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Buchtipp: Max Reinhardt – Ein Leben als Festspiel

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AUTOR/IN
Jan Ritterstaedt

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Vor 100 Jahren geschah etwas Besonderes auf dem Domplatz in Salzburg: mit ausdrücklicher Genehmigung der Geistlichkeit wurde dort das moderne Mysterienspiel „Jedermann" von Hugo von Hofmannsthal aufgeführt. Die Salzburger Festspiele waren geboren. Regie führte damals einer der erfolgreichsten Theatermänner des deutschsprachigen Raumes: Max Reinhardt. Diesem Mann hat die Journalistin und Autorin Sibylle Zehle pünktlich zum 100. Jubiläum der Salzburger Festspiele ein gut 300 Seiten starkes Buch gewidmet.

Stehplatz im Wiener Burgtheater. Galerie Mitte, Platz 16, vierter Rang. Ist das wirklich ein Theater? Vor mir ein Geländer, darunter steil abfallend, acht Reihen mit Sitzplätzen; dann öffnet sich ein tiefer Schlund, ein aufgerissenes Riesenmaul, blutrot, mit goldenen Schlieren an den Seiten. Und es ist wie ein Sog, ein unheimlicher Zwang: man kann den Blick von diesem Abgrund nicht wenden.“

Mit dieser persönlichen Schilderung der Autorin Sibylle Zehle beginnt das Buch. Sie hat sich selbst an die Orte begeben, wo Max Reinhardt im doppelten Sinne zu Hause war. Im Wiener Burgtheater, auf der vierten Galerie, erlebte er das erste Mal die Magie des Theaters. So steht es in Reinhardts Lebenserinnerungen. Daneben bilden Texte, Briefe von Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden die Hauptquellen für dieses Buch. Es ist keine klassische Biografie, eher eine biografische Dokumentation. Im Zentrum steht die Persönlichkeit des Schauspielers, Regisseurs und Theatermanagers Max Reinhardt.

Er beobachtete das Ankommen der Gäste, ihr selbstbewusstes Schreiten oder stockendes Hereintreten, ihre Begrüßungsrituale; wie Paare sich reserviert gegenüberstanden oder sich aufjauchzend umarmten, und sich nach und nach um einzelne wichtige Gäste engere Zirkel bildeten, Gruppen und Grüppchen entstanden, bis schließlich das Ganze nur noch eine einzige lebhaft auf- und niederwogende Menge war.“

Während der 1930-er Jahre geht in Reinhardts Salzburger Schloss Leopoldskron die High Society ein und aus. Doch er ist ein stummer Gastgeber: gesellschaftliche Konversation ist dem Sohn eines jüdischen Kleinhändlers fremd. Dennoch liebt er solche Empfänge: Für ihn eine einzige große Inszenierung.

„Er liebte das An- und Abschwellen der Stimmen; das Schwellen und Brausen - für ihn Inspiration.“

„Ein Leben als Festspiel" - diesen Untertitel hat Autorin Sibylle Zehle ihrem Buch gegeben. Gegliedert hat sie es in fünf Kapitel oder besser: Akte. Zunächst liest es sich wie das Textbuch zu einer Erfolgsgeschichte: Der Schauspieler, der sich langsam emporspielt, von Wien über Salzburg nach Berlin. Dort wird er schließlich im Jahr 1905 über Nacht berühmt mit seiner ersten eigenen Inszenierung: Shakespeares „Sommernachtstraum" im Theater am Schiffbauerdamm. Eine solche stimmige Einheit aus Schauspiel, Bühnenbild und Zuschauern hatte es bis dato noch nicht gegeben.

Jedermann - ein Ritual der Salzburger Festspiele bis heute

Den Ersten Weltkrieg übersteht Max Reinhardt unversehrt. Gleichzeitig entwickelt er eine Vision: ein großes Welttheater für die Massen, am besten unter freiem Himmel. Da trifft es sich gut, dass in seiner ehemaligen Wirkungsstätte Salzburg gerade die alte Idee von einem Festspiel wieder aufflammt. Reinhardt ist zur rechten Zeit am rechten Ort. Seine Inszenierung von Hugo von Hofmannsthals „Jedermann" auf dem Domplatz wird zum festen Ritual jeder Ausgabe der Salzburger Festspiele - bis heute.

Geradezu legendär sind Reinhardts penible Anweisungen in seinen Textbüchern. Kein noch so winziges Detail mag er dem Zufall überlassen.  Und dennoch bleibt manches an ihm rätselhaft. So etwa seine bewusste oder unbewusste Naivität, als er erfährt, was für dunkle Wolken sich im nahen Deutschland zusammenbrauen.

Flucht vor dem NS-Regime

Gerade erst hat er seine persönliche barocke Schaubühne Schloss Leopoldskron aufwändig renoviert, da wird sein Besitz von den Nazis enteignet und er muss in die USA fliehen. Dort feiert man ihn zunächst als den berühmten Regisseur der inzwischen weltweit bekannten Salzburger Festspiele. Doch im Land der unbegrenzten Möglichkeiten gelingt es ihm nicht, an seine Erfolge in Europa anknüpfen. Mit dem vierten Akt dieses Buches beginnt die Tragödie.

Jetzt, in Hollywood, merkt er, dass sich alles verändert hatte. Es war ein anderes Land. Und auch er war mit einem mal ein anderer. Kein Star - er war ein Emigrant.“

Max Reinhardt muss schließlich um das finanzielle Überleben kämpfen: in Hollywood gründet er eine mehr oder weniger erfolgreiche Schauspielschule. Nach einigen lukrativen Aufträgen des Medienkonzerns Warner Brothers, leben er und seine zweite Ehefrau Helene Thimig von einzelnen Theateraufträgen. Salzburg und die von ihm gegründeten Festspiele wird Max Reinhardt nicht mehr wiedersehen. Er stirbt ohne das große Comeback am 31. Oktober 1943 in New York. Bei seiner Beisetzung auf dem jüdischen Friedhof in Hastings-on-Hudson spielt das Busch-Quartett Beethoven.

Fazit

Autorin Sibylle Zehle schaut in ihrem Buch hinter die glanzvollen Kulissen des gefeierten Regisseurs Max Reinhardt. Sie portraitiert ihn als einen nach außen selbstbewussten und zielstrebigen Menschen, dessen Inneres aber immer wieder von Zweifeln an der eigenen Rolle im Theater des Lebens gekennzeichnet ist. Weniger erfährt man dagegen über seine konkreten Inszenierungen, seine Ästhetik und vor allem welche Funktion er der Musik in seinem Salzburger Welttheater zugedacht hat.

Fundgrube für jeden Reinhardt-Fan

Dafür bietet diese biografische Dokumentation des Verlages Brandstätter eine Fülle von wertvollen historischen Fotografien und Abbildungen aus der gesamten Lebensspanne Max Reinhardts. Allein das macht dieses gut 300 Seiten starke Buch zum Preis von 50 Euro schon zu einer echten Fundgrube für jeden Reinhardt-Fan. Unter dem Strich also eine sehr lesens- und betrachtenswerte Annäherung an den „Erfinder" des modernen Regietheaters und Gründervater der Salzburger Festspiele.

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Jan Ritterstaedt