Marie Antoinette - Die Filmstarts-Kritik auf FILMSTARTS.de
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    Marie Antoinette
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Marie Antoinette
    Von Björn Helbig

    Seit der letzten Marie-Antoinette-Verfilmung durch W.S. Van Dyke, der durch seine „Thin Man“-Krimis Bekanntheit erlangte, sind beinahe 70 Jahre vergangen, und so scheint es auch langsam an der Zeit, dass sich jemand wieder einmal dieser umstrittenen und ungeliebten Königin annimmt. Sofia Coppola war dazu bereit. Doch das, was sie abliefert, ist, gelinde gesagt, ziemlich frech und wird das Publikum spalten. Da kommt diese US-Amerikanerin einfach daher, nimmt sich des bedeutendsten Kapitels französischer Geschichte an und lässt dann alles, was den Franzosen und der restlichen Welt daran wichtig ist, einfach weg. Schämen Sie sich, Frau Coppola!

    Die historischen Eckdaten, auf denen Sofia Coppolas Film beruht, lassen sich wie folgt skizzieren: Maria Antonia Johanna wurde am 2. November 1755 in Wien geboren. Ihre Mutter, Kaiserin Maria Theresia, verfolgte das Ziel, Österreichs Stellung in Europa zu verbessern, in dem sie ihre Kinder vorteilhaft zu verheiraten versuchte. Frühzeitig handelte sie eine Heirat zwischen Maria Antonia und dem Dauphin Louis-Auguste, dem späteren Ludwig XVI., aus. Am 21. April 1769 verließ die zu dem Zeitpunkt 14jährige ihre Heimat und reiste nach Frankreich. Die Vermählung zwischen ihr und Louis-Auguste fand am 16. Mai in Versaille statt. Dort hatte das junge, nun Marie Antoinette genannte Mädchen Probleme, sich in die strenge Hofetikette einzufinden. Durch ihre hohen Ausgaben hatte sie beim Volk einen schlechten Ruf. Nach dem Tod Ludwigs des XV. bestiegen Marie Antoinette und ihr Mann Louis-Auguste den Thron. Im Zuge der Französischen Revolution kamen Marie Antoinette und Ludwig XVI. zu Tode. Nur eines ihrer Kinder überlebte.

    Marie-Antoinette: This is ridiculous.

    Comtesse de Noailles: This, Madame, is Versailles.

    Der an Originalschauplätzen gedrehte Film, den Sofia Coppola abliefert, orientiert sich durchaus an den Stationen der verbürgten Geschichte. Allerdings setzt er seine Schwerpunkte anders. Es ist zu vermuten, dass ihre scheinbar alle politischen Aspekte umschiffende Version von „Marie Antoinette“ nicht bei jedem auf Begeisterung stoßen wird, denn es sind nicht gerade die epischen Momente der Historie, die hier in den Blick genommen werden. Der Film beginnt seine Geschichte zu dem Zeitpunkt, als Marie Antoinette (Kirsten Dunst) Österreich verlässt und zu ihrem Gemahl in spe Louis-Auguste (Jason Schwartzman) gebracht wird. Es wird schnell klar, dass ihr Zukünftiger ein komischer Kauz und Versaille ein noch sonderbareres Pflaster ist. Der Hof gleicht einer Welt unter der Käseglocke mit wenigen bis gar keinen Verbindungen zur Normalität. Insofern nimmt Marie die Unruhen in der Bevölkerung und die politischen Umbrüche nicht wahr. Stattdessen leidet sie unter ihrer Einsamkeit und den Zurückweisungen ihres Mannes, der lieber jagt als seinen ehelichen Pflichten nachzukommen. Frustriert sucht Marie Freundschaften und Zerstreuung im höfischen Umfeld.

    „Alles was wir gemacht haben, basiert auf Recherchen über die Ära. Doch gleichzeitig wird alles auf eine zeitgenössische Weise betrachtet. Meine größte Angst lag darin, einen Film mit der Stimmung eines theatralischen Meisterwerks zu machen. Ich wollte keinen trockenen, historischen Kostümfilm mit einer distanzierten, kühlen Aneinanderreihung von Einstellungen drehen. Es war sehr wichtig für mich, die Geschichte auf meine eigene Art zu erzählen.“ (Sofia Coppola)

    Sofia Coppolas Zugang zu den damaligen Ereignissen wurde inspiriert durch die 2002 erschienene Biografie „Marie Antoinette – The Journey“ von Antonia Frasers. Das genau recherchierte Buch erregte einige Aufmerksamkeit, weil es eine neue Sicht auf die Monarchin bot, die schon häufig als Prototyp der Dekadenz herhalten musste. Durch Frasers’ Buch entstand das Bild einer menschlichen Marie Antoinette, die sehr unter ihrer Einsamkeit am Hof von Versailles litt und deren exzentrische Lebensweise nur die Reaktion auf ihre unglückliche Situation war. Dass Sofia Coppolas Film nach seiner Uraufführung in Cannes skeptisch und sogar mit Buhrufen aufgenommen wurde, liegt aber weniger an ihrem Frasers-gestützten Zugang zur Geschichte, vielmehr an deren radikal subjektiver Umsetzung. Wo andere im Genrekäfig verharren, ist Coppola bereit die offene Tür zu benutzen. Durch die poppige Inszenierung und die gewöhnungsbedürftige Untermalung mit ebensolcher Musik („New Order“, „Air“, „The Strokes“, „The Cure“ uvm.), sahen viele Kritiker Form und Inhalt lediglich als einen Ausdruck von Oberflächlichkeit – sowohl des Films als auch seiner Regisseurin. Doch wer Lust hat genauer hinzuschauen, wird voraussichtlich viel mehr an Coppolas Film entdecken, als mancher Buhrufer.

    „Ich kannte die gewöhnlichen Klischees über Marie Antoinette und ihren Lebensstil. Aber mir war nie klar, wie jung sie und Ludwig der XVI wirklich waren. Sie waren im Grunde genommen als Teenager dafür verantwortlich, Frankreich von einem unglaublich extravaganten, königlichen Hof von Versailles aus durch eine sehr unbeständige Ära zu führen. Das war es, was mich in erster Line interessierte: Die Idee, dass diese Jungendlichen in diese Position kamen, und der Versuch, herauszufinden, wie es dazu kam in einer so extremen Situation aufzuwachsen.“ (Sofia Coppola)

    Man sollte Coppolas Film natürlich auch danach beurteilen, was sie mit ihm im Sinn hatte. Der Blick durch Kinderaugen auf die Geschichte und unter die Käseglocke ist ihr jedenfalls hervorragend gelungen. Man hat schon in ihren vorherigen Filmen gemerkt, dass sie ein intuitives, fast empathisches Gespür für Situationen und ihre Figuren hat, seien es die Selbstmordschwestern aus The Virgin Suicides oder Charlotte und Bob aus Lost In Translation. Sofia Coppola spürt ihren Motiven weiter nach und erkennt diese auch in der Geschichte der Marie Antoinette. Sie zeigt, wie diese am Rande der Karikatur befindliche Welt des abgeschiedenen Versailler Mikrokosmos tickt. Wer diese als Einzelfall sehen möchte – gut. Wer darin etwas Typisches ausmachen kann – umso besser!

    Für das Funktionieren des Films ist die Besetzung natürlich der erste Stolperstein. Doch hier stolpert niemand: Kirsten Dunst (Interview mit einem Vampir, Spider-Man-Trilogie), die schon in Coppolas „The Virgin Suicides“ mitgespielt hat, wurde die Rolle der Königin förmlich auf den Leib geschrieben. Naiv, rebellisch, traurig und voller Sehnsucht spielt sie ihre Marie Antoinette. Mit dieser Rolle beweist Dunst, dass sie durchaus zu den vorderen Schauspielrängen gehört. Die zunächst etwas seltsam anmutende Besetzung von Ludwig XVI. durch Jason Schwartzman ( I Heart Huckebees, Verliebt in eine Hexe) erweist sich als kleiner Geniestreich. Schwartzman gibt den als schüchtern und linkisch überlieferten König mit einigem komödiantischen Talent, schafft es aber durch warmherziges Spiel ihn nie der Lächerlichkeit preiszugeben. Und auch die restliche Besetzung ist ausgezeichnet gewählt. Rip Torn (Wonder Boys) als Ludwig XV. und Marianne Faithfull („Intimacy“) als Marie Antoinettes Mutter Maria Theresa seien nur als Beispiele für zwei Nebendarsteller genannt, die ihre Rollen perfekt erfüllen.

    An ihr Meisterwerk „Lost In Translation“ kann Oscarpreisträgerin Sofia Coppola mit ihrer Vision von „Marie Antoinette“ nicht anschließen. Dazu hat der Film nicht genug magische Momente. Trotzdem wird seine Erzählweise sowie die fantastischen Bilder auf viele Zuschauer einen eigentümlichen Sog entwickeln. Einiges ist bestimmt Geschmacksache, frischer Wind für's Genre ist es aber auf jeden Fall. „Marie Antoinette“ ist keine Charakterstudie – dazu wird der Konflikt der Protagonistin nie plastisch genug – und trotzdem wächst einem die Figur mehr ans Herz, als in so manchem Film, der sich als solche ausgibt. Wer mit dem sehr subjektiven Zugang von Coppola nicht klar kommt, wird den Film vielleicht sogar verabscheuen, andere werden ihn gerade deswegen mögen. Nach Milos Formans Amadeus kommt mit „Marie Antoinette“ jedenfalls endlich mal wieder ein Film ins Kino, dessen Regisseurin den Mut hat, eine historische Figur gegen den Strich zu kämmen. Also, schämen Sie sich, Frau Coppola. Aber auch recht herzlichen Dank, dass sie diesen wirklich guten Film gemacht haben. Link-Tipp: CD-Kritik „Marie Antoinette“-Soundtrack

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