Uralte Psychiatrie in NRW: Ex-Bewohner kämpft gegen die „Lost Place“-Touristen
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Uralte Psychiatrie in NRW: Ex-Bewohner bekommt immer wieder unangenehmen Besuch

Die Kent School in Schwalmtal ist kein verlassener Ort, sondern ein Ort mit einer bewegten Geschichte. Ein Wachmann kämpft gegen das Image des ‚Lost Place‘.

Schwalmtal – An manche dunkle Gestalten, die nachts auf das alte Klostergelände an der Kent School einbrachen, erinnert sich Peter Park besonders gut. „Einmal wollte jemand die Kirche anzünden“, sagt der 53-Jährige, der mit einem Team das Gelände in Schwalmtal im Kreis Viersen (NRW) bewacht und seinen echten Namen lieber nicht verraten möchte. Mit einem großen Benzin-Kanister waren die zwei Männer durch den Zaun eingebrochen. „Um das Nazi-Kloster abzufackeln, haben sie gesagt.“

Kent School in Schwalmtal: Jedes Jahr hunderte Strafanzeigen für „Lost Place“-Besucher

Hunderte Strafanzeigen stellt Park jedes Jahr. Gegen die Menschen, die die Zäune aufschneiden und die Kent School für einen verlassenen Ort halten. Manche treibt die Neugier auf die historischen Gebäude und deren Nazi-Vergangenheit. Andere glauben, in der ehemaligen Psychiatrie gebe es Geister und paranormale Erscheinungen. Dabei haben die denkmalgeschützten Gebäude seit 2023 einen neuen Besitzer, der hier Büroräume errichten will. „Ich kann nur immer wieder sagen: Die Kent School ist kein Lost Place”, sagt Park.

Die Kirche des ehemaligen St. Josefsheims in Waldniel-Hostert und Gedenkstätte auf dem Gelände. (Montage)
Die Kent School in Schwalmtal ist fälschlicherweise als Lost Place bekannt. © stock&people/imago & Rech/imago

Er kennt das Gelände gut, das zu Beginn des 20. Jahrhundert von den Franziskanern als Kloster St. Josefsheim erbaut wurde. Die Ordensgemeinschaft hatte in Waldniel am Niederrhein eine Klinik für geistig und körperlich beeinträchtigte Menschen errichtet. „Die wurden von den Franziskanern liebevoll gepflegt“, sagt Park. Es gab Werk- und Arbeitsstätten, Wohnungen für die Patienten und einen Bauernhof zur Selbstversorgung. „Eigentlich ein wunderschöner Ort, der sich der Menschlichkeit zuwandte“, sagt Park.

Auf dem Gelände der Kent School töteten die Nazis behinderte Kinder und Erwachsene

Das änderte sich in den Jahren zwischen 1939 und 1945, als die Nationalsozialisten die Ordensgemeinschaft von dem Gelände vertrieb und deren Werk ins Gegenteil umkehrte. Das ehemalige Kloster wurde zu einer „Heilanstalt“ umfunktioniert. Mehr als 500 Kinder und Erwachsene, die geistig oder körperlich beeinträchtigt waren, quälten und töteten die Nazis in dieser Zeit. Heute erinnert eine Gedenkstätte auf dem Gelände an die Opfer und die Gräueltaten.

Gedenktafel am Eingang zur Gedenkstätte des ehemaligen Anstaltsfriedhof in Waldniel Hostert.
In der Heilanstalt Waldniel töteten Nazis behinderte Menschen. © Rech/imago

Nach Kriegsende errichteten die Briten eine Schule in den alten Gebäuden. „Daher kommt auch der Name Kent School“, erklärt Park. Sein Vater arbeitete damals für die Schule. Die Familie wohnte auf dem Gelände. „Ich kenne die Kent School, seit ich ein kleiner Junge bin“, sagt Park. Er habe eine Verbindung zu den alten Gebäuden, von denen vier unter Denkmalschutz stehen. „Mir ist es wichtig, sie zu schützen.“

Vandalismus und Einbrüche in der Kent School: Schaden in Millionenhöhe

Deswegen bringt Park jeden Einbruch auf dem Gelände zur Anzeige. Ein Grund, warum er seinen echten Namen nicht verraten will. Denn im Laufe der Jahre hat er viele Menschen erwischt, die auf das Gelände eingedrungen sind. „Da gibt es wirklich nichts, was nicht gibt“, sagt er. Er traf auf junge Familien, die mit ihrem Säugling über den Stacheldraht geklettert sind. Oder sogenannte „Systemaussteiger“.  „Die glauben, für sie gelten keine Regeln“, berichtet Park, „Die stehen dann sichtlich unter Drogeneinfluss. Manche haben Messer oder Schusswaffen dabei.“ Manche Leute behaupteten auch, sie hätten sich verlaufen. „Die haben aber das Brecheisen noch in der Hand, mit dem sie eingebrochen sind.“ 

Die Kent School in Schwalmtal

► Die Heil- und Pflegeanstalt Süchteln-Johannistal wurde 1909 von den Franziskanern unter dem Namen St. Josefsheim von den Franziskanern gebaut.

► Ab den 1940ern wurde dort von den Nationalsozialisten die „Kinderfachabteilung Waldniel“ eingerichtet.

► Mehr als 500 geistig und körperlich behinderte Kinder und Erwachsene starben dort in dieser Zeit.

► Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Gelände von den Briten als Schule weiter betrieben, daher trägt sie auch heute noch den Namen Kent School.

► Nach dem Abzug der Briten wechselte die Kent School mehrere Male den Besitzer.

► Seit 2023 ist das Gelände wieder verkauft. Der Besitzer will hier Büroräume bauen. Die Sanierungsarbeiten sind bereits angelaufen.

In diesen Gebäuden wurden während der NS Zeit Kinder und erwachsene Patienten bis zu ihrer Ermordung verwahrt.
Das Gelände der Kent School wird immer wieder als Lost Place aufgesucht. © Rech/imago

Wie hat all das angefangen? „Irgendwann muss jemand die Kent School als Lost Place, also als verlassenen Ort, in einem Internetforum eingetragen haben“, sagt Park. Seitdem kommen die Menschen aus der ganzen Welt: Amerika, Kanada und den Niederlanden. Im Jahr 2015 stellte Park 856 Anzeigen wegen Hausfriedensbruch. Momentan sind es so zwischen 60 und 150 im Jahr. Manche wollten sich das Gelände einfach nur ansehen oder Fotos machen. Andere treibt die Zerstörungswut. „Die haben sich mit einem Vorschlaghammer dort zu schaffen gemacht“, sagt Park. „Den Altar, die Sakristei – alles haben sie kurz und klein geschlagen.“ Der entstandene Sachschaden wurde von ein paar Jahren auf etwa 30 Millionen Euro geschätzt.

Vermeintlicher Lost Place: „Glaube nicht, dass das je aufhört“

Dabei kann er die Neugier auf das Gelände schon verstehen, sagt Park. Ihn habe die Kent School schließlich auch nicht losgelassen. Vor ein paar Jahren fragte er den damaligen Besitzer, ob er von den Gebäuden Fotos schießen dürfte. „So haben wir uns kennengelernt.“ Sein Wissen und die Verbundenheit zu dem Ort haben ihm letztendlich auch die Stelle im Sicherheitsteam eingebracht. Die darf er auch behalten, wenn dort bald Büroräume entstehen sollen. „Ein bisschen schmerzt es natürlich, dass manche Gebäude dafür abgerissen werden müssen“, sagt Park. Dass die übrigen aber saniert werden, freue ihn sehr. Ob es dann weniger illegale Besucher geben wird? „Nein“, sagt Park. „Ich glaube nicht, dass das je aufhört.“

In NRW gibt es hingegen einige Orte, die zu Recht als Lost Places oder verlassene Orte genannt werden. So steht in Köln-Fühlingen etwa eine mutmaßliche Geister-Villa, in Düsseldorf liegt ein ganzes Gelände brach und in Köln gibt es einen Lost Place, der besonders hoch ist. (ebu)

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