Nicht nur Brot, auch Rosen!: Kirche im HR
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Nicht nur Brot, auch Rosen!
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Nicht nur Brot, auch Rosen!

Andrea Maschke
Ein Beitrag von Andrea Maschke, Katholische Pastoralreferentin in Bad Homburg / Friedrichsdorf
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Der bekannte Dichter Rainer Maria Rilke verlebte um 1900 herum einige Jahre in Paris. In dieser Zeit soll sich folgende Geschichte ereignet haben: Rilke kam mit einer französischen Bekannten immer wieder an einer Bettlerin vorbei. Die Frau saß auf der Erde und hielt den Vorbeigehenden, ohne den Blick zu heben, ihre offene Hand hin. Immer wieder mal gab Rilkes Bekannte der Frau ein Geldstück. Eines Tages brachte Rilke, der sonst nie etwas gab, der Frau eine Rose und legte sie ihr in die hingestreckte Hand. Die Frau hob den Blick, sah Rilke an, stand auf und ging mit der Rose weg. Ein paar Tage war die Frau verschwunden, dann saß sie wieder auf ihrem Platz. „Wovon hat die Frau wohl in dieser Zeit gelebt?“, wunderte sich Rilkes französische Bekannte. „Von der Rose“, antwortete er. Eine bekannte Geschichte, oft erzählt und gedeutet.

Wir sehnen uns nach Schönem

Ich habe das Gefühl, dass wir in dieser nun schon so lange andauernden Coronazeit fast alle bedürftig geworden sind nach „Rosen“, also nach Aufmerksamkeit und all dem, was über die Grundbedürfnisse hinaus geht. Wir sehnen uns nach Schönem, nach Austausch und geteiltem Leben, nach gemeinsamen Feiern, nach Konzerten und Theater und so vielem.

Der Gottesdienst eine Art „Rose“

Besonders groß aber ist die Sehnsucht und die Bedürftigkeit unter den Bewohnerinnen und Bewohnern der Altenheime. Ich arbeite als Seelsorgerin in verschiedenen Einrichtungen, und mir fällt zum Beispiel auf, dass mehr Leute als früher in die Gottesdienste kommen – und das nicht, weil so viele Menschen auf einmal wahnsinnig fromm geworden wären, sondern weil es einfach gut tut, zusammen zu kommen, andere zu sehen, gemeinsam Musik oder auch die Lesungen zu hören, ein paar neue Gedanken, und ja, auch zusammen zu beten. Manchmal bleiben die Leute nach dem Gottesdienst einfach sitzen und haben gar keine Lust zu gehen. Dann ist wohl für die eine oder den anderen so ein Gottesdienst eine Art „Rose“.  

Besuch oder kleine Ausfahrt wird zur „Rose“

Gerade finden keine großen Feste statt, keine organisierten Ausflüge, kaum Veranstaltungen in Gruppen. Und der tagesaktuelle Test beim Betreten des Heims schreckt auch den ein oder anderen Angehörigen ab. Da ist ein Besuch oder eine kleine Ausfahrt mit dem Rollstuhl dann gleich ein Highlight und richtig kostbar: lauter „Rosen“!

 Danach hatte er verstanden, was die Rose für die Bettlerin bedeutete

Besonders hart trifft es die Menschen, die wenige oder keine Angehörige haben und nicht mehr mobil sind, also auf Hilfe angewiesen. Die Pflegenden tun, was möglich ist, und trotzdem: Ich glaube, viele bleiben doch bedürftig und fühlen sich vergessen. Keine Ahnung, ob Rainer Maria Rilke im Voraus geahnt hat, was die Rose für die Bettlerin für eine Bedeutung hatte. Anschließend hat er es jedenfalls verstanden.

Eine Überraschungsbesuch, ein Winken vor dem Fenster sind willkommene „Rosen“

„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, heißt es manchmal in der Kirche, und eigentlich geht der Satz weiter: „sondern von jedem Wort, das aus Gottes Mund kommt“ (Matthäusevangelium 4,4). Gerade möchte ich sagen: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern auch von freundlichen Worten, einem Überraschungsanruf, ein paar netten Zeilen oder einem kurzen Besuch, und wenn es ein Winken vor dem Fenster ist. All das sind gerade sehr willkommene „Rosen“.