Voll das Leben! Andreas Dresen und Team | Kunst+Film
Potsdam

Voll das Leben! Andreas Dresen und Team

Andreas Dresen und Szenenbildner Wilko Drews mit Requisiten zum Film "Sommer vorm Balkon". Foto: Michael Lüder. Fotoquelle: Filmmuseum Potsdam
Man kann über jeden Menschen einen spannenden Film machen: Diese Maxime hat Regisseur Andreas Dresen in bislang 19 Filmen verwirklicht. Eine liebevoll aufbereitete Ausstellung im Filmmuseum würdigt sein Gesamtwerk, spart aber das spezifisch Ostdeutsche daran und sein politisches Engagement aus.

Dass ein lebender deutscher Regisseur eine Einzelausstellung zu Person und Werk erhält, kommt nicht allzu häufig vor. Das Filmmuseum Potsdam widmet Andreas Dresen zum 60. Geburtstag eine solche Schau, kuratiert von Ugla Gräf – in diesem Umfang ist es die erste überhaupt. „Das lag für uns auf der Hand“, so Museumsmitarbeiter Guido Altendorf: „Schließlich kommen wir alle aus demselben Topf.“

 

Info

 

Voll das Leben!
Andreas Dresen und Team

 

07.10.2023 - 31.12.2024

 

täglich außer montags 10 bis 18 Uhr

im Filmmuseum Potsdam, Breite Straße 1A, Potsdam 

 

Weitere Informationen zur Ausstellung

 

Gemeint ist das Filmstudium an der Hochschule Potsdam-Babelsberg, das Dresen von 1986 bis 1991 absolvierte. Seinen Studienort hat der 1963 in Gera geborene Regisseur, der in Schwerin aufwuchs, offenbar ins Herz geschlossen; er lebt noch heute nahe der Landeshauptstadt von Brandenburg.

 

Zahnprothese von Gundermann

 

Dresen sei dem Museum sehr verbunden, ergänzt Altendorf: Etliche Exponate hätten er selbst oder enge Mitglieder seiner Film-Familie wie die Szenenbildnerin Susanne Hopf oder die Kostümbildnerin Sabine Greunig beigesteuert. Dieser Materialreichtum ist ein großes Plus. Gezeigt werden nicht nur Texttafeln und Filmausschnitte, sondern auch viele Original-Requisiten; etwa das nachgebaute Badezimmer aus „Halbe Treppe“ (2002), Nikes Kostüm aus „Sommer vorm Balkon“ (2005) oder Alexander Scheers Zahnprothese, die er als „Gundermann“ (2018) trägt.

Interview mit Andreas Dresen über seine Doku + sein Gesellschaftsverständnis


 

Nazis, Stasi + Currywurst

 

So macht es die Schau dem Besucher leicht, in Dresens Filmographie einzutauchen, indem sie sich an seinen Hauptwerken entlanghangelt. In chronologischer Folge ist jedem bedeutenderen Film ein eigener Abschnitt gewidmet. Zum Dokumentarfilm „Herr Wichmann aus der dritten Reihe“ (2012) über einen CDU-Landtagsabgeordneten gibt es lange Interviews. Bei „Gundermann“ erfährt man, dass Dresen zwölf Jahre brauchte, bis er dieses Biopic über den in Ostdeutschland bekannten Liedermacher drehen konnte – der sei in Westdeutschland unbekannt und interessierte dort keinen, wiegelten potentielle Geldgeber ab.

 

Doch dem workaholic gelingt es immer wieder, Stoffe zu verfilmen und Geschichten zu erzählen, die ihm wichtig sind; in mittlerweile 19 Spielfilmen, acht Dokus sowie einem halben Dutzend Theater- und Opern-Inszenierungen. Was auch von ausländischen Medien anerkannt wird. Während der diesjährigen Berlinale druckte das US-Branchenblatt „Hollywood-Reporter“ ein Porträt mit dem Titel „Berlin Legend Andreas Dresen: The Versatile German Arthouse Master on Nazis, the Stasi and Currywurst“ („Die Berliner Legende Andreas Dresen: Der vielseitige deutsche Autorenfilm-Meister über Nazis, die Stasi und Currywurst“).

 

Chronist des Lebens kleiner Leute

 

All das ist in seinen Filmen schon vorgekommen, aber sie sollten keinesfalls auf typisch deutsche Themen reduziert werden. Viel eher eint sie die Konstante, dass Dresen sich in seinen Filmen vor allem mit so genannten kleinen Leuten beschäftigt. Sei es eine Ordnungshüterin im Rostocker Plattenbauviertel („Die Polizistin“, 2000), seien es Rentner-Liebe („Wolke 9“, 2008), Jugendliche in der wilden Leipziger Wendezeit („Als wir träumten“, 2015) oder die Mutter eines zu Unrecht Inhaftierten („Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“, 2022).

Alexander Scheer, Andreas Dresen + Band mit dem Song "Ich mache meinen Frieden" von Gerhard Gundermann auf der Freilichtbühne Berlin-Friedrichshagen am 18.08.2019


 

Kein Film nur von Andreas Dresen

 

„Man kann über jeden Menschen einen spannenden Film machen“: Dieses Dresen-Zitat ist ein Schlüssel zu seinem Werk. Bodenhaftung und Zugänglich-Sein werden dem Regisseur immer wieder attestiert, beim Arbeitsprozess wie den Endprodukten. Leitwolf-Gehabe ist ihm fremd – Film, betont Dresen immer wieder, sei Teamarbeit. Deshalb steht im Abspann seiner Werke nie: „Ein Film von Andreas Dresen“.

 

Seine Figuren zeigt er in ihrer Widersprüchlichkeit, in lichten und dunklen Momenten, aber er stellt sie nie bloß. Diese „Alltagsmenschen“ sind überwiegend ostdeutscher Herkunft, wie er selbst. Dresen kennt ihre Seelenzustände; er weiß, wie die Leute in der Ex-DDR denken, wie es in ihren Wohnungen oder an ihren Arbeitsplätzen aussieht – und in ihren Kleingärten. Seine Affinität zum Dokumentarischen macht sich auch in seinen Spielfilmen bemerkbar; oft wirken das Gezeigte, als sei es kaum inszeniert. So spiegeln sich Lebenswirklichkeit und Befindlichkeiten der „Ossis“ authentisch in ihnen wieder.

 

Balsam für die ostdeutsche Seele

 

Auf Westdeutsche wirkt das häufig exotisch. In seinem ZEIT-Essay „Der fremde Kino-Osten“ von 2009 schildert Andreas Dresen sehr anschaulich ihre Perspektive: „Im Westen hingegen wird mit fremdem Blick auf die DDR-Geschichte geschaut, hinein in eine graue, etwas merkwürdige, abgeschlossene Welt mit kleinbürgerlichen Menschen und komischen Autos, eine Welt, in der es Verräter gab oder Widerstandskämpfer. Und wenig dazwischen. Die Geschichte dieses anderen Landes als Teil der eigenen Geschichte zu begreifen kommt kaum jemandem in den Sinn. Als wären Verrat und Opportunismus in dieser jetzigen Welt ganz unbekannte Größen.“

 

Das Ostdeutsche ist in Dresens Filmen eben nicht die Abweichung von der westdeutschen Norm, sondern ganz selbstverständlich und gleichberechtigt – das ist Balsam für die ostdeutsche Seele. Das macht ihn zugleich zu einer Ausnahmeerscheinung in der deutschen Filmlandschaft: Kein anderer ostdeutscher Regisseur hat es zu vergleichbarer Bekanntheit gebracht.

 

Stasi-Märchen verkaufen sich besser

 

Wobei aber auch sein Einflussbereich begrenzt blieb. „Gundermann“, den viele für den wohl besten Film über die späte DDR halten, erfuhr bei weitem nicht die Resonanz wie „Das Leben der Anderen“ – für diesen Politthriller erhielt der westdeutsche und hochadlige Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck 2007 sogar den Auslands-Oscar. Doch Dresen blieb skeptisch: Dieser Film habe „mit der DDR so viel zu tun wie Hollywood mit Hoyerswerda“, schrieb er. Ein Stasi-Märchen verkauft sich eben leichter als eine reale, widersprüchliche Biografie.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush" – verulkte Politskandal-Chronik von Andreas Dresen

 

und hier eine Rezension des Films "Gundermann" – facettenreiches Biopic über den DDR-Liedermacher von Andreas Dresen

 

und hier eine Besprechung des Films "Als wir träumten" – stilsicheres Gruppenporträt von Leipziger Teenagern in der Nachwendezeit von Andreas Dresen

 

und hier einen Beitrag über die Dokumentation "Herr Wichmann aus der dritten Reihe" über den Arbeitsalltag eines MdL-Politikers von Andreas Dresen.

 

Zwar ist dieser aufschlussreiche Essay im Filmmuseum etwas versteckt zu finden – ansonsten stellt die Schau aber kaum heraus, was das spezifisch Ostdeutsche an Dresens Arbeit in Abgrenzung zum westdeutschen Mainstream ist. Stattdessen erfährt man allerlei Anekdoten über die filmischen Anfänge des Regisseurs; so hat er seine ersten Filme auf Zeltplätzen vorgeführt.

 

Kurzweil statt Kontroversen

 

Die zahlreichen Mitglieder der Film-Familie, mit denen Dresen seit Jahrzehnten zusammenarbeitet – unter anderem Drehbuchautorin Laila Stieler, Kameramann Andreas Höfer oder Produzent Peter Rommel – werden immer wieder genannt, jedoch nicht systematisch. Denn der Akzent liegt auf kurzweiliger Präsentation. Sie soll vor allem ein Publikum ansprechen, das einige von Dresens Filmen kennt, ohne sie notwendigerweise mit seinem Namen zu verknüpfen. Dadurch bietet sie aber Kennern seines Œuvres wenig Neues, sondern macht eher Lust, seine Filme wieder anzusehen.

 

Allerdings verwundert bei diesem dezidiert politischen Filmemacher, dass die Ausstellung sein Engagement in dieser Richtung weitgehend außen vor lässt. So war Dresen von 2012 bis 2023 als Laien-Verfassungsrichter für das Land Brandenburg tätig. Umstritten war hingegen, dass er als Erstunterzeichner des Offenen Briefes der Zeitschrift „Emma“ an Bundeskanzler Olaf Scholz vom 29.04.2022 auftrat; darin sprachen sich die Verfasser gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Solche kontroversen Themen meidet die Schau – sie ist in erster Linie eine akribisch ausgestattete und liebevoll aufbereitete Hommage an den Filmemacher mit Tendenz zur Huldigung.