Auf der DDR-Mondbasis lebt Erich Honecker weiter
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Satireprojekt

Auf der DDR-Mondbasis lebt Erich Honecker weiter

Kosmos / Lesedauer: 5 min

Mit Kreativität und künstlicher Intelligenz hat ein 30-Jähriger die DDR-Mondbasis erschaffen, von der das „Bündnis Honecker“ Deutschland in seine unvermeidliche Zukunft führen will.
Veröffentlicht:12.03.2024, 17:54

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An einem weiteren strahlenden Morgen auf der DDR-Mondbasis isst Ingenieur Klaus in der Kantine sein Frühstück, es gibt wieder eine Spreewaldgurke. Der Genosse hat wichtige Aufgaben an diesem Tag, schließlich wartet er den dampfenden Sauerstoffgenerator des VEB Robotron. „Ein Wunderwerk der DDR-Technologie, das so gut wie nie ausfällt“, berichtet dazu eine euphorische Erzählerstimme. Unter seiner wachsamen Obhut könnten Träume verwirklicht werden und auch Genosse Klaus fügt gewissenhaft hinzu: „Die Schwerkraft mag schwach sein, aber unser sozialistischer Geist ist es nicht.“

Klaus ist einer von vielen Helden einer alternativen Zukunft, die seit dem vergangenen Sommer in Videoschnipsel auf Tiktok und Instagram mitunter Hunderttausende Zuschauer erreicht. Trabis fahren dort nicht nur über die Mondoberfläche, sie fliegen auch durch den Weltraum und stechen als mächtiger Viermaster „Trabantia“ in See. Der Sozialismus hat auf allen Ebenen gesiegt.

Überall wimmelt es von Errungenschaften volkseigener Produktion: VR-Brillen von Robotron, mit denen man gegen einen virtuellen Karl Marx Schach spielen oder „Zonen Park“ bei Defalix gucken kann. Es gibt Energydrinks in den Geschmacksrichtungen Bautz'ner Senf oder Spreewaldgurke und den Kaffee, oder Muckefuck, zum Mitnehmen kaufen die Genossen bei Stasibucks. Am Tresen wartet dort „ein Barista, der mit akribischer Sorgfalt lauscht - nicht nur auf unsere Bestellungen, sondern auf all unsere Bedürfnisse.“

Auch zu Hause hat der Smart-Assistent „Genossin Alexi“ immer ein offenes Ohr: „Dank ihrer fortwährenden Aufmerksamkeit bleibt das Ausschalten unnötig und unerwünscht – sie ist stets bereit, die sozialistische Harmonie und Ordnung zu fördern. Mit Genossin Alexi ist niemand je wirklich allein.“

Genossin Alexi hört immer mit, Ausschalten ist unerwünscht.
Genossin Alexi hört immer mit, Ausschalten ist unerwünscht. (Foto: @ddr_mondbasis/Instagram)

Es begann mit einem Scherz

Wahrgemacht hat diesen (Alb-)Traum ein 30-Jähriger aus dem Berliner Umland, der mit viel Fantasie, künstlicher Intelligenz und eigenem grafischen Können die „DDR-Mondbasis“ erschaffen hat. „Ursprünglich war das Ganze ein Scherz zwischen mir und meinem Bruder. Da ich zu dem Zeitpunkt gerade ein wenig mit KI experimentierte, habe ich einfach mal ein Video erstellt“, sagt der Betreiber auf Anfrage des Nordkurier. Als das Video zur Mondlandung der DDR fertig war, wollte er es auch hochladen und bekam direkt mehr als 100.000 Aufrufe auf TikTok. Davon angespornt, baute er das Universum seiner Weltraumsozialisten immer weiter aus. Neue Ideen denkt er sich mit seinem Bruder oder Freunden aus, Vorschläge kämen auch aus der Community: „Ich freue mich bei jedem Beitrag über die Reaktionen der Genossinnen und Genossen, die meinen Humor teilen.“ Auch Filme wie „Iron Sky“ dürften Inspiration gewesen sein.

Doch warum ausgerechnet Trabis im Kosmos? „Ein Teil meiner Familie kommt aus der DDR, was mein Interesse an der Geschichte, Kultur und den gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Epoche geweckt hat. Schon seit meiner Kindheit war ich fasziniert von den Erzählungen und den Lebensumständen in der DDR“, sagt der Entwickler, der anonym bleiben will. Er möchte die DDR auf humorvolle Art weiterleben lassen und greift dabei ihre vielen skurrilen Eigenheiten auf. So hat er sich etwa einen klassenkämpferischen Sprachstil über Videos und Dokumentationen angeeignet. Auch echte Archivaufnahmen entlehnt er dort.

Niemand wünscht sich diese DDR zurück

Nostalgie ist dabei nicht seine Sache: „Ich denke nicht, dass sich irgendjemand ernsthaft Aspekte der DDR wie zum Beispiel die Staatssicherheit oder die eingeschränkte Reisefreiheit zurückwünscht.“ Allerdings: „Wenn es aber um Dinge wie größeren gesellschaftlichen Zusammenhalt, bezahlbaren Wohnraum oder die nahezu nicht vorhandene Obdachlosigkeit geht, denke ich, dass die Bundesrepublik bei diesen Dingen noch Nachholbedarf hat.“

Auch den übertriebenen Personenkult aus der DDR nimmt er gerne aufs Korn. Seine Ankündigung, dass der Staatsratsvorsitzende mit seiner fiktiven Partei „Bündnis Erich Honecker“ wieder auf die Erde zurückkehren werde, erreichte bislang die allermeisten Zuschauerinnen. „Für eine Zukunft, die nicht nur möglich, sondern unvermeidbar ist“, heißt es da und zeitgleich kündigte hier unten in der echten Welt Sahra Wagenknecht die Gründung ihrer fast gleichlautenden Partei an. Zur Sicherheit sind überspitzte Beiträge wie dieser mit #satire markiert.

In den „wahren, strahlenden Farben unserer glorreichen DDR“ wird hier für Ostberlin als Reiseziel geworben.
In den „wahren, strahlenden Farben unserer glorreichen DDR“ wird hier für Ostberlin als Reiseziel geworben. (Foto: @ddr_mondbasis/instagram)

KI scheitert am Staatswappen

Die Stimmen sind immer computergeneriert, die Texte schreibt der Entwickler selbst. Bilder erstellt er meistens mit KI-Tools wie Midjourney. „Oft hat die KI Fehler oder kann zum Beispiel nicht die Flagge der DDR erstellen; diese Sachen bearbeite ich dann mit Photoshop nach.“

Bei den Videos wird es komplizierter. Dafür steckt er seine fertigen Bilder in eine Software (zum Beispiel Pika), die sie animieren und kurze Clips daraus erstellen kann. „Häufig bin ich qualitativ nicht so zufrieden mit den Videos, sodass ich mehrere Clips erstellen muss.“ Dann schneidet er alles zusammen und sucht eine passende Hintergrundmusik aus.

Der Erfinder schreibt zu seinen Kreationen: „Genossen, eure Sehnsüchte sind unser Auftrag! Hier sind drei erfrischende Getränke, die eurem Durst nach Genuss und Solidarität gerecht werden.“
Der Erfinder schreibt zu seinen Kreationen: „Genossen, eure Sehnsüchte sind unser Auftrag! Hier sind drei erfrischende Getränke, die eurem Durst nach Genuss und Solidarität gerecht werden.“ (Foto: @ddr_mondbasis/Instagram)

Die Ergebnisse sind knallbunt, auch wenn sie Plattenbauten oder die Mauer zeigen, sie stecken voller witziger Details und vermischen die reale Welt mit einer überdrehten Version ihrer selbst. Der Macher imitiert dabei verschiedene Stile. So erinnern retrofuturistische Straßenszenen im sozialistischen Ostberlin an alte Propagandaplakate, es gibt Pixelart und andere Motive aus Videospielen wie GTA, auch Mangas tauchen auf. 

Die Bilder sind, angesichts der typischen Fehler, die solche Bildgeneratoren produzieren, immer auch ein bisschen verstörend. Gerade die dargestellten Menschen sind fehlerhaft, ihre Bewegungen verzerrt, Schriften sind nicht lesbar. Doch es könnte alles stimmen. „Was ist Wirklichkeit, was ist Illusion?“, fragt da der Sprecher seines bislang aufwendigsten Videos, der die geheime Entwicklung einer Maschine enthüllt, die den Lauf der Geschichte immer zugunsten der DDR verändern kann.

Und vielleicht verändert diese Maschine noch das Leben ihres Erschaffers. „Aktuell ist das ganze nur ein Freizeitprojekt“, sagt er. Beruflich sei er im Einzelhandel tätig. „Dennoch hege ich den Wunsch, vielleicht eines Tages in der Lage zu sein, meinen Lebensunterhalt mit meiner Leidenschaft für Grafiken und KI zu verdienen.“ Die Idee einer strahlenden Zukunft, sie ist schon da.

Immer bereit! Zum Mond geht es natürlich mit der Interflug.
Immer bereit! Zum Mond geht es natürlich mit der Interflug. (Foto: @ddr_mondbasis/Instagram)