Das Loveparade-Drama „Das Leben danach“ erz�hlt von der Wut einer �berlebenden, die schwer traumatisiert, auch nach Jahren nicht zur�ck ins Leben findet. Man sp�rt bei diesem Ausnahme-Fernsehfilm die Verantwortung gegen�ber der Wirklichkeit, man erkennt aber auch „eine fiktive Geschichte, die nicht den Anspruch auf Allgemeing�ltigkeit“ erhebt. Und die Liebe(sgeschichte) ist hier sehr viel mehr als der �bliche Versuch, eine gesellschaftliche Trag�die auf ein privates Drama herunterzubrechen. Die Situationen im Film sind oft schwer auszuhalten. Der Film selber ist es nicht. Weil er eine klare (Erz�hl-)Haltung besitzt, ein Drehbuch voller Zwischent�ne, eine pr�zise, die Geschichte miterz�hlende Filmsprache, weil Haase & Ljubek eine vielschichtige Kombi sind oder weil starke Nebenfiguren f�r Entlastung sorgen. Dass der Film eine Vers�hnung in Aussicht stellt, ist nur ein Grund von vielen.
Foto: WDR / Alexander FischerkoesenLoveparade, Duisburg 2010, Antonia (Jella Haase) war dabei. In ihr Trauma mischen sich Schuldgef�hle & eine riesengro�e Wut. Bei der Farbe Rosa verf�llt sie in Panik.
Die Hoffnung auf ein kleines Bisschen Liebe & Gl�ck ist nur von kurzer Dauer
Was ist das f�r ein merkw�rdiger Typ?! Er taucht immer �fter da auf, wo auch Antonia (Jella Haase) ist – nachts, auf leeren Stra�en, vor der Duisbar, in der Stra�e, in der sie wohnt oder am Karl-Lehr-Tunnel. Dort, wo sich 2010 tausende Menschen in t�dlicher Enge zusammenquetschten, um irgendwie zu �berleben, trafen die beiden, die seit damals schwer traumatisierte junge Frau und Sascha (Carlo Ljubek), der seltsame Taxifahrer mit den m�den Augen, das erste Mal aufeinander. Sie hatte gerade die Gedenkst�tte mutwillig und voller Zorn zerst�rt. Er hat sie gefahren und nicht bei der Polizei angezeigt. Auch sie fragt sich wohl: Was soll das? Was will der Typ von mir? Ist der nicht viel zu alt? Will der nur ficken? Andererseits l�sst sie es geschehen, folgt sie ihm wie in Trance, ein bisschen Abwechslung von dem ewigen Traurigsein, der Verzweiflung, der Wut. Die beste Freundin (Anna Drexler) sagt tsch�ss. Und die aus der Selbsterfahrungsgruppe sind auch irgendwie schei�e drauf. Kann sie vielleicht wieder lieben – nach all den Jahren, der Therapie, den Alptr�umen, den Panik-Attacken, ihren missgl�ckten Einstiegen ins Berufsleben? Bei ihrem Vater (Martin Brambach) und ihrer Stiefmutter (Christina Gro�e) kommt Hoffnung auf. Antonia sitzt das erste Mal wieder am Klavier. „Sky And Sand“, ihr Bessere-Zeiten-Song. Doch dann erf�hrt sie die Wahrheit �ber diesen falschen Taxifahrer, der sich mitschuldig gemacht hat am Loveparade-Ungl�ck. Und sie prophezeit: „Ich mach den Typ fertig; der muss daf�r bezahlen.“
Foto: WDR / Alexander FischerkoesenN�he kann die junge Frau (Jella Haase) nur schwer zulassen. Sie f�hlt sich zu Sascha (Carlo Ljubek) seltsam hingezogen. Seine Kaputtheit sieht sie zun�chst als Chance f�r sich. Nur weshalb behauptet er, dass auch er mittendrin an der Rampe war?
„Die Frage, wer wie schwer Verantwortung f�r die vielen Opfer tr�gt, muss juristisch gekl�rt werden, eine fiktionale Aufarbeitung des Schuld- oder Ursachen-Komplexes fanden wir deshalb unangebracht.“ (Volker A. Zahn, Autor)
Der Fernsehfilm „Das Leben danach“ ist eine Produktion der Polyphon. Die verantwortlichen Produzenten sind Valentin Holch und Christoph Bicker.
Pl�tzlich wird der Schuldige zum Opfer der destruktiven Rachlust der „Heldin“
Opfer und T�ter in inniger Umarmung. Zwei Seiten einer Schicksalsgemeinschaft? Eva Zahn und Volker A. Zahn �ffnen in ihrem Drehbuch zu „Das Leben danach“ die T�r mehr als nur einen schmalen Spalt. Bezogen auf die Geschichte, die sie hier mit allen Mitteln der universalen Erz�hlkunst erz�hlen, ist dieser leise Hoffnungsschimmer eine gute, humane L�sung. Diese Liebesgeschichte sollte man nat�rlich nicht mit der juristischen Auseinandersetzung verwechseln, der Anklage von zehn Verantwortlichen der Katastrophe ab Dezember 2017. Dennoch verdichtet das schr�ge Gef�hlsduett durchaus auch etwas von dem, was im politisch Gro�en abgelaufen ist. Dort ist viel Angst im Spiel, Existenzangst, weil eine moralische Geste, eine Entschuldigung, als offenes Schuldeingest�ndnis gewertet werden und juristische Konsequenzen haben k�nnte. In der Geschichte im Film ist es eine andere Angst, die schwer mit Vernunft zu fassen ist. Und es ist ein besonderer Mensch, der auf eine sehr schonungslose Art mit der eigenen Schuld umgeht. Auch das Leben dieses Mannes, der eine moralische Mitschuld tr�gt an der Katastrophe (auch wenn seine Ex-Frau diese Mitschuld wegzurationalisieren versucht), ist ein Tr�mmerfeld. Die Familie verlassen, haust er in seiner Wohnung, f�hrt nachts durch die Stra�en, filmt jeden seiner Fahrg�ste, in der Hoffnung, sein Leben damit besser auf die Reihe zu kriegen. Die Chancen f�r eine m�gliche Vers�hnung stehen gut – narrativ. Denn die Autoren machen in der zweiten Filmh�lfte den Schuldigen zum Opfer der destruktiven Rachegel�ste der „Heldin“. Am Ende sind beide schuldig. Jetzt pocht sie an seine T�r und sie ist es, die sich als erstes entschuldigt f�r ihre Wahnsinnstaten.�
Foto: WDR / Alexander FischerkoesenAntonia (Jella Haase) zertrampelt die Gedenkst�tte. Sie ist w�tend dar�ber, dass nur die Todesopfer Aufmerksamkeit bekommen. Sascha fragt nach, und sie begr�ndet ihre Aktion wie folgt: „Weil die tot sind und ich lebe. Aber die, die tot sind, das sind die Guten, die ach so Wunderbaren, um die alle trauern k�nnen, und die, die �berlebt haben, wir sind die Kaputten, die Arschl�cher, die nichts auf die Reihe kriegen.“
„Mir ist wichtig, dass nichts eindimensional erz�hlt wird, dass der Zuschauer unterschiedliche Perspektiven angeboten bekommt. Wir reduzieren die Betroffenen nicht auf liebe, arme Opfer, sondern zeigen sie in ihrer ganzen Ambivalenz, mit Licht und Schatten. Der Film soll schlie�lich eine Wahrhaftigkeit haben. Damit gehen wir nat�rlich auch an Grenzen.“ (Nicole Weegmann, Regisseurin)
Foto: WDR / Alexander FischerkoesenAntonias Vater (Brambach) und ihre verst�ndnisvolle Stiefmutter (Gro�e) sind langsam auch am Ende. „Deine Tochter, die ist kaputt. Die wird einfach nicht mehr.“
Eine gesellschaftliche Trag�die klug auf ein privates Drama heruntergebrochen
Wenn Themen von gro�em �ffentlichen Interesse fiktional bearbeitet werden, ist mitunter die Furcht, es allen recht zu machen, so gro�, dass kein wirklich guter Film entstehen kann. Hier hat man nie den Eindruck, die Macher h�tten es sich leicht gemacht. Man sp�rt die Verantwortung gegen�ber der Wirklichkeit, was die Genauigkeit der Darstellung der posttraumatischen Belastungsst�rungen angeht. Man erkennt aber genauso gut „eine fiktive Geschichte, die nicht den Anspruch auf Allgemeing�ltigkeit“ (Eva Zahn) erhebt. Und die Sache mit der Liebe ist sehr viel mehr als der Versuch, eine gesellschaftliche Trag�die auf ein privates Drama herunterzubrechen. In der Liebe, der M�glichkeit, sich auf einen anderen einzulassen, spiegelt sich die seelische Verfassung eines Menschen. Die Geschichte bringt das Dilemma, sich nach N�he zu sehnen, diese nach dem traumatischen Erlebnis, bei dem menschliche N�he mit Erdr�ckungs- und Niedertrampelungstod assoziiert wird, aber nur noch schwer ertragen zu k�nnen, auch visuell eindrucksvoll auf den Punkt. Dies wird einem mitunter geradezu physisch vermittelt, beispielsweise in einer Szene, in der Antonia in einem Laden durch den Schl�sselreiz „Rosa“ eine Panikattacke erleidet und wie von Sinnen wegrennt. Sascha will ihr helfen, sie ohrfeigt ihn, will ihn nicht an sich herankommen lassen; es dauert, bis sie sich umarmen l�sst. Da �berrascht es, dass es beim Sex dieses N�he-Problem offensichtlich nicht gibt. Da der Film nur zwei solcher intimen Szenen (sehr kurz) andeutet, hat es den Anschein, als mogelten sich die Autoren geschickt um das Thema herum.
Foto: WDR / Alexander Fischerkoesen(Selbst-)Zerst�rungswut. Antonia (Haase) wurde verletzt und verletzt sich immer wieder selbst. Sie intrigiert, st��t alle brutal vor den Kopf, selbst die, die sie lieben.
Soundtrack: Paul Kalkbrenner („Sky and Sand“)
„Sascha h�lt sich ja ganz lange zur�ck, versteckt sich, redet kaum – erst recht nicht �ber sich. Die Herausforderung bestand darin, der Figur in dieser Stille etwas Aktives mitzugeben; diese scheinbare Passivit�t, das In-sich-Gekehrte der Rolle einen aktiven Prozess durchlaufen zu lassen.“ (Carlo Ljubek)
Trailer zum Loveparade-Drama "Das Leben danach" von Nicole Weegmann
Ihre Blicke erz�hlen alles: Haase & Ljubek sind perfekt als „kaputtes“ Paar
„Das Leben danach“ erz�hlt eine Geschichte, die ihren Charakteren gnadenlos in die Seele schaut und die selbst in der ersten H�lfte bei aller Hoffnung eine Menge Verzweiflung im Gep�ck mitf�hrt. Das Leben dieser beiden T�ter-Opfer ist und bleibt unberechenbar. Jella Haase und Carlo Ljubek sind perfekt als „kaputtes“ Paar. Augen, die aussehen, als h�tten sie N�chte durchgeweint. Ein weiblicher K�rper in der Trotzphase; hier will oder kann jemand nicht erwachsen werden. „Du bist ein furchtbar kranker Mann“, sagt Antonia – und es scheint sie nicht zu st�ren, weil es ihr die Hoffnung gibt, einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, der vielleicht �ber ihre Macken hinwegsehen wird. Die Psychologie der Geschichte geht in sehr vielen Momenten in den Blicken der beiden Schauspieler auf. Da ist bei Haase/Antonia zun�chst diese Hoffnung zu sehen, bis sie nach Kenntnis der bitteren Wahrheit nur noch ein Ziel im Auge hat (nicht die Art von Ziel, die ihr Vater meint): Antonia entwickelt eine zerst�rerische Energie, Selbstbewusstsein, Motivation, was sich in ihren Blicken ausdr�ckt, die nicht (zur�ck)weichen, die sie lange stehen l�sst. Sie �bernimmt den aktiven Part. Der Blick des Mannes dagegen steckt h�ufig voller Ausfl�chte, ist mal leer, mal voller Unruhe, denn dieser Sascha versteht ihre Andeutungen, die Aufforderung, die Wahrheit zu sagen, nicht, weil er nicht ahnt, dass Antonia so viel wei� �ber ihn. Die Kombination Haase/Ljubek ist so �berzeugend, weil sie von Anfang an diese tiefe Verbindung einer „Schicksalsgemeinschaft“ besitzt. Und sicher auch, weil Ljubeks Typus das „Geheimnis“, das seine Figur in sich birgt, von vornherein andeutet. Dass Regisseurin Nicole Weegmann anfangs die Besetzung eines „Normalos“ vorschwebte, ist nur schwer nachzuvollziehen, da gerade Ljubeks fiebrige Sinnlichkeit entscheidend zur Ambivalenz der Beziehung beitr�gt.
„Nach einem traumatischen Erlebnis verliert man seine Lebenssicherheit. Damit verlieren die Betroffenen ihre Orientierung. Die Erfahrung, dass diese Ver�nderung von vielen nicht verstanden und das Leid nicht geh�rt wird, kann unkontrollierte Wut und Fehlverhalten ausl�sen. Besonders dann, wenn f�r diese Trauma-Erfahrung ein Mensch verantwortlich gemacht wird.“
�������� (Sybille Jatzko, Gespr�chs-Therapeutin, Expertin f�r Trauma-Therapie)
Foto: WDR / Alexander FischerkoesenDie filmsprachlichen Mittel vorz�glich eingesetzt. Jeder Hoffnungsschimmer spiegelt sich auch in den Bildern. Aber die Konnotationen von Freiheit sind tr�gerisch.
Die Situationen im Film sind oft schwer auszuhalten, der Film indes ist es nicht
Man muss sich in den letzten 40 Minuten des Films st�ndig fragen, was sich diese junge Frau wohl schon wieder hat einfallen lassen. Es tut einem fast leid um diesen Mitschuldigen; aber man kann auch zwischenzeitlich diese unb�ndige Wut verstehen. „Das Leben danach“ ist also durchaus auch f�r den Zuschauer ein Drahtseilakt – nervenaufreibend, mitrei�end, unvorhersehbar. Die Situationen im Film sind oft schwer auszuhalten. Der Film selber ist es �berraschenderweise nicht. Daf�r gibt es viele Gr�nde. Die Hauptdarsteller wurden bereits erw�hnt. Auch die Nebenfiguren und ihre Top-Darsteller tragen zur Entlastung bei. Martin Brambachs & Christina Gro�es Eltern bringen – trotz der jahrelangen Krisensituation – eine sch�ne selbstverst�ndliche, allt�gliche Menschlichkeit in den Film, zu der es auch geh�ren kann, dass man die eigene Tochter rausschmei�t, wenn sie den Bogen �berspannt. Und so egoistisch und grausam sich die „Heldin“ auch verhalten mag, so sp�rt man doch, dass hier jemand wieder in seine Kraft kommt. Es muss nur noch das richtige Ziel her. Dass diese junge Frau kein Dummchen ist, dass sie trotz allem gelegentlich eine gesunde Ironie besitzt – und dass Jella Haase ihr Blicke schenkt (wie ihren letzten, der als Vers�hnungsangebot gelesen werden kann), Blicke, die Antonias (Selbst-)Zerst�rungswut entgegenstehen, machen aus dieser WDR-Produktion nicht das bef�rchtete Heulsusendrama, sondern einen Film mit einer klaren Haltung, die sich auch in der pr�zisen Filmsprache (Bildgestaltung: Alexander Fischerkoesen) spiegelt. In ihr korrespondiert das �u�ere Wechselspiel von Enge und Weite, von kleinen R�umen, menschenleeren Stra�enfluchten, (tr�gerisch) Freiheit konnotierenden Flussauen, mit den psychischen Stimmungsschwankungen, der Suche nach N�he und diesen Momenten, in denen man den anderen nur noch wegsto�en m�chte. All das macht aus „Das Leben danach“ ein preisw�rdiges Gesamtkunstwerk, das zeigt, zu welchen Spitzen trotz Serienbooms der 90min�tige Fernsehfilm noch immer in der Lage ist. (Text-Stand: 3.9.2017)
Foto: WDR / Alexander FischerkoesenSchlie�lich lernt die "kaputte" junge Frau (Haase) Saschas Sohn Jasper (Jeremias Meyer) kennen. Wird Antonia ihren Racheplan fortf�hren oder es gut sein lassen?
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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