Es war kurz nach drei Uhr am Morgen, als am 28. Oktober 1940 ein Wagen vor dem Wohnhaus des griechischen Ministerpräsidenten Ioannis Metaxas (1871–1941) in dem gehobenen Athener Vorort Kifissia hielt. Der Fahrgast, Italiens Botschafter Emanuele Grazzi, fand den Hausherrn im Morgenmantel und überreichte ihm ein Telegramm aus Rom. Darin forderte die italienische Regierung in ultimativer Form die Überlassung „strategisch wichtiger Punkte“ in Griechenland, was faktisch die Aufgabe der Souveränität bedeutet hätte. „Alors, c’est la guerre“, lautete die diplomatisch geschliffene Antwort des Griechen. Für die Griechen bedeutete es ein scharfes „Ochi“ (Nein).
Wenige Stunden später überschritten italienische Truppen von Albanien aus, das sie im Jahr zuvor besetzt hatten, die Grenze und begannen damit einen Feldzug, der den italienischen Diktator Mussolini seinem Traum, ein neues Mittelmeer-Imperium zu errichten, ein weiteres Land näherbringen sollte. Die Folgen waren für den Duce wie Metaxas erstaunlich. Der Italiener sollte aus einem gleichberechtigten Verbündeten Hitlers zu einem Juniorpartner herabsinken, der andere von einem ungeliebten Diktator zum Volkshelden aufsteigen.
Denn eigentlich unterschieden sich die beiden Politiker in ihrer Herrschaftspraxis nur partiell. Metaxas, aus der griechischen Elite Istanbuls stammend, hatte in der Berliner Militärakademie studiert und gehörte während des Ersten Weltkrieges zu den königstreuen Militärs, die einer wohlwollenden Neutralität gegenüber den Mittelmächten das Wort redeten.
Als Abgeordneter und Chef einer kleinen Partei war er 1936 zum Kriegs-, Außenminister und Ministerpräsidenten berufen worden. Um die innenpolitische Dauerkrise zu beenden, ließ er sich von König Georg II. umfangreiche Vollmachten bewilligen, mit denen er ein autoritäres Regime etablierte, das viele Züge des italienischen Faschismus übernahm. Es galt das Führerprinzip, Gegner wurden brutal verfolgt, Bücher verbrannt. Wie Mussolini oder der Spanier Francisco Franco bediente sich Metaxas des „römischen Grußes“, den er allerdings als „griechisch“ ausgab.
Auch ein strammer Antikommunismus war Mussolini und Metaxas zu eigen. Nur der Antisemitismus, dem der Italiener im Fahrwasser Hitlers inzwischen folgte, blieb dem Griechen fremd. Auch achtete er wie Franco peinlich darauf, die Neutralität zu wahren und sich nicht in die Welteroberungspläne seiner Kollegen einbinden zu lassen. Daher hatte Metaxas beizeiten mehrere Divisionen an die albanische Grenze geschickt.
Das Ergebnis von Metaxas’ „Nein“ war verblüffend. Der Diktator wurde über Nacht zum populären Anführer. „Ganz Athen war auf den Beinen und schrie und jubelte ... Tausende rannten zum Gelände des Außenministeriums und umringten das Auto von Metaxas ... Als die Menge ihn sah, geriet sie außer Rand und Band. Ich stand hinter dem Diktator und sah, wie er den schönsten Augenblick seines Lebens genoss“, notierte ein Augenzeuge, nachdem sich die Nachricht verbreitet hatte. Im Gefängnis formulierten KP-Führer einen Aufruf, dass sich ihre Anhänger zum gemeinsamen Kampf hinter den Mann scharen sollten, der sie verfolgt hatte.
Mussolini hatte sich auch in einem anderen Punkt verrechnet. Sein im Aufbau begriffenes Imperium verfügte gar nicht über die Mittel für einen erfolgreichen Feldzug. Die Unterstützung Francos im Spanischen Bürgerkrieg hatte der italienischen Armee schwere Verluste zugefügt. Der Guerillakrieg in Abessinien band seit 1936 weitere Kräfte. Und der Angriff auf das von Großbritannien gehaltene Ägypten überdehnte die Möglichkeiten Italiens vollends. Da der Duce erst im Oktober seine Generäle von seinen Plänen gegen Griechenland in Kenntnis gesetzt hatte, fehlten 300.000 Soldaten, die zum Ernteeinsatz abkommandiert waren.
Ganze 60.000 Italiener konnten daher zum Unternehmen „Emergenza G“ (Fall Griechenland) in der ersten Welle eingesetzt werden. Zwar verfügten ihre Gegner über keine Panzer und Panzerabwehrwaffen sowie über wenige veraltete Flugzeuge. Aber die Moral war gut, der Wille, es den Italienern zu zeigen, einte die Nation auf ungeahnte Weise. Allein aus der griechischen Kolonie Alexandrias meldeten sich mehr als 10.000 Freiwillige.
Die Regenzeit besorgte den Rest. Die Italiener, nur mangelhaft mit Fahrzeugen ausgerüstet, blieben im Schlamm und vor reißenden Flüssen stecken. Obwohl Mussolini vollmundig erklärte, in 14 Tagen sei Griechenland niedergeworfen, und sein Commando Supremo dem griechischen Kriegsschauplatz oberste Priorität einräumte, rannten sich die mühsamen Angriffe vor den griechischen Linien fest. Nachdem die Elitedivision der Alpini-Gebirgsjäger eingekesselt und weitgehend aufgerieben worden war, mussten sich die Truppen des Duce auf notdürftig eingerichtete Verteidigungsstellungen zurückziehen.
Mitte November begann die Gegenoffensive, die die Italiener über die Grenze zurückwarf. Bis Ende Dezember konnten die Griechen weite Teile Südalbaniens besetzen. Als Metaxas am 29. Januar 1941 starb, hatte ihn sein „Ochi“ zu einem Nationalhelden über alle Parteien gemacht. Noch heute wird der 28. Oktober als „Ochi-Tag“ in Griechenland als Feiertag begangen.
Der eigentliche Gewinner des Griechisch-Italienischen Krieges war ein anderer: Um die Front zu halten, mussten Mussolinis Generäle starke Kräfte aus Libyen abziehen und konnten auch die Stellungen in Äthiopien nicht mehr ausreichend unterstützen. Die Folge war, dass die britische „Operation Compass“ im Dezember 1940 in Nordafrika schnell zum Zusammenbruch der italienischen Positionen in Ägypten und zum Vorstoß nach Libyen führte. Kurz darauf eröffneten englische Truppen sogar eine Offensive in Äthiopien, die dort das Ende der faschistischen Herrschaft markieren sollte.
Der Sieger hieß daher Hitler. Sein einstiges Vorbild und gleichrangiger Partner Mussolini hatte sich selbst demontiert. Aus einer Großmacht war Italien zu einem Juniorpartner des Dritten Reiches geworden, das von deutschen Truppen vor dem Zusammenbruch gerettet werden musste.
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Dieser Artikel wurde erstmals im Oktober 2021 veröffentlicht.