HomeCharakterisierungJungfrau von Orleans – Charakterisierung der Figuren aus Schillers Tragödie

Jungfrau von Orleans – Charakterisierung der Figuren aus Schillers Tragödie

Bewertung:
(Stimmen: 138 Durchschnitt: 3.7)

Im Gegensatz zu allen anderen Stücken Schillers steht in „Die Jungfrau von Orleans“ nur ein Charakter im Vordergrund: Johanna – Jeanne d‘Arc, die Jungfrau. Die Entwicklung der Handlung ausschließlich von ihrer inneren Entwicklung abhängig. Das stellt „Die Jungfrau von Orleans“ von der Anlage her neben Stücke wie Ödipus oder Hamlet, in denen die Helden auch nur mit sich zu tun haben und dadurch das gesamte Geschehen bestimmen. Alle anderen Charaktere sind Nebenfiguren, die ihren Zweck erfüllen, aber keine innere Entwicklung vorzuweisen haben.

Die Figuren im Einzelnen

Charakterisierung Johanna

Johanna ist die herausragende Heldin der Tragödie. Durch ihre innere Entwicklung und Bewegung wird die gesamte Handlung und Dramatik bestimmt. Als einfaches Hirtenmädchen ragt sie aus ihrer Umgebung heraus. Sie ist körperlich mit Schönheit geschmückt, geistig mit hohen Wundergaben gesegnet und von tiefem, ungewöhnlichen Sinn. Die Not Frankreichs, von der sie viel und oft hört, regt ihr Innerstes gewaltig auf. Mit schwärmerischer Inbrunst hängt sie an ihrem Vaterland. Es ist ihr „das schönste, das die ew’ge Sonne sieht in ihrem Lauf, das Paradies der Länder, das Gott liebt wie den Apfel seines Auges“. Im König erkennt sie das höchste Urbild eines gottbegnadigten, volksbeglückenden Herrschers. Als die Not im Land anschwillt, fühlt sie sich von Gott als Retterin ihres Landes berufen. Mit kriegerischem Geist zieht sie für ihr Land in den Krieg und führt es zum Sieg.

Schillers Figur ist aber weit mehr als eine, die in hoher göttlicher Begeisterung zur Heldin und Prophetin wird, in die Schlacht zieht, ihr Vaterland befreit und ihren König krönt. Er würde kaum andere Wirkungen erzielt haben, als die Zuschauer in Staunen zu versetzen, hätte er nicht auch die Regungen weiblicher Natur in der Johanna einen Ausdruck gegeben. Die Auseinandersetzung der Jungfrau mit göttlichem Auftrag mit ihrer eigenen Natur stellt den zentralen Konflikt der Tragödie dar. Der göttliche Auftrag Johannas ist durch die Forderung strenger Jungfräulichkeit bedingt. Ihre Berufung zur Befreiung ihres Landes und die Entsagung von irdischer Liebe gehören untrennbar zusammen. Indem sie aus dem Kreis der Natur heraustritt und so die scheinbare Schwäche ihres Geschlechtes in sich tilgt, muss sie auch dem Glück des Weibes entsagen. Soll Johanna wieder in diesen Kreis eintreten, verletzt sie ihre göttliche Sendung und bringt alles zum Scheitern.

Die Szene, in der Johanna der weltlichen Liebe zum Lionel (III, 10) unterliegt, bildet den Höhepunkt des ganzen Stückes. Als sie Lionel erstmals erblickt, wird sie von der Macht dieses Gefühls, das sie bislang nicht gekannt hat, überwältigt. Sie fühlt sich schuldig und wird schwach. Sie setzt sich selbst den größten Vorwürfen aus und schweigt zu den Vorwürfen ihres Vaters. Sie wird verstoßen und ihr Land sieht sich erneut in Kämpfe verwickelt, nun da sie gestürzt wurde. Im Kampf mit sich selbst, im Kampf zwischen ihrer Gottesliebe gegen ihre weltliche Liebe geht am Ende ihre Gottesliebe als Siegerin hervor. Durch ihre Sühne wird ihr Herz beruhigt. In der Einsamkeit des Kerkers findet sie ihr volles Bewusstsein wieder. Sie entsagt ihrer Liebe zu Lionel. Und symptomatisch sprengt die Eingekerkerte ihre Ketten und führt erneut das französische Heer in die Schlacht zum Sieg. Ihre Laufbahn hat sich nun vollendet. Als sie im Kampf verwundet wird, wird sie vom Himmel noch ein Mal umleuchtet. Johanna wird verklärt und stirbt den sühnenden Tod.

Dieser Beitrag besteht aus 4 Seiten: