SPD-Urgestein attackiert „Schachtelteufel“ Friedrich Merz
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SPD-Urgestein Renate Schmidt attackiert CDU-Chef und „Schachtelteufel“ Friedrich Merz

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Laut Ex-Familienministerin Renate Schmidt sind die schlechten Wahlergebnisse der Bayern SPD unverdient. Die besondere Situation der Bayern-SPD werde zu wenig gesehen.

München – Sie ist gerade erst 80 geworden, die Frau, die wie keine andere für die guten Zeiten der Bayern-SPD steht. Renate Schmidt ist so schlagfertig wie eh und je, als wir sie zum Weihnachtsinterview sprechen. Ein Gespräch über Glauben, die SPD und warum sich die „rote Renate“ jetzt einen Rollator gekauft hat.

Frau Schmidt, haben Sie an ihrem 80. Weihnachtsfest spezielle Wünsche?

Persönliche Wünsche habe ich so gut wie keine, außer Büchern, wobei sich Bücher bei mir schon stapeln. Ansonsten hoffe ich, dass wir irgendwann wieder eine friedlichere Welt haben. Aber dieser Wunsch wird sich im nächsten Jahr wohl nicht erfüllen.

Ist Ihnen angesichts all der Krisen überhaupt nach Besinnlichkeit zumute?

Ich finde schon, dass man es für die eigene seelische Gesundheit braucht, sich Auszeiten von allem Äußeren zu nehmen. Weihnachten ist ein Fest der Hoffnung und es wäre das Falscheste überhaupt, sich da rauszunehmen. Aber was man schon tun kann, ist, die Geschenke etwas weniger üppig ausfallen zu lassen, und das übrige Geld denen zu geben, die es dringender brauchen als man selbst.

Renate Schmidt
Renate Schmidt (SPD), Ex-Bundesgesundheitsministerin. © Michael Matthey/dpa/Archivbild

Renate Schmidt bedauert schlechte Wahlergebnisse der Bayern SPD: „Mein SPD-Schmerz ist groß“

Sie haben in Ihrem Leben mit der Kirche schwer gehadert, aber den Glauben nie aufgegeben.

Ich bin ein gläubiger Mensch mit vielen, vielen Zweifeln. Es ist manchmal unvorstellbar, dass es ein Wesen gibt, das uns in diesem riesigen Universum sieht und uns als einzelne annimmt. Aber ich halte mich an all den Naturwissenschaftlern fest, die angesichts dieses Wunders, das uns umgibt, dennoch gläubig sind.

Heißt das, am Ende aller Wissenschaft steht Gott?

Es kann nicht etwas aus nichts entstehen. Auch den Urknall muss irgendwas ausgelöst haben. Ich lese viel dazu und bin überzeugt, dass es eine Instanz über alles Fassbare hinaus gibt. Mit dieser Unvorstellbarkeit müssen wir leben.

Jetzt fällt der Übergang zur Politikerin Renate Schmidt schwer...

(lacht) Ich bin auch gespannt, wie Sie das machen.

Sie mischen sich fast nie in die Tagespolitik ein. Reizt sie die Rolle der Elder Stateswoman nicht?

In diesem Jahr kann ich mich über mangelnde Aufmerksamkeit nicht beklagen. Ich war allgegenwärtig, was meinem 80. Geburtstag geschuldet war. Ansonsten halte ich nicht viel davon, wenn die Oldies glauben, sie müssten denen, die das schwierige Alltagsgeschäft erledigen, ständig reingackern.

Ihr Name steht für die guten Zeiten der Bayern-SPD, die vorbei sind. Wie sehr schmerzt Sie der Bedeutungsverlust der Partei?

Mein SPD-Schmerz ist groß – und ich finde das wahrlich grottenschlechte Ergebnis der letzten Wahl unverdient.

Wie erklären Sie sich die 8,4 Prozent?

Es gab keinen Rückenwind aus Berlin, im Gegenteil. Das war eher Gegenwind, der da wehte. Wichtige Themen von Wohnungsnot bis soziale Gerechtigkeit verschwanden hinter Aiwanger und Migration. Ich wünsche meinen Genossinnen und Genossen, dass sie die Stange halten und versuchen, ihre Themen mehrheitsfähig zu machen.

Vorwürfe gegen Arif Tasdelen laut Schmidt „Pipifax“

Liegen die Ursachen nicht tiefer? Der Nicht-Skandal um den früheren Generalsekretär Arif Tasdelen wirkte, als habe die SPD Lust auf Selbstdemontage.

Die Vorwürfe gegen Arif waren Pipifax, dabei bleibe ich. Damals habe ich mich ausnahmsweise eingemischt, weil es notwendig war.

Zwei Juso-Frauen klagten, Tasdelen habe sich „unangemessen“ verhalten. Sie blieben anonym, die Vorwürfe wolkig, Tasdelen trat zurück...

Ich kann nicht beurteilen, ob sich die Jusos inzwischen von ihrer Selbstdefinition als feministischer Kampfverband etwas gelöst haben. Dass junge Leute übers Ziel hinausschießen, ist auch mir in meiner Zeit als SPD-Landeschefin mehr als einmal passiert. Das muss man zähneknirschend ertragen und versuchen, es in Ordnung zu bringen.

Hadert die Feministin Renate Schmidt mit dieser Art von Feminismus?

Mir gleitet das zu sehr in die identitäre Richtung ab. Ich werde zum Beispiel immer darauf achten, dass in der Sprache Frauen und Männer gleichermaßen vorkommen. Schülerinnen und Schüler, so viel Zeit muss sein. Aber dieses Schluckaufsprechen werde ich niemals praktizieren. Gleichzeitig finde ich es genauso hanebüchen, das Gendern verbieten zu wollen wie Markus Söder. Für mich ist Feminismus der Kampf um gleiche Bezahlung und gleiche Chancen. Davon sind wir noch weit entfernt.

„Schachteufel Friedrich Merz“ – Schmidt ist „insgesamt froh“ über Scholz als Bundeskanzler

Was fehlt der Bayern-SPD? Kantige Köpfe, klare Inhalte, das Bayern-Gen?

Ich beteilige mich nicht an diesem Bashing. Die besondere Situation der Bayern-SPD wird viel zu wenig gesehen. Sie steht einer Partei gegenüber, die Regional- und Bundespartei ist. Das heißt, die CSU bekommt Wahlkampfkosten-Erstattung für Bundestags-, Landtags- und Europawahlen, die SPD nur für Landtagswahlen. Die Folge ist, dass wir uns in einem Wahlkreis eine Halbtagskraft leisten können, während die CSU sechs Vollbeschäftigte hat. Der Ministerpräsident sitzt außerdem in jeder Talkshow, obwohl er im Bund nichts zu sagen hat. Das Ungleichgewicht ist riesig.

Sie sind ein Klartext-Charakter. Treibt Sie der oft verdruckste Kanzler nicht in den Wahnsinn?

In den Wahnsinn nicht. Insgesamt bin ich froh, dass wir Olaf Scholz als Kanzler haben und nicht den Schachtelteufel Friedrich Merz. Aber ja, in diesen schwierigen Zeiten braucht es mehr Erklärung. Das gelingt Scholz im Regierungsgeschäft leider oft nur unterdurchschnittlich.

Stärkt er so die Rechten?

Ich würde sagen, der momentane Zeitgeist ist rechts, leider auch bei jungen Leuten. Gott sei Dank sind wir, die Demokratinnen und Demokraten, noch in der großen Mehrheit. Ich sage bewusst noch. Unsere Demokratie war nie so sehr in Gefahr, zu einer Autokratie zu werden, wie jetzt. Wir müssen sie besser schützen. Ich versuche gerade, mit Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus anderen politischen Lagern in Nürnberg einen Pakt für Demokratie zu installieren. Mal sehen, ob das gelingt.

Schmidt will kämpferisch bleiben – Pläne nach Abschied aus Politik

Die AfD ist vor dem Wahljahr 2024 so stark wie nie. Haben Sie ein Rezept?

Alle demokratischen Parteien müssen klarmachen, dass sie im Zweifel gemeinsam gegen die Ewiggestrigen antreten, die für nichts eine Lösung haben. Nicht nur die Politik, auch die Medien müssten den Menschen erklären, was passieren würde, wenn das AfD-Programm umgesetzt würde. Wir alle würden in einer anderen Welt aufwachen, aber sicher in keiner besseren.

Sie sagten kürzlich, Sie hätten Ihr Ziel, die Welt etwas besser zu machen, verfehlt. Das klang resigniert...

Bin ich aber nicht. Ich bleibe kämpferisch, um am Ende sagen zu können, ich habe doch noch was bewegt. Aber wenn ich jetzt sofort abtreten müsste, hätte ich das Ziel wohl verfehlt. Dass meine Kinder, Enkel und Urenkel in so einer Welt leben müssen, hätte ich nicht gedacht.

Nach Ihrem Abschied aus der Politik sagten Sie, Sie wollten wieder unbekannt werden. Ist das gelungen?

Ein bisschen, aber nicht ausreichend (lacht). Viele erkennen mich sogar an meiner Stimme. Immerhin: Die Menschen wissen oft nicht, wo Sie mich genau hintun sollen. Ich nähere mich also dem Unbekanntsein langsam an.

Dürfen wir so direkt fragen? Wie geht es Ihnen?

Altersgemäß. Der Kopf ist klar, die Knie knirschen. Ich habe mir einen Rollator angeschafft, weil man in meinem Alter unbedingt vermeiden muss, zu stürzen und sich etwas zu brechen.

Sie haben eine große Familie. Gibt es also auch ein großes Weihnachtsfest?

Ich habe zwei Urenkel, fünf eigene und zwei angeheiratete Enkel. Und die drei Kinder natürlich. Aber die große Runde mit 30 Personen hatten wir schon zum Geburtstag. An Heiligabend sind wir zu zweit und am nächsten Tag bei meinem Sohn.

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