Ausstellung in Hamburg: Deutschland-Debüt von Kathleen Ryan - WELT
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Ausstellung in Hamburg

Deutschland-Debüt von Kathleen Ryan

Von Julika Pohle
Stand: 12.05.2024Lesedauer: 5 Minuten
Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste Ausstellung der US-amerikanischen Künstlerin Kathleen Ryan in Deutschland , die hier selbst eines ihrer Werke aufbaut
Die Hamburger Kunsthalle zeigt die erste Ausstellung der US-amerikanischen Künstlerin Kathleen Ryan in Deutschland , die hier selbst eines ihrer Werke aufbautQuelle: Bertold Fabricius

Die Hamburger Kunsthalle zeigt vom 17. Mai an in der Galerie der Gegenwart 30 Skulpturen der Amerikanerin Kathleen Ryan in Deutschland – große Kunst aus den vergangenen zehn Jahren.

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Zwei Dutzend giftgrüne Papageien hocken auf einem großen stählernen Kronleuchter, der auf dem Fußboden ruht, anstatt von der Decke zu hängen. Daneben kniet die Bildhauerin Kathleen Ryan und verkabelt die elektrischen Lampen des Kandelabers. Dass die Tiere dabei stoisch sitzen bleiben, liegt an ihrer Beschaffenheit: sie bestehen aus lackierter Keramik und haben, aus der Nähe betrachtet, nicht einmal Flügel. Dennoch stellen die wulstigen, tropfenförmigen, handgeformten Objekte in ihrer ganzen Anmutung zweifellos einen Vogelschwarm dar. Der spielerische Gegensatz zwischen dem verarbeiteten Material und dem, was daraus gefertigt wurde, zeichnet viele Werke der in New York lebenden Künstlerin aus.

Weintrauben aus Beton

So liegt in der Galerie der Gegenwart, wo die Amerikanerin in diesen Tagen dabei ist, ihre erste Ausstellung in Deutschland aufzubauen, zum Beispiel eine Reihe grauer Betonkugeln bereit, die demnächst zu einer Weintraubenskulptur verbunden werden. Ein Stück weiter warten 15 gullydeckelgroße Gänseblümchen aus Kunststoff darauf, sich in ein rund vier mal drei Meter messendes, schwebendes Blumenkränzchen zu verwandeln, während eine mit Perlmutt überzogene Bowlingkugel schon auf ihrem Sockel liegt und zwischen Zartheit und Massivität changiert. Vom 17. Mai an zeigt die vom Gastkurator Jasper Sharp eingerichtete Schau eine repräsentative Auswahl von 30 Arbeiten der Künstlerin aus der Zeit von 2014 bis heute.

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Das Werk „Bacchantin“ von 2017 mit Weintrauben aus Beton
Das Werk „Bacchantin“ von 2017 mit Weintrauben aus BetonQuelle: Bertold Fabricius

Ryan gibt nicht gerne Erklärungen zu ihren Werken ab, sondern vertraut darauf, dass sie für sich selbst sprechen – und in der Tat entfalten die Skulpturen eine starke assoziationsfördernde Kraft. Die vier Pfeiler etwa, die nebeneinander stehend bis zur Decke reichen, haben eigentlich nichts mit den Säulen der Antike gemeinsam, ihre verputzte Oberfläche ist uneben, Kanneluren und Kapitelle fehlen. Doch sie sind weiß getüncht, wie die Häuser Griechenlands und besitzen die geheimnisvolle Präsenz antiker Ruinen. Zudem trägt der Marmorsockel mit den Betontrauben in Fußballgröße gleich nebenan den Titel „Bacchante“: Die Bacchantinnen waren in der griechischen Mythologie die Begleiterinnen von Dionysos, dem Gott des Weines, der Fruchtbarkeit und der Ekstase.

Verdorbene Früchte aus Schaumstoff

Das Altertum ist nur einer von vielen Bezugspunkten im komplexen Œuvre der 1984 in Santa Monica geborenen Künstlerin, die ihren Master of Fine Arts an der University of California gemacht hat. Mit ihren „Bad Fruits“ verweist sie etwa auf die niederländische Barockmalerei des 17. Jahrhunderts, in der Stillleben mit überladenen Tischen voller gärender Obstteller an die Vergänglichkeit alles Irdischen gemahnen. Ryans riesigen, verdorbenen Früchte allerdings wurden nicht in Öl gemalt, sondern aus Schaumstoff geformt und mit zahllosen Glasperlen und Edelsteinen gespickt. Steinchen für Steinchen bildet die Künstlerin Fäulnis, Schimmel und Maden aus kostbaren Materialien ab und kreiert so vielfältig schattierte Objekte, die zugleich abstoßend und in ihrer Schönheit anziehend wirken.

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Mit „Bad Melon“ schuf die Künstlerin aus Kalifornien, die im Land der Trauben und Melonen, der Pfirsiche und Zitrusfrüchte aufwuchs, eines ihrer eindrucksvollsten Werke. Die immens große Wassermelone scheint auf den Galerieboden gefallen und in fünf Teile geborsten zu sein. Das rote Fruchtfleisch befindet sich in verschiedenen Phasen der Zersetzung. Daumengroße Gusseisen- und Messingfliegen sitzen auf der unebenen Oberfläche, die ein Perlenmosaik aus Kirsch- und Rauchquarz, Amazonit, Jaspis, Aventurin, Rhodonit, Rhodochrosit, Labradorit, Botswana-Achat, Karneol und Glas darstellt. Jedes einzelne dieser unterschiedlich geformten Minerale wurde durchbohrt, mit einer Nadel versehen und per Hand aufgesteckt. Die Schale der Melonenfragmente ist nicht grün sondern silberglänzend, denn sie besteht aus Aluminium: Ryan erwarb eigens einen alten Airstream Safari Camper von 1973, zerlegte ihn und passte die edelsteinbesetzten Kunstobststücke in eine Hülle aus Leichtmetallteilen ein.

Perlen, Kristall und Edelsteine

Der auch „Silver Rocket“ genannte Airstream-Wohnwagen wird in den USA seit den 1930er Jahren gebaut. Er steht für die Mobilität im 20. Jahrhundert und die Freizeitgestaltung der amerikanischen Mittelklasse. Durch die Demontage des Caravans und die Verbindung mit der morbiden Melone verweist die Künstlerin auch auf Dekadenz und Überfluss – hier nicht bezogen auf die Barockzeit, sondern auf die Konsumgesellschaft in ihrem Heimatland.

Metallschrott und Maschinenteile setzt Ryan ebenso selbstverständlich ein wie Perlen, Kristall und Edelsteine. Oft kombiniert sie beide Materialkomplexe, etwa in der Skulptur „Generator II“, die auf den ersten Blick an eine geöffnete Muschel erinnert. Bei deren Schalen handelt es sich jedoch um die Motorhaube und die Kofferraumklappe eines Volkswagens, zwischen die Ryan ein Spinnennetz aus Edelstahlkabeln spannte. Darauf wurden Kugelreihen aus Quarzkristall gefädelt, die in der Tageslichtgalerie wie Tautropfen glitzern und einen spannungsvollen Kontrast zum Altmetall bilden. Das Werk thematisiert auch den wirtschaftlichen Niedergang im „Rust Belt“, der ehemals größten Industrieregion der USA.

„Bad Lemon“ für die Kunsthalle

Die Installation „Hanging Fruit“ besteht zum Teil ebenfalls aus einem massiven Metallobjekt, einer Art Greifzirkel, dessen Armen ein buntes Kunstobst-Sammelsurium festhalten. In diesem Fall hat die Künstlerin die Objekte nicht selbst hergestellt, sondern in Trödelläden und auf eBay erworben: Die Früchte bestehen aus Plastikperlen und waren in den 1960er- und 70er-Jahren als Bastelsets im Handel. So haben diverse unbekannte Hobbybastler zu dem Kunstwerk beigetragen, das der Sammelleidenschaft, dem Wert von Fundstücken und dem Recycling huldigt. Das Plastikobst brachte Ryan auf die Idee, selbst perlengespickte Früchte herzustellen.

Wie zum Beispiel die Arbeit „Bad Lemon“, die eigens für die Kunsthallen-Schau entstand und zusammen mit der Pfirsich-Skulptur „Bad Peach“ in historischen Vitrinen im Altbau des Museums gezeigt wird – nicht weit weg von den niederländischen Meistern des Goldenen Zeitalters. Denn Ryans Zitrone ist Vanitas pur: Die edelsteinbesetzte Oberfläche simuliert den typisch-grünen Schimmel Penicillium digitatum, der im Boden von Zitrusfrucht-Anbaugebieten vorkommt und für den Verfall des Obstes nach der Ernte verantwortlich ist. Diese Grünfäule bildet Ryan mit kostbaren Edelsteinen ab, während sie für die gesunden Stellen der Zitronenschale profane Glasperlen verwendet.