Oktober November | Kritik | Film | critic.de

Oktober November – Kritik

Ein ruhiger Blick auf die Kulissen der Seele. Götz Spielmanns Oktober November ist ein Film über Spiel und Persönlichkeit und ein Film über das Fernsehen.

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Bevor sie durch die Tür tritt, bevor sie das Telefon beantwortet, bevor die Kamera zu drehen beginnt, hält Sonja (Nora von Waldstätten) stets kurz inne. Tief Atem holen. Alles, was zuvor passiert sein mag, wird aus dem Geist gelöscht. Ein Leben voller Reboots. Als professionelle Schauspielerin hat Sonja gelernt, dass sie ihre Job-Skills auch gut im Leben außerhalb der Sets anbringen kann, und vice versa. Doch es ist anstrengend: In eine von Sonjas leeren Vorbereitungsphasen platzt die Frau ihres Lovers, mit Ohrfeigen und wüsten Beschimpfungen treibt sie die Rivalin aus der Restauranttoilette. Aber der Mann, mit dem Sonja zu Abend isst, bemerkt hinterher nichts davon. Obwohl auch er Schauspieler ist. Oder gerade deshalb?

Fragen zur Identität, Fragen zur Seele

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Götz Spielmann schenkt Nora von Waldstätten mit Oktober November einen Film, damit sie ihre Zuschauer verwirren kann mit ihrem enigmatischem Rundgesicht, den hohen Wangenknochen, dem zahnfleischigen, aber verwirrend erotischen Lächeln, dem manchmal leicht schielenden Blick. Auch wenn es hier um zwei entfremdete Schwestern geht, die mit der Krankheit des Vaters endlich Gelegenheit bekommen, einmal ihre Beziehung zueinander zu hinterfragen: Alle wesentlichen Fragen des Filmes sind aufs Innigste mit Waldstättens Figur verbunden. Was können wir von uns und voneinander wissen während unseres kurzen Lebens? Fragen zur Identität sind das, zur Seele gar. Und sie alle sind, wie sollte es anders sein im deutschsprachigen Kino, verwoben mit Fragen zur Heimat.

Sonja ist erfolgreiche Fernsehschauspielerin in Berlin, ihre Schwester Verena (Ursula Strauss) ist daheim geblieben in den Bergen Österreichs und bewirtet mit dem dominanten Vater (Peter Simonischek), ihrem bodenständigen Gatten (Johannes Zeiler) und dem kleinen Sohnemann (Andreas Ressl) den familiären Landgasthof. Oktober November nimmt sich viel Zeit für einen Prolog, der die Schwestern und ihre unterschiedlichen Leben zeigt; Sonja beim Dreh eines generischen 20.15-Uhr-Krimis, Verena beim Stelldichein mit dem charmanten Landarzt (Sebastian Koch). Doch als das Herz des Vaters stehen bleibt und er nur knapp mit dem Leben davonkommt, muss Sonja zurück in die Heimat.

Der Groll der Zurückgebliebenen gegenüber der rastlosen Davongezogenen ist zur Hälfte Neid, zur Hälfte Unverständnis. Waldstätten antwortet darauf mit einem Spiel, das mal ihre divenhafte, mal ihre entwurzelte Seite hervorstellt. Ihre Rede flirrt zwischen klinischem Fernseh-Hochdeutsch und österreichischem Singsang. Essenz und Existenz umkreisen einander: Spielt sie immer oder überspielt sie? Und, viel wesentlicher: Beruhen diese Fragen nicht auf der falschen Prämisse eines kompakten, abgeschlossenen Selbst?

Ruhige Demontage der Fernsehstandards

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Spielmann setzt dieses psychologische Schürfen mit großer Ruhe in Szene. Er dreht vor Kulissen wie aus jedem x-beliebigen Heimatfilm, aber gibt diesen eine dunkle Unergründlichkeit, nimmt ihnen den Lockruf charakterberuhigender Verlässlichkeit. Ohne es seinen Zuschauern in die Augen zu reiben, verfremdet Spielmann deutsche Fernsehstandards gerade so weit, dass sie, bei aller motivischen Vertrautheit (die herbstlichen Alpen, die holzgetäfelte Stube), leicht entrückt scheinen. Wenn Sebastian Koch hemdsärmelig die von wildem Wein umrankte Bauernhaustür öffnet, dann wähnt man sich kurz in einem jener Prime-Time-Fernsehfilme, über die sich Sonja und ihr Schauspielerkollege im Anfangsdialog lustig machen.

Diese reflexiven Spiele mit den öffentlich-rechtlichen Standards werden ganz konkret in den Berliner Szenen zu Beginn. Die Hauptstadt wirkt dabei wie aus einem Petzold-Film entnommen: ein minimalistisch-kaltes Townhouse irgendwo in Mitte, ein generisches Sternelokal, ein paar menschenleere Straßenzüge. Kein gutbürgerliches Stadtleben, keine sensationalistischen Szenen von Gewalt und Armut, sondern eine beinahe tote Welt. Die Sequenzen bei Sonjas Dreh jedoch sind die Momente, in denen der Film seine doppelbödige Inszenierung am weitesten treibt. Sie bestehen aus kunstvoll arrangierten, komplexen Dolly-Schwenk-Manövern, die sanft von der Story des Film-im-Film zum gefilmten Filmdreh gleiten und wieder zurück. Mit kühlem Blick dramatisiert Spielmann die Mechanismen der Illusionsproduktion. Doch der ganze Aufwand, egal, wie beredt er sich zum Schema-F-Filmemachen des deutschen Fernsehens verhält, wird letztlich für die Hauptdarstellerin veranstaltet. Alle medienreflexiven Spielchen werden von der ambivalenten Psyche Sonjas aufgesogen, alle Fragen richten sich zuletzt an sie. Gibt es ein wahres Ich hinter all den spielerischen Reaktionen? Und wie entgeht sie dem Paradox des Lügners, wie kann eine Schauspielerin versichern, wann sie spielt und wann nicht?

Wir spielen alle, niemand spielt

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Die meiste Zeit verbringt der Film dann mit den Schwestern in Österreich, wo sich Sonja vonseiten Verenas oder allein ständig diesen Fragen ausgesetzt sieht. Dabei mausert sich Oktober November zunehmend zum waschechten Melodrama, mit düsterem Familiengeheimnis und wachsender Rivalität zwischen den Damen um den schmucken Landarzt. Doch wiederum verblüfft Spielmann mit einem Ton, der desto leichtfüßiger und sogar komödiantischer wird, je näher der Tod des Vaters rückt. Die Schwestern schaffen es zwar nicht zur Gänze, einander zu offenbaren, es gibt keine familiäre Versöhnung, keine psychologische Heimkehr. Aber die beiden entwickeln immer mehr Verständnis für die Situationen und Verhaltensweisen der jeweils anderen. Denn auch die Rolle der Hausfrau und Mutter will gekonnt gespielt werden, und die Identität der Schauspielerin mag im Fließzustand zwischen Rollen eher zu suchen sein als in einem festen Kern. Das könnte auch pars pro toto für diesen Film gelten, der in vielen Momenten zwar haarscharf an Klippen der Gefälligkeit vorbeischrammt, aber dabei einen ruhigen, gedanklich wie psychologisch tiefen Fluss erzeugt.


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Kommentare


ulle

Der Film schrammt wirklich an ein paar Klippen vorbei und das haarscharf. Auch die Sterbeszenen sind nah am Spaßfaktor , so sehr Simonischek sein bestes tut- es ist einfach zuviel des Guten. Spielmann verliert hier m.E. das Timing, was ihn doch auszeichnete bisher. Was mir auch auffällt ist, dass Nora v. W. schauspielerisch etwas begrenzt ist, gegenüber Ihren Mitspielern . Man wird das auch nicht als bewußt "schauspielerisch", der Rolle entsprechend verargumentieren können. Da gibt es diese bewußten Szenen des "Schauspielerns", um Ihren Rollen- Charakter zu unterstreichen, da ist das plumpe , eindimensionale gewollt, aber genau das ist es ja, was auffällt. Genau an diesen Stellen wird übertrieben, und es gibt nichts subtiles im berühmten Subtext. Sicherlich, Sie ist sehr schön, sehr kühl und im Grunde eine Idealbesetzung, nur fehlt Ihr ein wenig schaupielerische Routine, Handwerk. Sorry, kein wirklich gelungener Film.






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