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Ein herrlicher Ort, der immer ein Gemälde wert ist, hier bei Mondschein. Foto: Berins
Ein herrlicher Ort, der immer ein Gemälde wert ist, hier bei Mondschein. © Berins

In einem pittoresken Örtchen beginnt eine Liebesgeschichte zwischen einer Malerin und einem Maler, die nicht gut endet. Sehr schade. Die Kolumne „Times mager“.

Radfahren kann Augen öffnen: für die landschaftliche Schönheit zum Beispiel. Der Künstler Lyonel Feininger entdeckte auf seinem Rennrad die kleinen Dorfkirchen im Weimarer Umland, die zu seinen Bildmotiven wurden. Und auch ein Malerkollege rollte auf dem Fahrrad in diesen kleinen Ort, der sich in seinen Bildern wiederfindet. Dort begann auch eine Liebesgeschichte. Eine, die nicht gut ausging.

An diesem Ort fließen zwei Flüsse zusammen und strömen rauschend über steinigen Grund. Die Kirchenglocken läuten früh und lang, oberhalb des Ortskerns ragt ein riesiger Fels in den Himmel. Einige alte Häuser sind organisch in ihn hineingewachsen. Oben auf dem Berg verwittert eine Burgruine. Das pittoreske Örtchen muss explizit dafür entstanden sein, dass man seine malerischen Ansichten auf Leinwände überträgt. Hier wurden zwei Verliebte zum Paar, eine Malerin und ein Maler, bei einer Sommerfrische im Jahr 1903.

Sie war seine Schülerin, er zwar verheiratet, machte ihr an diesem romantischen Flecken Erde aber trotzdem einen Heiratsantrag. Die beiden malten die kleinen Häuschen und die blühenden Landschaften, malten sich beim Malen, am Fluss vor der Brücke in den kräftigen Farben des Sommers. Selbst an einem Regentag hellen farbige Kleckse die Straßenansicht auf. Wenn es nicht wirklich so schön wäre, könnte man denken, sie malten durch eine rosarote Brille hindurch.

Später reisten sie zusammen um die Welt, wohnten in Paris. Er wurde depressiv. Sie war verliebt und wartete auf die Heirat. In Deutschland ließen sie sich in einem Haus auf dem Land nieder. Ihre Kunst verschmolz, sie wurde abstrakter. Dann ließ er sich von seiner ersten Frau scheiden. In der Schweiz sollten sie dann heiraten, ganz bestimmt. Doch er reiste einfach weiter, im Dezember 1915, zurück in sein Heimatland. Sie schrieb ihm, aber er antwortete nicht. Er war verschwunden. Nach einigen Jahren kam ein Lebenszeichen: Er sei verheiratet und habe ein Kind. Als Entschädigung für seine Untreue behielt die Verlassene seine wertvollen Gemälde. Sie versteckte sie im Keller und rettete sie so vor den Nazis.

Man hätte den beiden, vor allem ihr, mehr Glück gewünscht.

Heute sitzt man in dem kleinen Ort, der sich selbst „Perle“ nennt, und in dem die Geschichte begann. Man unterhält sich mit Einheimischen und Zugezogenen, die hier ihr Glück suchen oder gefunden haben. Sie sei nicht allzu kunstbegeistert, sagt eine Neuhergezogene. Sie sei hergekommen, weil in der Stadt mittlerweile Deutsch eine Fremdsprache sei und sich die Politik nur um den Radverkehr drehe. Schimmernde Schönheit und leises Unbehagen - das scheint irgendwie zusammen zu hängen.

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