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Die Allmacht der Gestapo war ein nützlicher Mythos

Ganz bewusst pflegten Himmler, Heydrich und ihr Apparat den Eindruck der stets umfassend informierten Geheimpolizei. Dabei war sie an Zahl nicht mit den Tschekisten-Legionen Stalins zu vergleichen.

Ein schlechter Ruf kann sehr hilfreich sein. Fast genüsslich informierte das NSDAP-Blatt „Völkischer Beobachter“ am 22. Januar 1936 seine Leser, dass in ausländischen, im Dritten Reich kaum erhältlichen Zeitungen „Serien von Artikeln“, ja sogar „ganze Bücher“ der Geheimen Staatspolizei gewidmet würden. Darin werde die Gestapo als „geheimnisvolle, weltumspannende Organisation geschildert“. Aberhunderte ihrer Agenten würden „enttarnt“. Dann fuhr der Artikel fort: „In Wirklichkeit ist die geheime Staatspolizei eine ebenso notwendige wie sachlich-nüchterne Einrichtung.“

Für eine Diktatur, natürlich. Wobei das Dritte Reich ja von Ende 1933 bis in die ersten Jahres des Zweiten Weltkrieges hinein bei der weit überwiegenden Mehrheit der Deutschen überaus populär war. Zwar hatte Hitlers Partei bei richtigen Wahlen niemals, nicht einmal bei der bereits massiv manipulierten Abstimmung am 5. März 1933, die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigen können.

Aber nach dem Ende der knapp sechs Monate langen Phase der Machteroberung, als die meisten ehemaligen Anhänger von Kommunisten und Sozialdemokraten durch brutale Gewalt eingeschüchtert waren, nahm die tatsächliche Zustimmung zur Politik Hitlers stetig zu. Das hatte nichts mit dem Abbau der Arbeitslosigkeit zu tun, der signifikant überhaupt erst 1934 begann. Eher war es das Ende der politischen Auseinandersetzungen und der Straßenkämpfe zwischen verfeindeten Parteien, die Rückkehr von Ruhe – jedenfalls solange man nicht als „marxistischer Funktionär“ oder Jude ins Visier der Nazis geriet.

Für abweichende Meinungen war in Hitlers Staat kein Platz – und wer das nicht akzeptieren wollte, um den kümmerte sich die Gestapo. Am besten „vorbeugend“, also bevor potenzielle Gegner der NSDAP überhaupt etwas getan hatten. „Es ist die Pflicht der zur Sicherung des Volkes und des Reiches berufenen Einrichtungen, volksschädliche Taten rechtzeitig zu verhindern“, formulierte Reinhard Heydrich, von 1934 bis 1939 Chef der Gestapo und danach zum Chef des neu gegründeten Reichssicherheitshauptamtes befördert. Man kann es auch einfacher sagen: Die Gestapo konnte tun, was sie wollte.

Berichte über Gestapo und KZs

Ihr wirksamstes Instrument war die Angst. Deshalb berichteten die gleichgeschalteten Zeitungen in Hitler-Deutschland in den ersten Jahren immer wieder über die Gestapo und sogar über die Konzentrationslager; natürlich glattgebügelt: Exzesse des Wachpersonals und Morde, in Wirklichkeit Alltag in den rechtsfreien Räumen der Lager, fanden in der Berichterstattung nicht statt. Das war auch gar nicht nötig, denn Gerüchte sorgten dafür, dass alle „Volksgenossen“ sich ungefähr vorstellen konnten, was hier geschah.

Die Gestapo war Ende April 1933 hervorgegangen aus der Abteilung Ia im Berliner Polizeipräsidium. Doch sie war etwas völlig anderes geworden als die gewiss nicht zimperliche und jedenfalls unter ihrem zeitweiligen Chef Bernhard Weiß weder auf dem linken noch auf dem rechten Augen blinde politische Polizei der Weimarer Republik. Die Gestapo wurde unter ihrem ersten Chef Rudolf Diels zum Machtinstrument der Regierung Hitler-Göring im innenpolitischen Kampf. Noch immerhin war sie geprägt von Polizeibeamten, die in der Weimarer Republik oder sogar im Kaiserreich ihre Karriere begonnen hatten.

Das änderte sich am 20. April 1934, als Hermann Göring in seiner Funktion als preußischer Ministerpräsident die Zuständigkeit für die politische Polizei an SS-Chef Heinrich Himmler übergeben musste. Nun übernahm dessen Stellvertreter Heydrich die Leitung. Die bisher schon wegen ihrer Härte gefürchtete Gestapo wurde nun zum Instrument der Willkür. Himmler war, so schreibt der Gestapo-Experte Robert Gellately, „offenkundig stolz darauf, dass die Gestapo in dem Ruf stand, brutal zu sein; er behauptete jedoch, sie gehe nur mit der ,notwendigen Härte’ vor.“

Die „Schutzhaftbefehle“, also die Einweisungen zu zeitlich unbefristeter Polizeihaft in Konzentrationslagern, trugen den Briefkopf der Gestapo. Mit der Ernennung Himmlers zum „Chef der deutschen Polizei“ kam es dann 1936 zur Verschmelzung von Gestapo und SS-Apparat, die mit der Eingliederung in die Struktur von Himmlers SS-Hauptämtern 1939 beendet wurde. An der weitgehend unbeschränkten Macht änderte sich durch derlei Umorganisationen wenig; lediglich innerhalb des Apparates verschoben sich die Gewichte.

Sprungbrett für schnelle Karrieren

Zwar blieben in der Gestapo neben neu eingestellten SS-Leuten auch viele Beamte aus der früheren politischen Polizei tätig. Dennoch war sie eine originär nationalsozialistische Institution, sowohl von ihrer Struktur als auch ideologisch. Eher als in die Parteiorganisationen oder die SA zog es auch die junge Elite des Dritten Reiches ins Reichssicherheitshauptamt – hier konnte man am schnellsten Karriere machen, wenn man nur gehorsam und skrupellos war.

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Totale Willkür und maßlose Brutalität gegenüber einmal Festgenommenen war die eine Seite des Gestapo-Apparates. Die andere war, dass er für die Geheimpolizei einer Diktatur – verglichen etwa mit den zeitgleichen Geheimdiensten der Sowjetunion – immer erstaunlich klein blieb. Anfang 1934 hatte die preußische Geheime Staatspolizei etwa 1700 Mitarbeiter; drei Jahre später kam die umorganisierte reichsweite Gestapo auf knapp 7000 Bedienstete. Das bedeutet, dass auf rund 10.000 Bürger ein Gestapo-Beamter kam. Das war eine ganz andere Größenordnung als etwa in der frühen UdSSR, deren Tscheka 1921 bereits 280.000 Mitarbeiter zählte. Noch in der DDR kam auf umgerechnet 200 Bürger ein Stasi-Mann.

Ähnliches galt für die Spitzel. Die Gestapo führte zwar „V-Leute“, aber substanzielle Akten über ihre Zahl sind nicht erhalten. Auf keinen Fall kam eine „V-Person“ auf rund 100 Bürger, wie in der Schlussphase der SED-Diktatur, als knapp 180.000 Stasi-IM die DDR ausspähten.

Ihre weitaus geringere Stärke glich die Gestapo mit umso größerer Brutalität aus – und mit freiwilligen Zuträgern, also Denunzianten, darunter den sprichwörtlich gewordenen „Blockwarten“. Ein dritter Faktor ihrer gefühlten Allmacht war die Angst, die teilweise informell über Gerüchte, teilweise offiziell in NS-Publikationen geschürt wurde. Der Mythos der allwissenden Gestapo erwies sich als ausgesprochen nützlich.

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