Die Crux mit den Linken ist, dass jede Auseinandersetzung mit ihnen mit dem Verweis auf ihre moralische Überlegenheit endet. Das führt je nach Intensitätsgrad der Verblendung entweder augenblicklich zu der Feststellung, der Diskussionsgegner sei faschistoid, oder das Gespräch wird nach langen Belehrungen mit einem nachsichtigen Lächeln über die unendliche Dummheit der widersprechenden Person abgewürgt; und wem angesichts von so viel Selbstgerechtigkeit nicht speiübel wird, der hat ein wirklich ausgeglichenes Gemüt.
Diese Gangart linker Schreibtischhelden von heute ändert aber nichts daran, dass es in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Momente gab, in denen ihre Protagonisten eine unvergleichliche Ethik antrieb. So geschehen am 23. März 1933, als der SPD-Vorsitzende Otto Wels (1873–1939) in der Berliner Krolloper – der Reichstag hatte gebrannt – Stellung gegen das Ermächtigungsgesetz bezog, das die Herrschaft der NSDAP total machen würde. Auch die Bürgerlichen stimmten der Vorlage zu und brachten sich sehenden Auges um jeden Einfluss, nur die SPD widerstand.
Als Sohn eines Berliner Gastwirts und gelernter Tapezierer war Wels ein idealtypischer Vertreter des Milieus, das in der gesellschaftlichen Hierarchie unter den bürgerlichen Angestellten und über den ungelernten Arbeitern stand, die zumeist KPD wählten. Seine Rolle als Parteichef (seit 1919) und Parlamentarier in der Weimarer Republik wies ihn als Mann aus, dem die Demokratie eine Herzensangelegenheit war. Putschversuchen von rechts und links begegnete er gleichermaßen hart.
Am Tag des Ermächtigungsgesetzes stellte sich die Situation so dar, dass die Kommunisten bereits nicht mehr anwesend sein konnten und Hitler deshalb für die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit der Abgeordneten nur die Bürgerlichen brauchte. Wels hätte also eine moderate Strategie wählen können, damit die neuen Herrscher womöglich milde gestimmt wären. Aber das ließen seine moralischen Überzeugungen nicht zu.
Und so sprach er die Worte: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht. Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“
Hitlers Erwiderung zeigt, wie jedes Argument umgedreht werden kann, wenn sich jemand seiner schrankenlosen Macht sicher ist. „Ich will auch gar nicht, dass Sie dafür stimmen. Deutschland soll frei werden, aber nicht durch Sie“, sagte der Mann, der in den Augen vieler Deutscher schon bald vom Reichskanzler zu ihrem „Führer“ aufsteigen sollte. Und er fügte hinzu, es sei ihm unmöglich, den Sozialdemokraten die Ehre zu nehmen, weil sie nie eine Ehre im Leib gehabt hätten: Worte, die dem politischen Gegner jede Moral absprechen.
Otto Wels musste Deutschland bald in Richtung Prag verlassen. Später lebte er in Paris. Dort starb er am 16. September 1939 im Alter von 66 Jahren. Das Erlebnis, dass die Nationalsozialisten die Stadt besetzten, blieb ihm erspart. Nach dem Zusammenbruch vom 8. Mai 1945 erwies sich, wie recht er schon im März 1933 gehabt hatte: Zerstört waren die Nazis, die Ideen von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Freiheit hatten sie überlebt. Allemal ist es für uns Heutige besser, sich vor dem Mut dieses Mannes zu verbeugen, als sich selbst in seine Tradition zu stellen – speziell wenn man damit andere Menschen mundtot machen will.
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Dieser Artikel wurde erstmals 2021 veröffentlicht.