Die Blendung

Autoren
Verlag
Fischer Taschenbuch Verlag
Anspruch
5 von 5
Humor
4 von 5
Lesespaß
3 von 5
Schreibstil
4 von 5
Spannung
3 von 5

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Zusammenfassung zu “Die Blendung”

Der Privatgelehrte Peter Kien, ein bedeutender Sinologe, lebt in einer Welt aus Büchern – nicht nur im übertragenen Sinn, sondern auch im wörtlichen. Er besitzt eine große Bibliothek mit mehr als 25000 Büchern, in der er sich vor der Außenwelt verschanzt. So sehr er auch die Bücher schätzt, so sehr verachtet er im Gegenzug die Menschen. Nur seine wesentlich ältere Haushälterin Therese gewinnt sein Vertrauen, da sie vorgibt, seine Liebe zu Büchern zu teilen und deshalb besonders pfleglich mit seiner Sammlung umzugehen. Als er sie heiratet, kommt es bereits in der Hochzeitsnacht für Kien zur ersten Katastrophe: Achtlos lässt sie einen Stapel Bücher zu Boden fallen. Zwischen den beiden ungleichen Partnern beginnt nun ein Kampf um die Wohnung, bei dem Kien von Anfang an auf verlorenem Posten steht. Rasch übernimmt die materialistisch eingestellte Therese einen Raum nach dem anderen, bis sie den Büchernarren, der zuletzt nur noch apathisch in seiner Bibliothek gesessen hatte, aus der Wohnung wirft.

Einige Wochen lang streift Kien durch die Straßen der ihm fremden Stadt, bis er in einer Kneipe den kleinwüchsigen Fischerle kennenlernt. Dieser träumt davon, in den USA eine Karriere als Schachspieler zu machen. Um an Kiens Geld zu kommen, gibt er vor Bücher aufzukaufen, um sie so vor einem schlimmen Schicksal im Pfandhaus zu bewahren. Durch Fischerle erfährt der Gelehrte auch von dem vermeintlichen Tod Thereses. Diese hat in der Zwischenzeit eine Affäre mit dem brutalen Hausbesorger Pfaff begonnen. Als die beiden Kiens Bücher zum Pfandhaus bringen wollen, begegnet er ihnen zufällig. Er hält Therese für eine Geistererscheinung und gesteht in seiner Verwirrung den Mord an ihr, woraufhin sie wiederum annimmt, dass er seine erste Frau getötet habe. Er kommt in der Wohnung des Hausbesorgers unter und verfällt immer mehr dem Wahnsinn. Mit der Ankunft seines Bruders Georg scheint sich noch einmal alles zum Guten zu wenden. Seine geliebte Bibliothek wird wiederhergestellt und er kann in sie zurückkehren. Seine frühere Gemütsruhe kann er aber nicht wiederfinden. Im Wahn setzt er die Bibliothek in Brand…

Wichtige Charaktere

  • Peter Kien, Sinologe
  • Therese Krumbholz, Haushälterin
  • Fischerle, Zuhälter
  • Benedikt Pfaff, Hausbesorger
  • Georg Kien, Psychiater

Interpretation

Wie der Titel bereits andeutet, ist das zentrale Motiv des Romans die Blindheit für die Gedanken und Bedürfnisse anderer Menschen. Die beiden Pole Idealismus und Materialismus stehen sich ohne jede Berührung gegenüber, so dass es immer wieder zu grotesken Missverständnissen kommt. Auch Kiens Rückzug in seine Bibliothek stellt eine Art Blindheit dar, die Blindheit für die Welt außerhalb seiner eng umgrenzten Interessen. Seine übersteigerte Liebe zu Büchern und die Furcht vor Menschen treibt Kien immer mehr in die Realitätsflucht und Isolation. Als der Kontakt schließlich erzwungen wird, ist es für ihn bereits zu spät und seine ganze Welt kommt zum Einsturz. Nicht minder blind für andere Menschen und ihre Gefühle macht aber auch der Materialismus Thereses und die Brutalität Pfaffs, die beide in ihrer eigenen, eng umgrenzten Welt leben, ohne wirklich Berührungspunkte mit ihrer Umwelt zu haben. Letztendlich lebt deshalb nicht nur Kien in Isolation, sondern auch die anderen Protagonisten des während der Weltwirtschaftskrise entstandenen Romans. Darin spiegelt sich auch die Furcht vor der Verlorenheit des Individuums in der modernen Welt wider.

Zitate

„Als er heute auf dem Heimweg vor einer Auslage stehenblieb, trat plötzlich ein Junge zwischen das Fenster und ihn. Kien empfand diesen Schritt als Ungezogenheit. Platz war wohl genug da. Er stellte sich immer in einem Meter Entfernung von der Scheibe auf; trotzdem las er spielend, was sich an Buchstaben dahinter fand. Seine Augen funktionierten nach Belieben; bei einem vierzigjährigen Menschen, der den ganzen Tag über Büchern und Manuskripten sitzt, eine Tatsache von Bedeutung.“

„Jetzt hatte sich die Kabine zusammengezogen. Wenn Kien von seinem Schreibtisch aufsah, der eine Ecke des Zimmers abschnitt, stieß sein Auge auf eine sinnlose Tür. Sicher lagen dahinter drei Viertel der Bibliothek, er spürte sie, er hätte sie durch hundert Türen hindurch gespürt; aber nur zu spüren, woran er früher rührte, fand er bitter.“

Persönliche Bewertung

Grotesker Humor offenbart die Abgründe menschlicher Beziehungen

4 von 5

Eine positive Identifikationsfigur wird der Leser in dem einzigen Roman des Nobelpreisträgers Elias Canetti vergebens suchen. Auch die Stimmung könnte nicht trostloser sein. Sobald Ideal und Wirklichkeit zusammentreffen, bleiben bestenfalls Scherben übrig. Das alles wird aber mehr als wettgemacht durch den unvergleichlichen Humor Canettis, der seine Figuren von einer grotesken Situation in die nächste stolpern lässt. Durch die Begegnung unterschiedlichster, jeweils in ihrer eigenen Welt gefangener Charaktere kommt es immer wieder zu bizarren Missverständnissen. Die einzigartige Sprachkunst Canettis zieht den Leser von Beginn der Lektüre an in ihren Bann und die immer neuen, unvorhersehbaren Wendungen lassen trotz einiger Längen im Erzählfluss keine Langeweile aufkommen.

Fazit

Dieses Meisterwerk der Weltliteratur ist für jeden zu empfehlen, der Freude an gehobener Unterhaltung hat.

ISBN10
3596512255
ISBN13
9783596512256
Dt. Erstveröffentlichung
2012
Taschenbuchausgabe
848 Seiten