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Die blaue Grenze – Kritik

Naturmystik statt Urbanität, Romantik statt Naturalismus, so stellt sich Till Franzen die Zukunft des deutschen Kinos vor. Sein Erstlingswerk zeigt, was dies schlimmstenfalls bedeuten könnte.

Die blaue Grenze

Lange schien es, als habe sich Hanna Schygulla vom Deutschen Film verabschiedet, ihr letztes Kinowerk hierzulande war Jörg Grasers Abrahams Gold (1990). Die Schauspielerin, der es wie keiner zweiten gelungen war, der bundesdeutschen Befindlichkeit in der sozialliberalen Ära Ausdruck zu verleihen, konzentrierte sich nach dem Tod ihres langjährigen Weggefährten Rainer Werner Fassbinder, für den sie in 23 Film- und Fernsehproduktionen vor der Kamera stand, zuerst auf Arbeiten mit ausländischen Regisseuren wie Jean-Luc Godard (Passion, 1982) und ab den 90er Jahren auf eine Gesangskarriere. Dies verwundert nicht weiter, denn Anfang der 80er Jahre war das Projekt des Neuen Deutschen Films nicht nur aufgrund des Todes Fassbinders faktisch gescheitert. Die Konzeption eines sozial engagierten und ästhetisch radikalen Kinos vertrug sich nicht mit dem hedonistischen, restaurativen Zeitgeist, der spätestens mit den Wahlerfolgen von Reagan und Kohl Einzug hielt. Schygulla, die in ihrer Karriere stets auf der Seite der Modernisten und Erneuerer gestanden hatte, war zum Anachronismus geworden. Heute, gut 20 Jahre später, versucht sie ein Comeback.

Die blaue Grenze spielt in Flensburg und Umgebung, dies- und jenseits der dänischen Grenze. Hauptfigur ist Momme (Antoine Monot jr.), ein junger Mann, der gerade seinen Vater verloren hat als er auf einer Party die Dänin Lene (Beate Bille) kennen lernt. Am nächsten Morgen fährt sie nach Hause zurück, doch beide hoffen auf ein baldiges Wiedersehen, was sich aber schwieriger gestaltet als zuerst angenommen. Parallel verläuft die Geschichte des ledigen, hyperaktiven Polizisten Poulsen (Dominique Horwitz), der in seiner neuen Wohnung nicht nur von den Umzugshelfern bestohlen wird, sondern auch Frau Marx (Hanna Schygulla) kennen lernt, welche ihm bald eindeutige Avancen macht.

Die blaue Grenze

Der Regisseur verknüpft die beiden Erzählungen an mehreren Punkten miteinander, es gelingt ihm jedoch nicht, sie zu einem schlüssigen Ganzen zu vereinen. Nie kann Franzen die Figuren den Zuschauern nahe bringen, vor allem deshalb, weil er sich selbst nicht für sie zu interessieren scheint. Stattdessen versucht er vergeblich, seine offenkundigen Vorbilder David Lynch und Paul Thomas Anderson nachzuahmen, die in Filmen wie The straight Story (1999) oder Magnolia (1999) genau das erreichten, was auch dem jungen Deutschen vorschwebt, nämlich im Kino Welten zu erschaffen, welche die Realität der Zuschauer gleichzeitig abbilden und transzendieren. Diese Regisseure achten jedoch stets darauf, dass ihre Charaktere fest in der Wirklichkeit, in der Geschichte ebenso wie in ihrer eigenen Biographie, verankert werden, so etwa Alvin Straight in The straight Story, ein vom Leben gezeichneter Mann, dessen Fahrt durch die USA zu einer komplexen Entdeckungsreise in die Vergangenheit und das Herzen Amerikas wird. Franzens Momme bleibt jedoch stets ein am Reißbrett entworfenes Abziehbild, ein verträumter, stets etwas neben sich selbst stehender Junge auf der Suche nach der großen Liebe, seine Umwelt erscheint wie eine Projektion dieser Klischees. So präsentiert Die blaue Grenze letztlich eine geschlossene Welt, die dem Zuschauer weder Möglichkeit noch Motivation bietet, in sie einzudringen.

Till Franzen sieht sich als Vertreter einer neuen Romantik, welche er als nächste große Strömung im deutschen Kino beschwört, als Reaktion auf die Verunsicherung durch Globalisierung und Sozialabbau und Gegenbewegung zum seiner Meinung nach dominierenden Naturalismus der Berliner Schule um Christian Petzold (Gespenster, 2005) und Thomas Arslan (Der schöne Tag, 2001). Er lehnt „junge, urbane Berlinfilme“ ab und will „mit den Kameras in die Berge, ans Meer, in den Himmel, in den Wald“. Was er dort zu finden hofft, bleibt allerdings offen.

Die blaue Grenze

Die blaue Grenze zeigt, wie der junge Regisseur sich diese neue Romantik vorstellt. Bei jeder Gelegenheit überschwemmt der Film den Zuschauer mit süßlicher Musik, die von ästhetizistischen, oft komplett sinnentleerten Bildern begleitet wird, als bestünde die einzige Alternative zum Naturalismus in kunsthandwerklichem Märchenkitsch. Und so plätschert der Film vor sich hin, stets vorhersehbar, sich an Zitaten aus der Filmgeschichte ergötzend, wobei Franzen nicht einmal vor Buñuels surrealistischem Meisterwerk Der andalusische Hund (Un chien andalou, 1929) zurückschreckt. Und wenn die Sache nach viel zu langen 107 Minuten endlich zum Ende kommt, ist niemand auch nur einen Millimeter weiter gekommen, schon gar nicht der Deutsche Film.

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Kommentare


Dunja Matic

Liebe Lukas XXX Förster.

Was sind sinnentleerte Bilder?






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