Ikonen der Spieleindustrie: Will Wright - Sim City, Sims und Co.
Im Januar 2022 feiert Will Wright seinen 62. Geburtstag. Grund genug, die bewegte Geschichte des einflussreichen US-Spieledesigner ganz genau unter die Lupe zu nehmen. Beginnend bei seinem C64-Debütspiel Raid on Bungeling Bay über die Meilensteine Sim City und The Sims bis hin zu seiner neuesten Mobile-Game-Vision Proxi - in unserem Report erfahrt ihr alles über das Lebenswerk des umtriebigen Kreativkopfs.
Sim City 2000: Die konsequente Weiterentwicklung
Was die Welt jedoch eigentlich will und Maxis deutlich mehr Umsatz bescheren würde, ist eine Fortsetzung zu Sim City. Will Wright und sein Designer-Kollege Fred Haslam wissen dies nur zu gut und zermartern sich den Kopf, wie dieses Sequel aussehen könnte. Ergebnis der Bemühungen: Sie verwerfen die bis dato genutzte Top-Down-Perspektive und ersetzen sie gegen eine isometrische Ansicht. Außerdem trifft das Duo den Entschluss, die bewährte Gameplay-Formel des Originals keineswegs über den Haufen zu werfen, sondern um neue spannende Elemente zu erweitern.
Zu den wichtigsten Neuerungen zählen die Ergänzung unterschiedlicher Höhenstufen, die Einführung einer unterirdischen Kartenebene zum Verlegen von Wasserleitungen und U-Bahn-Schächten, haufenweise frische Gebäudetypen (etwa Bibliotheken, Gefängnisse, Krankenhäuser, Museen, Schulen, Yachthäfen oder Zoos), zusätzliche Kraftwerkstypen sowie zahlreiche neue Transportmittel und Verkehrsverbindungen. Nicht zu vergessen diverse Gameplay-Anpassungen, allen voran die Möglichkeit, mit benachbarten Städten Handel zu treiben sowie regelmäßige Status-Updates in Form von Zeitungsartikeln. Abgerundet wird das Ganze von diversen Szenarien wie Hurrikan Hugo, der 1989 durch Charleston in South Carolina fegte, die große Flut, die sich 1993 in Davenport, Iowa ereignete oder ein Feuersturm, der 1991 Teile von Oakland verwüstete. Stichwort Oakland-Feuersturm: Ebendiesen erlebte Wright damals tatsächlich mit und verlor dadurch viele Aufzeichnungen aus den Anfängen seiner Karriere.
In diesem Artikel
Sim City 2000, das 1993 zunächst für den Mac und später unter anderem für Amiga, MS-DOS, Super Nintendo, Sega Saturn, Sony PlayStation und Windows erscheint, hält, was es verspricht, erobert die Community im Sturm und beschert Maxis klingelnde Kassen. Stand heute können im Laufe der Jahre knapp 4,23 Millionen Exemplare abgesetzt werden.
Verworfene Luftschiff-Ideen
Spätestens nach Sim City 2000 hätte sich Wright vermutlich schon eine längere Kreativpause gönnen können. Doch nein, schon bald sitzt er wieder am Reißbrett und heckt neue Gamedesign-Konzepte aus. Eines davon trägt den Codename The Hindenberg Project und sollte als Kombination aus offen angelegtem Adventure und Flugsimulation funktionieren. Spieler hätten die Aufgabe gehabt, herauszufinden, was genau den Absturz des legendären Luftschiffs Hindenburg bei der Landung auf der Lakehurst Naval Air Station am 6. Mai 1937 in New Jersey verursacht hat. Wright arbeitete dazu insgesamt zehn mögliche Unglückstheorien aus. The Hindenburg Project klingt rückblickend faszinierend, schafft es aber nie über die Konzeptphase hinaus. Quelle: Moby Games
Maxis kann zu dieser Zeit noch sehr gut von den weiterhin sprudelnden Sim-City-2000-Einnahmen leben, spürt jedoch den zunehmenden Druck von Investoren, ein börsennotiertes Unternehmen zu werden. Im Juni 1995 setzten die Unternehmenschefs diesen Schritt schließlich in die Tat um. Zunächst läuft alles nach Plan; noch im ersten Jahr nach dem Wall-Street-Debüt erreicht der Nettogewinn von Maxis sechs Millionen US-Dollar. Hinter den Kulissen entsteht jedoch Unruhe. Zum einen, weil sich Mitgründer Jeff Braun kontinuierlich aus seiner Rolle im Unternehmen zurückzieht. Zum anderen, weil das nächste große Ding vom Kaliber eines Sim City 2000 fehlt. Auch Will Wright fühlt sich von dieser Situation verstärkt unter Druck gesetzt. Für zusätzliche Belastung sorgt die Tatsache, dass ungeduldige Investoren Maxis auffordern, bis Ende 1996 insgesamt vier neue Spiele auf den Markt zu bringen.
Eines davon ist Wrights SimCopter - eine einsteigerfreundliche Helikopter-Simulation, in der Spieler im Karrieremodus eine ganze Reihe von Transport-, Lösch-, Rettungs-, Bergungs- und Polizeieinsätzen absolvieren müssen. Insgesamt neun Helikoptertypen sowie 30 verschiedene Szenarien sind ab Werk an Bord. Der eigentliche Clou für Maxis-Fans ist jedoch die Möglichkeit, Städte aus Sim City 2000 importieren zu können, die dann im Spiel als komplett dreidimensionale Kulisse dienen. SimCopter spielt sich unterhaltsam, verkauft sich ganz ordentlich, kann aber längst nicht in die kommerziellen Fußstapfen von Sim City 2000 treten und auch Wright eigene Qualitätsmaßstäbe nicht erfüllen. Hauptsächlich, weil dem Entwicklerteam am Ende nicht genug Zeit für den letzten Feinschliff bleibt. Quelle: Moby Games
Weiterer Stolperstein: Nach dem Release entdecken Spieler ein bizarres Easter Egg, das ein Maxis-Programmierer während der Entwicklung heimlich in den Code implementiert hatte und für eine öffentlichkeitswirksame Kontroverse sorgt. Denn zu bestimmten Terminen tauchen plötzlich überall in der Spielwelt Badehosen tragende, sich umarmende und küssende Männer auf. Später stellt sich heraus, dass der homosexuelle Designer Jacques Servin damit gegen die teils harschen Arbeitsbedingungen bei Maxis protestieren wollte.
Maxis strauchelt
Aber auch die übrigen drei Maxis-Titel von 1996, die nicht aus der Feder von Wright stammen - das Flipperspiel Full Tilt! Pinball, die Tierpark-Simulation SimPark sowie das kinderfreundliche Musikspiel SimTunes - wirken überhastet fertiggestellt und werfen ernsthafte Fragen auf, wie es mit dem Studio in Zukunft weitergehen soll. Resultat dieser Entwicklung ist, dass die Maxis-Bilanzen einen langsamen, aber klaren Abwärtstrend zeigen, den das Unternehmen zunächst durch eine Flut an drittklassigen Titeln wie etwa The Crystal Skull oder Tony La Russa Baseball 4 zu kompensieren versucht. Im Frühjahr 1997 steckt der Karren bereits tief im Morast, die Gewinne schwinden - und die Firmenleitung sieht nur noch einen Ausweg: ein weiteres Sim City muss her! Es soll den Namen Sim City 3000 tragen und eine 3D-Engine nutzen. Ein kühner Plan, der jedoch technisch hinten und vorne nicht aufgeht und Maxis finanziell gehörig aus der Bahn wirft.
Quelle: Moby Games
So sehr, dass man sich Mitte 1997 auf einen Übernahme-Deal mit Publisher-Riese Electronic Arts einigt und noch im selben Jahr die halbe Belegschaft entlässt. Wright ist zunächst überaus skeptisch, was die Übernahme betrifft, merkt dann aber auch, wie sich die Dinge - nach intensiven Umstrukturierungsmaßnahmen seitens des neuen Geschäftsführers Luc Barthelet - zum Besseren wenden. Sim City 3000 verabschiedet sich von der viel zu komplexen 3D-Perspektive und Wright erhält endlich die Möglichkeit, ohne Zeit- und Finanzdruck und mit mehr Personal neue Projekte in die Tat umsetzen.
Wills geniales Puppenhaus
Das wichtigste trägt den Namen The Sims (vorheriger Codename: Dollhouse) und bezeichnet ein Spiel, an dem Wright bereits seit der Fertigstellung von SimAnt in unregelmäßigen Abständen zusammen mit seinem erfahrenen Programmierer Jamie Doornbos werkelt. In den frühen 90ern konnten Maxis-Entscheider seiner kreativen Puppenhaus-Simulation nichts abgewinnen. Jetzt aber hat er Rückenwind von EA, und seine von Büchern wie "A Pattern Language" und "Understanding Comics" inspirierte Lebenssimulation nimmt erstmals ganz konkrete Formen an.
Quelle: Moby Games
Die Grundidee von The Sims ist so simpel wie genial und ersetzt typische Videospielhelden mit knuffigen Sims, die auf Basis komplexer KI-Routinen einfach nur ihrem ganz normalen Tagesablauf nachgehen. Arbeiten, Einkaufen, Blumengießen, die Wohnung umdekorieren, neue Leute kennenlernen, sich verlieben, Kinder bekommen - all das und mehr rückt bei The Sims in den Gameplay-Fokus und trifft zum Release am 4. Februar 2000 einen echten Nerv. Bei Kritikern, aber auch bei Spielern in aller Welt, insbesondere der weiblichen Zielgruppe und Gelegenheitsspielern. Allein im Jahr 2000 kann The Sims 1,77 Millionen Einheiten absetzen und beschert EA Umsätze in Höhe von fast 73 Millionen Dollar. Fünf Jahre später ist die Zahl der ausgelieferten Exemplare bereits auf sagenhafte 16 Millionen Einheiten angewachsen. Und heute? Hat sich die gesamte Reihe knapp 200 Millionen Mal verkauft.
Quelle: Moby Games
Doch zurück ins Jahr 2001. Wills Gedanken drehen sich damals fast ausschließlich um The Sims Online, das die bewährte Formel auf ein MMO übertragen soll, dabei aber letztendlich zu wenig Neues wagt. Zum Start im Dezember 2002 ruft der Online-Ableger gemischte Kritiken hervor und fühlt sich für viele Nutzer eher wie ein riesiger Chat-Raum an.
Spore: Vom Einzeller zur Raumfahrernation
Für die Marke The Sims ist dieser Ausrutscher aber letztendlich kein allzu großer Beinbruch, zumal The Sims 2 ab dem 14. September 2004 konsequent an die Erfolge des Erstlingswerks anknüpft. Wright wiederum, der nicht in die Entwicklung des zweiten Teils eingebunden war, tüftelt zu diesem Zeitpunkt bereits an einer komplett neuen Vision: Spore. Beginnend ab der E3 2005 arbeitet er mit viel Elan an seiner nächsten Kreation und sorgt damit berechtigterweise für Aufsehen. Kein Wunder, denn mit Spore - dessen Grundideen unter anderem auf der Drake-Gleichung und dem neunminütigen Kurzfilm "Zehn Hoch" von Charles und Ray Eames aus dem Jahr 1977 basieren - will der Amerikaner gleich mehrere Genres in einem einzigen Spiel vereinen und zusätzlich regen Gebrauch von prozeduraler Generierung sowie nutzergenerierten Inhalten machen. Und genau so kommt es dann auch. Als Spore am 5. September 2008 für den PC erscheint, erleben Käufer einen auf seine Weise einzigartigen Gameplay-Mix.
Quelle: Maxis / Electronic Arts
Das Wunder der Evolution ist plötzlich spielbar und aufgeteilt in fünf Spielabschnitte, die sinnvoll ineinandergreifen. Los geht's mit der in 2D-Grafik dargestellten Zellphase, in der man die Kontrolle über einen einzigen Mikroorganismus übernimmt, der danach strebt, zu wachsen. In der dann folgenden Kreaturenphase wird die Grafik bereits dreidimensional dargestellt und es gilt, mit seinem Wesen weiter ums Überleben zu kämpfen. Zunächst allein, mit fortschreitender Intelligenz dann auch im Rudel. Als Drittes folgt die Stammesphase, die Spielern die Kontrolle über eine ganze Gruppe von Einheiten gibt und zahlreiche Aufbauelemente einführt. Wer es bis zur Zivilisationsphase schafft, darf zudem eine Stadt kontrollieren und auf vielfältige Weise mit anderen Fraktionen interagieren. Komplettiert wird das Ganze von der Weltraumphase, die erst dann als gewonnen gilt, wenn man ein vorgegebenes Ziel erreicht, das wir an dieser Stelle nicht spoilern möchte. Weiterspielen ist danach aber Wright-typisch problemlos möglich.
Spores Einzigartigkeit ist unbestritten, reißt viele Kritiker zum Launch zu Lobeshymnen hin und sorgt für einen mehr als respektablen Metacritic-Schnitt von 84 von 100 Punkten. Dennoch müssen zahlreiche Medien (darunter auch wir bei PC Games) eingestehen, dass sich das Endergebnis spielerisch oft auf recht dünnem Eis bewegt und zu wenig echte Höhepunkte bereithält. Im Handel bekommt EA diese Diskrepanz allerdings erst nach einer Weile zu spüren: Zwar kann die Schallmauer von zwei Millionen Einheiten bereits nach drei Wochen geknackt werden, nach diesem Power-Start flacht das Interesse der Community jedoch langsam ab. Nicht zuletzt, weil viele Nutzer damals nicht mit dem SecuROM-Kopierschutz sowie der Produktaktivierung des Spiels übers Internet einverstanden waren. EA schafft den Kopierschutz mit der Steam-Fassung zwar ab, zum Dauerbrenner à la The Sims reicht's bei Spore am Ende aber nicht.
Auf zu neuen Unternehmungen
Und was macht Will Wright? Der klinkt sich ab 2009 bei Maxis aus und versucht sein Glück zunächst bei einem Start-up namens Stupid Fun Club, das später sogar die zwölfteilige TV-Serie Bar Karma produziert. Der Clou dabei: Mithilfe eines von Wright entworfenen Werkzeugs namens Storymaker steuern die Nutzer aus der Online-Community eigene Szenen bei, die danach vom Team in die Handlung implementiert werden. Stupid Fun Club hält immerhin vier Jahre durch, bis sich Wright zwischen November 2012 und August 2015 einer Social-Media-Storytelling-App namens Thread widmet. In den drei Jahren darauf wird es zunächst etwas ruhiger um den Sim-City-Schöpfer. Quelle: Gallium Studios
Viele glauben bereits, er hätte seine Entwicklerpassion an den Nagel gehängt, als er plötzlich aus heiterem Himmel auf der Game Developers Conference 2018 Proxi ankündigt. Was genau es damit auf sich hat? Schenkt man der offiziellen Webseite Glauben, dann handelt es sich um "ein Spiel, bei dem du dein verstecktes Ich enthüllst - dein Unterbewusstsein, deine innere ID. Und du kannst sie an die Oberfläche bringen und sie zum Leben erwecken, um mit ihr zu interagieren. Du kannst damit spielen, du kannst davon lernen und etwas über dich selbst herausfinden." Zugegeben, all das klingt noch ziemlich mysteriös, hat aber zumindest in der Theorie riesiges Potenzial, der Spielebranche einmal mehr komplett neue Impulse zu geben. Impulse, die wir hoffentlich bald einmal selbst ausprobieren können.
Und was denkt ihr über Will Wright? Welche seiner Werke haben euer Spielerleben besonders geprägt? Schreibt es uns in die Kommentare!
Es traut sich aber wohl niemand daran...