Nahost-Konflikt Chamber über Situation der Palästinenser: Recht auf Staat, aber keine Anerkennung - Tageblatt.lu

Nahost-KonfliktChamber über Situation der Palästinenser: Recht auf Staat, aber keine Anerkennung

Nahost-Konflikt / Chamber über Situation der Palästinenser: Recht auf Staat, aber keine Anerkennung
Für einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza: das „Comité pour une paix juste au Proche-Orient“ Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Mehr als sieben Monate nach dem Überfall der Hamas auf Israel und dem anschließenden Gegenangriff der Regierung Netanjahu ringt das luxemburgische Parlament einmal mehr um eine gemeinsame Position zur Palästina-Frage. Während Teile der Opposition eine Anerkennung des palästinensischen Staates fordern, bittet Außenminister Bettel um Geduld.

Das Thema des Tages ist nicht zu übersehen. Gut sichtbar für alle Parlamentarier wehen die Palästinaflaggen im warmen Frühlingswind auf dem Krautmarkt. Das „Comité pour une paix juste au Proche-Orient“ (CPJPO) hat am Dienstagnachmittag zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Parlament aufgerufen – Anlass ist eine aktuelle Stunde in der Chamber über die Situation im Nahen Osten, angeregt vom LSAP-Abgeordneten Yves Cruchten. Eine friedliche Versammlung von einem guten Dutzend Menschen, die einen sofortigen Waffenstillstand in Gaza fordern. Kein Vergleich zu den lauten, teils aggressiven Protesten an US-amerikanischen und europäischen Universitäten. 

Es sind diese Proteste, auf die Cruchten zu Beginn seiner Rede drinnen auf der Chamber-Tribüne anspielt. Der Nahost-Konflikt als Thema sei in seiner Lagerbildung längst eskaliert. „Auch wenn es schwerfällt, müssen wir differenziert darüber sprechen“, so Cruchten. Die LSAP stehe nicht in einer Pro- oder Contra-Ecke, sondern auf der Seite der Zivilisten in den palästinensischen Gebieten und Israel. „Der Krieg gegen die Hamas ist nicht zu gewinnen“, sagt der Abgeordnete. Die Hamas sei nicht nur eine Gruppe von Terroristen, sondern auch eine Ideologie, die sich eben nicht mit Bomben bekämpfen lasse. Israels Regierung, die die Vernichtung der Hamas als Kriegsziel ausgerufen hat, kritisiert Cruchten scharf. Netanjahu und seine Minister hätten keinen Plan für die Zeit nach einem Waffenstillstand. Währenddessen habe der Angriff Israels auf den Gaza-Streifen bislang mehr als 35.000 Menschenleben gefordert, darunter Tausende Kinder. Beinahe zwei Millionen Palästinenser seien auf der Flucht. „Das sind klare Verstöße gegen die Menschenrechte und das müssen wir auch so benennen“, so Cruchten. Die LSAP verurteile sowohl den iranischen Raketenangriff auf Israel als auch den israelischen Anschlag auf die iranische Botschaft in Damaskus. Cruchten erinnert an die Gefahr des Flächenbrands: „Es ist so leicht ein Feuer zu entzünden und so schwer es zu löschen.“

Zehn Jahre Stillstand in der Palästina-Frage

Auch in der aktuellen Debatte über Palästina zeigt sich der luxemburgische Konsens: Eine Zwei-Staaten-Lösung wird über alle Parteigrenzen hinweg als Königsweg zur Lösung des Nahost-Konflikts angesehen. Für Cruchten und die LSAP brauche es dafür zwei international anerkannte Staaten. Eine luxemburgische Anerkennung Palästinas wird für sie deshalb zur Voraussetzung für die Zwei-Staaten-Lösung. In der Partei ist das nichts Neues. In seiner Zeit als Außenminister hatte Jean Asselborn auf europäischer Ebene immer wieder für die Anerkennung eines palästinensischen Staates geworben. Und auch die Chamber hatte schon im Dezember 2014 eine Motion verabschiedet, mit der sie die Regierung aufforderte, eine Anerkennung voranzutreiben – zu einem passenden Zeitpunkt. Allein: Diesen Zeitpunkt gab es nie. „Heute, zehn Jahre später, ist noch immer nichts geschehen“, sagt Cruchten.

Dabei scheint nach den jüngsten Ereignissen eine neue Dynamik auf europäischer Ebene in die Sache zu kommen. Mit Spanien, Irland und Slowenien haben drei weitere EU-Länder angekündigt, dass sie bereit seien, den Staat Palästina anzuerkennen. Von den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union erkennen bislang neun Palästina offiziell als Staat an. Allerdings erfolgte dieser Schritt jeweils, bevor die betreffenden Länder der EU beitraten. Mit Ausnahme von Malta und Zypern handelt es sich bei fast allen dieser Länder um Staaten, die bei der Ausrufung des palästinensischen Staates durch die PLO im Jahr 1988 der Sowjetunion angehörten. Dazu zählen Ungarn, Rumänien, Bulgarien, die Slowakei, Tschechien und Polen. Die einzige Ausnahme bildet Schweden, das erst viel später, im Jahr 2014, als erstes EU-Mitglied einen palästinensischen Staat anerkannte.

Die Abgeordneten Fernand Kartheiser (l.) und Gusty Graas brüten über der Formulierung der Resolution
Die Abgeordneten Fernand Kartheiser (l.) und Gusty Graas brüten über der Formulierung der Resolution Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

Für Yves Cruchten stellt die Ankündigung dreier weiterer EU-Staaten einen „kritischen Moment“ für die Palästinenser dar. Luxemburg müsse die Gelegenheit nutzen und ebenfalls ein positives Signal senden. Weshalb der LSAP-Abgeordnete an diesem Nachmittag eine Motion einreicht, um die Regierung aufzufordern, sich dem Vorhaben Spaniens anzuschließen. 

Eine Motion ist Sache der Chamber, dennoch appellierte Außenminister Xavier Bettel (DP) in seiner Rede als Vertreter der Regierung an die Abgeordneten, die Motion für den Augenblick zurückzuziehen. Seine Begründung: Eine Anerkennung Palästinas durch Luxemburg würde zum aktuellen Zeitpunkt keine Wirkung auf internationaler Ebene entfalten. Im Gegenteil, so Bettel, würde man sich damit eine bessere Chance in den kommenden Wochen und Monaten verbauen. Möglicherweise wäre dann eine „Welle von Ländern“ bereit, die Anerkennung voranzutreiben, die heute noch zögern, wie zum Beispiel Portugal, Belgien – oder gar Frankreich. Bettel wies außerdem darauf hin, dass es auf palästinensischer Seite weiterhin Unsicherheiten gäbe: „Wenn morgen in Gaza gewählt werden würde, weiß ich nicht, ob nicht doch die Hamas gewinnen würde“, so der Außenminister. „Die Möglichkeit besteht.“

Resolution wird einstimmig angenommen

David Wagner („déi Lénk“) kritisiert Bettels Verzögerungstaktik: „Uns wurde immer wieder gesagt: Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.“ Er könne der Analyse des Außenministers nicht zustimmen. Während neben der Linken auch die Grünen das Vorhaben der LSAP unterstützen, kommen von den übrigen Parteien negative Signale: CSV, DP, ADR und Piraten sehen den Moment für eine Anerkennung Palästinas nicht gekommen: nicht mitten in einem Krieg, nicht ohne eine Waffenruhe – und nicht ohne seriöse Gesprächspartner auf palästinensischer Seite. „Der Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober darf nicht zu einem politischen Erfolg führen“, sagt der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser.

Wenig überraschend wird die Motion der LSAP kurz darauf mit deutlicher Mehrheit von der Chamber abgelehnt: 17 Abgeordnete stimmen dafür, 40 dagegen, drei enthalten sich. Größere Einigkeit herrscht bei einer Resolution, die der DP-Abgeordnete Gusty Graas einreicht. Dabei handelt es sich nicht um eine Forderung an die Regierung, sondern eine Positionierung der Chamber: Man unterstütze die Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo, ebenso wie Israels Existenzrecht und die Zwei-Staaten-Lösung. Die Offensive des israelischen Militärs in Rafah wird verurteilt – genauso wie die Siedlungspolitik Israels im Westjordanland. 

Ein paar Stunden brüten die Abgeordneten im Hintergrund über den exakten Formulierungen (Streitpunkt ist vor allem der Wortlaut bei der Kritik an der Siedlungspolitik), dann kommt die Resolution zur Abstimmung. Alle Parteien tragen sie mit, sie wird einstimmig angenommen. In der Palästina-Frage herrscht im luxemburgischen Parlament ein gewisser Grundkonsens, das ist mehr als in anderen Ländern. Doch je konkreter die Frage wird, desto weiter gehen die Positionen auch hier auseinander. Die Debatte ist noch nicht vorbei. Fortgesetzt wird sie spätestens bei der öffentlichen Debatte über die erfolgreiche Petition Nr. 3023: Anerkennung des palästinensischen Staates.