Europa

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Freiburgs Geschichte in Zitaten

Europa�oder des alten Kontinents letzte Chance

 

Freiburg unter franz�sischer Besatzung

 

Franz�sische Truppen fahren durch das Martinstor in die Innenstadt ein (© Stadtarchiv)

 

 

 

 In der Stadt m�ssen 3183 Franzosen untergebracht werden. Unter den H�usern, die von der franz�sischen Besatzung requiriert werden, befindet sich auch das Martin Heideggers. Er protestiert in einem Brief an Oberb�rgermeister Keller: Mit welchem Rechtsgrund ich von einem solchen Vorgehen getroffen werde, ist mir unerfindlich. Ich erhebe gegen diese Diskriminierung meiner Person und meiner Arbeit den sch�rfsten Einspruch. Auch nach dem Zusammenbruch des von ihm unterst�tzten Naziregimes hatte er nicht verstanden, dass die bluthaften Kr�fte als einzige Bewahrer deutscher Kultur ausgeblutet waren.

 

Tragisch ist die Rolle des Freiburger Erzbischofs Conrad Gr�ber zu nennen, der zun�chst als f�rderndes Mitglied der SS offen seine Verbundenheit mit den neuen Machthabern ausdr�ckte und im Sinne des von Hitler unterzeichneten Reichskonkordats mit dem Vatikan an das friedliche Nebeneinander von Kirche und Staat - gebt Gott, was Gottes und dem Kaiser, was des Kaisers ist - glaubte: Wir d�rfen und wir k�nnen den neuen Staat nicht ablehnen, sondern m�ssen ihn bejahen, mit unbeirrbarer Mitarbeit. Im Laufe des Krieges jedoch musste er sich seine Blau�ugigkeit eingestehen. Von ihm sind mutige �u�erungen gegen das Naziregime bekannt, so dass die Freiburger ihn nach dem Krieg sogar zu ihrem Ehrenb�rger machten.

 

 

Eine Siegesparade
durch das schwer dahinspektakelnde Panzerpotenzial eindrucksvoll inszeniert

 

Im Oktober 1945 feiern die Franzosen ihren Sieg. Nachdem er bei einem B�cker stundenlang vergeblich wegen Brot angestanden hatte, berichtet der 20-j�hrige entlassen Soldat Paul-Heinrich D. in seinem Tagebuch �ber die Ankunft General de Gaulles in Freiburg: Bei Tag kam er nicht, erst als es dunkel wurde. Die Stra�en wurden abgesperrt, und man lie� einen B�llerschuss nach dem anderen los. Da kam auch schon die gro�artige Wagenkolonne an, von wei�behelmten Motorradfahrern eskortiert. Ich war geblendet, denn sie fuhren mit unabgeblendeten Scheinwerfern

 

General Charles de Gaulle bei der Abnahme der Truppenparade in Freiburg am 4. Oktober 1945

 

Am folgenden Tag nimmt der General zusammen mit seinen Kollegen de Lattre de Tassigny und Sevez auf der ehemaligen Adolf-Hitler-Stra�e zwischen der Kaiserbr�cke (heute Europabr�cke) und dem Martinstor die Siegesparade der franz�sischen Truppen ab, bei der viel von Afrika und Marokko beteiligt war, au�erdem durch das schwer dahinspektakelnde Panzerpotenzial eindrucksvoll inszeniert. Die Stra�e war nat�rlich wieder gesperrt und so kam es, da� sich die Bev�lkerung Freiburgs zu beiden Stra�enseiten als gezwungenerma�en neugierige Zuschauer einfanden.

 

Wichtiger war jedoch die offizielle Feier im Casino (bekannt durch den fr�heren Film‑, Varietee‑ und Barbetrieb) heute mit dem gaulleristischen Kreuz und der Trikolore effektvoll geschm�ckt. In Begleitung General de Gaulles befanden sich eine Masse Pers�nlichkeiten, deren namentliche Auff�hrung sich die Zeitung geleistet hat und ich mir wegen Papiermangel versagen mu� ... Ferner wurden ihm der Erz‑ und der Landesbischof Dr. G. und K. kredenzt.  

 

Bedeutungsvoll war auch die Ansprache des Herrn General de Gaulle. Er redete von Zusammenarbeit der V�lker, vom Wiederaufbau, betonte das Gemeinsame u.s.w. Doch mu� man sagen, nachdem wir mit Hoffnung sattsam gespeist worden waren, da� sich wirklich etwas erfreulichere Perspektiven ge�ffnet haben.  

 

Wenn ich am B�ckerladen stehe, hat sich die Perspektive wesentlich verk�rzt und ich sehe wozu hier alle Linien und Leute zusammen laufen. Auch wenn ich nun den Horizont des Ladentisches erreicht habe, ist es nicht mehr zu Ende, sondern es ist tats�chlich noch etwas da. Und mit dem Brot beladen kehre ich zufrieden heim und gedenke des Besuches General de Gaulles und der Leute von Kirche, Wissenschaft und Wirtschaft, die sich au�er dem Wohl der V�lker auch tatkr�ftig f�r unser Wohl eingesetzt haben [Paul08].

 

 

Ein Neubeginn

 

  Zur �berwindung des wirtschaftlichen Chaos fordert bereits 1946 der amerikanische Au�enminister Byrnes in seiner Stuttgarter Rede eine Wirtschaftseinheit der Besatzungszonen unter einer deutschen Regierung, was von den Franzosen und den Sowjets abgelehnt wird. Da die Amerikaner in den Franzosen aber nur undankbare Kriegsgewinnler sehen, bilden sie ungefragt mit den Briten 1947 zun�chst die Bizone, die dann sp�ter nach sanftem Druck auf Frankreich zur Trizone mutiert. Derweil liegt nicht nur Deutschland, sondern der gesamte Kontinent schwer danieder und h�ngt am Tropf der amerikanischen Hilfe.

 

 

Freiburg Hauptstadt S�dbadens

 

Die durch die Besatzungszonen gezogenen unnat�rlichen Grenzen im S�dwesten bleiben bestehen. So tritt unter franz�sischer Schirmherrschaft im Historischen Kaufhaus zu Freiburg am 29. Mai 1947 ein S�dbadischer Landtag zusammen, w�hrend im Osten der franz�sischen Besatzungszone W�rttemberg-Hohenzollern mit T�bingen als Landeshauptstadt entsteht. Im amerikanisch besetzten Teil S�dwestdeutschlands dagegen werden Nordbadener und Schwaben im Land W�rttemberg-Baden von Stuttgart aus regiert. Der Pr�sident des Landes S�dbaden Leo Wohleb k�mpft f�r eine Wiedervereinigung Badens, w�hrend in Stuttgart - schlie�lich ist auch W�rttemberg geteilt - Stimmung f�r das Zusammengehen von Schwaben und Badenern in ein gemeinsames Land gemacht wird. In Freiburg dagegen wird nach einigen Viertele Wein schon mal die vierte inoffizielle Strophe des Badnerlieds angestimmt:

 

In Basel ist der Rhein noch blau,
In Mannheim wird er grau.
Da flie�t der Neckar in den Rhein,
Die alte Schwabensau.

 

 

Leo Wohleb

 

 

 

Bundesrepublik

Deutschland

 

 

Gedenktafel vor der Kathedrale in Reims

 

Baden-W�rttemberg

 

Bei der Abstimmung �ber die Bildung des S�dweststaates stimmen die Teilgebiete getrennt ab, aber nur in S�dbaden gibt es eine Mehrheit gegen die Einverleibung des Landes Baden in den Reichsgau, wie Leo Wohleb verbittert das neue Bundesland bezeichnet. Reichsgau statt Breisgau? Dieser b�se Ausdruck erinnert bedenklich an das lang verblichene Reichsland, und waren nicht Gaue und Reich im Inferno des Krieges vergl�ht? Der alte Mann war wohl ein schlechter Verlierer, als er bei der Diskussion um die neue Verfassung Baden-W�rttembergs auch aus christlichem Herzen (sic!) kr�ftiger zuschlagen wollte, weil das W�hlervolk betrogen worden und der neue Staat an der Wurzel vergiftet sei.  

 

 Bald trennt der Eiserne Vorhang das �stliche vom westlichen Europa. Der Kalte Krieg bricht aus. Als Reaktion treibt auf franz�sischer Seite der Lothringer Robert Schuman die Integration Westeuropas 1951 mit der Montanunion f�r Kohle, Stahl und Eisen voran. Als n�chster Schritt werden 1957 im Capitol zu Rom die Vertr�ge �ber die Europ�ische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und die Europ�ische Atomgemeinschaft (EURATOM) unterzeichnet. Nach dem Westf�lischen Frieden und dem Wiener Kongress sind diese R�mischen Vertr�ge nun der dritte und hoffentlich endg�ltige Versuch einer europ�ischen Friedensordnung.
 

Im gleichen Jahr wird die Deutsch-Franz�sische-Gesellschaft in Freiburg gegr�ndet und zwei Jahre sp�ter schlie�t die Stadt ihren ersten Partnerschaftsvertrag mit Besan�on ab. Das sind wichtige Schritte nicht nur zur Verst�ndigung, sondern vor allem zum Verst�ndnis, wie es Heine vor hundert Jahren gefordert hatte: F�r die beiden Nachbarv�lker ist nichts wichtiger, als sich zu kennen. Irrt�mer k�nnen hier die blutigsten Folgen haben, eine Vision, die sich dann in drei m�rderischen Kriegen bewahrheiten sollte.

 

 

Staatliche Organisation in Europa

 

Albert Einstein hatte 1916 mitten im Ersten Weltkrieg im Vaterl�ndischen Gedenkbuch des Berliner Goethebundes �ber seine Vision von Europa geschrieben: Die feinen Geister aller Zeiten waren dar�ber einig, da� der Krieg zu den �rgsten Feinden der menschlichen Entwicklung geh�rt, da� alles zu seiner Verh�tung getan werden m�sse. Ich bin auch trotz der unsagbar traurigen Verh�ltnisse der Gegenwart der �berzeugung, da� eine staatliche Organisation in Europa, welche europ�ische Kriege ebenso ausschlie�en wird wie jetzt das deutsche Reich einen Krieg zwischen Bayern und W�rttemberg, in nicht allzu ferner Zeit sich erreichen lassen wird. Kein Freund der geistigen Entwicklung sollte es vers�umen, f�r dieses wichtigste politische Ziel der Gegenwart einzustehen [Berl16].

 

 

Deutsch-franz�sische Freundschaft oder
die Umarmung im Elys�e Palast und der H�ndedruck �ber den Gr�bern von Verdun

 

Schon 1945 hatte der franz�sische Historiker Joseph Rohan vor einer Neuauflage von Versailles gewarnt: Erhalten werde man l�Allemagne de nos m�rites* [Krum02]. So muss es auch de Gaulle verstanden haben, als nach all den europ�ischen Bem�hungen zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit er und Konrad Adenauer am 8. Juli 1962 in der Kathedrale zu Reims im Beisein des Erzbischofs Marty die Vers�hnung zwischen Frankreich und Deutschland besiegeln.

*Das Deutschland, das wir verdienen

 

Am 22. Januar 1963 unterschreiben de Gaulle und Adenauer im Murat-Saal des Elys�e Palast dann den Deutsch-Franz�sischen Freundschaftsvertrag. Anschlie�end erhebt der General seine sonore, pathetische Stimme: �bervoll ist mein Herz und dankbar mein Gem�t, nachdem ich soeben mit dem Kanzler der Bundesrepublik Deutschland den Vertrag �ber die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Frankreich unterschrieben habe. Niemand auf der Welt kann die �berragende Bedeutung dieses Aktes verkennen. Nicht nur wendet sich damit das Blatt nach einer langen und blutigen Geschichte der K�mpfe und Kriege, sondern zugleich �ffnet sich das Tor zu einer neuen Zukunft f�r Deutschland, f�r Frankreich, f�r Europa und damit f�r die Welt.Adenauer ist sprachlos und bringt nur einen Satz hervor: Herr Jeneral, Sie haben et so juut jesaacht, dass ich demm nichts hinzuf�jen k�nnte. Da geht der General auf den Kanzler zu, zieht ihn an sich und k�sst ihn nach franz�sische Sitte auf beide Wangen: Voil�, monsieur le chancelier, c'est le d�but de l'int�gration.

 

  Sp�ter wird Willy Brandt den Vertrag als entente �l�mentaire bezeichnen, die ihm im Westen den R�cken f�r seine Ostpolitik durch Ann�herung freih�lt.

 

Denkmal in Berlin zum 40. Jahrestag
des Elys�e-Vertrages am 23. Januar 2003

 

Auch f�r de Gaulle ist das Ziel des Elys�e- Vertrages nicht so sehr die deutsch-franz�sische Freundschaft, sondern er m�chte unter der F�hrung Frankreichs die Achse Paris-Bonn bewusst als europ�isches Gegengewicht zu den USA ausbauen. Und so liegen bis zum Zusammenbruch des Ostblocks in der Bundesrepublik Frankophile und Atlantiker h�ufig im Clinch. Was bleibt der jungen Bonner Demokratie mit seinen getrennten Br�dern im Osten schlie�lich �brig, als zwischen beiden Freunden zu balancieren. Wenn auch das deutsche Herz f�r Frankreich schl�gt, bis zur Wende ist es schlie�lich der atomare Schutzschild der Amerikaner, der ein Gleichgewicht des Schreckens und damit den Frieden in Europa garantiert.

 

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands, als Frankreich eine Hegemonie Deutschlands bef�rchtet, bekr�ftigte Kanzler Kohl den Freundschaftsvertrag zwischen beiden L�ndern, indem er Mitterand �ber den Gr�bern von Verdun die Hand reicht und die Deutsche Mark dem Euro opfert. Dazu befand der ehemalige britische Premierminister Edward Heath mit subtilem britischen Humor, dass in der franko-deutschen Beziehung Frankreich der Reiter ist, Deutschland aber das Pferd. Ob er mit seinen Briten wohl gern die Gerte geschwungen h�tte?

 

 

Kohl-Mitterand:
�ber den Gr�bern von Verdun

 

 

Zur�ck

 

 

 

 

Das Land Baden-W�rttemberg versteht sich im besonderen Ma�e als F�rderer der deutsch-franz�sischen Freundschaft. Nicht alte Gegens�tze, noch k�nstlich heraufbeschworene Gemeinsamkeiten beherrschen das neue Verh�ltnis zwischen den Menschen zu beiden Seiten des Rheins, sondern es setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass es das gemeinsame kulturelle Erbe des alten Europas ist, was weiter tr�gt, als die Beschr�nkung auf ein eigenes, nationales.

 

Auch wenn de Gaulle st�hnte: Comment voulez-vous gouverner un pays qui a deux cent quarante-six vari�t�s de fromage?[Meln62], so ist dennoch zu hoffen - und da ist ausgerechnet der andere Charles, der Prince of Wales, vor - dass die Br�sseler Regulierungssucht uns diese Vielfalt nicht nehmen m�ge. Ebenso wenig m�chten wir Deutschen auf unsere Riesenauswahl an Brotsorten verzichten. Gutes Essen geh�rt schlie�lich auch zur Kultur. Man stelle sich nur die vielen Variationen von reifem franz�sischem K�se mit frischem deutschem Brot vor, wozu ein fruchtiger Roter aus der Bourgogne, dem einstigen Zwischenreich Burgund, immer besonders gut mundet.

*Wie wollen Sie ein Land regieren, welches 246 K�sesorten produziert?

 

This page was last updated on 01 May, 2024