Sohn Tom (Lars Eidinger) ist Teil einer Familie, die in
Sohn Tom (Lars Eidinger) ist Teil einer Familie, die in "Sterben" mit dem Tod konfrontiert wird.
Jakub Bejnarowicz, Port au Prince, Schwarzweiss, Senator 2024

Sterben ist ein starkes Wort. Alle Menschen müssen sterben, aber nicht alle wollen viel davon wissen. Matthias Glasner reibt es mit einem Film, der nur dieses Wort zum Titel hat, dem Publikum nun aber ordentlich hinein: Sterben ist eigentlich der Grundakkord des Lebens. Natürlich fällt das in den späteren Jahren mehr auf, wenn Geist und Körper allmählich nachlassen. Zum Beispiel bei Lissy Lunies, einer relativ typischen Vertreterin der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft, wie sie nach dem Krieg entstanden ist. Diese Generation macht sich nun ans Sterben.

Lissy hat alle möglichen Krankheiten, versucht aber noch so zu tun, als wäre alles ganz normal. Dass ihr Mann Gerd dement ist, macht sich zwar immer wieder mit unappetitlichen Folgen bemerkbar, aber gut, dann muss er eben in ein Heim. Der Familienname Lunies deutet schon an, dass Matthias Glasner in Sterben nicht von Menschen erzählen möchte, die still und leise in den Tod gehen.

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Das Motiv der Verrücktheit (die Lunies als loonies oder als lunatics) ist die ganze Zeit gegenwärtig. Nicht in einem pathologischen Sinn, aber in einer gewissen Distanz zum normalen Leben. Als stünden sie zugleich über und unter den Dingen: Mutter Lissy, die halb blind noch Auto fährt, Sohn Tom, der als Dirigent mit den höchsten Aufschwüngen der Kunst zu tun hat, Tochter Ellen, die sich lieber saufend die Kante gibt. Überall fehlt der Sicherheitsabstand zu diversen Gefährdungen, überall ist ein bisschen Sein zum Tode schon mitten im Leben.

Im deutschen Kino ist Matthias Glasner einer, der mit den Suggestionen des Radikalen spielt. Schon frühere Titel gravierten ins Grundsätzliche: Der freie Wille (2006, ein Thriller über einen Sexualstraftäter, der sich weit in dessen Perspektive hineinwagte), oder Gnade (2010), da ging es um Fahrerflucht und Existenzextreme im hohen Norden. Glasner hat immer wieder längere Pausen zwischen seinen Filmen, fast so, als wären seine Überdosen eben nur alle paar Jahre zumutbar.

Starparade

Sterben hatte nun dieses Jahr auf der Berlinale Premiere, und beim Deutschen Filmpreis vor wenigen Tagen stand es bis zum Ende des Abends Spitz auf Knopf. Man konnte Glasner die Anspannung deutlich ansehen, ob sein großer Wurf auch die Gnade der Filmakademie erfahren würde. Bei der besten Regie fiel er noch durch, eine Lola für den besten Film gab es aber am Ende doch.

Das mag auch daran liegen, dass Glasner schon mit seiner Starparade die Sehnsucht nach einem großen deutschen Kino bedient, das sich vor Hollywood nicht verstecken muss. Corinna Harfouch spielt Lissy, Lars Eidinger ist Tom, Lilith Stangenberg verausgabt sich als Ellen, Ronald Zehrfeld präsentiert seine Leibesfülle. Harfouch und Eidinger haben als Mutter und Sohn eine Szene, in der Familie als Todeszone erkennbar wird: Wenn jemand schon im Mutterleib nicht gewollt war, gibt es dann überhaupt noch eine Chance auf Glück? Eidinger könnte das ohne weiteres als großes Drama interpretieren, sogar als Tragik. Aber in seinem Temperament steckt eben immer auch die Farce, und Glasner reichert seine Geschichte mit zahlreichen Kleinigkeiten an, die tiefen Ernst mit Banalitäten konfrontieren.

Schweres Pathos

Dass Sterben insgesamt einen eher zwiespältigen Eindruck hinterlässt, liegt aber auch an einem zentralen Moment der Konstruktion: Denn Tom, der Dirigent, tüftelt an der Interpretation einer Symphonie, an der sein depressiver Freund Bernard (Robert Gwisdek) bis zuletzt arbeitet. Hier geht Glasner sichtlich auf das Ganze einer Überlegung, wie sich die Kunst und der Tod zueinander verhalten.

Sterben wird vor diesem Hintergrund selbst zu einer Symphonie, die alles das in sich aufzuheben versucht, was der Film an letzten Fragen vor sich herträgt. Zwischen Beethoven oder Messiaen und Lorenz Dangel, dem Komponisten der Filmmusik zu Sterben, besteht allerdings ein Unterschied, den Glasner nur mit Pathos einholen kann. Und an diesem Pathos verhebt sich Sterben wie schon an der nur scheinbar lakonischen, negativen Wucht seines Titels. (Bert Rebhandl, 15.5.2024)