„Mir ging es schon auch darum, die Grenzen zu überspringen.“ – MATTHIAS BARTOLOMEY im mica-Interview - mica - music austria

„Mir ging es schon auch darum, die Grenzen zu überspringen.“ – MATTHIAS BARTOLOMEY im mica-Interview

Man kennt Matthias Bartolomey unter anderem als einen Teil des international erfolgreichen Duos BartolomeyBittman. Schon mit diesem pflegt der Wiener Cellist musikalisch unkonventionelle Wege zu gehen. Dieser Tradition folgend zeigt sich auch sein erstes Soloprogramm als eines, das einem ungewöhnlichen Konzept folgt. Was der Wiener auf seinem Album „S O L O“ präsentiert, ist ein musikalischer Bogen, der sich über 300 Jahre spannt. Matthias Bartolomey setzt die Musik von Johann Sebastian Bach in Kontrast zu seiner eigenen, indem er die barocken Suiten des deutschen Komponisten auf seine eigenen, groove- und rockbetonten Eigenkompositionen treffen lässt. Eine Besonderheit dieses Albums ist auch, dass Matthias Bartolomey es auf zwei in ihrer Bauart quasi identischen, jedoch in ihrem Alter weit auseinanderliegenden Celli eingespielt hat. Das erste Instrument ist ein Violoncello von David Tecchler und wurde 1727 in Rom erbaut – es repräsentiert die Musik Bachs. Das zweite Violoncello wurde von Philip Bonhoeffer im Jahr 2021 erbaut; es steht für Bartolomeys eigene Musik. Im Interview mit Michael Ternai spricht Matthias Bartolomey, der seit 2020 als Univ.-Prof. am Mozarteum Salzburg unterrichtet, über die Initialzündung für sein Soloalbum, den unterschiedlichen Charakter der beiden Celli und die Besonderheit von Bachs Musik.

Du bist mit BartolomeyBittmann in den letzten Jahren sehr, sehr viel unterwegs gewesen. Und das sehr erfolgreich. Warum dennoch ein Soloprojekt?

Matthias Bartolomey: Es ging für mich schon längere Zeit darum, ein Soloprojekt zu entwickeln, das von der Klassik ausgehend den Bogen hin zum progressiven Bereich spannt. Ich habe länger überlegt, was ich da machen könnte. Es sind schon ja viele Stücke aus dem klassischen Repertoire in irgendeiner Form bearbeitet worden. Es gibt schon viele Konzepte, viele Aufnahmen und viele Solo-Abende. Und ich wollte einfach keinen klassischen Bach-Abend machen. Ich wollte irgendwie eine Verbindung zu dem herstellen, was ich über die Klassik hinaus noch am Cello mache. Und das ist das Progressive.

Die Initialzündung für das Soloalbum war vor vier Jahren die Begegnung mit dem Geigenbauer Philipp Bonhoeffer, der in der Toskana in Italien arbeitet. Er hat sich im Laufe der Zeit auf das Nachbauen von Instrumenten spezialisiert und eine sehr spezielle Methodik zwischen Handwerk, Wissenschaft und Technik entwickelt. Er baut die Instrumente einerseits traditionell, andererseits fertigt er vorher einen sehr detaillierten Scan vom Instrument an. Das ist sehr aufwendig. Es geht ihm auch nicht nur darum die genauen Maße zu kopieren, sondern auch die Unregelmäßigkeiten und Ungenauigkeiten zu übernehmen. Er will beim Nachbauen dem Originalinstrument so nahe wie möglich kommen. Ich spiele seit über zehn Jahren das Cello, das mein Vater in seiner aktiven Karriere gespielt hat. Das mit dem schönen Löwenkopf. Philipp hat es sehr interessiert, dieses Instrument nachzubauen. Ich fand die Idee super.

Im Jahr 2021 wurde das Instrument fertiggestellt. Mit seiner Fertigstellung entdeckte ich auch den roten Faden. Zwischen diesen Instrumenten liegen 300 Jahre. Das eine wurde 1727 von David Tecchler gebaut, das andere im Jahr 2021 von Philipp Bonhoeffer. Die Musik von Bach entstand im 18. Jahrhundert, meine entsteht jetzt. Für mich ergibt sich daraus eine Geschichte. Nämlich die Idee, zwei Instrumente auf der Bühne zu haben, mit denen ich fließend von Bachs Musik zu meiner eigenen übergehen kann.

Live aus der Taufe gehoben habe ich das Projekt dann vor zwei Jahren im Radiokulturhaus. Das Konzertkonzept sieht vor, dass auf der Bühne zwei Spielpositionen vorhanden sind, eine links und eine rechts. Ich beginne an einer Position mit einem meiner Stücke, das dann nahtlos in ein Werk von Bach übergeht. Danach folgt eine Moderation, während der ich zur zweiten Position wechsle, um dort fortzufahren. So dreht sich das Programm quasi im Kreis. Das macht sehr viel Spaß. Und das Publikum weiß auch nicht, welches Cello jetzt welches ist. Das heißt, es kommt während eines Konzertes zu einer Art Ratespiel.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass hier ein Thema ins Zentrum gerückt wird, das für viele Leute im Publikum oft interessant ist. Sie sehen die Musikerinnen und Musiker auf der Bühne und hören ihnen zu. Es interessiert sie oft, was das jetzt für ein Instrument ist, wie es funktioniert, warum es gerade so klingt usw. Die Leute haben alle möglichen Fragen. Hier werden die Instrumente sehr ins Zentrum gerückt. Und es stellt sich dann für viele natürlich die Frage, ob sie unterschiedlich klingen oder nicht, ob man diesen Unterschied überhaupt wahrnimmt

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Klingen die Instrumente tatsächlich anders? Und spürst du das auch?

Matthias Bartolomey: Ich spüre es auf jeden Fall. Die Instrumente klingen auch anders und haben eine unterschiedliche Klangcharakteristik. Und es ist irgendwie lustig und kurios, weil die Instrumente ein bisschen Stereotype erfüllen. Das alte Cello hat eine Breite, eine Tiefe, eine Weisheit im Klang, es hat etwas Geheimnisvolles. Man muss es jedoch auch mit etwas mehr Geduld “bearbeiten”. Es ist nicht so, dass es sofort anspringt. Man muss ein bisschen hineinarbeiten, und es bedarf eines wenig mehr körperlichen Aufwandes. Das neue Cello hingegen hat mehr Spritzigkeit, mehr Frechheit, es hat mehr Fokus im Klang und springt eigentlich sofort an. Es muss nur leicht berührt werden, und es geht schon los. Gleichzeitig muss man auch vorsichtig sein, dass man es nicht sofort überstrapaziert. Aber es spielt sich generell leichter, hat dafür aber weniger Tiefgang. Im Moment ist es auch noch deutlich launischer. Ich vergleiche das neue Cello gerne mit einem neugeborenen Baby. Jeder Tag ist anders. An einem ist die Laune so, am anderen komplett anders. Man muss beim Spielen flexibler sein. Und man weiß nicht genau, was kommt. Hier gibt es auch eine gewisse Unberechenbarkeit. Aber ich spiele das Instrument sehr gerne.

Auf jeden Fall spannst du auf dem Album einen wirklich aufregenden musikalischen Bogen von der Vergangenheit bis ins Heute.

Matthias Bartolomey: Ich finde den Gedanken schön und inspirierend, dass ich beim Cello von 1727 einer von vielen Wegbegleitern bin. Wer weiß, wer alles in den letzten 300 Jahren schon auf diesem Cello gespielt hat. Auf dem neuen habe ich die Möglichkeit, der Erste zu sein, der seine Farbe darauf einspielt und seine Persönlichkeit ins Holz verewigt. Und wer weiß, wo dieses Instrument in 300 Jahren sein wird.

Ein Instrument – egal ob alt oder neu – ist zu einem gewissen Teil nur so gut wie die Leute, die darauf spielen. Die Musikerin bzw. der Musik muss das Instrument zum Klingen bringen und wissen wie er das macht, um zu wissen, damit es die volle Qualität entfalten kann. Das ist ein spannender Prozess, der mich sehr inspiriert.

Du hast das Programm ja schon öfters live aufgeführt. Wie sehr hat sich dieser Umstand auf das Album ausgewirkt?

Matthias Bartolomey: Das Programm ist auf jeden Fall sehr vielschichtig. Und ich denke, dieser Aspekt für mich genauso spannend ist wie auch für das Publikum. Ich konnte das Programm mittlerweile ein paar Mal live präsentieren – u.a. bei der styriarte vor über tausend Leuten. Und die zeigten sich alle sehr interessiert. Der Spannungsbogen dürfte also funktionieren.

Bild Matthias Bartolomey
Matthias Bartolomey (c) Stephan Doleschal

Die Abfolge auf dem Album ist aber ein bisschen anders. Auf diesem sind die ersten sechs Tracks auf dem alten Cello gespielt. Und dieser erste Block beinhaltet sowohl Stücke von Bach wie auch von mir. Und quasi gleich verhält es sich im zweiten Block, den ich mit dem neuen Cello spiele.

Ich habe mir zunächst schon Gedanken darüber gemacht, wie ich dieses Album angehe, ob ich vielleicht die Stücke von Bach auf dem alten Cello und meine auf dem neuen spiele. Letztlich war mir dieser Ansatz aber zu eindimensional. Mir ging es schon auch darum, die Grenzen zu überspringen. Ich wollte wissen, wie meine groove- und rockbetonte Musik auf beiden Instrumenten klingt, ob es da wirklich einen Unterschied gibt. Dasselbe interessierte mich an den Stücken von Bach.

Es bieten sich für so ein Programm, für so ein Album ja viele Komponisten an. Warum fiel deine Wahl auch auf Johann Sebastian Bach?

Matthias Bartolomey: Für mich steht Johann Sebastian Bach eigentlich repräsentativ für das alte David Tecchler-Cello. Auf diesem Instrument wurden zwar nicht ausschließlich seine Stücke gespielt, dennoch denke ich, dass er die repräsentative Instanz ist. Der zweite Grund ist seine Musik. Sie besitzt für mich eine zeitlose Tiefe und ist eine unerschöpfliche Quelle der Inspiration.

Egal, wer auch immer Cello spielt, kommt irgendwann mit Bach in Berührung. Die Bach-Cello-Suiten gehören einfach zum Grundfundament des Cello-Repertoires. Bachs musikalische Sprache ermöglicht es auch, sie in Kontrast zu grooviger und rockbetonter Musik zu setzen. Das ist ein Kontrast, der sehr genau definiert ist. Wenn ich jetzt ins 20. Jahrhundert blicke, gibt es natürlich auch großartige Cello-Musik. Man denke nur an Werke von Benjamin Britten oder Zoltán Kodály, aber diese wären mir fast zu nah an dem, was ich selbst mache.

Du spielst Bachs Stücke auf zwei verschiedenen Cellos. Was du aber nicht tust, ist, diese irgendwie neu zu interpretieren. Du hältst dich musikalisch sehr nah am Original. Du übersetzt sie nicht in deine eigene musikalische Sprache.

Matthias Bartolomey: Genau. Das war mir sehr wichtig. Ich wollte nicht in eine Verwurstung hineingehen, im Sinne von, dass ich diese Sätze hernehme und sie ein bissl grooviger oder jazziger spiele. Diese Stücke haben für mich auch eine Reinheit und einen puristischen Kontext, den ich gar nicht anrühren möchte. Ich möchte sie in dem Kontext, in dem sie existieren, zum Leben bringen.

Einzig bei den Kontrast-Sätzen zu meinen eigenen Stücken ist das ein wenig anders. Es gibt zwei Stücke auf diesem Album, die thematisches Material von Bach aufgreifen und etwas Eigenes daraus machen. So habe ich unter anderem zwei Takte aus der Gigue der dritten Suite herausgenommen und daraus ein ganzes Stück gemacht. Diese zwei Takte sind im Grunde purer Rock. Und genau das interessiert mich. Man zitiert und erschafft etwas Eigenes aus dem Zitat.

Wie ist es mit deinen Stücken? Wo liegt der Unterschied zu dem was du bei BartolomeyBittmann gemeinsam Klemens Bittmann machst?

Matthias Bartolomey: Klemens und ich arbeiten mittlerweile seit fast 13 Jahren zusammen. Und es fühlt sich für mich so an, als wären wir in dieser Zeit musikalisch zusammen groß geworden,und zwar im Sinne eines gemeinsamen Reifungsprozesses und des kreativen Schaffens am Instrument. Die Begegnung mit Klemens hat es mir ermöglicht, mich immer weiterzuentwickeln.

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Ab einem bestimmten Zeitpunkt, ich glaube 2017, hatte ich auch die Idee, für Solo-Cello zu komponieren. Diese Idee wurde von dem inspiriert, was wir mit dem Duo entwickelt haben. Die schöne Qualität von BartolomeyBittmann ist ja, dass wir immer gemeinsam komponiert haben und das auch nach wie vor so tun. Unsere Stücke entstehen in einem gemeinsamen Prozess, indem jeder von uns Seines hineinträgt. Ich würde nie auf die Idee kommen, Klemens zu sagen, dass er die Dinge genau so spielen soll, wie ich es mir vorstelle oder wie ich es notiert habe. Er weiß, was er macht, und ich weiß, was ich mache, und wir treffen uns mit unseren Ideen an einem gemeinsamen Punkt.

Was ich jetzt in diesem Soloprogramm mache, ist natürlich auch im Duo spürbar, weil ich in diesem ja auch kein ganz anderer bin. Aber ich denke, diese Solosituation bietet die Möglichkeit, Dinge auszuloten. Was kann man eigentlich alles machen? Wie kann man am Cello eine spannende Geschichte erzählen, wenn man wirklich alleine ist und keine zusätzlichen Hilfsmittel hat? Ich verwende keine Elektronik, keinen Looper. Alles ist rein akustisch. Es hat mich einfach interessiert, wie weit ich in so einer Konstellation alleine komme. Wenn man möchte, könnte man sagen, es ist eine weitere Facette dessen, was wir bereits im Duo erreicht haben, denn schon im Duo waren wir mit der Frage konfrontiert, wie wir zu zweit dennoch so groß wie möglich klingen können. Und diese Frage stellt sich auch bei meinem Soloprogramm. Wie kann ich alleine eine spannende Geschichte erzählen und dabei einen Raum füllen. Das ist eine aufregende Entdeckungsreiche.

Auch wenn die Stücke aus zwei vollkommen verschiedenen zeiten stammen, klingen sie in Summe doch erstaunlich homogen.

Matthias Bartolomey: Das freut mich zu hören. Tatsächlich war das eine meiner Sorgen. Ich war mir zunächst nicht ganz sicher, ob das auf einem Album funktionieren würde. Die Instrumente sind nicht sichtbar, und es fehlt der visuelle Kontext, der für dieses Programm so wichtig ist. Aber trotz des entstehenden Kontrasts finde ich, dass es dennoch einen roten Faden gibt, der sich durch alles zieht. Das Album erfüllt gewissermaßen auch ein Motto, das mich schon länger begleitet: Letztendlich spielt es keine Rolle, in welcher Epoche oder in welchem Genre wir uns befinden, weil Musik immer als Musik wahrgenommen wird, egal ob sie in barocker Tonsprache erklingt oder in einer Tonsprache unserer Zeit. Es ist sicher manchmal leichter in eine Tonsprache einzutauchen, die in unserer Zeit passiert und unsere Welt reflektiert. Und ein barocker Tanzsatz kann manchmal ein bißchen fremd oder alt wirken. Das ist sicher ein Faktor. Aber Musik ist immer Musik. Es geht darum, was sie an Emotionen auslösen kann. Und da ist Bach einer, der trotz seiner sehr strengen Form und klaren Struktur in seiner Musik hochemotional ist.

Herzlichen Dank für das Interview.

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