„Es ist ein Normalzustand, dass es antidemokratische Kräfte gibt“
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Haus der Weimarer Republik: Lektionen aus der Vergangenheit für die heutige Demokratie

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Teilnehmer einer rechten Demonstration gehen mit Transparenten und Fahnen eine Straße entlang. Zeichen einer funktionierenden Demokratie?
Teilnehmer einer rechten Demonstration gehen mit Transparenten und Fahnen eine Straße entlang. Zeichen einer funktionierenden Demokratie? © picture alliance/dpa/dpa-Zentral

In einer Zeit, in der demokratische Werte herausgefordert werden, bietet das Haus der Weimarer Republik Einblicke in die Anfänge und das Scheitern der ersten deutschen Demokratie. Stephan Zänker über Lehren aus dem Scheitern, die Grenzen dessen, was ein Museum vermitteln kann und das Recht auf Kritik und Protest.

Herr Zänker, das Haus der Weimarer Republik zeichnet in seiner Dauerausstellung sehr eindrücklich den Weg der ersten deutschen Demokratie in die Nazi-Diktatur nach. Man schaut sich die einzelnen Stationen an und denkt: Sehr vieles erinnert fatal an unsere heutige Situation. Das muss doch wachrütteln und das Bewusstsein schärfen! Aber ist das so? Funktioniert die Aufklärung gegen Rechtsextremismus per Ausstellung?

Vielleicht darf ich erstmal die Fokussierung auf das Ende der Weimarer Republik etwas geraderücken. Das ist ein bisschen ein Menetekel: Wenn man sich mit dieser Zeit beschäftigt, steht einem heute immer 1933 vor Augen. Die damals Aktiven wussten natürlich nicht, wie das Ganze ausgeht. Die neuere Forschung hat auch gezeigt, dass es bis zuletzt nicht zwangsläufig war: Es hätte selbst im Januar 1933 Alternativen zur Diktatur der Nazis gegeben. Diese Offenheit der Entwicklung stellen wir auch in der Ausstellung dar; es ist uns wichtig, dass man das nicht als schiefe Ebene betrachtet, wie es lange in der deutschen Geschichtswissenschaft erfolgt ist.

Es ist ja gerade das Gruselige, dass die damalige Situation an vielen Stellen noch offen erscheint – dieses Nichtwissen, dass Sie ansprechen, bei dem sich die Frage aufdrängt: Wie und worauf werden wir in ein paar Jahren hier bei uns zurückblicken?

Es gibt von unserer Seite zwei Motivationen, uns mit der Weimarer Republik zu beschäftigen. Das sind zum einen die Errungenschaften der damaligen Zeit, die wir deutlich herausarbeiten wollen. Man hat 1933 eben auch etwas verloren an dynamischer gesellschaftlicher Entwicklung, an Potenzial – viel mehr, als wir uns das heute bewusst machen. Zum anderen natürlich die Tatsache, wie eine Demokratie am Ende zerstört, in eine Diktatur umgewandelt wurde. Ich gebe zu, dass die zweite Motivation bei vielen Besucherinnen und Besuchern die stärkere ist, dass viele Leute auch unser Haus besuchen, weil sie eben eine Vergewisserung brauchen: Was ist damals eigentlich passiert? Warum ist das schiefgegangen? Wie ist das abgelaufen? Wenn sie diese Prozesse dann genau nachvollziehen, erleben sie dabei eine Menge Dejá-vus.

Geht Ihnen persönlich das auch so?

Natürlich. Teilweise erstarrt man angesichts der parallelen Entwicklungen. Das ist sicherlich etwas, das unsere Ausstellung auch transportiert. Dennoch muss man sich davon auch ein Stück weit frei machen, weil es eben nicht das Gleiche ist. Wir sind weit, weit entfernt von den Rahmenbedingungen der Weimarer Republik, glücklicherweise, und man sollte jetzt auch nicht anfangen, das Ende der Weimarer Republik sozusagen schon für die Bundesrepublik zu prognostizieren.

Es ist sicher nicht genau so wie damals.

Glücklicherweise. Dennoch: Demokratie wird immer angegriffen; es ist ein Normalzustand, dass es antidemokratische Kräfte gibt. Die haben auch in der Weimarer Republik gewirkt, und dort exemplarisch in besonderer Ausprägung, so dass man daraus natürlich auch lernen kann, welche Gegenmaßnahmen sinnvoll sind und welche damals nicht geholfen haben. Ob die heute helfen oder nicht, ist wieder eine andere Frage, aber man kann sich mit diesen Faktoren auseinandersetzen. Das ist aus meiner Sicht der besondere Gegenwartsbezug, wenn man sich mit der Weimarer Republik beschäftigt.

Verstehe ich Sie richtig, dass Sie von dem Fokus der Aufklärung gegen Rechtsextremismus auch ein bisschen weg wollen?

Wir sind kein Haus gegen Rechtsextremismus per se. Natürlich sind wir, als Haus, gegen Rechtsextremismus. Wir lassen uns aber nicht auf dieses Thema reduzieren, es ist deutlich komplexer.

Aber das Museum soll auch aufklären – den Anspruch haben Sie schon?

Ja, selbstredend. Wir bieten eine Menge an Informationen. Die kann und muss jeder für sich interpretieren. Wir geben aber keine Handreichung, wie ich meine Demokratie zu verteidigen habe. Wer sich hier im Museum mit der Weimarer Republik beschäftigt, wird aber sensibler für unsere heutige Demokratie und auch ein Stück weit demütiger. Die Bundesrepublik zeichnete ja über viele Jahrzehnte auch eine Art Hochmut gegenüber den damaligen Akteuren aus: Man hat gesagt, so etwas Dummes kann uns nicht mehr passieren, wir haben ein wunderbares Grundgesetz und sind ach so demokratisch. In den letzten Jahren stellt man dann fest, naja, wir hatten einfach nur nicht so tiefe Krisen wie damals. So fest steht unsere Demokratie auch nicht, dass wir jetzt die Hände in den Schoß legen könnten.

Stephan Zänker.
Stephan Zänker. © Thomas Müller

Wen erreichen Sie mit Ihrem Angebot?

Wir hatten im vergangenen Jahr mehr als 33 000 Besucherinnen und Besucher. Das ist im Vergleich zu 2022 ein Zuwachs um 45 Prozent – eine beachtliche Steigerung, die sich nicht allein mit der Abschaffung der Corona-Einschränkungen erklären lässt.

Woher kommt das gewachsene Interesse?

Das liegt daran, dass das Thema relevanter wird. Außerdem wissen mehr Leute von uns. Wir sind ein relativ junges Haus, 2019 ins Leben gerufen, und ein halbes Jahr nach der Eröffnung kam Corona mit allen Beschränkungen. So ein Erinnerungsort muss sich etablieren, muss sich rumsprechen. Wir haben das große Glück, dass die Besucherinnen und Besucher in der Regel sehr positiv über unser Haus reden. Da sind alle Altersgruppen dabei, wir erreichen ein breites Spektrum. Es kommen sowohl mehr individuelle Gäste als auch mehr Schulklassen und andere Gruppen – von Gewerkschaften, von der Polizei, von der Bundeswehr.

Erreicht man nicht nur die, die ohnehin schon für die Thematik sensibilisiert sind?

Der Besuch setzt natürlich ein gewisses Interesse an Geschichte und politischen Prozessen voraus. Wer damit gar nichts anfangen kann, wird unser Haus vielleicht meiden, sofern er nicht Teil einer Schulklasse oder einer anderen Gruppe ist. Dieses Interesse kann man nicht von jedem verlangen, deshalb sind die Besucherzahlen auch nicht ewig steigerbar. Wir erreichen aber eine relativ breite Bevölkerungsgruppe – auch mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen.

Zu Person und Museum

Stephan Zänker (50) ist Geschäftsführer und Direktor des Weimarer Republik e.V., des gemeinnützigen Trägervereins des Museums „Haus der Weimarer Republik“. Zuvor war der studierte Historiker in verschiedenen Projekten im Bereich Öffentlichkeitsarbeit tätig.

Die Idee hinter dem 2019 eröffneten Museum ist es, Geschichte und Erfahrungen der Weimarer Republik multimedial aufzuarbeiten und Bezug zur Gegenwart herzustellen. Zudem soll es als zentraler Erinnerungsort für die erste deutsche Demokratie dienen.

Der sanierte Altbau in Weimar, in dem das Museum untergebracht ist, liegt passenderweise direkt gegenüber dem Deutschen Nationaltheater, in dem 1919 die Nationalversammlung tagte. 2023 kam ein Erweiterungsbau mit Raum für Sonderausstellungen und Veranstaltungen dazu. sha

Informationen auf: www.hdwr.de

Welche Rückmeldungen bekommen Sie? Gibt es auch Ablehnung und Kritik?

Natürlich gibt es auch Kritik, das ist klar. Die bezieht sich einmal auf die Darstellung. Für die einen ist es zu viel, sie sind mit der Fülle des Materials und der Exponate überfordert, etwa den Slide-Shows in den Medienstationen. Anderen hingegen ist es nicht genug, die sagen, der und der Aspekt müsste noch ausgebaut werden. Und dann gibt es auch inhaltliche Auseinandersetzungen. Da kommt Kritik hauptsächlich aus einem Umfeld, das ein distanziertes Verhältnis zur Nationalversammlung und zu Friedrich Ebert hat.

Was sind das für Leute?

Wir sind ja in Weimar und damit in Ostdeutschland, da gibt es eine Reihe von Personen mit DDR-Sozialisierung, für die einige unserer Ausführungen eine Zumutung sind. Wir führen gewisse Narrative nicht weiter und positionieren uns ganz klar auf der Grundlage der parlamentarischen Demokratie. Das Rätesystem, wie es zwar grundsätzlich als Alternative bestand, aber nie realistisch war, machen wir nicht so groß, sondern beschreiben es als das, was es war: ein Versuch, die parlamentarische Demokratie aufzuhalten. Das gefällt manchen nicht.

Es gibt im Museum eine Feedback-Wand.

Ja, auf der kann man sich auch zu heutigen Fragen äußern. Interessanterweise müssen wir das gar nicht so stark moderieren, das machen die Leute unter sich aus. Das ist ein interessantes Debattenformat. Wir haben den Eindruck, dass die allermeisten mit dem, was wir anbieten, erstmal weiterarbeiten können. Wir geben keine festen Narrative vor. Wenn man so etwas tut, erntet man Widerspruch – zu Recht. Das ist nicht das, was professionelle Museumsarbeit leisten sollte.

Wäre das zu schulmeisterlich oder auch aktivistisch?

Wir haben es ja mit mündigen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu tun. Da muss man nicht mit dem Hammer kommen und eine Interpretation vorgeben. Wir lassen Fakten sprechen und machen damit gute Erfahrungen.

„Gegen Rechts“

Hunderttausende Menschen gehen in Deutschland auf die Straße, um ein Zeichen gegen die AfD und Rechtsextreme zu setzen. Genügt das, um die Bedrohung zu stoppen?

Deutschland rückt nach rechts. Die perfiden „Remigrations“-Pläne des Potsdamer „Geheimtreffens“, die Wahlerfolge der zumindest in Teilen gesichert rechtsextremen AfD, verbale und körperliche Angriffe auf Minderheiten und engagierte Menschen zeigen: Hier gerät etwas ins Rutschen.

Die Demokratie ist ernsthaft in Gefahr. Wie kommt es dazu? Und vor allem: Was können wir dagegen tun? Die FR sucht Antworten auf diese Fragen in der Reihe „Gegen rechts“, die wir hier fortsetzen. Analysen untersuchen Ursachen und mögliche Auswege; Interviews verdeutlichen die Perspektiven von Fachleuten und Betroffenen.

Alle Texte unserer losen Reihe sammeln wir unter FR.de/rechts

Es gibt aber sicher auch gesellschaftliche Gruppen, zu denen Sie gar keinen Zugang haben. Montags demonstrieren gern unmittelbar vor dem Museumsgebäude Rechtsextreme und Querdenker:innen. Was löst das in Ihnen aus?

Jetzt werden Sie sich wundern – das löst in mir erst einmal den Gedanken aus: Juhu, wir leben in einer Demokratie! Die Tatsache, dass Leute auf dem Theaterplatz in Weimar mit sehr grundsätzlichen Vorwürfen gegen die Regierung demonstrieren können, zeichnet die Demokratie aus. Das ist übrigens auch der Unterschied: 1934 oder 1987 hätte es auf dem Weimarer Theaterplatz so etwas nicht gegeben. Wir leben eben nicht in einer Corona-Diktatur oder in einer Diktatur der Meinungseliten, sondern es gibt die Freiheit, zu demonstrieren. Natürlich beobachten wir diese Proteste; die Forderungen und Narrative, die da verbreitet werden, sind in vielen Teilen gruselig. Sofern sie offen verfassungsfeindlich sind, erwarten wir auch von den entsprechenden Stellen, dass sie dagegen vorgehen. Aber dass Gegner der Demokratie sich zur Wahl stellen können, dass sie demonstrieren können, dass sie ihre Meinung sagen können, das ist ein Ausweis von Souveränität und Stärke. Der Diktator zittert vor denen, die Kritik äußern; Demokratie lässt gewähren, greift das Vernünftige auf. Die Corona-Demonstrationen haben dazu geführt, dass wir uns jetzt differenziert mit den Maßnahmen beschäftigen. Und das ist richtig und wichtig, weil man da Schlüsse draus ziehen kann. Dieses Anliegen ist jetzt in die Demokratie eingeflossen und damit ein Prozess abgebildet, der in einer Diktatur unvorstellbar wäre.

Aber es ist etwas anderes, wenn Demonstrationen in Hass und Hetze münden.

Natürlich. Es gibt immer wieder Überprüfungsbedarf. Und es ist unerträglich, wie aktuell Mandatsträger belästigt und bedroht werden, da muss der Staat einschreiten, keine Frage. Aber das Recht auf Kritik und Protest ist ein hohes Gut. Da rate ich zu mehr Gelassenheit, weil das für die Demokratie im Endeffekt befruchtend wirken kann.

Ist die räumliche Nähe der Proteste zum Museum bewusst gewählt?

Der Theaterplatz ist in Weimar einfach der Versammlungsplatz. Das hat jetzt mit unserem Haus nichts zu tun.

Kommen denn diese Demonstrierenden auch mal ins Museum rein oder stören sie sich daran?

Die versammeln sich immer außerhalb unserer Öffnungszeiten. Sie sind natürlich eingeladen, sich das anzuschauen, aber sie kommen nicht bewusst rein. Im vergangenen Jahr haben sie die Frechheit besessen, ausgerechnet am 8. Mai Björn Höcke einzuladen und sprechen zu lassen. Da haben wir zusammen mit der Weimarer Zivilgesellschaft gezeigt, was wir davon halten.

Was haben Sie gemacht?

Es gab eine große Gegendemo, die war deutlich größer als das, was da stattgefunden hat. Da hat auch unser Haus Flagge gezeigt und sich an der Aktion „Gold statt Braun“ beteiligt. Dabei fassen Einrichtungen mit einer gewissen öffentlichen Präsenz jedes Jahr am 8. Mai ihre Fenster mit goldener Folie ein, um deutlich zu machen: Wir sind gegen Rechtsextremismus.

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