Liebe Maestri, stoppt den Regie-Wahnsinn!

Kommentar: Liebe Maestri, stoppt diesen (Regie-)Wahnsinn!  klassik-begeistert.de, 9. Mai 2024

Wer, wenn nicht Christian Thielemann, hätte es in der Hand, den Regie-Unfug zu stoppen. Noch dazu, wo man von den Salzburger Osterfestspielen vorgewarnt gewesen ist.

Foto: Christian Thielemann © Dieter Nagl

Ein KOMMENTAR von Herbert Hiess

Im Sommer 2023 – also vor noch gar nicht so langer Zeit – hatte der bekannte Dirigent Alberto Veronesi gegen eine seiner Beurteilung nach unangebrachten Inszenierung insofern protestiert, als er mit verbundenen Augen dirigiert hatte.

So weit sollte kein Dirigent gehen müssen; aber mittlerweile ist es schon so weit, dass selbst führende Häuser wie die Wiener Staatsoper mit „Trash“-Inszenierungen überschwemmt werden.

Jüngstes Beispiel ist die Wiener „Lohengrin“-Premiere, die niemand anders als Christian Thielemann dirigierte. Und dieser Kapellmeister ist heute DER führende Wagner-Dirigent und vor allem Spezialist in der Romantik. Nicht zuletzt ist er aktuell auch der „Lieblingsdirigent“ der Wiener Philharmoniker, die sich bekanntermaßen aus dem Orchester der Wiener Staatsoper rekrutieren.

Also dieser „Lohengrin“ (Richard Wagner, Lohengrin Wiener Staatsoper, 2. Mai 2024 – Klassik begeistert (klassik-begeistert.de)) ist auch eine Coproduktion mit den Salzburger Osterfestspielen, wo sich das Regieduo Wieler/Morabito kräftig austobte. Nun ist diese Inszenierung voll mit Unlogik, Stilbrüchen (man betrachte die Uniformen und Bekleidung) und gipfelte (man kann es nicht oft genug sagen) in einen vertrottelten Schluss.

Diesen Regiewahnsinn kann man bei unseren deutschen Nachbarn noch viel mehr „genießen“.

Ich bin wahrlich kein Purist; habe aber immer das Grundthema vor den Augen. Bei „Tannhäuser“ ist es die Tannhäuser-Sage, bei „Lohengrin“ eben diese Sage und bei „Parsifal“ bin ich hinsichtlich des Werkes kompromisslos.

Und es ist schon fast peinlich und schmerzhaft, wenn die Intendanten hier einem Phantom hinterherlaufen und glauben, sie müssen „modernistisch“ sein und einer muss den anderen bezüglich Schlechtigkeit übertreffen.

Was kommt letztlich dabei raus? Unfug, Unfug, Unfug! Man merkt erst, wie einfallslos die meisten szenischen Wichtigmacher sind.

Vielfach sieht man dann plötzlich nur mehr Tankstellen, Autos und andere sinnloses Accessoires. Hinsichtlich Personenführung und Stimmigkeit mit der Musik haben die meisten überhaupt nichts zu sagen. Absurd wird es dann, wenn die sogenannte Szenerie komplett GEGEN die Musik arbeitet.

Und ärgerlich ist der mangelnde Respekt der Regisseure gegenüber Librettisten und Komponisten.

Es darf nicht sein, dass ein Meisterwerk aufgrund einer maßlosen Selbstüberschätzung nachhaltig verstümmelt und das Publikum damit gequält wird.

Zu Recht würde es einen „Shitstorm“ geben, wenn beispielsweise Thielemann Wagners „Lohengrin“-Partitur umarbeiten und uminstrumentieren würde, so dass man das ursprüngliche Werk gar nicht mehr erkennt. Manche werden sagen, dass der Vergleich an den Haaren herbeigezogen ist. Ist es aber nicht, denn diese Hemmschwelle ist nicht mehr weit!

Würden sich Sänger einer stupiden Regie widersetzen, wären sie international recht rasch „weg vom Fenster“. Aber den letzten Absatz von meinem „Lohengrin“-Review kann ich hier sinngemäß wiederholen.

Wer, wenn nicht Christian Thielemann, hätte es in der Hand, diesen Unfug zu stoppen. Noch dazu, wo man von den Salzburger Osterfestspielen vorgewarnt gewesen ist.

Eine Persönlichkeit wie er hätte es locker in der Hand gehabt und sagen können, er mache da nicht mit. Sicher, Alberto Veronesis verbundene Augen sind schräg – aber ein markantes Zeichen. Vielleicht sollten doch die führenden Dirigenten mehr Bewusstsein diesbezüglich entwickeln und diesem Unfug Einhalt gebieten.

Also hat man jetzt in Wien, sowohl bei „Parsifal“ als auch bei „Lohengrin“ wahrhaft für viele Jahre den Krempel am Hals – noch dazu, wo die vorhergehenden Inszenierungen dieser Werke auch kein Ruhmesblatt waren.

Es geht schon so weit, dass sich die Rezensenten gegenseitig mit Hass bewerfen; so schrieb vor kurzem ein bekannter Journalist einen bösen Kommentar gegenüber „Bloggern“. Nur was ist der Unterschied zwischen Journalisten und Bloggern?

Journalisten glauben oft, dass sie schreiben können und sind ökonomisch bedingt sehr abhängig sowohl von ihren Redaktionsstuben und den Kulturverantwortlichen, was oft darin gipfelt, dass sie denen gegenüber allzu gern subaltern sind.

Die „bösen“ Blogger hingegen haben zumeist einen interessanten Beruf und sind gegenüber den Kulturpersonen völlig unabhängig.

Da muss man gerechterweise sagen, dass beispielsweise Bogdan Roščić vorbildhaft kritikfähig ist; es hat gegenüber uns Schreibenden niemals irgendeine Form von Ressentiments gegeben. Schon allein deswegen „Chapeau“.

Zurück zur allgemeinen Kultursituation bei Musiktheater & Co:

Wien kann froh sein, mit dem Orchester wahrscheinlach DAS führende Opernorchester zu besitzen. Nur sollte man dieses Kapital mit üblen Regien nicht über Gebühr strapazieren; irgendwann wird es dem Publikum auch zu viel.

Wie kann man Kinder und junge Leute eigentlich zur Oper motivieren? So sicher nicht. Denn diese jungen Leute sind die zahlenden Besucher und Abonnenten der Zukunft.

Denn Kinder und Jugendliche kennen aus der Schule das Hammerurteil bei der Deutschschularbeit: „Themenverfehlung – Nicht Genügend“!

Herbert Hiess, 12. Juli 2024, für
klassik-begeistert.de und klassik-begeistert.at

KOMMENTAR: Currentzis bei den Wiener Festwochen ausgeladen klassik-begeistert.de, 12. Februar 2024

Pathys Stehplatz (49): Dilemma für Thielemann – Direktor Bogdan Roščić trägt das Märchen zu Grabe klassik-begeistert.de, 5. Mai 2024

Richard Wagner, Lohengrin Wiener Staatsoper, 5. Mai 2024

7 Gedanken zu „Kommentar: Liebe Maestri, stoppt diesen (Regie-)Wahnsinn!
klassik-begeistert.de, 9. Mai 2024“

  1. Sehr geehrter Herr Hiess, ich teile Ihre Meinung, was die Überheblichkeit, Ignoranz und Selbstdarstellung der sog. Regisseure betrifft.

    Allerdings hätten die Opernintendanten schon längst jenem Blödsinn eine Riegel vorschieben können… wenn sie nur hätten wollen. Aber sie wollten und wollen weder jetzt noch in der Zukunft eben dies NICHT tun. Warum wohl?

    Zum Einen haben viele keine Beziehung zur Oper als Genre, lieben sie auch nicht und es ist ihnen egal, wie Regisseure sich an ihr vergehen. Zum Anderen verwenden Intendanten das Genre Oper als Vehikel, um nur in den Schlagzeilen präsent zu bleiben, was auch nicht gerade als „Liebe zur Oper“ bezeichnet werden kann, sondern eher als ein von Politikern übernommenes Manöver, um im Amt zu bleiben.

    Außen vor bleiben wir, die echten Opernliebhaber/innen, die mit der Zeit gelernt haben, auf „Live“-Opernbesuche zu verzichten, die nicht konzertant aufgeführt werden, in der Hoffnung, dass zumindest musikalisch zufriedenstellende Leistungen geboten werden. Wenn wir uns jedoch in eine inszenierte Aufführung wagen, stellt man fest, dass nicht nur das Bühnenkonzept wertlos ist, sondern dass auch noch musikalisch Vieles daneben geht, angefangen am Pult, manchmal bis hin zur letzten kleinsten Gesangsrolle.

    Fazit: Schuld daran sind nicht nur die Intendanten und deren Regie-Teams, sondern auch die Agenturen, die im Hintergrund die Fäden ziehen, um ihre Klienten Auftritte zu vermitteln, ob diese Klienten die ihnen zugedachten Rollen stimmlich oder am Pult bewältigen können… oder eben nicht. Hauptsache: Der Agent kassiert möglichst viele Provisionen pro Aufführung! Mit anderen Worten: Der ganze Opernbetrieb ist krank!

    Was tun dagegen? Wir Opernliebhaber/innen sind machtlos. Niemand nimmt uns wahr, geschweige denn ernst. Ich versuche, die Rosinen aus dem Kuchen zu holen, wo immer ich sie auch finde. Dabei gebe ich zu bedenken, dass ich die Meßlatte meiner Erwartungen sich immer noch in der Höhe vergangener Zeiten befindet. Keine leichte Aufgabe. Ich würde sogar meinen: Schwerarbeit! Aber wenn man in diesen Zeiten des Unvermögens eine „Rosine“ entdeckt, ist man erst recht glücklich und dankbar!

    Sheryl Cupps

  2. Christian Thielemann hat sich vermutlich deshalb nicht geweigert, diesen Lohengrin zu dirigieren, weil er die Regiearbeit gut findet. Schließlich hat er das ja selbst entschieden, als er noch der Verantwortliche bei den Osterfestspielen war und er hat es auch immer wieder in Interviews gesagt.
    Vielleicht gibt es dann doch einen signifikanten Unterschied zwischen Bloggern und Journalisten, denn letztere hätten (zumindest wenn sie gute journalistische Arbeit leisten möchten) vorher recherchiert, was die Person, von der sie fordern, ihre Position vehementer zu vetreten, überhaupt selbst denkt.

    Georg „Thielemann“

    1. Hallo,
      dass man sich als „Thielemann“ bezeichnet, wenn man der gar nicht ist, ist schon auffällig. Zu Ihrem Einwand „Blogger/Journalisten“.
      Wenn Sie genau gelesen hätten, dass es sich hier um einen Kommentar handelt – der spiegelt ganz einfach meine Meinung wider.

      Ich weiß, dass CT diese Regie gut findet, was leider etwas an seinem Geschmack zweifeln lässt. Der Berliner Tcherniakov-Ring (Wagner darf man da gar nicht mehr sagen) wird vielleicht noch übler.

      Vor zwei Jahren besuchte ich in Salzburg diesen „Lohengrin“ und da war die Regie tatsächlich nicht so eigenartig; hier in Wien war es eine Katastrophe. Wenn Sie das Feuilleton genau studieren, werden Sie merken, dass Spott noch eine der harmlosesten Reaktionen war.

      Grund kann auch der Fehler sein, den HvK 1980 mit „Don Carlos“ machte. Er stellte das Bühnenbild fast 1:1 von Salzburg in die Wiener Staatsoper. Hier wirkte das Ganze dann nur mehr lächerlich. Als ob man einen LKW in eine Mopedgarage parken würde.

      Mir tut es noch mehr leid; musikalisch war der „Lohengrin“ exzellent – diese Regie trägt auch Thielemann irgendwie runter. Und das Schlimme ist: das Publikum hat das Ganze viele Jahre am Hals. Die Wiener Oper hat mit „Parsifal“ und „Lohengrin“-Inszenierungen keine Fortune; verfolgen Sie die Geschichte einfach.

      Herbert Hiess

  3. Ich fürchte, es kommt noch schlimmer. Die Wiener Staatsoper kündigt eine Neuinszenierung von DON CARLO, die 4-Akte-Version, für September 2024 an, Regie Serebrennikow. Da ist nun auch „Musik Dramaturgie“ gelistet. Was werden die Herren mit Verdi machen?

    Fred Keller

    1. Viele freuen sich darauf. Meine Wenigkeit inbegriffen. Es soll nicht politisch werden, hat Bogdan Roščić versprochen. Eine Überraschung! Wäre doch gerade Schillers Stoff prädestiniert dafür. Schau ma mal, was das wird…

      Jürgen Pathy

  4. Wie ich gehört habe, wurden sehr wohl negative Kritiker (natürlich nicht Journalisten) von der Homepage der Wiener Staatsoper verbannt!!!! Auch ich rechne damit, die letzten Produktionen, vor allem Wagner, habe ich schrecklich, falsch und völlig gegen die Musik gefunden und auch meinen Unwillen auf der HP der Wiener Staatsoper kundgetan!!!

    Karl Bauer

  5. Lieber Kollege,

    Ich bin der Meinung, der hier thematisierte „Regie-Wahnsinn“ gehört absolut zum Operngeschäft dazu und ist eigentlich genau das, was die Opernszene so lebendig macht. Dementsprechend sollten – finde ich – diese ganzen umstrittenen Inszenierungen auch weiterhin gespielt werden. Ausgebuhte Generalproben, lautstarke Post-Schlussakkords-Diskussionen in der Bim, gehört alles dazu und macht den Bieito-Tristan nicht weniger fantastisch.

    Zum neuen Wiener Lohengrin werde ich mich erst äußern, wenn ich diesen gesehen haben werde, also frühestens nächstes Jahr. Allerdings notierte ich zur DOB-Meistersinger (Premiere 2022) des gleichen Regieteams folgendes in meinen Privatnotizen: „Sinnlose Stuhlschmeißereien und Plastikschuhe in überdimensionierten Mülltüten. Ein Konzept scheint es nicht gegeben zu haben.“ Warum ich mir besagte Aufführung hic et nunc und auf der Stelle sofort wieder anschauen würde? Sachs, Beckmesser und Eva waren allesamt mindestens solide, König Klaus von Stolzing sang alle in Grund und Boden.

    Wer keine Wieler/Morabito/Viebrock-Regie will, dem kann ich z.B. den Homoki-Ring empfehlen. Dass ausgerechnet die Kritik an dessen ebenfalls wunderbaren Lohengrin nun zu der hier kritisierten Neuinszenierung geführt hat, kann man wohl nur als Schicksalsironie bezeichnen.

    Johannes Fischer

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