Medizinprofessorin, vierfache Mutter und Start-up-Gründerin: Wie schafft Elisabeth Zeisberg das?

Porträt

Medizinprofessorin, vierfache Mutter und Start-up-Gründerin: Wie schafft Elisabeth Zeisberg das?

Die Göttinger Professorin Elisabeth Zeisberg ist nicht nur Medizinprofessorin, sie forscht erfolgreich an RNA-Scheren gegen Coronaviren, ist erste Dekanin für Transfer und hat ein Start-up gegründet.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Vom Labor ans Krankenbett: Um die Ergebnisse ihrer Grundlagenforschung schneller in die therapeutische Anwendung bringen zu können, hat Elisabeth Zeisberg die Firma Avocet Bio Sciences GmbH gegründet. Hier bereiten die Avocet-Mitarbeiter Nils Salaw und Dr. Sabine Maamari eine neue Versuchsreihe vor.

Vom Labor ans Krankenbett: Um die Ergebnisse ihrer Grundlagenforschung schneller in die therapeutische Anwendung bringen zu können, hat Elisabeth Zeisberg die Firma Avocet Bio Sciences GmbH gegründet. Hier bereiten die Avocet-Mitarbeiter Nils Salaw und Dr. Sabine Maamari eine neue Versuchsreihe vor.

© Heidi Niemann /pid

Seit zwei Jahrzehnten erforscht die Kardiologin Professor Elisabeth Zeisberg die molekularen Mechanismen, die bei der Entstehung und Entwicklung der Herzfibrose eine Rolle spielen könnten. Dabei setzt die an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) tätige Professorin auch die CRISPR-Technologie ein.

Als die Corona-Pandemie ausbrach, nutzte die Forscherin kurz entschlossen ihre Erfahrung für ein anderes Projekt: Gemeinsam mit ihrem Team entwickelte sie eine Plattformtechnologie, die es ermöglichen soll, mit Hilfe der sogenannten „RNA-Schere“ nicht nur Coronaviren, sondern auch andere RNA-Viren wirksam zu bekämpfen – mit Erfolg: Das Göttinger Team gehört zu den Gewinnern eines Wettbewerbs der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), mit dem die Entwicklung bahnbrechender neuer Wirkstoffe gegen virale Infektionen unterstützt werden soll.

Insgesamt hatten sich mehr als 40 Forschergruppen aus Deutschland und Europa für das Förderprogramm beworben. Für die erste Runde wurden neun Teams ausgewählt. Sechs von ihnen schafften es anschließend auch in die zweite Förderrunde, darunter auch das Göttinger Team. Zuletzt wählte eine Jury aus Wissenschaft und Wirtschaft die Teilnehmer für die dritte und letzte Förderperiode aus.

Forschung zur Vernarbung des Herzens

Auch diesmal konnten die Göttinger als eines von vier Endrundenteams überzeugen. Insgesamt wurden dem Team damit 4,7 Millionen Euro Förderung zur Weiterentwicklung ihrer Technologie zur Verfügung gestellt. Ein Aspekt ist dabei von besonderer Bedeutung: Die auf dieser Technologie basierenden zukünftigen Medikamente sollen nicht nur gegen das Ursprungsvirus wirken, sondern auch gegen dessen Mutationen.
Ausgesprochen vielseitig engagiert: Professorin Elisabeth Zeisberg.

Ausgesprochen vielseitig engagiert: Professorin Elisabeth Zeisberg.

© Swen Pförtner

Wie aber kommt eine Fachärztin für innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie dazu, sich mit RNA-Viren zu beschäftigen? „Ich forsche schon seit 20 Jahren zur Vernarbung des Herzens“, erzählt die Göttinger Wissenschaftlerin. Um die molekularen Mechanismen auf der DNA- und der RNA-Ebene zu ergründen, setze sie seit mehr als zehn Jahren auch die CRISPR-Technologie ein.

„Als die Corona-Pandemie ausbrach, dachten wir, dieses Werkzeug aus der Natur könnte doch auch ein Instrument gegen dieses Virus sein“, erzählt sie.

Angehörige einer „systemrelevanten Berufsgruppe“

Nachdem im Januar 2020 die erste Sequenz des Coronavirus veröffentlicht worden war, legten Zeisberg und ihr Team sofort los. Da die Medizinerin einer als „systemrelevant“ geltenden Berufsgruppe angehört, war sie nicht von dem Lockdown betroffen, der erstmals im März 2020 verhängt wurde.

Auch andere Angehörige ihrer Arbeitsgruppe konnten während des Lockdowns weiterarbeiten: „Wir haben eine Sondergenehmigung bekommen, um die bereits gesammelten Erfahrungen dafür nutzen zu können, mit Hilfe der CRISPR-Methode eine Therapie gegen COVID-19 zu entwickeln“, erzählt Zeisberg.

Die CRISPR-Technologie, für deren Entwicklung die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2020 den Nobelpreis für Chemie erhielten, macht sich ein spezielles Abwehrsystem aus der Natur zunutze. „Wir greifen auf Werkzeuge zurück, die Bakterien schon sehr lange Zeit erfolgreich anwenden“, erläutert Zeisberg.

Um sich gegen Viren zu wehren, bilden Bakterien ein Enzym, das wie eine Schere funktioniert. Das Enzym zerschneidet die Viren, so dass diese sich nicht vermehren und nicht ihre pathogene Wirkung entfalten können. Die von Charpentier und Doudna entwickelte Methode basiert auf dem Enzym CRISPR/Cas9. Mit dieser Genschere lässt sich die DNA einer Zelle gezielt verändern.

Arbeit unter Hochdruck

Zeisberg nutzte dagegen für ihre Forschungen ein anderes bakterielles Abwehrsystem, das erst seit 2017 bekannt ist: Dank des Enzyms CRISPR/Cas13 können Bakterien auch RNA-Viren zerschneiden und damit unschädlich machen.

Dass die Natur neben der DNA-Schere auch eine RNA-Schere bereithält, ist vor allem deshalb für die Medizin von großer Bedeutung, weil viele der gefährlichsten Krankheitserreger RNA-Viren sind. Hierzu zählen nicht nur die Coronaviren, sondern auch die Krankheitserreger von Ebola, Lassa, Tollwut und Influenza.

Um möglichst schnell potenzielle Angriffspunkte gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 ausfindig zu machen, arbeitete die gesamte Arbeitsgruppe von Zeisberg im Frühjahr 2020 unter Hochdruck. Doch nicht nur im Labor gab es enorm viel zu tun, auch familiär waren für die vierfache Mutter große Herausforderungen zu bewältigen: Die drei älteren ihrer insgesamt vier Kinder konnten wegen des Lockdowns nicht zur Schule gehen und mussten sich im Homeschooling zu Hause den Unterrichtsstoff aneignen. „Die haben das ganz gut hingekriegt und sich auch immer gegenseitig motiviert“, erzählt Zeisberg.

Ehemann leitet Klinik für Nephrologie und Rheumatologie

Auch ihr Ehemann war wegen der Corona-Pandemie beruflich besonders stark gefordert: Professor Michael Zeisberg übernahm just zu der Zeit die Leitung der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie an der Universitätsmedizin Göttingen, als dort die ersten COVID-19-Patienten aufgenommen wurden. Da somit beide Ehepartner „systemrelevanten“ Tätigkeiten nachgingen, durfte ihr jüngstes Kind trotz des Lockdowns weiter die Kita besuchen. Auch die Kinderfrau habe kommen dürfen. „Das war wirklich ein Glück“, erzählt Zeisberg.

Dem Ehepaar war in dieser Zeit vor allem eines wichtig: „Wir haben uns gegenseitig sehr unterstützt. Wir wollten, dass trotz unserer großen Arbeitsbelastung zuhause eine gute Atmosphäre herrscht und die Kinder trotz der Pandemie ein Gefühl der Sicherheit verspüren.“

Dies sei auch deshalb gelungen, weil die Kinder gesehen hätten, wie wichtig die Arbeit ihrer Eltern war: „Sie haben erlebt, dass man etwas gegen die Corona-Pandemie unternehmen kann und dem nicht nur hilflos gegenüberstehen muss.“

Forschung nach optimalen Schnittstellen

Bei der Suche nach einem möglichen Therapieansatz ging Zeisberg gemeinsam mit ihrem Team so vor, dass sie zunächst am Computer nach optimalen Schnittstellen forschten, wo die RNA-Schere am ehesten den gewünschten Effekt bewirken könnte.

Die ausgewählten RNA-Stellen sollten drei Kriterien erfüllen: Das Virus sollte an einer relevanten Stelle getroffen werden, die Stelle sollte möglichst nicht von Mutationen betroffen sein, und es durfte keinerlei Überlappung mit dem menschlichen Genom geben.

„Dieses Screening ergab zunächst über 30 RNA-Sequenzen mit den entsprechenden Leit-RNAs, von denen wir vermuteten, dass sie sich auch zielgerichtet gegen Mutationen einsetzen lassen“, erzählt Zeisberg.

Elisabeth Zeisberg

  • geb. 1971 in Regensburg
  • hat in Hamburg, Würzburg, Göttingen und Boston Medizin studiert und in Göttingen promoviert sowie die Ausbildung zur Fachärztin für Innere Medizin absolviert
  • Die Kardiologin war acht Jahre an der Harvard Medical School in Boston (USA) tätig
  • Seit 2011 ist sie Professorin an der
  • Universitätsmedizin Göttingen
  • Im März 2024 wurde sie vom dortigen Fakultätsrat zur ersten Dekanin für Transfer gewählt. Mit der neu eingerichteten Dekanatsfunktion will die UMG den Transfer von Forschungsergebnissen in die klinische Anschaffung vereinfachen
  • Zeisberg ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt in Göttingen

„Diese RNA-Sequenzen testeten wir dann in einem Modellsystem.“ Leit-RNAs sind kurze RNA-Sequenzen, die das Enzym Cas-13 zu den identifizierten RNA-Stellen führen, wo die „Schere“ ansetzen soll. Am Ende kristallisierten sich sieben RNA-Sequenzen als optimal effektiv heraus, die dann im April 2020 zum Patent angemeldet wurden.

Im Laufe der Pandemie zeigte sich dann, dass die Forschenden die richtige Auswahl getroffen hatten: „Als nach und nach die diversen Corona-Varianten auftraten, stellte sich heraus, dass unsere ausgewählten RNA-Sequenzen tatsächlich sämtliche Mutationen des Ursprungsvirus abdeckten“, erzählt Zeisberg. „Wir gehen deshalb davon aus, dass sich auch zukünftige, bislang noch unbekannte Varianten wirksam behandeln lassen.“

Ambitioniertes Zeitfenster

Im Labor hat die Methode bereits funktioniert, innerhalb von 24 Stunden war bei infizierten menschlichen Lungenepithelzellen in der Petrischale die Virenvermehrung praktisch gestoppt. Auch bei Versuchen im Tiermodell erwies sich der Ansatz als erfolgversprechend: „Bei mit SARS-CoV-2 infizierten Hamstern kam es zu einer deutlichen Abnahme der Lungenschäden“, berichtet die Göttinger Medizinerin.

Zeisberg möchte jetzt den experimentell entwickelten therapeutischen Ansatz optimieren, evaluieren, etablieren und in die klinische Anwendung bringen. Eine der größten Herausforderungen ist dabei, die richtige „Verpackung“ zu finden, damit das gegen Coronaviren gerichtete Enzym auch dorthin gelangt, wo es gebraucht wird, nämlich in Nase, Rachen und Lunge.

Dabei geht es auch um die Frage, auf welchem Wege der Wirkstoff verabreicht werden kann, ob dies beispielsweise schon per Nasenspray funktioniert oder ob man ihn inhalieren muss.

Zeisberg hat sich für die weiteren Schritte ein ambitioniertes Zeitfenster gesetzt: „Wir wollen innerhalb der nächsten drei Jahre die ersten klinischen Studien starten“, sagt sie. Ziel sei es, erstmals ein Medikament zum Menschen zu bringen, das auf der RNA-Schere CRISPR/Cas-13 basiert.

Inzwischen gehe es bei diesen Forschungen längst nicht mehr nur um eine mögliche Therapie gegen das SARS-CoV-2-Virus. Die entwickelte Plattformtechnologie könne vielmehr als Grundlage für die Entwicklung zahlreicher weiterer antiviraler Medikamente dienen, die im Falle einer neuen drohenden Pandemie in relativ kurzer Zeit bereitgestellt werden könnten, sagt Zeisberg.

Außerdem lasse sich die RNA-Schere langfristig auch gegen zahlreiche andere Erkrankungen einsetzen, unter anderem bei Nieren- und Herzkrankheiten – und auch bei ihrem eigentlichen Spezialgebiet, der Herzfibrose.

Start-Up-Firma Avocet soll Entwicklung neuer Therapien beschleunigen

Um ihre Ergebnisse der Grundlagenforschung schneller „vom Labor ans Krankenbett“, also in die therapeutische Anwendung, bringen zu können, hat Elisabeth Zeisberg mit mehreren Partnerinnen und Partnern die Firma „Avocet Bio Sciences GmbH“ gegründet.

Das Unternehmen beschäftigt sich mit der Erforschung, Entwicklung, Zulassung und Vermarktung von Produkten und Dienstleistungen zur Detektion, Prävention und Behandlung von Infektionen, die beispielsweise durch Viren hervorgerufen werden.

Die 52-Jährige ist nicht nur Gründerin, sondern auch Geschäftsführerin des Start-Ups. Die übrigen Avocet-Mitgründer sind Experten aus unterschiedlichen Fachgebieten:

Professor Albert Osterhaus ist an der Tierärztlichen Hochschule Hannover tätig. Der weltweit renommierte Virologe hat bereits mehr als 50 Viren in Mensch und Tier entdeckt, darunter die Vorläuferviren von SARS-CoV2.

Dr. Diane Seimetz ist eine erfahrene Unternehmerin und Managerin in der biopharmazeutischen Industrie. Sie gilt als Expertin in der Arzneimittelentwicklung und -zulassung und berät Kunden bei der Entwicklung und Zulassung neuartiger Therapien mit dem Ziel, Innovationen frühzeitig für Patienten verfügbar zu machen.

Professor Gerd Hasenfuß leitet die Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen und ist Vorsitzender des Herzzentrums Göttingen.

Professor Michael Zeisberg ist Leiter der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie der Universitätsmedizin Göttingen und war während der Corona-Pandemie unmittelbar mit der Betreuung von COVID-19-Patienten betraut.

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