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Kultur „Stella. Ein Leben“

Der Holocaustfilm, der auf „Erfahrbarkeit“ setzt

Filmredakteur
## NUR im Zusammenhang mit dem Film " Stella. Ein Leben " ++ Quelle: https://www.majestic.de/stella-ein-leben/ ++ Last Song for Stella Germany 2021 Photo Christian Schulz/Letterbox/ Majestic Film Stella Goldschlag ( Paula Beer ) gibt mit ihrer Band ein Konzert in der Wohnung der Manfred Küpler Als Stella, eine junge deutsche Jüdin, im Februar 1943 zusammen mit ihren Eltern in Berlin untertauchen muss, verwandelt sich ihr Leben in eine schuldhafte Tragödie. Durch einen Verrat wird sie von der Gestapo gefasst, gefoltert und zur „Greiferin“: Um sich und ihre Eltern vor der Deportation zu bewahren, beginnt Stella, systematisch andere Juden im Untergrund aufzuspüren und zu verraten. When Stella, a young German Jew, is forced into hiding with her parents in Berlin in February 1943, her life turns into a culpable tragedy. Through a betrayal, she is caught by the Gestapo, tortured and becomes a "grabber": in order to save herself and her parents from deportation, Stella begins to systematically track down and betray other Jews in hiding. 1_stella_ChristianSchulz18566 ## NUR im Zusammenhang mit dem Film " Stella. Ein Leben " ++ Quelle: https://www.majestic.de/stella-ein-leben/ ++ Last Song for Stella Germany 2021 Photo Christian Schulz/Letterbox/ Majestic Film Stella Goldschlag ( Paula Beer ) gibt mit ihrer Band ein Konzert in der Wohnung der Manfred Küpler Als Stella, eine junge deutsche Jüdin, im Februar 1943 zusammen mit ihren Eltern in Berlin untertauchen muss, verwandelt sich ihr Leben in eine schuldhafte Tragödie. Durch einen Verrat wird sie von der Gestapo gefasst, gefoltert und zur „Greiferin“: Um sich und ihre Eltern vor der Deportation zu bewahren, beginnt Stella, systematisch andere Juden im Untergrund aufzuspüren und zu verraten. When Stella, a young German Jew, is forced into hiding with her parents in Berlin in February 1943, her life turns into a culpable tragedy. Through a betrayal, she is caught by the Gestapo, tortured and becomes a "grabber": in order to save herself and her parents from deportation, Stella begins to systematically track down and betray other Jews in hiding. 1_stella_ChristianSchulz18566
Stella Goldschlag (Paula Beer)
Quelle: Christian Schulz/Letterbox/Majestic Film
„Stella. Ein Leben“ ist die wahre Geschichte der Jüdin Stella Goldschlag, die von der Gestapo dazu erpresst wurde, andere Juden zu verraten. Für die Macher des Films steht die Frage „Was hättest Du getan?“ im Mittelpunkt. Ein Grund dafür, dass die Berlinale den Film nicht zeigen wollte?

Schon zu Weltkriegszeiten nannte man sie „das blonde Gespenst vom Kurfürstendamm“. Und seit geraumer Zeit geistert Stella Goldschlag durch die deutschen Nachbehandlungen des Dritten Reichs, in einer Annäherung ihres Schulfreunds Peter Wyden, einem Liebesroman von Takis Würger, einem Musical an der Neuköllner Oper. Lange irrlichterte das Projekt auch durch die Filmszene, eine Serie war angekündigt, jedoch niemand traute sich richtig, die Geschichte der jungen Frau zu erzählen, die Hunderte untergetauchter Juden an die Gestapo verraten hatte.

Eine der problematischsten Figuren, über die man in Deutschland überhaupt einen Film machen kann: eine Jüdin als Mittäterin am Holocaust. Nun ist der „Stella“-Film da, feierte am Samstag Weltpremiere in Zürich, was ein guter Ort dafür war – aber eben nicht die Berlinale, wo er eigentlich hingehört hätte.

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Da steht Stella anfangs vor einer kleinen Combo, verkörpert von Paula Beer, dem intelligentesten Star des gegenwärtigen Autorenkinos, und singt in einer Privatvorstellung die neusten Swing-Titel aus Amerika. Wir schreiben das Jahr 1940, Jazz ist in diesem Deutschland unerwünscht, Juden werden verfolgt, der Weltkrieg tobt irgendwo, aber auf dem Kurfürstendamm wird weiter gebummelt. Stella – schlank, leuchtblond und blauäugig – ist 18, und wenn ihr Vater eine Auswanderung mit Nachdruck betrieben hätte, wäre sie vielleicht bald vor einer Band in Amerika gestanden, singen konnte sie.

Unheimlich genau

„Sie wollte ein Star sein“, schreibt Peter Wyden, „und versuchte ihre Blondheit gezielt einzusetzen, um ihrer Erblast zu entrinnen. Sie wollte mehr sein als nur eine Jüdin. Juden waren Verlierer. Deshalb log sie und hoffte, ihre jüdische Identität abstreifen zu können.“

Man sieht die Konfliktlinien. Die zwischen assimilierten und gläubigen Juden. Die zwischen dem Bekennen und Leugnen der eigenen Herkunft im Angesicht des Völkermords. Die der Beurteilung von Stellas Verhalten des Krieges und direkt danach und 80 Jahre danach. Da ist das Entsetzen über die blonde Hexe, die Juden mit vorgehaltener Pistole zur Polizei brachte. Und da ist das Verstehen einer lebenshungrigen und liebesbedürftigen jungen Frau, die in einem unauflösbaren Konflikt gefangen war.

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Der Film verweigert sich den umherschwirrenden Goldschlag-Fantasien, er stützt sich auf Prozessakten. Stella Goldschlag stand zweimal vor Gericht, einmal 1946 vor einem sowjetischen Militärtribunal und einmal 1957 in West-Berlin; beide Male wurde sie zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Kilian Riedhofs Film stützt sich stark auf die Verhandlungsprotokolle, einerseits, um Urheberrechtsstreitigkeiten zu entgehen (die anhängig sind), andererseits, um nicht die offene Flanke zu bieten, man habe sachliche Fehler begangen.

„Stella. Ein Leben“ ist deshalb unglaublich genau. Aus Angst vor Luftangriffen sind die Schaufenster nur noch schmale Schlitze, Passanten tragen des Nachts Leuchtknöpfe, um nicht zusammenstoßen, in den Wohnungen brennt Notbeleuchtung. Riedhof versucht, den ästhetischen Schutzfilter vor dem Dritten Reich, den wir uns aus unzähligen Filmen abgespeichert haben, aufzubrechen. So gibt es bei ihm die sonst unvermeidlichen braunen Uniformen nicht, eingeschliffene Assoziationen sollen nicht abgerufen werden. Er verzichtet auf spannungsschürende Musik, ein unruhiger Schnitt betont die Unberechenbarkeit der Lage, es gibt keine Kranfahrten, die uns wissend auf das wichtige Detail in Bild stupsen.

„Wie würdet ihr euch heute verhalten?“

Frühe Drehbuchfassungen hatten eine Rahmenhandlung: ein Freund Stellas, der in New York lebt, von der Vergangenheit eingeholt wird, sich nach Deutschland aufmacht, Rückblende. Rahmenhandlungen sind in Filmen oft Mittel der Distanzierung, Relativierung. Doch Riedhof wollte die Distanz gerade aufheben: „In meiner Schulzeit haben wir fast jede Woche eine neue Dokumentation zum Dritten Reich angesehen. Das war gut, trotzdem habe ich als Erwachsener eine andere wichtige Stufe erreicht: die Dinge nicht nur moralisch, sondern auch aus der Erfahrbarkeit zu beurteilen“, sagt er gegenüber WELT.

Ein entscheidender neuer Begriff in der deutschen Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus: Erfahrbarkeit. Er tritt allmählich neben Vokabeln, die uns über Jahrzehnte begleitet haben: Scham, Trauer, Bewusstmachung, Wiedergutmachung, Verantwortung, Verpflichtung, Erinnerung. Begriffe, die noch in allen Reden auftauchen, aber an Wirkungskraft verloren haben. Ein historisches Geschehen „erfahrbar zu machen“ ist zunächst kein wertender Vorgang, es geht um Emotionalisierung und Identifizierung (wofür Film das beste Medium ist), aber nicht notwendigerweise um moralische Urteile.

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Paula Beers Stella ist für – junge - Zuschauer das Angebot einer emotionalen Erfahrung, und mit jeder Wendung, die ihre Geschichte im Film nimmt, kann sich das Urteil über sie ändern; deshalb Riedhofs Bestehen auf der Korrektheit der Fakten, der unmittelbare Zugriff auf ihre Person. Ja, man sieht einer historischen Figur zu, die in Zwangsarbeit gedrückt, in den Untergrund getrieben, verraten, festgenommen, gefoltert, mit Deportation bedroht wird, und das wird in aller gebotenen Klarheit benannt. Zugleich stellt Riedhof in jeder Szene die unausgesprochene Frage: „Wie würdet ihr euch heute verhalten? Wir müssen stark aufpassen, dass von uns nicht übermorgen ethische Entscheidungen verlangt werden wie von Stella. Wir sind in einer sehr gefährlichen Situation.“

Riedhof, Jahrgang 1971 mit geschichtssatter Sozialisierung in Südhessen, ist der eine entscheidende Mann bei „Stella“. Der andere ist Michael Lehmann, Jahrgang 1966, Produktionschef von Studio Hamburg, einer jener acht Prozent Ostdeutschen, die 30 Jahre nach der Wende in deutschen Medien eine Führungsposition bekleiden. Lehmann, der als Elektrikerlehrling auf der Rostocker Neptun-Werft begann. Lehmann, der – als sowohl Bundeskultur als auch Förderungsanstalt den Film ablehnten – sieben der neun Länderförderungen dazu bewegte, das knapp Zwölf-Millionen-Budget zu stemmen. Lehmann, das Historikerkind, das weiß, wie Diktatur auf Menschen wirkt: „Das habe ich in der DDR zu häufig erlebt.“ Und man bläute ihm ein, dass es in der DDR keine Täter gebe, denn alle seien Antifaschisten. „Aber das exzeptionelle Leid der Juden unter den Nazis ist mit keiner anderen Diktatur zu vergleichen.“

„Stella“ ist der erste Holocaustfilm mit einer Jüdin als Täterin. Einen vergleichbaren Fall stellt allerdings Meryl Streep in „Sophies Entscheidung“ dar. Die Polin Sophie wird in Auschwitz vor die Alternative gestellt, entweder beide Kinder zu verlieren oder eines auszusuchen, das überleben darf. Sie schickt das Mädchen ins Gas. Es ist eine ansatzweise ähnliche Wahl wie jene für Stella: entweder sie jagt die Untergetauchten oder ihre Eltern werden nach Auschwitz deportiert. Es ist ein ähnlicher Ausgang, Sophie sieht ihren Jungen nie wieder und ebenso wenig Stella ihre Eltern. Die Film-Sophie bringt sich nach Kriegsende mit Gift um, die reale Stella ertränkt sich Jahrzehnte später in einem Weiher.

Die Berlinale hat „Stella“ abgelehnt. Für Ablehnungen gibt es nie Begründungen, aber man könnte vermuten, dass Riedhof einfach nicht die Art von Regisseur ist, die Berlinale-Chef Carlo Chatrian auf dem Schirm hat, ein Fernsehmann, der Ausflüge ins Kino macht; einer seiner „Ausflüge“ war der Hallervorden-Film „Sein letztes Rennen“. Vielleicht hatte es auch mit der Weigerung von „Stella“ zu tun, eine eindeutige Haltung gegenüber seiner Täterin zu beziehen. Der Ruf „Täter!“, englisch „perpetrator“, geht uns in jüngster Zeit allzu leicht von der Zunge.

„Wir befinden uns in einer anderen Situation als vor fünf Jahren, als, Stella‘ konzipiert wurde“, sagt Michael Lehmann. „Unsere Welt ist strenger geworden. Wir lassen weniger Meinungen zu, wir denken mehr in Schwarz und Weiß. Ich ging davon aus, dass wir in einem Land leben, in dem es möglich ist, solch einen Film zu machen. War es auch. Aber es geht schneller ans Eingemachte.“

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