Schwester Anne Kurz über das Sonntagsevangelium

Wenn unangenehme Stimmung in der Luft liegt

Veröffentlicht am 11.05.2024 um 12:15 Uhr – Lesedauer: 
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Venne bei Münster ‐ Im heutigen Sonntagsevangelium findet Schwester Anne Kurz eine dichte Stimmung von Angst bis hin zur Liebe. Jesus befähigt uns mit seinen Worten "für sie heilige ich mich", seine Sendung in der Welt fortzusetzen. In der tiefsten Krise öffnet sich ihm die weiteste Vision.

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Es gibt diese besonderen Momente zwischen Himmel und Erde. Momente, in denen Erde und Himmel sich berühren. Beim Abschied stellt sich manches Mal diese besondere Stimmung ein. Angesichts der Trennung, die durchzustehen ist, öffnet sich ein weiter Raum der bleibenden Zugehörigkeit zueinander.

Ein solcher Moment war jene letzte Nacht, in der Jesus mit seinen Jüngern und Jüngerinnen zusammen ist. Eine dichte Stimmung, traurig und bergend, voll Angst und voll Liebe. Wir wissen nicht, ob Jesus all die überlieferten Worte ausgesprochen hat – aber sie waren vernehmbar in jener Nacht. Sie "lagen in der Luft", durchströmten die Herzen und das Zusammensein. Schicksalsgemeinschaft.

"Aber jetzt komme ich zu Dir" – so betet Jesus zu seinem Vater in jener letzten Nacht vor seinem Leiden. In diese "Stimmung" scheint bereits etwas von Ostern auf. Aber es ist der Moment des Abschieds. Glaube verniedlicht das nicht. Glaube geht da durch. Wird Weg. Für sie. Für alle. Ein Weg durch den Tod. Bis der auferstandene Herr ihnen erscheint und ihnen erneut zu Herzen spricht. Er erweckt die gestorbene Zuversicht und seine Worte beginnen neu zu leuchten. Die Freunde und Freundinnen Jesu leben auf, werden zu Zeugen des Lebens und der Liebe. Der "zweite Abschied" ist die "Himmelfahrt" Jesu. Mit ihm kommt die Erde leibhaft im Himmel an und unser Horizont ist weit geworden. Für immer.

Uns gilt das Lebensziel Jesu: "Für sie heilige ich mich." Jesus hätte alle Gründe der Welt gehabt, aufzugeben. Angesichts von Verrat, Bosheit, Sterblichkeit und gefühlter Vergeblichkeit hätte er in Selbstmitleid versinken, in Bitterkeit verhärten oder in Schuldzuweisungen distanziert werden können. Er hätte gute Gründe gehabt, seinem Vater oder den Menschen die Freundschaft aufzukündigen. Aber er blieb treu. In der tiefsten Krise öffnet sich ihm die weiteste Vision. Er sieht weiter. Klaus Hemmerle hat es in einem Gedicht so beschrieben: "Ich wünsche uns Osteraugen, die im Tod bis zum Leben sehen, in der Schuld bis zur Vergebung, in der Trennung bis zur Einheit, in den Wunden bis zur Heilung."

Wir sind geheiligt, um diese "Vision" das "Sehen mit Osteraugen" zu lernen und zu leben. Dann können wir unseren Platz in dieser Welt erkennen und einnehmen. Die Lebensmotivation Jesu "für sie heilige ich mich" erreicht dann ihr Ziel: Er befähigt uns, unsere unvertretbare Stelle einzunehmen. Wir sind in der Welt und führen seine Sendung fort. Mir kommt das Lied von Pippi Langstrumpf an den Seeräuberopa Fabian: "Alter Käptn Fabian, Pippi bleibt dir immer treu, Jetzt lass die Kleine auch mal ran. Käptn, Ahoi! Ahoi!" Jetzt lass uns Kleinen auch mal ran – wie sehr entspricht das der Sehnsucht Jesu! Vertrauen wir uns und alle dem Heiligen Geist an, der das Werk Jesu auf Erden weiterführt und alle Heiligung vollendet.

Evangelium nach Johannes (Joh 17,6-19)

In jener Zeit erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach:
Vater, ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast.
Heiliger Vater, bewahre sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast, damit sie eins sind wie wir!
Solange ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen, den du mir gegeben hast.
Und ich habe sie behütet und keiner von ihnen ging verloren, 
außer dem Sohn des Verderbens, damit sich die Schrift erfüllte.
Aber jetzt komme ich zu dir und rede dies noch in der Welt, damit sie meine Freude in Fülle in sich haben.
Ich habe ihnen dein Wort gegeben und die Welt hat sie gehasst, weil sie nicht von der Welt sind, wie auch ich nicht von der Welt bin.
Ich bitte nicht, dass du sie aus der Welt nimmst, sondern dass du sie vor dem Bösen bewahrst.
Sie sind nicht von der Welt, wie auch ich nicht von der Welt bin.
Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist Wahrheit.
Wie du mich in die Welt gesandt hast, so habe auch ich sie in die Welt gesandt.
Und ich heilige mich für sie, damit auch sie in der Wahrheit geheiligt sind.

Die Autorin

Anne Kurz ist Schwester der Gemeinschaft Verbum Dei. Sie ist Referentin für Liturgie im Bistum Hildesheim, Geistliche Begleiterin und Supervisorin in Ausbildung.

Ausgelegt!

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