Stabhochspringer Mondo Duplantis bricht alle Rekorde
Vielflieger: Mondo Duplantis, 24
© Adam Klingeteg
Leichtathletik

Mondo Duplantis: Hoch wie nie

Mondo Duplantis ist auf dem besten Weg, der größte Stabhochspringer zu werden, den es je gab. Die erhebende Story eines Athleten mit dem Talent, Dinge leicht zu nehmen.
Autor: Peter Flax
11 min readveröffentlicht am
Diese Geschichte kann nicht anders beginnen als mit einem durch die Luft fliegenden Mondo ­Duplantis, so hoch und elegant, dass man meinen könnte, die Gesetze der Schwerkraft würden für ihn nicht gelten, und man kann sehen: Er hat Spaß dabei.
Wir beginnen an einem magischen Sommerabend im Juli 2022, die Sonne steht tief und taucht das Hayward Field in Eugene, Oregon, in warmes Licht. Das 1919 eröffnete Stadion gilt als die große amerikanische Kathedrale der Leichtathletik, an diesem Sonntagabend ist es Austragungsort der Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Nach zehn Wettkampftagen sind alle Bewerbe vorbei – bis auf einen: den Stabhochsprung. Armand „Mondo“ Duplantis steht schon als Sieger fest. Jetzt steht er als Letzter am Ende der Laufbahn und macht sich noch einmal bereit, zu springen.
Mondo mit Arbeitsgerät auf den Schultern beim Training nahe Stockholm

Mondo mit Arbeitsgerät auf den Schultern beim Training nahe Stockholm

© Adam Klingeteg

Duplantis hat die Offiziellen gebeten, die Latte auf 6,21 Meter zu legen – damit würde er seinen eigenen Weltrekord überbieten. Eine Giraffe könnte problemlos unter der Latte durchspazieren, über die sich Duplantis gleich schwingen will. Er klatscht seine Hände rhythmisch über dem Kopf zusammen und fordert das ausverkaufte Stadion damit auf, ihn bei seinem letzten Versuch noch einmal zu unterstützen. 25.000 Zuschauer sehen gebannt zu. Dann hebt er die Stange aus Fiberglas über die Schulter und sprintet los, begleitet von tosendem Applaus.
Stabhochsprung ist ein eigenartiger Sport. Er sieht aus wie ein Physikexperiment mit Gymnastikeinlage. Je schneller der Sprungstab den Einstichkasten trifft, desto mehr Energie wird aufgebaut, um den Springer nach oben zu katapultieren. Dann verrenkt der Athlet seinen Körper, um sich über die Latte zu drehen, in einer sich verwindenden Bewegung. Mondo sagt: „Es hat was von einer Zirkusnummer.“
Ich kann mich an den Sprung gar nicht erinnern. Ich war einfach im Flow!
Mondo hat es geschafft, seinen eigenen Weltrekord zu überbieten
In nur wenigen Sekunden zeigt Duplantis dem Publikum im Hayward Field (und Millio­nen vor Bildschirmen in aller Welt), warum er als bester Stabhochspringer der Welt gilt. Er gibt die Stange frei und steigt senkrecht nach oben, das Gesicht zum Boden gerichtet. In einer fließenden Bewegung dreht er Beine und Oberkörper ein paar Zentimeter über die Latte – so hoch wie niemand je zuvor. Dann fällt er wieder zu Boden, die Augen fest auf die Latte gerichtet, die Arme über den Kopf gestreckt. Er grinst schon, während er fällt.
Nach seinem Sprung lässt Duplantis seinen Emotionen freien Lauf und läuft hüpfend die Bahn entlang, an der jubelnden Menge vorbei. Und dann macht er einen perfekten Salto vorwärts. Einfach so, als wollte er noch einmal beweisen, dass ihn die Schwerkraft nicht zurückhalten kann. Als er ein paar Minuten später die ersten Fragen eines TV-Reporters beantwortet, grinst er noch immer. „Ich kann mich an den Sprung gar nicht erinnern“, sagt er. „Ich war einfach im Flow!“

Ein Knirps mit Sprungkraft

Wir treffen Mondo zum Interview in einer Trainingshalle in einem Vorort von Schwedens Hauptstadt Stockholm. „Ich springe eigentlich länger, als ich mich erinnern kann“, sagt der 24-Jährige. „Meine früheste Erinnerung ist ein Wettbewerb in Nevada. Da war ich sechs. Es gibt Videos von mir, die mich beim Springen zeigen, da bin ich vier.“
„10 year pole vault progression“ seines Onkels Bob Duplantis hat 1,7 Millionen Aufrufe und zeigt, wie Armand von 2006 bis 2016 Rekord um Rekord bricht. In einem Clip trägt der Knirps viel zu große Shorts, die ihn fast unbeholfen aus­sehen lassen. Er springt darin 2,24 Meter – Weltrekord für Siebenjährige. Auf diese Szene folgen viele weitere, Altersklasse für Alters­klasse stellt Armand Rekord um Rekord auf und gewinnt Titel um Titel.
Bei der Europameisterschaft in Berlin 2018 trat Duplantis zum ersten Mal bei den Erwachsenen an, er war damals achtzehn und übersprang als jüngster Athlet der Geschichte die sechs Meter – eine magische Marke im Stabhochsprung, vergleichbar mit einem Hundertmeterlauf in unter zehn Sekunden. Weniger als dreißig Männer haben diese Höhe je übersprungen. Seit diesem Abend in Berlin hat Armand Duplantis dieses Kunststück noch über siebzig Mal geschafft – viel öfter als jeder andere.
Wer derart viele Rekorde bricht, muss gute Gene haben. Armands Vater Greg Duplantis war selbst talentierter Stabhochspringer, Bestmarke: 5,80 Meter. Auch seine Mutter Helena stammt aus einer sportlichen Familie. Sie vertrat Schweden im Siebenkampf. Und als wäre das nicht genug, hielt Armands Großvater einst den schwedischen Rekord im Stabhochsprung.
Helena und Greg lernten einander in Baton Rouge, USA, kennen, wo Helena an der Loui­siana State University studierte, sie stand im Leichtathletik- und Volleyballkader der Universität. Helena und Greg heirateten und bekamen vier Kinder, die später selbst hervorragende Athleten wurden. Die beiden Brüder Mondos waren bereits Stabhochspringer, da war er selbst noch ein Baby. Der eine von ihnen, Andreas, schaffte es in die schwedische Jugendauswahl. Der andere, Antoine, tauschte den Sprungstab bald gegen den Baseballschläger – noch heute hält er den Rekord für die beste Trefferquote an der Universität. Mondo steht seinen Brüdern sehr nahe. „Wir tauschen täglich News in unserem Gruppenchat aus“, sagt er. „Und wir blödeln herum. Familie ist mir wichtig.“

Zuerst Sprunggrube, dann Spitzensport

Von seinen Eltern hat Mondo neben Motivation und Inspiration jede Menge Fachwissen mitbekommen. „Ich bin vielleicht ein wenig voreingenommen, aber für mich versteht niemand so viel von Sprungtechnik wie mein Vater Greg“, sagt Mondo. „Er liebt Stabhochspringen einfach, und als Kind hat mich seine Begeisterung mitgerissen.“ Während seine Altersgenossen mit ihren Vätern NBA-Superstars wie LeBron James und Kobe Bryant zujubelten, verbrachten Mondo und sein Vater Stunden damit, Sprungwettbewerbe anzusehen. „Wir haben lange darüber geredet, wer gerade besonders gut springt und warum. So habe ich schon als Kind sehen können, wie die Besten springen.“ Auf einer Mini-Sprunggrube im Hinterhof spielte Armand, seit er drei Jahre alt war. Dabei ging es vor allem um Spaß.
Für mich versteht niemand so viel von Sprungtechnik wie mein Vater Greg.
Für Mondo sind seine Eltern auch gleichzeitig seine Trainer
Mondos Eltern sind immer noch seine Trainer. Greg kümmert sich um seine technische Entwicklung, während Helena sein Krafttraining überwacht. „Fünf Tage die Woche arbeite ich an meiner Schnelligkeit und mache Krafttraining. Dafür erstellt sie meinen Trainingsplan“, sagt Mondo. Trainingssprünge, sagt er, absolviert er selten, nur einmal pro Woche, um Verletzungen, so gut es geht, zu vermeiden. „Ich möchte eine lange Karriere haben. Der Sport belastet den Körper sehr stark. Sprungstäbe sind sehr lange und steif. Beim Absprung können sie eine enorme Wucht erzeugen, das hält man nicht unendlich oft aus.“
Seine Mutter hat Mondo ein Trainingsprogramm maßgeschneidert, das ihm gewisse Freiheiten lässt. „Wenn ich meine Übungen mache, zähle ich ehrlich gesagt nicht immer mit“, gibt Mondo lachend zu. „Ich bin bei jeder Übung komplett im Tunnel. Wenn meine Mutter mir zehn Wiederholungen vorgibt, mache ich vielleicht acht, vielleicht zwölf. Keine Ahnung, wo ich mit meinem Kopf dann bin.“ Man sollte seinen Workout-Flow freilich nicht mit Laschheit verwechseln. „Wenn ich Workouts mache oder springe, dann ist das heftig“, sagt er. „Ich bin immer zu 100 Prozent fokussiert.“

Schweden hat die Fans und a lot of love

Duplantis lebt im Zentrum Stockholms mit seiner langjährigen Freundin, Model und TikTok-Star Desiré Inglander, zusammen – 8200 Kilometer von seinem Geburtsort Lafayette, Louisiana, entfernt. Im Jahr 2015 fasste der Doppelstaatsbürger die Entscheidung, für Schweden anzutreten. „Ich fühle mich in beiden Ländern zu Hause“, sagt Duplantis. Aber er gibt zu, dass es gewisse Annehmlichkeiten mit sich bringt, dass sich deutlich mehr Fans in Schweden für Stabhochspringen interessieren als in den USA. Im Jahr 2020 gewann er den Jerring-Preis, der jährlich an den populärsten Athleten Schwedens verliehen wird – eine Auszeichnung, deren Äquivalent er in den USA niemals hätte erreichen können.
Für einen vergleichsweise jungen Spitzen­sportler – Duplantis wurde im November 24 Jahre – hat er schon sehr viel erreicht. Nach seinen Erfolgen im Juniorenbereich landete er sieben Weltrekorde, gewann vier Hallen- und Freiluft-­Weltmeisterschaften, drei aufeinanderfolgende Diamond-League-Saisontitel, landete mehr als siebzig Sprünge über die magische Marke von sechs Metern und erreichte die ultimative Ehre für einen Leichtathleten: olympisches Gold.
Hoch hinaus: Über diese Dinge springt Mondo mit Leichtigkeit.

Hoch hinaus: Über diese Dinge springt Mondo mit Leichtigkeit.

© TRB

Aber er hat noch eine Menge vor. Weitere Rekorde und Titel sind in Reichweite, und besonders auf Paris 2024 freut er sich sehr. „Irgendwie fühlt es sich so an, als wäre ich das erste Mal auf einer Reise zu den Spielen“, erklärt er. „Die Wettkämpfe während der Pandemie habe ich nicht wie richtige Olympische Spiele erlebt. Es gab 2021 in Tokio keine Zuschauer. Darum hat es sich angefühlt, als würde etwas fehlen. Dieses Mal wird die ganze Sache komplett sein. Und richtig groß.“
Wer Mondo Duplantis besser kennenlernt, sieht bald, dass seine Leistungen – und die Liebe seiner Fans – nicht nur damit zu tun haben, dass er so ein herausragend guter Stabhochspringer ist. Oder dass er seinen Sport seit seiner Kindheit mit ganz besonderer Hingabe und Leidenschaft betreibt. Es geht um mehr als Talent und Arbeitsmoral. Es geht um seine Persönlichkeit, um Bescheidenheit und seine Fähigkeit, Prioritäten zu setzen. „Ich weiß, dass es für manche Athleten wichtig ist, dass alles durchstrukturiert ist“, sagt Duplantis. „Aber ich bin lieber flexibel – im Training und im alltäglichen Leben. Ich will mich nicht einsperren, auch mental nicht.“ Duplantis trainiert hart, und wie jeder andere Weltklassesportler brennt er dafür, Wettkämpfe zu gewinnen. Mondo spricht gerne über seinen Sport, die Technik, die Wettbewerbe. Aber noch lieber erzählt er von seiner Leidenschaft für Hip-Hop und Golf oder die schönen Momente, die er mit seinen Liebsten in den USA und Europa verbringt.
Als Spitzensportler ist er auch gewohnt, auf seine Ernährung zu achten. Das heißt aber nicht, dass er sich nicht auch einmal einen Burger oder Schokolade gönnt. „Ich will nicht, dass sich mein ganzes Leben nur ums Stabhochspringen dreht“, erklärt er. „Ich brauche Balance, damit ich zur Höchstform auflaufe.“

Das Hirn auf Autopilot

Duplantis ist ein Mensch, der gerne lacht – beim Interview mit uns genauso wie bei einem Wettkampf; das lässt ihn locker und gelöst wirken. Auf die Frage, was beim Springen in seinem Kopf vor sich geht, sagt er: „Ich habe keine Checkliste oder so etwas. In Wahrheit läuft mein Gehirn auf Autopilot, sobald ich in der Luft bin. Die ganze Arbeit, die ganze Planung ist schon vorher passiert. Ehrlich gesagt weiß ich schon, wie der Sprung aussehen wird, wenn ich den Impact der Stange im Kasten spüre.“
Kein perfekter Sprung ohne perfekten Sprint.

Kein perfekter Sprung ohne perfekten Sprint.

© Adam Klingeteg

Wenn Mondo spricht, klingt Spitzensport sehr unkompliziert. „Ich habe immer am meisten daraus gelernt, dass ich mir einen Sprung immer wieder vorgestellt habe“, sagt er. Für einen Weltmeister klingt seine Erklärung, was ihn so gut macht, sehr unprätentiös: „Eigentlich ist alles ganz einfach. Ich schließe die Augen und stelle mir vor, wie ich über die Latte fliege. Erst wenn du dir etwas vorstellen kannst, wirst du es schaffen. Ich glaube, das macht mich zu einer sehr optimistischen Person, was den Sport und überhaupt das Leben angeht.“
Fans und Journalisten warten mittlerweile bei jedem Wettkampf auf einen neuen Rekord. Auf die Frage, wie er mit diesem Druck umgeht, zuckt Duplantis mit den Schultern. „Ich habe selber keinen Weltrekord vor Augen, wenn ich springe“, sagt er. „Ich sehe es einfach als neue persönliche Bestmarke. Davon habe ich schon so viele überboten, weil ich ja immer wieder ein bisschen besser geworden bin. Ich muss die Sache nicht größer machen, als sie ist.“

Ein Überflieger in neuen Sphären

Mondo Duplantis fliegt erneut durch die Luft. Er ist zurück im Hayward Field, an einem sonnigen Nachmittag im vergangenen September. Er nimmt am Prefontaine Classic teil – dem letzten Meeting der Diamond League 2023. Wieder einmal ist er als letzter Stabhochspringer übrig; alle anderen sind schon ausgeschieden. Mondo steht allein auf der Laufbahn, in einem ausverkauften Stadion, vor Tausenden jubelnden Zuschauern. Die Latte hat er auf 6,23 Meter legen lassen – das wäre der nächste Weltrekord.
Duplantis sprintet die Laufbahn entlang und rammt den Sprungstab in den Einstichkasten. Unter der Wucht des Aufpralls verformt sich die Stange, als wäre sie aus Gummi. Er hat einen kürzeren Stab verwendet als üblich, erklärt er später. Einen, der sich etwas leichter biegt, den Athleten energischer in die Höhe katapultiert. Am Ende entscheiden Zentimeter: Sein linkes Schienbein streift die Latte, aber er schiebt Oberkörper und Arme so geschickt nach, dass die Latte zitternd liegen bleibt. Millionen vor dem Fernseher können in Großaufnahme die Freude in seinem Gesicht sehen, als er seinen siebten Weltrekord in den Büchern hat.
Wieder einmal hat er neue Sphären erreicht, ist höher gesprungen als je zuvor. Die Menge tobt vor Begeisterung, und Mondo rennt von der Matte, auf der er gelandet ist, zum Rand der Laufbahn. Dort umarmt er die anderen Springer, mit denen er eng befreundet ist. „Wir Stabhochspringer sind wie eine große Familie“, sagt er. „Unser Ziel ist es, immer das Beste aus uns herauszuholen. Es geht nicht darum, gegeneinander zu kämpfen, sondern gemeinsam gegen die Latte anzutreten.“

Teil dieser Story

Armand Duplantis

Der schwedisch-amerikanische Stabhochspringer Armand Duplantis setzt neue Maßstäbe, seit er sieben Jahre alt ist, und ist jetzt Weltrekordhalter.

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