Über dem Flugzeug hängen dichte Wolken, es ist diesig und kalt. Ludwig Trepte muss am Boden bleiben. An Fliegen ist bei diesem Wetter nicht zu denken, dafür ist die Sicht zu schlecht. Das ist ärgerlich für Trepte. Der 31-Jährige liebt das Fliegen, die Ruhe in der Luft, die Übersicht, diese andere Perspektive auf die Welt. Mehr als ein Jahr lang ist er jede Woche hier herausgefahren, auf den Flugplatz in Strausberg, eine Autostunde östlich von Berlin, um seinen Flugschein zu machen. Theorie pauken, Pflichtstunden fliegen, jetzt steht er kurz vor der praktischen Prüfung. Dabei ist es nicht so, dass er sonst nicht genug zu tun hätte.
Trepte ist einer der meistbeschäftigten Schauspieler Deutschlands, und das seit fast zwanzig Jahren. Am 18. März startet in der ARD „Unsere wunderbaren Jahre“, ein Dreiteiler über die Anfänge der Bundesrepublik, in dem er eine Hauptrolle spielt. Er ist Ehemann und zweifacher Vater. Und einer, der seine Ziele mit bewundernswerter Konsequenz und Angstfreiheit verfolgt und sagt: „Ich glaube daran, dass man alles schaffen kann.“
Damit ist Trepte so etwas wie der Anti-Peter-Pan. Statt seine Kindheit ins Unendliche zu verlängern, sich alle Türen offenzulassen und solange es geht durchs eigene Leben zu trödeln, nimmt er es in die eigene Hand. „Die Zeit ist begrenzt“, sagt er. Es scheint, als wolle er in diese begrenzte Zeit so viel Leben hineinpacken, wie nur irgendwie geht. Doch statt getrieben wirkt er sehr zufrieden damit.
Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich das durch. Komme, was wolle!
Geboren wurde Trepte 1988 im Ost-Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, als Sohn des landesweit bekannten Rocksängers Stephan Trepte. Als Zwölfjähriger besuchte Trepte gemeinsam mit ihm ein Konzert von Rammstein und traf die Band nach deren Auftritt. Die Show hinterließ einen bleibenden Eindruck; Treptes Berufswunsch stand fest: Er wollte auf der Bühne stehen. Seine Mutter meldete ihn bei einer Castingagentur an, weil sie vermutete, die Schauspielerei könnte etwas für den Jungen sein. Womit sie absolut recht haben sollte.
Seinen Einstand gab Ludwig Trepte im Jahr 2001 dann auch gleich in einer deutschen Fernseh-Institution, dem „Tatort“: als nickelbebrillter, leicht lispelnder Chorknabe, der Zeuge eines Mordes wird. Von da an ging es steil aufwärts, bald wurde er auch für Hauptrollen besetzt. In „Kombat Sechzehn“ spielte der damals 16-Jährige einen jungen Neonazi, zwei Jahre später in „Guten Morgen, Herr Grothe“ einen schwierigen Hauptschüler. Für die Schule im echten Leben, in der er sich ohnehin die meiste Zeit langweilte, blieb ihm da schon kaum mehr Zeit.
In der achten Klasse war er vom Gymnasium auf die Realschule gewechselt und schaffte gerade so den Abschluss. Eine Schauspielschule hat Trepte nie besucht. Alles, was er kann, hat er sich selbst angeeignet. Seine Karriere ist eine ohne Netz und doppelten Boden. Eine Absicherung – etwa durch ein Studium – wäre Ludwig Trepte nie in den Sinn gekommen. „Ich bin Schauspieler“, sagt er, als duldete nichts anderes neben sich. „Das ist keine Wahl, die ich hatte.“
Ein guter Vater ist auch jemand, der sich entschuldigt und sagt: Ich konnte es einfach nicht besser.
Also stürzte er sich da hinein, mit voller Kraft. In einem Alter, in dem andere pubertieren, ihre Grenzen ausloten und generell gern orientierungslos durchs Leben taumeln, stand er schon vor der Kamera und verdiente sein eigenes Geld. In den Jahren, in denen viele studieren, feiern und sich in hoffnungslose Affären verrennen, heiratete er und freute sich über sein erstes Kind, mit gerade mal 23. „Die Idee war, dass wir selbst als Eltern noch jung sind und mehr Zeit haben, unsere Kinder zu begleiten“, erklärt er die Entscheidung, die seine Frau Deborah und er damals ganz bewusst trafen und – typisch Trepte – gleich in die Tat umsetzten.
Mathilda ist heute sieben Jahre alt, ihr kleiner Bruder Joschua feiert demnächst seinen ersten Geburtstag. Heute, mit Anfang 30, wenn viele andere Karrieren gerade erst Fahrt aufnehmen, hat Ludwig schon in mehr als 60 Produktionen mitgespielt und so gut wie jeden Preis gewonnen, den es für Schauspieler in Deutschland – und darüber hinaus – zu holen gibt: den Max-Ophüls-Preis, die Goldene Kamera, den Adolf-Grimme-Preis. 2015 gewann der Kurzfilm „Erledigung einer Sache“, in dem Trepte die Hauptrolle spielte, den „Studentenoscar“ – also die Auszeichnung, die von der Oscar-Akademie in Hollywood an Nachwuchsfilmemacher verliehen wird.
Weitere internationale Aufmerksamkeit brachten ihm der Dreiteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ über eine Gruppe von Freunden im „Dritten Reich“, der 2014 mit dem US-amerikanischen Fernsehpreis Emmy ausgezeichnet wurde. Und dann war da noch die Rolle des Oberleutnants Alex Edel in „Deutschland 83“, der ersten deutschen Serie, die jemals auf einem US-amerikanischen Sender ausgestrahlt wurde.
Meistens spiele ich Figuren, die brennen, sich nach Zugehörigkeit sehnen.
Eine Filmkritikerin des renommierten Magazins „New Yorker“ schrieb, mit seiner warmen Darstellung habe Trepte die Figur schnell zum komplexesten Charakter der ganzen Serie gemacht. So ist das oft: Auch wenn der Film selbst nicht ganz so gelungen sein sollte, Trepte sticht heraus. Man erinnert sich an ihn, an die Intensität und Sicherheit, die er vor der Kamera ausstrahlt. „Meist spiele ich Figuren, die brennen und sich nach Zugehörigkeit sehnen. Sie sind nicht zufrieden mit einer Situation und wollen was verändern“, fasst Trepte die Gemeinsamkeiten seiner Rollen zusammen.
Es ist vor allem sein Ehrgeiz, der ihn treibt, und seine Disziplin. „Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich das durch. Komme, was wolle“, sagt er. „Ich mag Aufgeben nicht, ich bin kein Fan vom Scheitern. Obwohl Scheitern auch legitim ist.“ Nur eben nicht für ihn. Zusammen mit seiner Abenteuerlust und seinem Hang zu schnell aufkommender Langeweile macht ihn das zu einem, der immer nach Herausforderungen sucht. Er hat den Motorradführerschein, er weiß, wie man Boote auf Binnengewässern und dem Meer steuert. Gefragt, welche Eigenschaften ein Pilot brauche, antwortet er: „Stabilität, Extravertiertheit und Leistungsvermögen.“ Womit er sich selbst ziemlich gut beschrieben hätte.
Aber sosehr er die Abenteuer, die Geschwindigkeit und die Schauspielerei auch liebt: „Das ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste sind meine Kinder.“ Das ist die andere Seite des Ludwig Trepte: die des liebevollen, engagierten Vaters.
Ich mag Aufgeben nicht, ich bin kein Fan vom Scheitern. Obwohl Scheitern legitim ist.
Dabei sei es gar nicht so, dass, wie man oft sagt, seine Kinder ihn ängstlicher gemacht hätten – schließlich ist es das Schlimmste, was Eltern sich vorstellen können, dass dem Nachwuchs etwas passiert. Er sei, sagt er, allerdings heute emotional verletzlicher, weil alles, was sie an Schmerz und Ablehnung erleiden, ihn selbst genauso trifft wie sie. Seine Kinder haben Ludwig Trepte emphatischer gemacht, empfindsamer und ruhiger. Wenigstens ein bisschen.
Trepte sagt aber auch von sich selbst, dass er das schon sehr gut mache. Er sei ein „wahnsinnig guter Vater“ und muss ein wenig lachen angesichts dieses unverhohlenen Selbstlobs. Er sei einer, der seinen Kindern zuhört, für sie da ist und versucht, ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Er schildert, wie sein Sohn neulich nicht dazu zu bewegen war, in die Richtung zu laufen, in die Papa gehen wollte, sosehr der auch „Hier lang!“ rief. Wie er die Geduld verlor angesichts der Sturheit und des Eigensinns des Kleinen. Bis er auf die Knie ging und feststellte, dass der Junge aus seiner Perspektive einen halben Meter über dem Boden gar nicht hätte sehen können, wohin die väterliche Hand zeigte. „Ein guter Vater ist auch jemand, der sich entschuldigt und sagt: Ich konnte es nicht besser.“
Trepte gibt zu, dass seine Fliegerei in einem gewissen Kontrast zum Dasein als verantwortungsvoller Familienvater steht. Erst wenige Tage zuvor ist auf dem Flugplatz eine Maschine bei einem Testflug abgestürzt, beide Insassen tot. Aber Ludwig Trepte wäre nicht Ludwig Trepte, wenn ihn das bremsen könnte.
Er weiß auch schon, was nach dem Flugschein kommt. Als Nächstes stehen die Kunstflugberechtigung und der Helikopterschein auf dem Plan. Und irgendwann der Segelschein – für die Weltumrundung, die er vorhat, wenn seine Kinder älter sind. Ludwig Trepte, der Durchstarter, hat noch lange nicht seine Reiseflughöhe erreicht.
Geldgeschenk für alle
Im TV-Dreiteiler „Unsere wunderbaren Jahre“ spielt Ludwig Trepte einen jungen Mann in der Nachkriegszeit. Zur Einführung der D‑Mark erhielt 1948 jeder Bürger 40 Mark. Der ARD-Mehrteiler „Unsere wunderbaren Jahre“ folgt verschiedenen Menschen (dargestellt von Ludwig Trepte, Katja Riemann, Anna Maria Mühe) dabei, wie sie ein neues Kapitel im Leben aufschlagen. Auf Basis des gleichnamigen Romans von Peter Prange zeigte die TV-Serie, wie eine Generation versuchte, die Dämonen der Vergangenheit hinter sich zu lassen und ganz neu zu beginnen.