässt. Das sind oft sehr langwierige Prozesse. Hier wird keine Idee reingegeben und ist übermorgen quasi angenommen. Die Politik und Ministerien haben selbst ihre Expertise. Wenn eine Idee also steht, dann wird erst geschaut, was politisch möglich ist. Vielleicht ist es in meinem Wahlkreis umsetzbar oder es ist in meinem Ministerium umsetzbar. Letztlich hat man vielleicht einen Impuls für eine Entwicklung gegeben. Das ist schwierig messbar. Manchmal kommt aus verschiedenen Richtungen derselbe Ratschlag und wird dann auch tatsächlich so umgesetzt.

Darf bei Ihnen jeder Bundestagsabgeordnete anrufen, wenn er Redebedarf hat?

Weizenegger: Ja, ich bin rechenschaftspflichtig.

Ruft also jeder mal durch? „Herr Weizenegger, sagen Sie mal…“?

Weizenegger: Um Himmels Willen, nein, es gibt ja genug anderes zu tun. Ich habe für die Politik eine große Empathie entwickelt. Du hast es gerade gesagt, die haben zigtausend Themen. Es ist Unsinn zu erwarten, dass Abgeordnete sich mit allem auskennen. Wenn sie etwas nicht wissen, darf man nicht überheblich sein. Sie wissen Vieles, was ich nicht weiß, und sind sehr neugierig. Wir sollten respektieren, dass das kein Zwölfstundenjob ist, sondern teils ein Sechzehnstundenjob, was Politiker abspulen. Es ist deshalb wichtig, ihnen Kontext zu geben. Dazu gehört, eher zu den Themen hinzuleiten und nicht mit Fachbegrifflichkeiten zu kommen. Man muss die Gesprächspartner in ein, zwei Stunden abholen und Impulse mitgeben. Man sollte nicht erwarten, dass sie hinterher alles so sehen wie ich und meine Agenda übernehmen, so funktioniert das nicht. Sie werden ja von vielen Menschen angesprochen.

Ist es ein Problem, dass Journalisten immer versuchen, ganz oben ins Regal zu greifen? Wir fragen anstatt des Fachpolitikers ja doch lieber den Fraktionsvorsitzenden oder die Parteichefin. Was die sagen, wir letztlich wahrscheinlicher umgesetzt, oder?

Weizenegger: Ich glaube, es ist das falsche Stakeholdermanagement. Ich habe gelernt, man muss die schnappen, die vielleicht im Hintergrund sind. Sie sind es ja, die die Fraktionsvorsitzenden und Parteichefinnen beraten und ihnen etwas zuflüstern. Ich finde es schwierig, sich nur auf die Großen zu stürzen.

Pagung: Den One-Fits-All-Ansatz gibt es da nicht. Natürlich haben wichtige Personen an der Spitze einen großen Einfluss. Aber auch die sind auf Netzwerke angewiesen, müssen Zustimmung oder Mehrheiten organisieren. Insbesondere im außenpolitischen Bereich stellt sich auch die Frage, welche Themen im Bundestag gut aufgehoben sind. Der Bundestag erlässt kaum oder keine außenpolitischen Gesetze. Wenn, dann geht es um Entscheidungen wie Bundeswehrmandate oder Waffenlieferungen, die vorher bereits im Kanzleramt oder Regierungskoalitionen vereinbart wurden. Es gibt ausgezeichnete Fachpolitiker und -politikerinnen. Die haben aber nicht immer Gewicht in ihren Fraktionen. Das kann zusammenfallen, muss aber nicht.

Wie findet man das heraus?

Vinke: Ein Netzwerk wächst oft organisch. Man merkt, da sind Personen, die sich für Themen interessieren, zu denen man selbst arbeitet, man trifft sich auf Fachkonferenzen. Für spezifische Themen spreche ich auch gezielt Personen an, die dazu arbeiten.

Wir fassen mal kurz zusammen: Es helfen Erfahrung, Stakeholder-Management und Kommunikation, etwas so zu formulieren, dass die Gegenseite damit etwas anfangen kann, ohne eine lange Rampe dafür zu brauchen.

Pagung: Ich würde sagen, man braucht einfach auch ein bisschen Glück und gutes Timing. Manche Leute lernt man kennen, weil man Interesse für dasselbe Thema hat. Welche politische Karriere wird diese Person machen? Wer wird gewählt? Wer fliegt aus dem Parlament? Man weiß es nicht. Man kann einiges zielgerichtet angehen, planen lässt sich aber nichts. Die Interessen von Politikerinnen und Politikern und Administrationen hängen von vielen Faktoren ab. Dass sie sich von einer Idee überzeugen lassen und dann auch noch in der Position sind, diese einzubringen, kann passieren. Es kann aber auch nicht passieren. Und auch dann stellt sich die Frage: Lag es an meiner Idee oder meinem Projekt oder an etwas anderem, etwas wovon ich vielleicht gar nichts weiß? Für politische Entscheidungen müssen schließlich viele Faktoren zusammenkommen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 146 – Thema: Plötzlich Opposition. Das Heft können Sie hier bestellen.