Mit sch�ner Regelm��igkeit dreht Vielfilmer Thorsten N�ter alle paar Jahre einen Thriller, der aus dem TV-Alltag herausragt. Die Konstellation von „T�dliche Gier“ (ZDF / Jojo Film- und Fernsehproduktion) erinnert an Konzepte von Reihen wie „Nord bei Nordwest“ oder „Harter Brocken“, in denen das Grauen in ein Provinzidyll einbricht: Drei ausgebrochene Str�flinge wissen, dass ihr verstorbener Komplize in einer Kirche die millionenschwere Beute aus einem Diamantenraub deponiert hat; aber sie haben keine Ahnung, wo genau. Also nehmen sie die Familie des Pfarrers als Geiseln und zwingen ihn, bei der Suche zu helfen. Der Pastor ahnt, dass die Gangster kurzen Prozess machen werden, wenn sie die Beute gefunden haben. Bildgestaltung, Musik und vor allem das gut besetzte Ensemble um Harald Krassnitzer und Ann-Kathrin Kramer sorgen daf�r, dass der Film neunzig Minuten lang fesselt.
Foto: ZDF / Hans-Joachim Pfeiffer"T�dliche Gier" von Thorsten N�ter erz�hlt die klassische Thriller-Situation Marke "An einem Tag wie jeder andere": drei Gangster und eine Familie in deren Gewalt. Dirk Borchardt, Thomas Sarbacher, Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer.
Die Geschichte ist ebenso schlicht wie ihr Titel und schon oft erz�hlt worden: „T�dliche Gier“ handelt von einem Mann, der �ber sich hinauswachsen muss, um seine Familie vor hartgesottenen Verbrechern zu retten. Thorsten N�ter (Buch und Regie) verdeutlicht allerdings schon mit seinem Prolog, dass er keinen Thriller von der Stange machen wollte: W�hrend Pastor Bahnert (Harald Krassnitzer) am Bu�- und Bettag aus einer Predigt zitiert, die der protestantische Theologe Helmut Gollwitzer am selben Feiertag des Jahres 1938 gehalten hat, und davon spricht, dass viele Menschen angesichts all’ der Grausamkeit in der Welt an Gott zweifeln, zeigen die Bilder zwischendurch, wie vier M�nner aus einem Hamburger Gef�ngnis ausbrechen. Auf der Tonspur ist allerdings weiter der Pfarrer zu h�ren, auch die Musik orientiert sich an der Kirchenszene. Diese Idee verleiht der drei Minuten langen Einf�hrung einen au�erordentlichen Reiz, zumal die sanften Kl�nge �berhaupt nicht zu den brutalen Taten der H�ftlinge passen. Mit dieser Ouvert�re kl�rt N�ter nicht nur die Fronten – hier das Gute, personifiziert durch den Priester, dort das skrupellos B�se –, er gibt auch die Richtung vor: Mit der Devise „Liebt eure Feinde“ aus der Predigt werden der Pfarrer und seine Familie nicht heil aus der Sache rauskommen. Geschickt erh�ht N�ter die Fallh�he: Bahnerts Sohn h�lt den Vater f�r einen Feigling, seine Tochter lehnt seine ganze Lebenshaltung ab, und einer der hartgesottenen Verbrecher verh�hnt ihn, weil ihn sein Gott offenbar im Stich gelassen habe; prompt offenbart Bahnert Seiten, die er bis dahin vermutlich selbst nicht kannte.
Foto: ZDF / Hans-Joachim PfeifferHochspannung. Wiesner (Thomas Sarbacher), offenbar noch der Vern�nftigste der Gangster, vermutet dass Bahnert (Harald Krassnitzer) die Diamanten versteckt hat.
Der weitere Verlauf der Handlung erinnert an die ARD-Provinzkrimireihen „Nord bei Nordwest“ und „Harter Brocken“: Das Grauen bricht in eine Idylle ein. Dass N�ter ausgerechnet einen Pfarrer zur Hauptfigur erkoren hat, verst�rkt den Reiz seiner Geschichte noch. Das gilt auch f�r den Vorwand, den er sich ausgedacht hat, um die beiden Welten aufeinander prallen zu lassen: Einer der Ausbrecher, Dombrowski (Thomas Lawinky), hat vor Jahren die millionenschwere Beute aus einem Diamantenraub in einer leerstehenden Kirche deponiert. Im Gef�ngnis hat der Dieb drei H�ftlinge �berredet, ihm bei der Flucht zu helfen und die Beute zu holen. Clever sorgt N�ter daf�r, dass aus dem Plan nichts wird: Dombrowski ist w�hrend des Ausbruchs verletzt worden und stirbt, als die Gangster ihr Ziel erreichen. Au�erdem ist das damals in Folge von Sturmsch�den leerstehende Gotteshaus mittlerweile renoviert worden; ohne genaue Kenntnis des Verstecks ist die Suche ein aussichtsloses Unterfangen. Also nehmen die Verbrecher die Frau des Pastors (Ann-Kathrin Kramer) und die beiden Teenager-Kinder Svenja (Sofie Eifertinger) und Marius (Johannes Geller) als Geiseln und zwingen auf diese Weise Bahnert, bei der Suche zu helfen.
Wie in vielen Filmen dieser Art w�hnt sich das Ehepaar den Verbrechern intellektuell �berlegen und versucht, die Eindringlinge gegeneinander auszuspielen. Deren Charaktere orientieren sich ebenfalls an bekannten Mustern. Als erstes versucht Bahnert sein Gl�ck bei Wiesner (Thomas Sarbacher), weil er ihn f�r den einzigen h�lt, mit dem man vern�nftig reden kann, muss aber bald erkennen, dass der Kopf der Bande wom�glich der Schlimmste von allen ist. Pottek (Dirk Borchardt) ist ein Soziopath mit kurzer Z�ndschnur, und der junge Vollmer (Leonard Carow) bek�mpft seine psychische Labilit�t mit Tabletten. Geschickt kaschiert N�ter die �berschaubarkeit der Geschichte durch kleine Ereignisse: Vollmer hat Svenjas Tagebuch entdeckt und liest laut daraus vor; so erf�hrt Bahnert, dass seine Frau �ber eine Trennung nachdenkt. Ein Fluchtversuch von Marius verhindert, dass der Film ein reines Kammerspiel bleibt. Au�erdem haben die Dorfbewohner mittlerweile mitbekommen, dass in der Kirche irgendwas nicht stimmt, aber der Dorfpolizist (Josef Heynert) nimmt die Hinweise nicht ernst.
Foto: ZDF / Hans-Joachim PfeifferWird der Pfarrer seine Tochter besch�tzen k�nnen? Krassnitzer & Sofie Eifertinger
Thorsten N�ter ist mit mehreren Produktionen pro Jahr, oft nach eigenem Drehbuch, ein sehr flei�iger Regisseur. Dass dabei nicht immer alles gelingt, ist fast zwangsl�ufig; seine Beitr�ge zur ARD-Reihe „Der Bozen-Krimi“ (mit Sarbacher als Mafia-Gegenspieler der Heldin) waren oft nur m��ig spannend. Andererseits dreht er immer wieder Filme, die von Anfang bis Ende fesseln, etwa „Jenseits der Angst“ (2019), ein vorz�glich gestalteter Thriller mit Anja Kling als Modedesignerin, die vom Gatten in den Wahn getrieben wird; oder „Verh�ngnisvolle N�he“ (2014, beide ZDF), gleichfalls mit Kling, diesmal als Kommissarin, die den eigenen Mann f�r einen Serienm�rder h�lt. N�ters wichtigster Mitarbeiter ist Achim Hasse, der seit �ber zwanzig Jahren seine Bildgestaltung besorgt. In „T�dliche N�he“ hat er die Kirche in ein fast �berirdisch sch�nes Licht getaucht, w�hrend die N�chte bedrohlich blauschwarz sind. Axel Donner ist nicht so oft beteiligt wie Hasse, hat aber auch die Musik zu „Verh�ngnisvolle N�he“ und „Jenseits der Angst“ geschrieben und sorgt mit seinen im Hintergrund lauernden Kompositionen, die sich zwischendurch auch mal beim klassischen Psychothriller bedienen, f�r zus�tzliche Spannung. Das erfahrene Ensemble ist ohnehin sehenswert, selbst wenn Borchardt Typen wie den aggressiven Pattek vermutlich schon �fter gespielt hat, als ihm lieb ist. Das Schauspielerehepaar Krassnitzer/Kramer stand zwar nach seinem ersten gemeinsamen Film (1998) schon oft zusammen vor der Kamera, aber ausschlie�lich in Kom�dien oder leichten Dramen. Kennengelernt haben sich die beiden w�hrend der Dreharbeiten f�r den Sat.1-Thriller „Hurenmord“. Auch damals hat Krassnitzer einen Priester verk�rpert.
Foto: ZDF / Hans-Joachim PfeifferDas Schauspielerehepaar Krassnitzer/Kramer stand schon oft gemeinsam vor der Kamera. Kennengelernt haben sich die beiden w�hrend der Dreharbeiten f�r den Sat-1-Thriller „Hurenmord“. Auch damals hat Krassnitzer einen Priester verk�rpert.
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.