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Zweiter Weltkrieg Gefälschtes Tagebuch

Wie Eva Braun wirklich mit Hitler lebte

Vater-Tochter-Verhältnis oder intime Liebschaft? Eine angebliche Quelle wirft ein neues Licht auf die Beziehung von Hitler und Eva Braun – doch die Historikerin Heike B. Görtemaker ist skeptisch.

Ihr Verhältnis zu Adolf Hitler ist mythenumrankt: War Eva Braun nun die Geliebte des Diktators, hatten sie eine ganz normale sexuelle Beziehung? Oder war er asexuell, also gar nicht an körperlicher Intimität interessiert? Angesichts solcher Ungewissheit erhält jede Quelle zum Leben der Frau, die im Führerbunker Hitler heiratete und einen Tag später mit ihm Selbstmord beging, Aufmerksamkeit. Kürzlich ist ein Tagebuch (Verlag capybarabooks, 120 S., 16,95 Euro) aufgetaucht, das Eva Braun während einer Reise nach Luxemburg 1942 verfasst haben soll. Die beste Kennerin von Eva Brauns Leben ist die Potsdamer Historikerin Heike B. Görtemaker. Nach dem Welterfolg ihrer Braun-Biografie arbeitet sie jetzt an einem neuen Buch zum Hofstaat Hitlers, das bei C. H. Beck erscheinen wird.

Die Welt: Halten Sie das Luxemburger Tagebuch für eine Fälschung?

Heike B. Görtemaker, Historikerin und Biografin von Eva Braun
Heike B. Görtemaker, Historikerin und Biografin von Eva Braun
Quelle: Privat

Heike B. Görtemaker: Auf jeden Fall. Bereits nach kurzer Lektüre wird klar: Das kann nicht echt sein. Denn darin tauchen Versatzstücke des einzigen bisher bekannten echten Tagebuchfragments von Eva Braun aus dem Jahr 1935 ebenso auf wie in Memoiren überlieferte Details über ihr Leben mit Hitler. Außerdem weist der Text über das Jahr 1942 hinaus auf die kommende Entwicklung hin, bezieht sogar schon den Untergang des Dritten Reichs ein.

Die Welt: Also eine Fiktion?

Görtemaker: Genau genommen eine Satire, die durch die naiv-dümmliche Brille der Hitler-Geliebten sowohl die NS-Elite als auch prominente Deutsche und Luxemburger der damaligen Zeit aufs Korn nimmt. Die Herausgeber wollten vermutlich einen Coup landen, um Aufmerksamkeit für ihren Verlag zu erregen.

Die Welt: Was verraten denn die 22 wohl echten Tagebuchseiten von 1935 über Eva Braun?

Görtemaker: Sie ist in Hitler, der doppelt so alt war wie sie, verliebt – allerdings schenkt er ihr nicht die gewünschte Aufmerksamkeit. Eva ist deshalb verzweifelt. Diese Seiten könnte fast jede 23-Jährige geschrieben haben, die Gefühle für einen älteren Mann hegt, die nicht gleichermaßen erwidert werden. An sich nichts Außergewöhnliches für ein junges Mädchen. Brisant wird es aber bei der Andeutung eines zweiten Selbstmordversuchs – den ersten unternahm sie 1932 mit der Pistole ihres Vaters. Das zeigt: Diese Frau war bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Ein Leben ohne Hitler kam für sie nicht infrage. Mit dieser extremistischen Geisteshaltung, dem „Alles oder nichts“, passte sie sehr gut zu ihm.

Die Welt: Galt das auch in politischer Hinsicht? Teilte sie Hitlers Rassenwahn und Antisemitismus?

Görtemaker: Zwar liegen uns nur wenige Selbstzeugnisse Eva Brauns vor; der heutige Blick auf sie wird zum Großteil von Erinnerungsliteratur dominiert. Dennoch kann man sagen: Sie trug wie alle Frauen und Männer des „inner circle“ auf dem Obersalzberg Hitlers Weltanschauung mit, verinnerlichte sie und feierte ihn als Helden. Es war ein Kreis der Zeugen und Überzeugten.

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Die Welt: Sie war also eine politische Frau?

Görtemaker: Jedenfalls sind die gängigen Klischees von Eva Braun als dumme, selbstbezogene und ignorante Freundin Hitlers völlig überzogen. Sie hatte überdies eine Funktion auf dem Berghof: Sie arbeitete ihrem früheren Chef, dem Fotografen Heinrich Hoffmann zu, verkaufte ihm Propagandafotos, die sie vom Privatmann Adolf Hitler machte – als nettem, fürsorglichem Familienmenschen. Sie strickte mit am Bild des „Führers“, das in die Öffentlichkeit transportiert wurde. Keineswegs war sie das dumme „Tschapperl“.

Eva Braun im Abendkleid. Undatiertes Foto, vermutlich aus den frühen 1930er-Jahren
Eva Braun im Abendkleid. Undatiertes Foto, vermutlich aus den frühen 1930er-Jahren
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Die Welt: Über Hitlers Privatleben wird viel spekuliert; die Thesen reichen bis zu Homo- oder Asexualität. Hatten er und Eva Braun eine intime Beziehung? Oder handelte es sich um ein rein freundschaftliches, vielleicht sogar ein Verhältnis wie zwischen Vater und Tochter?

Görtemaker: Auch das lässt sich mangels authentischer Quellen nicht eindeutig klären. Die Vater-Tochter-Beziehung mag nicht ganz abwegig sein: Eva Brauns Eltern führten keine harmonische Ehe, sie ließen sich scheiden, heirateten wieder, es war kompliziert. Gut möglich, dass Eva in Hitler eine Art Vaterfigur gesehen hat, wenngleich am Anfang ihrer Beziehung – sie kannten sich seit 1929 – viel stärker als in ihrem Fortlauf. Beziehungen sind dynamisch. Ihre wurde vor allem nach Evas Selbstmordversuch 1932 enger; Hitler schenkte ihr mehr Aufmerksamkeit, vermutlich aus Schuldgefühlen und aus Angst vor weiteren Skandalen – immerhin hatte sich ein Jahr zuvor seine Nichte Geli Raubal das Leben genommen.

Die Welt: Das heißt also ...

Görtemaker: ... ja, ich glaube, die beiden führten eine mehr oder weniger normale Beziehung, auch in sexueller Hinsicht.

Die Welt: Wie stichhaltig ist das Argument, Hitler habe sich durch die Liebschaft mit Eva Braun andere Frauen vom Leib halten wollen?

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Görtemaker: Das ist Unsinn. Wenn dem so wäre, hätte er Eva Braun nicht geleugnet und versteckt. Die Fotos vom Obersalzberg, die für die Öffentlichkeit bestimmt waren, sind alle gestellt; Eva wurde stets herausgeschnitten. Jeder auf dem Berghof war zu absolutem Stillschweigen über ihre Rolle in Hitlers Leben verpflichtet. Andere Frauen auf Abstand zu halten konnte nicht der Grund für ihre Beziehung sein.

Die Welt: Was machte Eva Braun dann so reizvoll für Adolf Hitler?

Görtemaker: Die bedingungslose Treue ihm gegenüber, die sie mit mindestens einem Selbstmordversuch unter Beweis stellte. Mit ihr hatte Hitler jemanden, auf den er sich verlassen konnte, der immer da war. Ob er sie liebte, ist nicht bekannt, aber auf jeden Fall bedeutete sie ihm etwas. Sie genoss Hitlers Vertrauen – und hatte dadurch eine Machtposition auf dem Berghof. Stets versuchten andere, sie einzuladen oder gar für sich einzunehmen; sie hatte eine Schlüsselstellung durch ihre Nähe zum „Führer“.

Die Welt: Eine solche Nähe, dass sie mit ihm bis in den Tod ging ...

Heike B. Görtemaker: "Eva Braun. Leben mit Hitler" (Verlag C. H. Beck, 366 S., 12,90 Euro)
Heike B. Görtemaker: "Eva Braun. Leben mit Hitler" (Verlag C. H. Beck, 366 S., 12,90 Euro)
Quelle: C. H. Beck

Görtemaker: ... ihr Entschluss, ins zerstörte Berlin zu gehen und sich am 30. April 1945 im Führerbunker gemeinsam mit ihm das Leben zu nehmen, mit 33 Jahren, zeigt eine tiefe Überzeugung, Konsequenz und Härte. Die Oberflächlichkeit, die ihr immer unterstellt wurde, ist falsch. Wäre sie in München geblieben, hätte sie ein gutes Leben gehabt; sie wäre befragt worden, aber nicht verurteilt, die Journalisten hätten sich um sie gerissen. So hätte vielleicht die Frau aus dem Luxemburger Tagebuch gehandelt, nicht aber die echte Eva Braun.

Die Welt: Ist es hilfreich, solch ein gefälschtes Tagebuch zu veröffentlichen?

Görtemaker: Es zeigt zumindest, dass Eva Braun immer noch im Gespräch ist. Kaum jemand bewegt die mediale Öffentlichkeit so wie diese Frau. Es gibt fast keine Quellen über sie, vieles liegt noch immer im Dunklen – das angebliche Tagebuch stößt in dieses Vakuum. Zeitzeugenberichte sind oft nicht wahr; in meiner Biografie über Eva Braun wollte ich tiefer blicken und fragen: Wer war diese Frau wirklich? Das versuche ich auch in meinem nächsten Buch über Hitlers Hofstaat. Es gab ja nicht nur Hitler und Göring und Goebbels, sondern viele weitere Menschen im innersten NS-Zirkel. Wie haben sie eigentlich gedacht, was haben sie gefühlt? Dazu gibt es viel mehr Quellen, als wir denken. Es ist wichtig, sie zu sichern.

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