FormalPara Was folgt warum?

Wir wollen uns nun mit der Theorie beschäftigen, die die Idealwelt der Neoklassik infrage gestellt hat. Die Neoklassik war die allein gültige Makrotheorie bis es 1929 zur Weltwirtschaftskrise kam und damit zu:

  • dauerhaftem Investitionseinbruch

  • in der Folge zu Überkapazitäten

  • fortgesetzter Massenarbeitslosigkeit

    (rd. 6 Mill. 1932 in Deutschland)

  • einer Schrumpfung des Konsums, der Weltproduktion und des Welthandels

Die Regierungen reagierten auf die Steuerausfälle mit Gegenmaßnahmen, indem sie die Staatsausgaben einschränkten und die Bevölkerung zum Sparen aufriefen. Aber die Situation verschlimmerte sich. Trotz Preis- und Reallohnsenkungen kam es zu anhaltender Überproduktion und Massenarbeitslosigkeit. Obwohl die Menschen mehr arbeiteten und eine bessere Güterversorgung wollten, blieben Arbeitslosigkeit und Überproduktion. Die Selbstheilungskräfte des Marktes versagten.

Die Keynesianische Theorie befasst sich mit Handlungen, Auswirkungen und Folgen für die Wirtschaft in Ausnahmesituationen, wie z. B. in einer Depression. Diese Theorie entstand als Folge der Weltwirtschaftskrise 1929 mit Investitionsausfällen, einem Güterüberangebot und einer Massenarbeitslosigkeit, welche mehr als 25 % der Erwerbstätigen betraf, und eine entsprechende Senkung des Konsums zur Folge hatte. Da laut Keynes die effektive Nachfrage für die Produktion ausschlaggebend ist, greift hier das Saysche Theorem nicht, bei welchem sich das Angebot die Nachfrage selbst schafft. Keynes war der international bekannteste und einflussreichste Vertreter einer nachfrageorientierten Makrotheorie. Sein Hauptwerk von 1936 „The General Theory of Employment, Interest and money“ ist nach Adam Smiths „Wealth of Nation“ das bedeutendste ökonomische Buch. Als Einstieg in das Thema Keynes und seine nachfrageorientierte Theorie empfiehlt sich einer der vielen Videos auf You Tube über die große Depression 1929.

Lernziele

Sie sollen die wesentlichen Inhalte der Keynesianischen Theorie und die Unterschiede zur Neoklassik mit eigenen Worten wiedergeben können und sie anhand von Zahlenbeispielen anwenden können.

6.1 Case Study: Die Weltwirtschaftskrise

Die kreislauftheoretisch und psychologisch ausgerichtete, von John Maynard Keynes unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise (1928–1933) begründete Theorie sieht die Ursache für die anhaltende Arbeitslosigkeit in einem Nachfragemangel auf den Gütermärkten. Laut Keynes ist die effektive Nachfrage für die Produktion ausschlaggebend und nicht das Angebot wie es das Saysche Theorem sagt. Wie kam er zu dieser Aussage? Er beobachtete die wirtschaftliche Entwicklung während der Weltwirtschaftskrise und stellte einige Widersprüche zur Neoklassik fest. Mankiw trug die Entwicklung der Weltwirtschaftskrise in Zahlen zusammen (vgl. Tab. 6.1). Diskutieren Sie in Gruppen was ihnen an der Entwicklung der volkswirtschaftlichen Zahlen auffällt. Welche Entwicklung steht Widerspruch zur neoklassischen Theorie?

Tab. 6.1 Entwicklung der Weltwirtschaftskrise (Erläuterung: Reales BNP, Konsum, Investitionen und staatliche Güterkäufe in Mrd. US$ zu Preisen von 1958. Zinssatz: „Prime Commercial Paper rate“ Laufzeit 4–6 Monate. Geldangebot: Bargeld + Sichteinlagen in Mrd. US$. Das Preisniveau ist der BNP-Deflator (1958 = 100). Die Inflationsrate ist die prozentuale Veränderung der Preisniveaureihe. Reale Kassenbestände Preise zu 1958 in Mrd. US$ als Quotient von Geldangebot und Preisniveau multipliziert mit 100. Sparquote eigene Berechnung als Quotient aus Konsum und BNP). (Quelle: Mankiw, N. Gregory: Makroökonomie, 4. Auflage, Stuttgart 2000, S. 330)

Interpretation

Bruttonationalprodukt

Man sieht als erstes, dass das BNP von 1929 bis 1933 um mehr als ein Viertel sinkt. Parallel steigt die Arbeitslosenquote von 3,2 % auf 25,2 %. Die Staatsausgaben steigen leicht von 1929 bis 1931 von 22 Mrd. US$ auf 25,4 Mrd. US$ und fallen danach bis 1933 auf 23,3 Mrd. US$. Ähnlich verhält sich das Geldangebot. Es sinkt von 1929 von 26,6 Mrd. US$ auf 19,9 Mrd. US$ in 1933, um dann wieder zu steigen. Hingegen fallen die Preise 1930 um −2,6 %, in 1931 um −10,1 % und 1932 um −9,3 %. Hier offenbart sich der erste Widerspruch zur Neoklassik: obwohl die Preise fallen, steigt nicht die allgemeine Güternachfrage. Im Gegenteil: Nachfrage, also die Kapazitätsauslastung und mit ihr das BNP und Preise fallen gleichzeitig, weshalb man auch von einer Depression spricht. Die Nachfrage fällt und die Unternehmen passen die Produktion an, weshalb das BNP und die Beschäftigung fallen. Vor diesem Hintergrund konsumieren die Menschen trotz fallender Preise weniger, weil sie um ihre Beschäftigung fürchten. Die entlassenen Arbeitnehmer können nicht mehr konsumieren, weil es damals keine Sozialhilfe von nennenswertem Umfang gab. Die Menschen ohne Arbeit ernährten sich in Suppenküchen.

Der Trendbruch der wirtschaftlichen Entwicklung ist auf das erste sozial orientierte Programm im Jahr 1933 unter dem US-Präsident Roosevelt, den sog. „New Deal“ zurückzuführen. Aufgrund dieses expansiven Programms steigen ab 1933 die Staatsausgaben wieder kontinuierlich an. Mit der höheren Nachfrage steigt auch wieder die Produktion.

Sparen

Wenn man das Sparen als Differenz zwischen dem angegebenen Konsum und dem Realen BNP schätzt, fällt auf, dass es tendenziell bis 1932 und 1932 fällt, aber 1934 steigt, obwohl der Zinssatz auf 1 % gefallen ist. Das Sparen scheint sich so gesehen unabhängig vom Zins zu entwickeln, was ein weiterer Widerspruch zur Neoklassik ist. Dies gilt dann auch für den Konsum als dem restlichen Teil des Einkommens. Sparen und Konsum fallen mit der Produktion, da die entlassenen Angestellten ohne Einkommen weder sparen noch konsumieren können.

Investitionen

Auffällig ist, dass sich die Investitionen von 40,4 Mrd. US$ in 1929 auf 4,7 Mrd. US$ in 1932 annähernd gezehntelt haben und das, obwohl sich die Zinsen von 5,9 % auf 2,7 % im gleichen Zeitraum mehr als halbiert haben. Sinkende Investitionen trotz sinkendem Zinssatz sind ein Widerspruch zur Neoklassik. Gemäß der Neoklassik ergibt sich über dem Markmechanismus am Kapitalmarkt immer ein Gleichgewicht zwischen Investitionen und Sparen. Sinken bei gegebenem Sparen die Investitionen, werden durch einen sinkenden Zinssatz wieder ausreichende Investitionen angeregt bis wieder I = S gilt. In der großen Depression reagierten die Investitionen aber nicht auf die Zinsen, weil die Unternehmen bereits ihre aktuelle Produktion nicht absetzen konnten und es deshalb keinen Grund gab, in Erweiterungsinvestitionen zu investieren. Anhand dieses Beispiels können wir sehen, dass ohne Renditeerwartungen der Unternehmen der Zinssatz für Kredite unerheblich ist. Hier kann dann auch die Geldpolitik durch Zinssenkungen oder Geldmengenausweitung keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung nehmen.

Es gibt bei Keynes vier zentrale Abweichungen von der neoklassischen Theorie:

  1. 1.

    Die einkommensabhängige Konsum- und Sparfunktion

  2. 2.

    Die von der erwarteten Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals abhängige Investitionsfunktion

  3. 3.

    Die Liquiditätspräferenztheorie im Geldmarkt

  4. 4.

    Starrheiten von Preisen und Löhnen

6.2 Case Study: Keynes und die Relevanz seiner Theorie am Beispiel der Finanzkrise

Ein Quantum Keynes

Von Jürgen Eustachi

„Sag niemals nie“ (1983), heißt der letzte James-Bond-Film mit Sean Connery in der Titelrolle. John Maynard Keynes starb bereits 1946. Seine Lehren wurden totgesagt. Aber Totgesagte leben länger. Im Angesicht des Todes der Konjunktur, wie jetzt in der globalen Finanz- und aufziehenden Weltwirtschaftskrise, kommt er wieder zu Ehren: der Mann mit dem goldenen Pfad, der aus der Katastrophe führt.

Super-Agent Keynes wird immer dann gebraucht, wenn die Not am größten ist. Es gab nur 2 Ökonomen, deren Namen als -ismus bekannt wurden: Karl Marx und Keynes. Der entscheidende Unterschied zwischen Marxisten und Keynesianern besteht darin, dass Erstere an den Untergang des Kapitalismus glauben, Letztere aber an die Möglichkeit seiner Rettung. Heute ist Weltretter John Maynard Keynes mindestens so angesagt wie das Kraftpaket Daniel Craig im neuen Bond: Wie Craig bietet Keynes ein Quantum Trost – und noch viel mehr.

Gut in Schuss ist der Keynesianismus auch mehr als 70 Jahre nach seiner Erfindung. Während die Finanzkrise wie ein Feuerball um den Globus fegt und Angst und Schrecken verbreitet, bedienen sich Regierungen in aller Welt der Instrumente, die Keynes im Februar 1936 in seinem Hauptwerk „Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“ lieferte: Staaten schnüren Rettungsprogramme für die Wirtschaft. Die westliche Welt stellt allein für den Finanzsektor 2600 Mrd. € zur Verfügung. Dazu kommen noch viele staatlich finanzierte Konjunkturprogramme, wie das in Deutschland.

15 Einzelmaßnahmen von der Sicherung der Kreditversorgung vor allem des Mittelstands bis zum beschleunigten Ausbau der Verkehrsinfrastruktur sollen bis 2010 Investitionen von 50 Mrd. € auslösen und damit die aufziehende Krise mildern. Das Ziel, spätestens 2011 einen ausgeglichenen Staatshaushalt ohne Neuverschuldung zu schaffen, wurde aufgegeben. Das ist Keynesianismus pur. Und es ist genau das Richtige in dieser Situation. Sollte sich herausstellen, dass Rettungspakete und Konjunkturprogramme nicht ausreichen, um die Krise zu zähmen, werden die Regierungen nicht zögern, noch mehr Keynes nachzulegen.

Was aber kann Keynes besser als frühere oder spätere Ökonomen? Was macht ausgerechnet ihn zum Supermann der Volkswirtschaft, zum Einstein der Ökonomie? James Bond kommt mit Stunts und Spezialeffekten zum Ziel, die nicht selten Naturgesetze der Physik außer Kraft setzen. Und Keynes Spezialwaffe zum Knacken von Konjunkturkrisen ist so genial, dass sie nicht nur früher gültige ökonomische Gesetzmäßigkeiten und Lehren aushebelt, sondern auch neuere wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftspolitische Konzepte alt aussehen lässt.

Am 24. Januar 1929, am Schwarzen Donnerstag, brachen an der New Yorker Börse die Aktienkurse massiv ein. Weltweit breitete sich Panik bei Anlegern aus. Die Weltwirtschaftskrise mit einer Welle von Firmenpleiten und Massenarbeitslosigkeit begann und erreichte erst 1932 die Talsohle. In Deutschland zerbrach auch unter dem Druck der Wirtschaftskrise die Weimarer Republik. Genau das und auch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatte Keynes messerscharf vorausgesagt. Als Chef der britischen Finanzdelegation hatte er ab 1919 an der Versailler Friedenskonferenz teilgenommen und vergeblich zu verhindern versucht, dass Deutschland die alleinige Kriegsschuld und hohe Reparationszahlungen aufgebürdet bekam.

Volkswirte standen der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ratlos gegenüber. Das Weltbild der damaligen Neoklassik war geprägt vom Glauben an die Selbstheilungskräfte des Marktes. Sie unterstellte, dass Märkte immer wieder von selbst zum Gleichgewicht fänden, wenn sie nur nicht von außen, vom Staat, gestört würden. Die Neoklassiker hatten das Markt-Modell des schottischen Moralphilosophen und Begründers der Nationalökonomie, Adam Smith, weiterentwickelt. Der Vater der Marktwirtschaft veröffentlichte 1776 sein Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“. Darin setzte er das Konzept der „unsichtbaren Hand“ der freien Märkte – die Umwandlung von Eigennutz in Gemeinnutz – gegen den damals herrschenden Merkantilismus mit starken staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft durch.

Eine so lang anhaltende tiefe Krise wie nach dem Börsenkrach von 1929 hätte es nach dem Weltbild der Neoklassik gar nicht gebe dürfen. Diese Welt war Keynes nicht genug. Die Neoklassik war ihm intellektuelles Blendwerk. Er führte den zuvor ausgeklammerten menschlichen Faktor, die Psychologie, die Erwartungen der Marktteilnehmer als zentrales Element des Wirtschaftsgeschehens ein. Mache sich Pessimismus breit, so Keynes, dann halte jeder Konsument und Investor sein Geld fest. Der Glaube an die Krise schafft die Krise.

Aus solch einer Situation helfe auch die Geldpolitik mit der Senkung von Leitzinsen nicht mehr heraus. Unternehmen investierten nicht in erster Linie dann, wenn die Zinsen niedrig seien, sondern wenn die erwarteten Renditen aus Sachinvestitionen höher seien als die aus Finanzanlagen, so Keynes. In einer Welt von Ängsten und Unsicherheiten lande die Wirtschaft in der Liquiditätsfalle. Nur eine staatliche Konjunkturpolitik könne die Märkte aus dieser Falle befreien und Massenarbeitslosigkeit bekämpfen. Zu diesem Zweck dürfe der Staat auch Schulden machen, die in guten Jahren wieder getilgt werden könnten. Ein Problem der Umsetzung des Keynesianismus ist, dass der Politik das Schuldenmachen in schlechten wie in guten Zeiten leichter fällt als das Tilgen.

Keynes, der selbst ein Vermögen an der Börse machte, sah auch schon die Gefahren eines hyper-spekulativen Kasino-Kapitalismus: „Spekulanten mögen als Seifenblasen auf einem steten Strom des Unternehmertums keinen Schaden anrichten. Aber die Lage wird ernsthaft, wenn das Unternehmertum die Seifenblase auf dem Strudel der Spekulation wird. Wenn die Kapitalentwicklung eines Landes das Nebenerzeugnis der Tätigkeiten eines Spielkasinos wird, wird die Arbeit voraussichtlich schlecht getan werden.“ Die Arbeit wird heute schlecht getan.

Der New Deal des US-Präsidenten Roosevelt in den 1930er Jahren war inspiriert von Keynes, der damit zum Star-Ökonomen avancierte. In den 1980er Jahren erteilte US-Präsident Reagan dem Monetaristen Milton Friedman die Lizenz zum Töten des Keynesianismus. Friedman und weitere Neoliberale propagierten ihre unternehmens- und kapitalfreundliche Angebotspolitik. Doch die hemmungslose Deregulierung der Finanzmärkte brachte nicht die Erlösung vom Übel staatlicher Zügel, sondern eine üble Erlösung der Profitgier von jeglicher Kontrolle. Im abgewirtschafteten Kasino Global hilft jetzt nur ein gutes Quantum Keynes.

SEIN NAME WAR KEYNES – JOHN MAYNARD KEYNES

LEBEN

Sir John Maynard Keynes, der bedeutendste Ökonom des 20. Jahrhunderts, war ein Lebemann und Draufgänger. Er bedauere lediglich, dass er in seinem Leben nicht genug Champagner getrunken habe, sagte er kurz vor seinem Tod. Er starb am 21. April 1946. Am 6. Juni 1883 wurde er als Sohn des liberalen Wirtschaftsprofessors John Neville Keynes in der ostenglischen Universitätsstadt Cambridge geboren.

Nach seiner Ausbildung an den Elite-Instituten Eton und King’s College in Cambridge, wo er ab 1908 selbst forschte und unterrichtete, war Keynes sein Leben lang Politikberater. Dass er als junger Mann bei der Aufnahmeprüfung für den öffentlichen Dienst ausgerechnet im Fach Volkswirtschaft die schlechteste Note bekam, erklärte der „Einstein der Ökonomie“ später damit, dass die Prüfer wohl weniger wussten als der Prüfling.

Keynes, ab 1942 auch Lord Keynes of Tilton mit Sitz im britischen Oberhaus, war erfolgreicher Börsenspekulant, Kunstsammler und Mitglied der damals berühmten liberalen Bloomsbury-Gruppe der Schriftstellerin Virginia Woolf. Zwischen 1908 und 1915 war er mit dem Kunstmaler Duncan Grant liiert; 1925 heiratete er die Balletttänzerin Lydia Lopokova.

SPRÜCHE

„Langfristig sind wir alle tot. Ökonomen machen es sich zu leicht, wenn sie uns in stürmischen Zeiten nicht mehr zu erzählen haben, als dass der Ozean wieder ruhig ist, wenn sich der Sturm gelegt hat.“

„Drei Dinge treiben den Menschen zum Wahnsinn. Die Liebe, die Eifersucht und das Studium der Börsenkurse.“

„Um die Zukunft einer Geldanlage abschätzen zu können, müssen wir die Nerven, Hysterien, ja sogar die Verdauung und Wetterfühligkeiten jener Personen beobachten, von deren Handlungen diese Geldanlage weitgehend abhängt.“

„Die Wirtschaftswissenschaften sind wesentlich eine Moralwissenschaft und keine Naturwissenschaft.“

„Der Kapitalismus basiert auf der merkwürdigen Überzeugung, dass widerwärtige Menschen aus widerwärtigen Motiven irgendwie für das allgemeine Wohl sorgen werden.“

HAUPTWERK

„Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“; Verlag Duncker & Humblot; 10. verbesserte Auflage; 343 Seiten; 38 €. Das Buch hat nach Auskunft des Verlags zurzeit gute Konjunktur. (jeu)

6.3 Die Konsumfunktion

Die Konsumfunktion beschreibt den Zusammenhang zwischen Konsum und Einkommen. Der Konsum ist nur von dem Einkommen der laufenden Periode abhängig, wodurch sich Keynes deutlich vom neoklassischen Modell abgrenzt, bei welchem der Konsum vom Zins abhängt.

Für die makroökonomische Konsumfunktion beschränkt sich Keynes auf die wichtigste Einflussgröße und postuliert, dass mit steigendem Volkseinkommen (Y) die gesamtwirtschaftliche Konsumnachfrage (C) steigt, aber unterproportional (fundamental-psychologisches Gesetz)

$$ {\text{allgemein}}{\mkern 1mu} {\text{gilt}}:{\text{C}} = {\text{C}}\left( {\text{Y}} \right),\;{\text{speziell}}\;{\text{gilt}}:{\mathbf{C}} = {\mathbf{Ca + c^{\prime}}}({\mathbf{Y}}) $$

für Ca = autonomer Konsum (d. h. als konstante Größe vorgegeben) und c′ = dC/dY = marginale Konsumneigung oder -quote. Die marginale Konsumneigung gibt an, um wie viel die Haushalte ihre Konsumausgaben erhöhen bzw. senken, wenn das Einkommen (Y) um eine Geldeinheit steigt. Sie wird im Folgenden aus Vereinfachungsgründen konstant bei 0,8 gehalten. Der autonome Konsum, heißt autonom, weil er von keinen anderen Größen abhängig ist, insbesondere nicht vom Einkommen. Das bedeutet, dass selbst ohne Einkommen konsumiert wird. In diesem Fall wird das Einkommen durch Entsparen finanziert, also mit finanziellen Mitteln aus dem Vermögen. Diese Annahme kann im engeren Sinn nur für den Einzelnen gelten oder eine offene Volkswirtschaft. In einer geschlossenen Volkswirtschaft kann es keine negative Sparquote geben, da nicht mehr konsumiert werden kann als produziert wurde. Die durchschnittliche Konsumneigung gibt an, wie viel Prozent vom Einkommen für Konsumzwecke verwendet werden.

Nach Keynes hat die Konsumfunktion folgende Eigenschaften (Abb. 6.1):

Abb. 6.1
figure 1

Der Konsum

  1. 1.

    Der Konsum C steigt bei einer Einkommenserhöhung immer an

  2. 2.

    autonomer Konsum ist größer als 0 → Ca > 0

  3. 3.

    marginale Konsumneigung ist zwischen 0 und 1 → 0 < dC/dY < 1

  4. 4.

    durchschnittliche Konsumquote (C/Y) sinkt mit steigendem Einkommen Y

Zahlenbeispiel: C=Ca+c′(Y) sowie Ca=20, c′=0,8

Hieraus ergibt sich der folgende Graph (Abb. 6.2):

Abb. 6.2
figure 2

Konsumfunktion

6.4 Die Sparfunktion

Keynes geht davon aus, dass die Spartätigkeit weitgehend zinsunelastisch ist, während die neoklassische Wirtschaftstheorie das Sparverhalten als eine Funktion des Zinses ansieht:

There are not many people who will alter their way of living because the rate of interest has fallen from 5 to 4 per cent, if their aggregate income is the same as before.

(Keynes in der „General Theory“)

Diskussion: Halten Sie diese Annahme für realistisch? Wovon hängt Ihrer Meinung nach das Sparen ab?

Antwort: Das Sparen hängt von vielen Faktoren ab. Man kann Teile des Einkommens zurückhalten, weil man unerwartete Belastungen in der Zukunft erwartet (Angstsparen). Man kann für eine Anschaffung Geld ansparen oder sparen, um für das Alter vorzusorgen. Offensichtlich ist, dass ein Haushalt ohne Einkommen nicht sparen kann. Normalerweise ändert sich das Einkommen kaum bzw. ist in der Periode gegeben, d. h. bei gegebenem Einkommen hängt das Sparen vom Zins ab.

Die Sparfunktion leitet sich bei Keynes aus der Konsumfunktion ab:

$$ \begin{aligned} {\text{Y}} &= {\text{C}} + {\text{S}} \\ \Leftrightarrow {\text{S}} &= {\text{Y}} - {\text{C}}\;{\text{es}}\;{\text{gilt}}:{\text{C}} = {\text{Ca}} + {\text {c}}^{\prime} {\text {Y}}\;{\text{somit}}\;{\text{gilt}}\;{\text{f}}\ddot{\rm u} {\text {r}}\;{\text{S}}: \\ {\text{S}}& = {\text{Y}} - \left( {{\text{Ca}} + {\text {c}}^{\prime}{\text {Y}}} \right) \\ \Leftrightarrow {\mathbf{S}}& = {-\mathbf{Ca}} + \left( {{\mathbf{1}} - {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}}} \right){\mathbf{Y}} \\ \Leftrightarrow {\mathbf{S}}& = {-\mathbf{Ca}} + {\text{s}}^{{\prime}} \bullet {\mathbf{Y}}\quad \quad {\mathbf{Sparfunktion}} \\ & \quad\left({ {\text{mit}}\;1 - {\text{c}}^{\prime} = s^{\prime}\;{\text{marginale}}\;{\text{Sparneigung}} } \right)\\ \end{aligned} $$

Bei einem Einkommen von Null entspricht der autonome Konsum Ca einer negativen Ersparnis.

Die marginale Sparneigung gibt an, wie viel die Haushalte ihre Ersparnisse erhöhen, wenn Einkommen um 1 Einheit steigt.

Die durchschnittliche Sparneigung gibt an wie viel Prozent vom Einkommen gespart werden (Abb. 6.3 und 6.4)

Abb. 6.3
figure 3

Das Sparen

Abb. 6.4
figure 4

Die Sparfunktion

$$ \begin{aligned} {\text{S}} &= {-\text{Ca}} + {\text{s}}^{\prime} \bullet {\text{Y}}\;{\text{Sparfunktion}} \\ {\mathbf{S}} &= {-\mathbf{20}} + {\mathbf{0{,}2}} \bullet {\mathbf{Y}}\;{\mathbf{Sparfunktion}} \\ \end{aligned} $$

Für das Zahlenbeispiel: Ca = 20, s′ = 0,2 gilt dann:

Interessant ist der Verlauf der Sparkurve. Sie fängt im negativen Bereich an, weil selbst ohne Einkommen der Haushalt konsumiert (autonomer Konsum). Da S = Y − C ist, entsteht negatives Sparen. Erst mit dem Anstieg des Einkommens steigt auch das positive Sparen als S = s′ · Y. In unserem Zahlenbeispiel benötigen wir ein Einkommen von 100, um genauso viel positives wie negatives Sparen zu erzeugen. Die Sparfunktion nimmt dann den Wert Null ein. Bei einem Einkommen von 150 erreicht die Sparfunktion den Wert 10.

6.5 Das Einkommen-Ausgaben-Modell

Wie wir aus der VGR wissen, erzeugt die Produktion ein Einkommen in gleicher Höhe. Die Produktion stellt das Angebot dar. Das Einkommen erzeugt eine Konsumnachfrage und ein Sparen. Das Sparen stellt Nachfrageausfall dar, da die Haushalte für diesen Teil des Einkommens keine Güter nachfragen. Um diesen Nachfrageausfall auszugleichen, benötigt man entsprechend hohe Investitionen als zusätzliche Güternachfrage seitens der Unternehmen.

Besteht in der Volkswirtschaft die effektive Gesamtnachfrage YD aus der einkommensabhängigen Konsumnachfrage C(Y) und der autonomen Investitionsnachfrage (I0), herrscht dann und nur dann ein güterwirtschaftliches Gleichgewicht, wenn die Unternehmen eine Produktion als Bruttoinlandsprodukt planen, das genauso hoch ist, wie die sich hieraus aus dem spiegelbildlichen Einkommen ergebende Konsumnachfrage und den autonomen Investitionen als effektive Nachfrage. Gehen die Angebotsplanungen über das zur Nachfrageerzeugung notwendige Einkommen hinaus bzw. bleiben sie dahinter zurück, bestehen güterwirtschaftliche Ungleichgewichte.

Umgekehrt formuliert, wenn die Investitionen gegeben sind, gibt es nur ein volkswirtschaftliches Gleichgewichtseinkommen Y0, das ergänzend zu den Investitionen genau so viel Nachfrage [C (Y)] erzeugt, dass es der Produktion Y entspricht. Hier ist der Nachfrageausfall durch Sparen gleich den Investitionen.

Betrachtet wird hierbei der Gütermarkt. Die entstehenden Einkommen werden den durch die Nachfrage verursachten Ausgaben gegenübergestellt. Die effektive Nachfrage (YD) gibt an, wie viel am Markt nachgefragt wird (YD = C + I).

Hierbei liegen zwei Annahmen zugrunde:

  • Das Investitionsvolumen ist gegeben

  • Die Kapazitäten sind unausgelastet

Ist die Unternehmensproduktion am Markt so hoch wie die Nachfrage, so herrscht ein güterwirtschaftliches Gleichgewicht. Ist dies nicht der Fall, so spricht man von einem güterwirtschaftlichen Ungleichgewicht.

Füllen Sie die Tabelle in Abb. 6.5 aus. Bei welchem Einkommen ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage gleich dem Angebot?

Abb. 6.5
figure 5

Übungsaufgabe Keynes

Zahlenbeispiel: Ca = 20, c′ = 0,8, I0 = 10, YD= 20 + 0,8(Y) + 10

$$ {\text{S}} = - 20 + 0{,}2\;{\text{Y}}\;{\text{sowie}}\;{\text{C}} = 20 + 0{,}8\;{\text{Y}} $$

Lösung

Siehe Abb. 6.6.

Abb. 6.6
figure 6

Lösung Übungsaufgabe Keynes

Fazit

S (Y↑↓) muss gleich I0 sein, damit das gesamtwirtschaftliche Angebot gleich der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ist. Fällt bspw. I0 auf 0, dann muss das Einkommen auf 100 sinken, damit S (100) = 0. Umgekehrt muss Y auf 200 ansteigen, falls I0 auf 20 steigt, damit ausreichend Sparen und damit Nachfrageausfall über das Einkommen erzeugt wird.

Berechnung des Gleichgewichtseinkommens

Wir berechnen das Gleichgewichtseinkommen Y0. Dieses ist wie wir gesehen haben dadurch charakterisiert, dass hier das gesamtwirtschaftliche Angebot gleich der Nachfrage ist.

Es soll somit gelten Y (Produktion) = YD (Nachfrage)

Es gilt: YD = C(Y) + I0 ferner gilt: C = Ca + cʹY

daraus folgt für das Gütermarktgleichgewicht:

$$ \begin{aligned} {\text{Y}}& = {\text{C}}_{\text{a}} + {\text{c}}^{\prime}{\text {Y}} + {\text{I}}_{0} \\ \Leftrightarrow {\text{Y}} - {\text{c}}^{\prime}{\text {Y}} &= {\text{C}}_{\text{a}} + {\text{I}}_{0} \\ \Leftrightarrow \left( {1 - {\text{c}}^{\prime} } \right){\text{Y}} &= {\text{C}}_{\text{a}} + {\text{I}}_{0} \\ \end{aligned} $$
$$ {\mathbf{Y}}_{{\mathbf{0}}} = \frac{{\mathbf{1}}}{{\left( {{\mathbf{1}} - {\mathbf{c^{\prime}}}} \right)}}({\mathbf{C}}_{{\mathbf{a}}} + {\mathbf{I}}_{{\mathbf{0}}} ) $$

Gleichgewichtseinkommen = Ausgaben

Wobei die Produktion Y dem Einkommen Y entspricht.

Bleibt die effektive Nachfrage hinter der von den Unternehmen erwarteten Nachfrage zurück oder geht sie darüber hinaus, bestehen güterwirtschaftliche Ungleichgewichte.

Ein Überangebot kann bspw. auftreten, wenn die Investitionsnachfrage (z. B. in der Weltwirtschaftskrise) unerwartet zurückgeht.

Für unser Beispiel gilt: \( \left( {{\text{C}}_{\text{a}} = 20,\;{\text{c}}^{\prime} = 0{,}8,\;{\text{I}}_{0} = 10} \right) \)

$$ {\text{Y = }}\frac{1}{(1 - 0{,}8)}\left( {20 + 10} \right) = 150 $$

Das Gleichgewichtseinkommen beträgt also 150.

Die Herleitung des Gleichgewichteinkommens lässt sich auch grafisch veranschaulichen:

Bei gegebenen Investitionen kommt das Gleichgewicht durch das einkommensabhängige Sparen zustande. Die Sparkurve fängt im negativen Bereich an, weil aufgrund des autonomen Konsums der Haushalt konsumiert, obwohl er kein Einkommen hat. Bei einem Einkommen von Null gibt es also eine Übernachfrage von 30, die zum einen aus dem autonomen Konsum von 20 herrührt und zum anderen durch die zusätzliche Investitionsnachfrage seitens der Unternehmen entsteht. Erst mit dem Anstieg des Einkommens steigt auch das positive Sparen als S = s′ · Y. Dadurch entsteht Nachfrageausfall. Der Nachfrageüberhang wird abgebaut. In unserem Zahlenbeispiel benötigen wir ein Einkommen von 100, um genauso viel positives wie negatives Sparen zu erzeugen. Hinzu kommt aber noch der Nachfrageüberhang durch die Unternehmen, die Investitionen. Bei einem Einkommen von 150 erreicht die Sparfunktion den Wert 10, womit dann genauso viel Nachfrageausfall durch das Sparen entstanden ist, wie benötigt wird, um die zusätzliche Nachfrage seitens der Unternehmen, also die Investitionen, abzudecken. Dies ist das Gleichgewichteinkommen. Steigt das Einkommen weiter, wird durch das einkommensabhängig gestiegene Sparen mehr Nachfrage ausfallen als zusätzliche Nachfrage seitens der Unternehmen hinzukommt, weshalb eine Unternachfrage bzw. ein Überangebot entsteht (Abb. 6.7).

Abb. 6.7
figure 7

Gleichgewicht von Sparen und Investieren

Anhand des Zahlenbeispiels lässt sich leicht nachvollziehen, dass unter den gemachten Annahmen nur dann ein Gleichgewicht besteht, wenn die geplante Ersparnis der Haushalte genauso groß ist wie die geplante Investitionsnachfrage der Unternehmen.

Die sogenannte Gleichgewichtsbedingung lautet:

$$ {\mathbf{S}}\left( {\mathbf{Y}} \right) = {\mathbf{I}}_{0} $$

Hieran wird auch verständlich, dass aus keynesianischer Sicht Ersparnis Nachfrageausfall ist, der durch eine entsprechend große Investitionsnachfrage als zusätzlicher Nachfrage seitens der Unternehmen kompensiert werden muss, wenn Gleichgewicht bestehen soll. In der Depression brechen die Investitionen weg, weil die wirtschaftlichen Erwartungen schlecht sind. Es wird aber trotzdem gespart und in der Regel sogar mehr (Angstsparen). Das Ergebnis ist ein Überangebot am Gütermarkt.

Wir wollen diesen Zusammenhang in einem anderen Schaubild (vgl. Abb. 6.8) verdeutlichen. Hier finden sich an der X-Achse das Angebot, also die Produktion, die gleichbedeutend mit dem Einkommen ist. Die Winkelhalbierende oder 45 Gradlinie hat zur X- und Y-Achse immer den gleichen Abstand. Damit sind alle Punkte auf dieser Geraden Gleichgewichtspunkte. Das Angebot (X-Achse) und die Nachfrage (Y-Achse) sind gleich groß. Liegt die Nachfragekurve über der Gleichgewichtsgeraden, gibt es am Gütermarkt mehr Nachfrage als Angebot, liegt sie darunter, gibt es mehr Angebot als Nachfrage.

Abb. 6.8
figure 8

Gesamtwirtschaftliches Angebot und Nachfrage bei Keynes

Als Nachfragekomponenten haben wir Konsum und Investitionen. Der Konsum steigt proportional zum Einkommen, während die Investitionen als Konstante hinzuaddiert werden. Der Schnittpunkt der so erzeugten Gesamtnachfragekurve mit der Winkelhalbierenden gibt dann das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage an. Hier befindet sich das Gleichgewichtseinkommen (150).

Die grafische Darstellung verdeutlicht, dass ein Überangebot besteht, wenn die tatsächliche Produktion größer als das Gleichgewichtseinkommen ist (z. B. 200). Es besteht dann eine sogenannte kontraktive Lücke. Die Marktkräfte schließen diese Lücke, indem die Unternehmen wegen entstehender Verluste durch ungeplante Lagerhaltung die Produktion verringern, um ein Überangebot zu vermeiden. Die grafische Darstellung verdeutlicht auch, dass eine Übernachfrage besteht, wenn die tatsächliche Produktion kleiner als das Gleichgewichtseinkommen ist (z. B. 100). Es besteht dann eine sogenannte expansive Lücke. Die Marktkräfte schließen diese Lücke, weil – freie Kapazitäten vorausgesetzt – die Unternehmen aus ihrem Gewinninteresse heraus die Produktion steigern, um die überschüssige Nachfrage zu befriedigen. Es besteht somit eine Tendenz zum Gleichgewicht aber mit entsprechenden Produktions- und Beschäftigungsanpassungen.

Wie ist dieser Zusammenhang in Bezug auf den Nachfrageausfall durch das Sparen zu sehen? Haben wir nun von den Unternehmen ein Angebot und damit auch ein gleich hohes Einkommen, das kleiner als die Nachfrage ist, wird eine Übernachfrage oder eine Angebotslücke erzeugt. Da das Einkommen zu gering ist, um über das Sparen ausreichend Nachfrageausfall zu erzeugen. Dies ist eine expansive Lücke, weil aufgrund des Nachfrageüberhangs und der Unterauslastung der Kapazitäten die Unternehmen ihre Produktion ausweiten bis das Gleichgewichtseinkommen erreicht wurde. Mit der gestiegenen Produktion steigt auch das Einkommen und damit auch das Sparen und der damit verbundene Nachfrageausfall, bis beim Gleichgewichtseinkommen das Güterangebot gleich der Güternachfrage ist. Ist die Produktion zu hoch, wird über das gleich hohe Einkommen zu viel Sparen und damit Nachfrageausfall erzeugt. Das Angebot ist größer als die Nachfrage, was einer kontraktiven Lücke entspricht. Die Unternehmen passen ihr Angebot der Nachfrage an und senken es ab. Angestellte werden entlassen. Das Einkommen sinkt und mit dem Einkommen das Sparen und damit der Nachfrageausfall bis wieder das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage erreicht ist.

Bei Keynes schafft sich das Angebot nicht seine Nachfrage, wie das Saysche Theorem behauptet, sondern die Nachfrage bestimmt die Produktion. Investition und Sparen werden nicht über den Zins in Übereinstimmung gebracht wie in der Neoklassik, sondern über reale Produktionsanpassungen, was Wohlstandsverlust und Arbeitslosigkeit impliziert.

Wie noch bei der Geldnachfragefunktion gezeigt wird, ist bei Keynes ein wesentlicher Unterschied, dass Geld auch als Kasse gehalten werden kann, ohne Nachfrage zu erzeugen (Spekulationsmotiv), also auch nicht investiert wird.

John Maynard Keynes:

Given the psychology of the public, the level of output and employment as a whole depends on the amount of investments. The theory can be summed up by saying that, given the psychology of the public, the level of output and employment as a whole depends on the amount of investment. I put it in this way, not because this is the only factor on which aggregate output depends, but because it is usual in a complex system to regard as the causa causans that factor which is most prone to sudden and wide fluctuation.Footnote 1

Situation Weltwirtschaftskrise

Was passiert, wenn wie in der Weltwirtschaftskrise aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Erwartungen die Investitionsnachfrage einbricht? (Abb. 6.9).

Abb. 6.9
figure 9

Gesamtwirtschaftliche Nachfragelücke bei Keynes

Fällt die Investitionsnachfrage weg, fehlt die zusätzliche Nachfrage seitens der Unternehmen in Höhe von 10. Die Folge ist eine Nachfragelücke. Es wird bei diesem hohen Einkommen zu viel gespart, womit zu viel Nachfrage ausfällt. Bleibt diese Situation bestehen, werden die Unternehmen die Produktion senken, um sie der Nachfrage anzupassen. Beschäftigung und Einkommen fallen mit und zwar um 50. Erst bei einem Gleichgewichtseinkommen von 100 ist das Sparen, also der Nachfrageausfall, ausreichend gesunken, sodass wieder Angebot gleich Nachfrage ist. Dies entspricht der Situation der anhaltenden Unterbeschäftigung während der Weltwirtschaftskrise.

Bei Keynes sind die Investitionen autonom gegeben, weshalb es nur ein Gleichgewichtseinkommen geben kann. Wenn I unerwartet zurückgeht, z. B. aufgrund des Pessimismus einer Wirtschaftskrise, ist das Einkommen aufgrund von S(Y) zu groß S(Y) > I, weshalb bei dem entsprechenden Inlandsprodukt eine zu geringe Nachfrage besteht. Es kommt zu einem Überangebot. Tut der Staat nichts, würden die Unternehmen ihr Angebot einschränken, bis das niedrigere Gleichgewichtseinkommen erreicht ist. Dies wäre die Depression verbunden mit Arbeitslosigkeit. Der Staat muss dies verhindern, indem er rechtzeitig den externen Nachfragerückgang ausgleicht. Hat sich die Stimmung wieder verbessert, steigt I und es existiert dann wieder die notwendige ursprüngliche Nachfrage, weshalb der Staat dann seine Nachfrage zurücknehmen kann.

Sparen ist in der Neoklassik positiv, da sich immer ein Gleichgewicht I = S einstellt und damit Investieren, also Wachstum bedeutet (Abb. 6.10).

Abb. 6.10
figure 10

Gleichgewicht von Sparen und Investieren in der Neoklassik

Bei Keynes bedeutet Sparen hingegen Nachfrageausfall, der zu einem Rückgang des Nationalprodukts und Einkommens führt (Abb. 6.11).

Abb. 6.11
figure 11

Gleichgewicht von Sparen und Investieren bei Keynes

6.6 Ausgaben- und Steuermultiplikator

Wir haben bereits gesehen, dass ein Investitionsrückgang von 10 zu einem Produktions- und Einkommensrückgang von 50 führt, und umgekehrt. Woran liegt das? Welche Wirkung hat eine dauerhafte Erhöhung der autonomen Investitionsausgaben oder der Staatsausgaben auf die Höhe des Gleichgewichtseinkommens?

Bei Kapazitätsunterauslastung bewirkt ausgehend von einem bestehenden Gleichgewicht, eine Erhöhung von ΔI, dass eine expansive Lücke (vgl. Abb. 6.12) entsteht, die durch Steigerung der Produktion (ΔY) geschlossen wird. Es werden neue Mitarbeiter eingestellt, die ein Einkommen bekommen. Diese Mitarbeiter werden ihr neues Einkommen anteilig konsumieren. Somit wird Y nicht nur um ΔI steigen, sondern um ein Vielfaches, weil jede Einkommenserhöhung auch eine Erhöhung der Konsumnachfrage bewirkt. Dieser Multiplikatoreffekt wirkt aber nur in der Situation des Überangebots, also der unterausgelasteten Kapazitäten, da die Infrastruktur für die Beschäftigungserhöhung bereits vorhanden ist. Arbeit fehlt ohne Kapital, also Maschinen, die Produktivität. Erhöht man die allgemeine Nachfrage in einer Situation ausgelasteter Kapazitäten führt dies kurzfristig nur zu Preiserhöhungen.

Abb. 6.12
figure 12

Die expansive Lücke

Im Folgenden wollen wir den sogenannten Investitionsmultiplikator ausrechnen. Dieser gibt an, um welchen Betrag das BIP steigt, wenn die Nettoinvestitionen um ∆I steigen, wobei der autonome Konsum und die marginale Konsumquote hierbei konstant sind.

dY = 1/s dI, wobei: dY = Änderung des Volkseinkommens; s = marginale Sparquote; dI = Investitionsänderung.

Wirkung des Investitionsmultiplikators bzw. Ausgabenmultiplikators

(gilt auch für eine Staatsausgabenerhöhung):

Die Ausgabenerhöhung ΔI führt zu Einkommen in entsprechender Höhe ΔY = ΔI und zu zusätzlich ΔI · c′ im zweiten Jahr, zu zusätzlich (ΔI · c′)2 im dritten Jahr usw. Die Unternehmen reagieren auf die Übernachfrage und stellen ein Jahr später die neuen Mitarbeiter ein:

Beispiel für eine Konsumquote von 0,8:

$$ \begin{aligned} \Delta {\text{Y}} = & \Delta {\text{I}} + 0{,}8\;\Delta {\text{I}} + 0{,}8\;\Delta {\text{I}}^{2} + 0{,}8\;\Delta {\text{I}}^{3} + \ldots \\ \Delta {\text{Y}} = & \left( {1 + 0{,}8 + 0{,}8^{2} + 0{,}8^{3} + \ldots } \right)\Delta {\text{I}} \\ \Delta {\text{Y}}/\Delta {\text{I}} = & 1 + 0{,}8 + 0{,}8^{2} + 0{,}8^{3} + \ldots \;\left( {{\text{unendliche}}\;{\text{geometrische}}\;{\text{Reihe}}} \right) \\ \end{aligned} $$

Formel für die unendliche geometrische Reihe (Anwendung wie beim Geldmengenmultiplikator):

$$ \frac{{\Delta {\text{Y}}}}{{\Delta {\text{I}}}} = \frac{1}{{\left( {1 - {\text{c}}^{\prime} } \right)}},\;{\text{d}}.\,{\text{h}}.\frac{1}{{\left( {1 - 0{,}8} \right)}} = 5 $$

Das heißt, dass die Erhöhung der Investitionen bzw. Ausgaben um 1 € zu einer Erhöhung des Gleichgewichtseinkommens von 5 € führt. Nachfrage schafft Nachfrage (in der Weltwirtschaftskrise).

Wir wollen den Investitionsmultiplikator nun allgemein herleiten. Für den Gütermarkt und das Gleichgewichtseinkommen gilt:

$$ {\text{Y}} = {\text{C}}\left( {{\text{Y}} - {\text{T}}} \right) + {\text{I}} + {\text{G}}_{0} $$

Wir bilden ein totales Differenzial (alle nicht sich verändernden Größen fallen raus, der Rest wird als Veränderung erfasst):

$\begin{aligned}\left( 1 \right) {\text {dY}}={\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}}\,{\mathbf{dY}} + {\mathbf{dI}}\Leftrightarrow \left( 2 \right)\left( {1 - {\text{c}}^{\prime} } \right){\text{dY}} &= {\text{dI}} \\ {\mathbf{dY}} &= \frac{1}{{\left( { {\mathbf{1}} - {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}} } \right)}}{\mathbf{dI}}\frac{1}{{\left( {{\mathbf{1}} - {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}} } \right)}} = \frac{1}{{{\mathbf{s^{\prime}}}}}\;{\mathbf{ist}}\;{\mathbf{der}}\;{\mathbf{Investitionsmultiplikator}} \\& = Wert\;der\;reziproken\;marginalen\;Sparneigung \\ \end{aligned}$

Das Gleiche gilt für den Staatsausgabenmultiplikator:

$$ {\text{bei}}\;{\text{Y}} = {\text{C}}\left( {{\text{Y}} - {\text{T}}} \right) + {\text{I}}_{0} + {\text{G}} $$

Totales Differenzial (alle nicht sich verändernden Größen fallen raus, der Rest wird als Veränderung erfasst)

$$ \begin{aligned} \left( 1 \right)\;{\text{dY}} & = {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}}{\mathbf{dY}} + {\mathbf{dG}} \Leftrightarrow \left( 2 \right)\left( {1 - {\text{c}}^{\prime} } \right){\text{dY}} = {\text{d}} \\ {\text{G}}{\mathbf{dY}} & = \frac{1}{{\left( {{\mathbf{1}} - {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}} } \right)}}{\mathbf{dG}} \\ \frac{1}{{\left( { {\mathbf{1}} - {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}} } \right)}} &= \frac{1}{{{\mathbf{s^{\prime}}}}}\;{\mathbf{ist}}\;{\mathbf{auch}}\;{\mathbf{der}}\;{\mathbf{Staatsausgabenmultiplikator}} \\ &= Wert\;der\;reziproken\;marginalen \\ \end{aligned} $$

Sparneigung (oder allgemein Ausgabenmultiplikator)

Fazit

Der Wert des Investitionsmultiplikators (Ausgabenmultiplikators) wird durch die Höhe der reziproken marginalen Sparneigung bestimmt. Anders formuliert, je weniger die Haushalte von dem neuen Einkommen sparen, desto größer sind der Nachfrageeffekt und damit auch die Auswirkung auf das Gleichgewichtseinkommen.

Beispiel

für c′ = 0,8, ΔI = 10:

$$ \Delta {\text{Y }} =\frac{1}{{\left( {1 - 0{,}8} \right)}}10 = 5 \cdot 10 = 50 $$

1/(1 − 0,8) = 1/0,2 = 5 Investitionsmultiplikator

Das heißt, dass die Erhöhung der Investitionen bzw. Ausgaben um 1 € zu einer Erhöhung des Gleichgewichtseinkommens von 5 € führt.

Für den Steuermultiplikator gilt:

bei \( {\text{Y}} = {\text{C}}\left( { {\text{Y}} - {\text{T}} } \right) + {\text{I}}0 + {\text{G}}0 \)

$$ \begin{aligned} (1)\;{\text{dY}} & = {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}}\left( {{\mathbf{dY}} - {\mathbf{dT}}} \right) \Leftrightarrow \left( 2 \right)\left( {1 - {\text{c}}^{\prime} } \right){\text{dY}} = - {\mathbf{c}}^{\mathbf{\prime}}{\mathbf{dT}} \\ {\mathbf{dY}} &= - \frac{{{\mathbf{c^{\prime}}}}}{{\left( {{\mathbf{1}} - {\mathbf{c^{\prime}}}} \right)}}{\mathbf{dT}} \end{aligned} \\$$

Eine Steuererhöhung führt somit zu einer Verringerung des Gleichgewichtseinkommens, da mit dem Einkommen der Konsum als Nachfrage weggesteuert wird. Auffällig ist, dass beim Steuermultiplikator im Vergleich zum Ausgabenmultiplikator nicht 1 im Nenner steht, sondern die marginale Konsumneigung, die kleiner als eins ist (z. B. 0,8). Hierbei muss berücksichtigt werden, dass d T bei einer Steuerverringerung negativ ist. D. h. bei c′ = 0,8 erhöht die Senkung der Steuern um 1 € das Gleichgewichtseinkommen um 4 €. (0,8/0,2 = 4). Der Ausgabenmultiplikator wäre hingegen 5. Die ist in der Verwendung des Einkommens durch die privaten Haushalte begründet. Sie geben es nicht zu 100 % aus, sondern sparen, was entsprechend Nachfragerückgang bedeutet. Lässt der Staat den Bürgern durch eine Steuersenkung mehr Einkommen, bringt dies weniger als wenn er die Staatsausgaben erhöht, weil diese zu 100 % als Nachfrage wirksam werden. Dieser Zusammenhang hat den Ökonomen Haavelmo zur der Überlegung gebracht, Ausgabenmultiplikator und Steuermultiplikator zu kombinieren, also dass der Staat die Steuern erhöht und das Geld komplett ausgibt. Es ergibt sich ein Nettoeffekt von 1, da die Besteuerung das Sparen der Haushalte verhindert. Das Einkommen, das gespart worden wäre, gibt der Staat aus, wodurch Nachfrage geschaffen wird.

Für eine steuerfinanzierte Staatsausgabenerhöhung gilt dann:

$$ \frac{{{\mathbf{dY}}}}{{{\mathbf{dG}}}} + \frac{{{\mathbf{dY}}}}{{{\mathbf{dT}}}} = \frac{{\mathbf{1}}}{{\left( {{\mathbf{1}} - {\mathbf{c^{\prime}}}} \right)}} - \frac{{{\mathbf{c^{\prime}}}}}{{\left( {{\mathbf{1}} - {\mathbf{c^{\prime}}}} \right)}} = 1 $$

Haavelmo-Theorem

Steuerfinanzierte Ausgabenerhöhungen erhöhen das Einkommen bzw. Nationalprodukt um den gleichen Betrag.

Politisch wurde dieser Ansatz allerdings selten umgesetzt, weil es den Wählern kaum nahezubringen ist, dass es besser ist, wenn der Staat ihr Geld ausgibt. Populär ist hingegen die kreditfinanzierte Ausgabenerhöhung als staatliche Nachfragepolitik, weil die Wähler sich nicht betroffen fühlen. Wer die Kredite in Zukunft zurückzahlt, ist offen (Abb. 6.13).

Abb. 6.13
figure 13

Der Investititionsmultiplikator

Grafische Darstellung des Multiplikatoreffektes mittels der Gleichgewichtsbedingung I=S

Zusammenfassung

Anders als in der Neoklassik sind bei Keynes die Konsum- und Sparfunktion einkommensabhängig. Sparen ist nicht zinsabhängig. Aufgrund des autonomen Konsumanteils und den autonomen Investitionen können deshalb gesamtwirtschaftlich Angebot und Nachfrage auseinanderfallen, wenn beispielsweise wie in der Weltwirtschaftskrise die Investitionen unerwartet zurückgehen. Keynes Theorie ist nachfrageorientiert. Das Überangebot führt dann zu Kapazitäts- und Produktionsverringerung, also dauerhafter Arbeitslosigkeit, während eine Übernachfrage zu Produktionsausweitungen mit entsprechenden Wohlfahrtsgewinnen und Arbeitsplätzen führt.

6.7 Interpretation der nachfrageorientierten keynesianischen Politik

Politisch wurden der Staatsausgabenmultiplikator und die keynesianische Theorie für den Wahlkampf missbraucht. Politiker interpretierten ihn als Freibrief für kreditfinanzierte Staatsausgabenerhöhungen. Wenn Nachfrageerhöhungen zu Wirtschaftswachstum führen, würden auch die Steuereinnahmen steigen und die Kredite wären rückzahlbar. Diesen Münchhausen-Effekt findet man leider nicht in der Realität, weil Nachfrageerhöhungen bei ausgelasteten Kapazitäten nur zu Preiseffekten und nicht zu Wachstum führen. Vielmehr kommt es zu Lohn- und Preissteigerungen, die sich negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit in einer offenen Volkswirtschaft auswirken.

Wovon hängen Konsum und BIP ab? Wir erinnern uns an die VGR: Y = C + I + G + Ex-Im. Dies sind alles Ausgabenkomponenten. Hängt die Produktion also nur von der Nachfrage ab? Müssen wir also nur die Nachfrage erhöhen, um Wachstum zu erzeugen? Im Nachhinein gilt diese Gleichung immer (ex post), aber die Güter müssen zuvor auch produziert werden und in der offenen VW kann der Export für die Nachfrage entscheidend sein. Hierbei kommt es aber auf die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes an, genauer ob es ein attraktives Angebot zum Tauschen gibt.

Wir erinnern uns an Robinson und Freitag. Zuerst ist Robinson allein und versorgt sich selbst. Er hat kein Nachfrageproblem, sondern ein Angebotsproblem, da er sich selbst versorgen muss. Dann kommt Freitag dazu und es entsteht die erste Arbeitsteilung. Freitag fängt jetzt Fische, während Robinson sich auf die Jagd spezialisiert. Am Abend tauschen sie ihre Lebensmittel aus. Beide bieten ihre Produkte an und fragen die des anderen nach. Beide haben die Grundbedürfnisse nach Lebensmitteln, aber nur, wenn sie selbst ein Angebot produziert haben, können sie auch ihre Bedürfnisse, ihre Nachfrage bezahlen. Die menschlichen Bedürfnisse sind unendlich groß, die Frage ist, ob man sich seine Nachfrage leisten, also bezahlen kann.

Für Ludwig Erhard waren vor allem harte Arbeit und in den ersten Jahren der Verzicht auf die Erfüllung persönlicher Konsumbedürfnisse für den Wirtschaftsaufschwung Deutschlands nach dem Krieg entscheidend (Zitat „Wunder gibt es keine“). Entscheidend ist, dass Güter, die Nutzen stiften geschaffen werden, nur hierdurch entsteht Wohlstand. Nachfrage, die keinen Nutzen befriedigt, ist eine Ressourcenverschwendung (z. B. Hausbau in der Wüste). Sind die Produktionskapazitäten vorhanden, kann es kurzfristig dazu kommen, dass die Nachfrage hinter dem Angebot zurückbleibt oder auch längerfristig in anhaltenden Ausnahmesituationen wie in der Weltwirtschaft- und Finanzkrise (Depression), dann ist eine staatliche Nachfragerhöhung notwendig. Langfristig gilt jedoch tendenziell das Saysche Theorem. Das Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage.

Beispiele der wirtschaftlichen Entwicklung

China

Unbefriedigte Bedürfnisse gab es in China mit über einer Milliarde Menschen viele. Erst die marktwirtschaftlichen Reformen erzeugten eine international wettbewerbsfähige Produktion. Die Löhne waren im internationalen Vergleich extrem niedrig. Produziert wurden arbeitsintensive Produkte. Man kann sich darüber streiten, was ein fairer Lohn ist. Aber wenn die Chinesen nicht begonnen hätten, auf dieser Basis für das Ausland interessante Ware anzubieten, dann wären sie nie in der Lage gewesen, ausländische Waren nachzufragen. Erst als die Produktion existierte, war sowohl Nachfrage als auch Einkommen vorhanden bzw. Einkommen um die Nachfrage zu bezahlen. Ausländische Maschinen konnten erworben werden. Die Produktivität, das Produktions-Know-how und die Produktqualität stiegen und mit ihnen die Löhne. Die gleiche Entwicklung fand z. B. in Korea statt. Die Basis der Wirtschaft ist schließlich das Tauschgeschäft und Ziel ist die Bedürfnisbefriedigung. Heute können sich mehr und mehr Chinesen Autos leisten.

Afrika

In Afrika besteht das Problem, dass man hier nicht über eine international wettbewerbsfähige Produktion verfügt, um Güter einzutauschen, daher existiert hier auch keine bezahlbare Nachfrage.

Griechenland

Griechenland betrieb nach dem Beitritt zum Euro wie Deutschland nach der Wiedervereinigung eine kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik. Die griechischen Regierungen konnten hierbei von nahezu halbierten Zinssätzen nach dem Eurobeitritt profitieren. Viel Geld floss in Bauvorhaben (u. a. Olympiade) und in die Bezahlung staatlicher Bediensteter. Die Binnennachfrage stieg stark an, mit ihr das Wirtschaftswachstum und in der Folge die Löhne und Preise. Griechenland war danach nicht mehr wettbewerbsfähig und die Arbeitslosigkeit stieg, ebenso wie das Schuldenproblem, wohingegen das Wachstum einbrach. Handelt es sich um ein Nachfrageproblem? Aus Sicht der griechischen Wirtschaft schon, allerdings ist es aus volkswirtschaftlicher Sicht ein Angebotsproblem. Ohne ein Angebot, das den Interessen der Käufer entspricht, kann Griechenland nichts verkaufen und damit auch seine Bedürfnisse nicht finanzieren. Auch die griechischen Arbeitslosen haben Bedürfnisse, also Nachfrage, die sie ohne eine Anstellung nicht mehr bezahlen können. Mit den im Vergleich zu anderen Ländern und der Produktivität zu hohen Löhnen können sie kein Angebot erzeugen, um ihre Nachfrage zu bezahlen. Hier herrscht eine große Nachfrage, aber es gibt keine Produktion, um diese zu bezahlen. Griechenland ist also unproduktiv und kann seine Schulden nicht bedienen.

Verständnisfragen

  1. 1.

    Erläutern Sie mit eigenen Worten den Unterschied zwischen Keynes und der Neoklassik.

  2. 2.

    Wie funktioniert der Ausgabenmultiplikator?

  3. 3.

    Ist das Saysche Theorem falsch?

Übungsaufgaben

  1. 1.

    In einer keynesianischen Volkswirtschaft sei die Konsumfunktion durch C = 300 + 0,60 (Y-T) gegeben. Die geplanten Investitionen betragen 200, die Staatsausgaben und die Steuern jeweils 100.

    1. a)

      Stellen Sie die geplante gesamtwirtschaftliche Nachfrage als Funktion des Einkommens dar.

    2. b)

      Wie groß ist das Gleichgewichtseinkommen, also das Einkommen, bei dem das gesamtwirtschaftliche Angebot gleich der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ist?

    3. c)

      Wie groß ist das neue Gleichgewichtseinkommen, wenn die Staatsausgaben auf 150 erhöht werden?

    4. d)

      Nehmen Sie an, der Staat möchte ein Gleichgewichtseinkommen von 2350 erreichen. Wie hoch müssten dann die Staatsausgaben sein?

  2. 2.

    Wir wollen untersuchen, wie sich bei Keynes das Sparverhalten der Haushalte auswirkt. Folgende Funktionen sind gegeben: Y = Ca + cʹ(Y) + I0 mit Ca = 30, cʹ = 0,6, I0 = 20.

    1. a)

      Errechnen Sie das Gleichgewichtseinkommen aus der Einkommen-Ausgaben-Funktion.

    2. b)

      Welche Auswirkungen ergeben sich auf das Gleichgewichtseinkommen, wenn die Haushalte mehr sparen, um bspw. für schlechte Zeiten vorzusorgen, und sich der autonome Konsum um 10 verringert?

    3. c)

      Wie ändert sich das Sparen im Gleichgewicht?

    4. d)

      Warum wird das Ergebnis aus b) und c) als Sparparadoxon („paradox of thrift“) bezeichnet?

6.8 Die Investitionsfunktion

Investitionen haben zwei wesentliche volkswirtschaftliche Eigenschaften. Als erstes sind sie zusätzliche Nachfrage seitens der Unternehmen und zweitens erhöhen sie den Kapitalstock und damit auch die Produktivität oder Produktionskapazität. Die Investitionen bilden den zweiten Block der Gesamtnachfrage.

Bisher haben wir die keynesianischen Investitionen als autonom, also extern beeinflusst, und damit als gegeben betrachtet. Keynes sieht die Investitionsnachfrage der Unternehmen in Abhängigkeit vom Marktzins und von der erwarteten Grenzleistungsfähigkeit des eingesetzten Kapitals ( = Rendite = r).

Bei privaten Investitionsentscheidungen hängt die Rentabilität von der Überlegung ab, ob sich mit den zukünftigen Erlösen die getätigten Aufwendungen und erwarteten Kosten decken lassen, also ob die zukünftigen Nettoerlöse die Anschaffungskosten der Maschine übersteigen.

Q = zukünftige erwartete Nettoerlöse

R = Abzinsungsfaktor der die Nettoerlöse bis zur Höhe der Anschaffungskosten reduziert, d. h. die Rentabilität oder Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (entspricht dem internen Zinsfuß).

Anschaffungskosten = \( {\text{Q}}_{1} + \frac{{{\text{Q}}_{2} }}{{\left( {1 + {\text{R}}} \right)^{1} }} + \cdots + \frac{{{\text{Q}}_{\text{n}} }}{{\left( {1 + {\text{R}}} \right)^{{\text{n}} -1}}} \)

Die Investitionen sind bei Keynes zwar auch vom Marktzins abhängig, aber spezifiziert von der erwarteten Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals, also auch psychologisch beeinflusst.

Zahlenbeispiel: Eine Maschine hat die erwartete Lebensdauer von 2 Jahren und kostet 1000 €. Der Investor erwartet Nettoeinnahmen von 500 und 540 €. Die Rentabilität (Grenzleistungsfähigkeit) des Kapitals beträgt dann:

$$ 1000 = 500 + \frac{540}{{\left( {1 + {\text{R}}} \right)}} \Leftrightarrow {\text{R}} = 8\,\% $$

An der Y-Achse befinden sich sowohl der Kapitalmarkzinssatz als auch die Investitionsprojekte, aufgereiht nach ihrer Rentabilität. Aus der Menge und dem Investitionsvolumen leitet sich die Investitionsnachfragekurve ab (Abb. 6.14).

Abb. 6.14
figure 14

Keynesianische Investitionsfunktion

Die Investitionen werden solange durchgeführt, bis alle Investitionsprojekte, bei denen die Kapitalkosten i kleiner als die Rentabilität sind, umgesetzt wurden. Bei einem hohen Marktzins werden folglich nur Investitionen mit einer hohen Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals (Rendite) durchgeführt. Bei niedrigem Zins kommen auch Investitionen mit niedrigen Renditen zum Zuge. Die Unternehmen investieren solange die Rentabilität höher ist als der Zins, bis also gilt i = r. Damit sind die Investitionen bei gegebener Rentabilität von dem Kapitalmarktzins abhängig: I = I (i).

Selbst bei einem Zinssatz von Null steigt die Investitionsnachfrage nicht über einen bestimmten Betrag hinaus, da auch dann nur Investitionen durchgeführt werden, deren Ertragswert mindestens so groß ist wie die Anschaffungsausgaben. Alternativ kann das Geld am Kapitalmarkt angelegt werden:

  • i > r ⇒ Anlage am Kapitalmarkt

  • r > i ⇒ Investition

Wenn die erwartete Rentabilität der Investitionsprojekte, also die Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals R steigt, verschiebt sich die Funktion nach rechts. Es wird dann bei demselben Zinssatz i0 mehr investiert. Das Gleiche gilt umgekehrt, was ein Erklärungsgrund von Keynes für die Weltwirtschaftskrise 1929 war (Abb. 6.15) (vgl. auch Siebe und Wenke 2014; Blanchard 2014; Blanchard und Illing 2006; Wagner und Böhne 2003; Felderer und Homburg 2005; Drost et al. 2003; Mankiw 2013; John 2004 sowie Mussel 2009).

Abb. 6.15
figure 15

Steigende Erwartungen und Investitionen

6.9 Exkurs: Zinsen in der Praxis, die Zinsstrukturkurve

Man unterscheidet am Finanzmarkt für Kredite und Anlagen bezüglich der Laufzeit in Geldmarkt und Kapitalmarkt (Bankenterminologie). Am sog. Geldmarkt beträgt die Laufzeit der Termingelder bis zu einem Jahr. Der Zinssatz wird hier überwiegend von der Notenbankpolitik bestimmt, da die Notenbank in der Regel nur kurzfristig Geld verleiht. Am Kapitalmarkt ist die Laufzeit der Termingelder größer als 1 Jahr und wird von den Zins- und Inflationserwartungen der Marktteilnehmer bestimmt.

Die Beziehung zwischen der Laufzeit einer risikolosen Anlage, was gleichbedeutend mit einem Kredit an einen Dritten mit der besten Bonität ist (AAA), und der Zinshöhe nennt man Zinsstrukturkurve. Bei normalem Verlauf der Zinsstrukturkurve steigen die Zinsen mit der Laufzeit an. Bei der inversen Zinsstrukturkurve ist es umgekehrt (vgl. Abb. 6.16).

Abb. 6.16
figure 16

Die Zinsstrukturkurve

Wie kann man den Verlauf der Zinsstrukturkurve erklären?

Erklärungsansätze für die Zinsstrukturkurve

  1. 1.

    Liquiditätspräferenzhypothese

    Eine lange Bindung verringert die Flexibilität des Anlegers. Der Investor muss eine Liquiditätsprämie zahlen. Je länger er nicht an sein Geld kommt, desto höher ist die Liquiditätsprämie. Deshalb steigt die Zinskurve mit der Zeit an. Auch das Warteopfer als Zinserklärung der Neoklassik fällt hierunter.

  2. 2.

    Erwartungshypothese

    Wie kann man aber inverse Kurven erklären oder sich ändernde Zinsstrukturkurven? Hier spielen Erwartungen eine Rolle. Erwarten die Anleger steigende Realzinsen bspw. aufgrund von zukünftigem Wachstum, werden sie ihr Geld kurzfristig anlegen und den kurzfristigen Zinssatz drücken. Am kurzen Ende steigt das Angebot, während es am langen fällt. Umgekehrt werden die Kreditnehmer versuchen, das Geld langfristig auszuleihen, um sich die relativ niedrigen Zinsen zu sichern. Am langen Ende steigt die Nachfrage und am kurzen Ende fällt sie. Beides führt zu einer stark ansteigenden Zinsstrukturkurve.

    Erwarten die Anleger eine ansteigende Inflation, werden sie ihr Geld kurzfristig anlegen und auf einen Risikoausgleich warten. Umgekehrt werden die Kreditnehmer versuchen, langfristig das Geld auszuleihen. Auch dies führt zu einer stark steigenden Zinsstrukturkurve.

    Erwarten sie aber in der Zukunft eine wirtschaftliche Schwächephase, und damit fallende Realzinsen, werden die Kapitalgeber versuchen, sich noch das relativ höhere Zinsniveau langfristig zu sichern und langfristig anlegen. Das Angebot wird am langen Ende steigen und am kurzen Ende fallen. Die Kreditnehmer werden versuchen, das Geld kurzfristig auszuleihen. Die Nachfrage wird am kurzen Ende steigen und am langen fallen. Deshalb kann man vor Rezessionen oft inverse Zinsstrukturkurven beobachten. Umgekehrt sind stark ansteigende Zinsstrukturkurven oft ein Zeichen für einen Aufschwung.

  3. 3.

    Marktsegmentierungshypothese

    Die Zinsstrukturkurve besteht je nach Laufzeit aus unterschiedlichen Marktsegmenten, die jeweils durch andere Anbieter und Nachfrager bestimmt werden. Zum Beispiel könnte man eine relativ niedrige Verzinsung bei 10-jährigen Laufzeiten erklären, weil dort ein kontinuierliches hohes Kapitalüberangebot durch die Lebensversicherer besteht. Die langfristige Kapitalnachfrage von Hausfinanzierungen und Staatsfinanzierungen schwankt hingegen. Viele Menschen legen aufgrund der Unsicherheit, ob sie ihr Geld noch benötigen nur kurz an. Im Geldmarkt, also kurzfristig, wird der Zinssatz durch die Geldpolitik der EZB bestimmt.

Weitere Zinseinflussfaktoren

Bei risikobehafteten Anlagen gibt es je nach Risiko sog. Risikoaufschläge. Beispielsweise haben risikolose Staatsanleihen ein sogenanntes AAA-Rating. Dies ist ein externes Rating, das von amerikanischen Ratingagenturen vergeben wird.Footnote 2

6.10 Das Kapitalmarktgleichgewicht

Was folgt warum?

Nachdem wir uns mit den Keynesianischen Grundlagen des Konsums, Sparens und Investierens sowie dem güterwirtschaftlichem Gleichgewicht im Einkommen-Ausgabenmodell beschäftigt haben, wollen wir uns nun den zentralen Märkten im Keynesianischen Modell, Kapital- und Geldmarkt, widmen. Das berühmte IS-LM-Modell, das wir im Folgenden darstellen werden, ist eine Interpretation der Theorie von Keynes durch Hicks.Footnote 3

Lernziele

Ziel ist, dass Sie in der Lage sind, die Funktionsweise des Keynesianischen Geldmarkts und des Kapitalmarkts zu erklären und die gleichgewichtige Kombination von Zins und Einkommen im IS/LM-Modell rechnerisch ermitteln können.

Die sogenannte IS-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Realeinkommen und Zins, die einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Kapitalmarkt bewirken. Hier sind Investieren (I) und Sparen (S) im Gleichgewicht, was den Namen IS-Kurve erklärt. Das Sparen entspricht dem Nachfrageausfall aus dem Teil des Einkommens der Haushalte, der nicht konsumiert wird. Um ein Gütermarktgleichgewicht zu erhalten, benötigen wir Investitionen in gleicher Höhe als zusätzliche Nachfrage. Es muss gelten I = S. Investieren hängt wie bei der Neoklassik vom Zins ab. Sparen hängt bei Keynes aber vom Einkommen ab, weshalb es hier keinen Marktgleichgewichtsmechanismus geben kann. Die IS-Kurve ist vielmehr der geometrische Ort aller Kombinationen von Realeinkommen und Zins, die ein gleich hohes Sparen und Investieren und damit einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Kapitalmarkt bewirken.

Wir suchen eine Kurve, die uns sagt, wann das Kapitalangebot, also das Sparen, und die Kapitalnachfrage, also die Investitionen, im Gleichgewicht sind und damit auch der Gütermarkt.

Es gilt:

$$ \begin{aligned} {\mathbf{S}} &= {\mathbf{S}}\left( {\mathbf{Y}} \right) \\ {\mathbf{I}} &= {\mathbf{I}}\left( {\mathbf{i}} \right) \\ {\mathbf{S}}\left( {\mathbf{Y}} \right)& = {\mathbf{I}}\left( {\mathbf{i}} \right) \\ \end{aligned} $$

Ein Gleichungssystem mit drei Gleichungen und vier Variablen ist lösbar, wenn man den Wert einer Variablen Y als gegeben annimmt. Wir starten mit einem gegebenen Einkommen, womit wir das Sparen entsprechend der Sparfunktion bestimmen können (vgl. Abb. 6.17). Jetzt benötigen wir an der Y-Achse gleich hohe Investitionen. Über die Investitionsfunktion können wir nun den Zins ermitteln, der Investitionen in der benötigten Höhe hervorruft. Jetzt haben wir eigentlich schon die Einkommens-Zins-Kombination, die ein Gleichgewicht am Kapitalmarkt und indirekt am Gütermarkt hervorruft. Um eine Kurve abzuleiten, müssen wir aber noch die Zinsen in einen Quadranten mit dem Einkommen bringen, weshalb wir den Zins an einer 45-Grad-Linie spiegeln. Im letzten, vierten Quadranten entsteht dann der erste Schnittpunkt des Einkommens und Zinses, der gleich hohe Spar- und Investitionsvolumen hervorruft. Mit dem nächsten Einkommen erhält man dann in gleicher Weise den dazugehörigen Gleichgewichtszins. Die IS-Kurve als Gerade ist damit bestimmt.

Abb. 6.17
figure 17

Konstruktion der IS-Kurve

Die Erwartungen der Unternehmen bezüglich der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung spiegeln sich auch in der IS-Kurve wider. Verschlechtert sich die erwartete Investitionsrentabilität, so verschiebt sich die Investitionskurve nach innen und mit ihr auch die IS-Kurve (Abb. 6.18).

Abb. 6.18
figure 18

Grafisches Beispiel: Reaktion der IS-Kurve bei Rückgang der Investitionserwartungen

Bei Keynes wird der Zins am Kapitalmarkt durch den Gleichgewichtszins des Geldmarkts vorgegeben, den wir im nächsten Kapitel besprechen. Der Geldmarkt gibt dem Kapitalmarkt die Zinsen vor. Am Kapitalmarkt passt sich die Produktion und damit auch das Einkommen solange an, bis ein Gleichgewichtspunkt auf der IS-Kurve und damit auch ein Gleichgewicht zwischen Investitionen und Sparen am Kapitalmarkt erreicht werden. Wie funktioniert der Anpassungsprozess? Wenn die gegebenen Zinsen für das bestehende Volkseinkommen zu hoch sind wie im Fall 1 (vgl. Abb. 6.18), gilt I (i) < S (Y). Es wird zu wenig investiert, damit die Nachfrage dem angebotenen Nationalprodukt entspricht. Die Unternehmen reagieren auf diese Unternachfrage, indem sie ihr Angebot anpassen, also weniger produzieren. Parallel sinkt das Einkommen, weshalb weniger gespart wird. Das Nationalprodukt sinkt und damit auch S (Y) bis wieder I (i) = S (Y) gilt.

Im zweiten Fall gilt das Umgekehrte. Die Zinsen sind zu niedrig, weshalb die Investitionsnachfrage größer ist als zusätzlich zum Konsum nötig ist, um die Produktion nachzufragen. Die zusätzliche Investitionsnachfrage ist größer als der Nachfragerückgang durch das Sparen. Da Keynes Kapazitätsunterauslastung unterstellt, erhöhen die Unternehmen kurzfristig ihre Produktion und stellen Mitarbeiter ein. Das Nationalprodukt, also auch das Einkommen, steigt. Mit dem Einkommen steigt auch das Sparen, also der Nachfrageausfall, bis die Höhe der Investitionsnachfrage als zusätzliche Nachfrage seitens der Unternehmen erreicht ist. Es wird das Gleichgewichtsnationalprodukt erreicht. Im IS-Modell ist der Zinssatz gegeben und das Nationalprodukt passt sich an. Der Zins bildet sich hingegen am Geldmarkt (vgl. Abb. 6.19).

Abb. 6.19
figure 19

Die IS-Kurve

6.11 Das Geldmarktgleichgewicht

Der Zinssatz, der über die Investitionsfunktion die Höhe des güterwirtschaftlichen Gleichgewichtseinkommens bestimmt, ist der Preis für Liquidität und bildet sich auf dem Geldmarkt gemäß Geldangebot und Geldnachfrage. Für die weiteren modellhaften Überlegungen unterstellt Keynes für den geldwirtschaftlichen Bereich der Volkswirtschaft:

  1. 1.

    das Geldangebot (M) eine autonome, von der Zentralbank exogen festgelegte Größe ist, die bei Bedarf von ihr verändert werden kann. Damit gilt:

    $$ {\mathbf{M}} = {\mathbf{const}}. $$
  2. 2.

    Die Geldnachfrage (L) wird von den Nichtbanken (Publikum) ausgeübt.

  3. 3.

    Die Nachfrage nach Geld ist davon abhängig, für welche Zwecke die Nichtbanken Geld verwenden. Die Geldfunktionen sind:

    1. a)

      Tauschmittelfunktion (wie bei Neoklassik)

    2. b)

      Recheneinheitsfunktion und (wie bei Neoklassik)

    3. c)

      Wertaufbewahrungsfunktion in Konkurrenz zu festverzinslichen Wertpapieren (neu!!!)

Zu 1. Die Transaktionskassennachfrage

Soweit Geld für Tauschmittelzwecke (LT) (Liquidity) benötigt wird, ist der Bedarf, also die Nachfrage, davon abhängig, wie groß der Wert des zu tauschenden Produktionsvolumens (Y) ist und wie hoch der auf den Zahlungsgewohnheiten des Publikums beruhende Kassenhaltungskoeffizient (-dauer) k ist (Abb. 6.20).

Abb. 6.20
figure 20

Die Transaktionskassennachfrage

dann ist \( {\mathbf{L}}_{{\mathbf{T}}} = {\mathbf{k}} \cdot {\mathbf{Y}} \)

Zu 2. Die Spekulationskassennachfrage

Die Funktionsweise von Rentenmärkten

Bei Keynes können die Haushalte ihr Geld als Kasse halten oder in Wertpapieren, sog. Renten, anlegen. Bekannter als Rentenpapiere sind Sparbücher. Auf ihnen kann der Haushalt Geld anlegen und bekommt es zum Marktzins verzinst. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate. Die professionellen Akteure der Kapitalmärkte benutzen allerdings keine Sparbücher, sondern festverzinsliche Schuldverschreibungen. Emittenten solcher Papiere, also die Schuldner, sind Unternehmen und Staaten. Diese Papiere versprechen den Besitzern eine feste jährliche Zinszahlung für die Laufzeit bis am Ende das Kapital zurückgezahlt wird. Werden die Papiere emittiert, so entsprechen der Wertpapierpreis 100 und der Zinssatz dem Marktzins. Die Rendite entspricht der Verzinsung dividiert durch den Kurs und demnach dem Marktzins bei Emission. Danach wird das Wertpapier an den Rentenbörsen gehandelt. Es bildet sich ein neuer Kurs als Marktpreis. Die Rendite eines Wertpapiers (WP) passt sich dem aktuellen Marktzinsniveau an. Werden Wertpapiere verkauft, sinkt der Kurs und damit auch die Rendite und mit ihr das Marktzinsniveau, vice versa. Unterstellt werden hier aus Vereinfachungsgründen festverzinsliche Wertpapiere mit unendlicher Laufzeit.

Beispiel: Ein WP kostet am Ausgabetag 100 € und wird mit 5 % verzinst. Die Rendite beträgt dann 5 %, was dem allgemeinen Zinsniveau entspricht. Steigt das allgemeine Zinsniveau auf 10 %, wird die 5 %-Anleihe nur noch zu einem Kurs von 50 € verkaufbar sein, weil dies der Marktrendite von 10 % entspricht.

$$ \begin{aligned} {\text{Rendite}}\,\left( {5\,\% } \right) &= \frac{{{\text{Nominalverzinsung}}\;{\text{oder}}\;{\text{Couponverzinsung}}\;\left( 5 \right)}}{{{\text{Kurs}}\;\left( {\text{Preis}} \right)\;{\text{des}}\;{\text{Wertpapiers}}\;\left( {100} \right)}} \\ \Uparrow \Downarrow {\text{Rendite}}\,\left( {10\,\% } \right)& = \frac{{{\text{Nominalverzinsung}}\;{\text{oder}}\;{\text{Couponverzinsung}}\;\left( 5 \right)}}{{{\text{Kurs}} \Downarrow \Uparrow \;\left( {50} \right)}} \\ \end{aligned} $$

Der Anleger kann sein Geld entweder als Kasse halten oder in festverzinsliche Wertpapiere investieren (Staats- oder Unternehmensanleihen). Investiert er in Wertpapiere, hat er den Vorteil, dass er einen Zins bekommt. Der Nachteil ist, dass der Kurs seines Wertpapiers sinken kann. Er hat dann, wie bei Aktien, ein Kursänderungsrisiko.

Die Rendite seiner Wertpapieranlage hängt von der Kursentwicklung seiner Papiere ab und die wiederum von der Entwicklung des allgemeinen Zinsniveaus. Steigt das Zinsniveau, also auch die Kapitalmarktrenditen festverzinslicher Anleihen, und hat er bereits in Wertpapiere investiert, sinkt der Kurs seines Wertpapiers. Er hätte dann besser das Geld als Kasse gehalten und später bei der höheren Rendite das Wertpapier gekauft. Fällt der Marktzins, steigt der Kurs seines Wertpapiers.

Die Rendite eines Wertpapiers passt sich dem aktuellen Marktzinsniveau an. Ferner: Werden Wertpapiere verkauft, sinkt der Kurs und damit steigt die Rendite und mit ihr das Marktzinsniveau, vice versa.

Für den Kurswert gilt:

$$ \begin{aligned} {\mathbf{Kurswert}} &= \frac{\text{Nominalverzinsung}}{{{\text{aktuelles}}\;{\text{Zinsniveau}}}} \times {\text{Nennwert}} = \frac{{{\text{i}}_{0} }}{\text{i}} \times {\text{NW}} \\ {\text{Kurswert}} &= \frac{5\,\% }{10\,\% } \times 100 = \frac{1}{2} \times 100 \\ \end{aligned} $$

Der Anleger muss die Vor- und Nachteile eines Wertpapierkaufs abwägen. Der Zinsertrag steht dem Risiko eines Kursverlustes gegenüber. Wann wird ein Anleger folglich in festverzinsliche WP investieren? Wenn der Zinsertrag höher als der erwartete Kursverlust ist.

Wir wollen wissen, ab welchem Marktzinssatz i der Zinsertrag größer als der erwartete Verlust ist.

$$ \begin{aligned} {\mathbf{Zinsertrag}} > {\mathbf{aktueller}}\;{\mathbf{Kurs}} - {\mathbf{erwarteter}}\;{\mathbf{Kurs}} \hfill \\ {\text{i}}_{0} \bullet {\text{Nennwert}} > \frac{{{\text{i}}_{0} }}{\text{i}} \bullet {\text{Nennwert}} - \frac{{{\text{i}}_{0} }}{{{\text{i}}_{\text{n}} }} \bullet {\text{Nennwert}} \hfill \\ \end{aligned} $$

\( \Leftrightarrow 1 > \frac{1}{\text{i}} - \frac{1}{{{\text{i}}_{\text{n}} }}/ + \frac{1}{{{\text{i}}_{\text{n}} }} \) (Zähler-Nennertausch, wobei sich das Vorzeichen umdreht)

\( \Leftrightarrow {\text{i}} > \frac{{{\text{i}}_{\text{n}} }}{{1 + {\text{i}}_{\text{n}} }} \) d. h. beträgt bspw. der durchschnittliche erwartete Zinssatz 5 %, liegt der kritische Zinssatz bei 4,76 % (0,05/1,05).

$$ i = Marktzins,\;i_{0} = Nominalverzinsung,\;i_{n} = erwarteter\;Zinssatz $$

D. h. beträgt der aktuelle Zinssatz 3 % und der Anleger erwartet einen durchschnittlichen Zinssatz von 5 %, wird er nicht investieren, sondern warten bis der Zinssatz 4,76 % überschritten hat. Dann investiert er sein ganzes Geld in Wertpapiere. Da jeder Anleger andere Erwartungen bezüglich des zukünftigen durchschnittlichen Zinssatzes hat, ergibt sich für die Spekulationskassennachfrage eine Kurve (vgl. Abb. 6.21).

Abb. 6.21
figure 21

Die Spekulationskassennachfrage

Wenn der Zins sinkt, wird der kritische Zinssatz von immer mehr Anlegern unterschritten, weshalb immer mehr Anleger ihre Wertpapiere verkaufen, weil sie Geld halten wollen, um später eine höhere Rendite zu erzielen bzw. den Kursverlusten entgehen wollen. Ist der Zinssatz niedrig, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er in der Zukunft höher ist, was für die Anleger, wenn sie jetzt kaufen, Kursverluste bedeuten würde. Die Spekulationskassennachfrage nach Geld steigt. Sie spekulieren auf fallende Kurse. Umgekehrt, steigt der Zinssatz, werden immer mehr Anleger auf steigende Kurse spekulieren und Wertpapiere kaufen. Ist der Zinssatz hoch, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er in der Zukunft niedriger ist, was für die Anleger, wenn sie jetzt kaufen Kursgewinne bedeuten würde. Es lohnt sich Wertpapiere zu kaufen, weil die Zinserträge größer als die erwarteten Kursverluste sind. Die Spekulationskassennachfrage fällt.

Diese spekulative Geldnachfrage führt somit, ergänzend zu der einkommensabhängigen Transaktionskassengeldhaltung LT, auch zu einer zinsabhängigen Kassenhaltung, für die gilt:

$$ \begin{aligned} {\mathbf{L}}_{{\mathbf{S}}} = {\mathbf{L}}_{{\mathbf{S}}} \left( {\mathbf{i}} \right){\mkern 1mu} \hfill \\ \;\;\;\;\;\;\;\;\;\;\left( - \right) \hfill \\ \end{aligned} $$

Dabei wird für deren Funktionsverlauf unterstellt, dass

  1. 1.

    ab einem bestimmten Maximumszinssatz imax kein Wirtschaftssubjekt mehr zur liquiden Vermögenshaltung bereit ist (Geldnachfrage LS=0), d. h. alle Anleger haben bereits in Wertpapiere investiert, weil ihr kritischer Zinssatz überschritten ist, d. h. die Zinserträge übersteigen bei allen Anlegern die erwarteten Kursverluste.

  2. 2.

    ab einem bestimmten Minimumszinssatz imin, ikrit. die Nachfrage nach Geld für spekulative Zwecke vollkommen zinselastisch ist, also alles Geld in die Kasse geht, um liquide zu bleiben (Liquiditätspräferenzfunktion in der sog. Liquiditätsfalle). Die Anleger fürchten Kursverluste. D. h. der niedrige Zinssatz kompensiert nicht die erwarteten Kursverluste.

Bei Keynes gibt es einen weiteren Geldnachfragetyp, die sog. Vorsichtskassennachfrage für unerwartete Ausgaben. Die möglichen unerwarteten Ausgaben hängen vom Lebensstil ab, also vom Einkommen, das diesen ermöglicht. Umgekehrt wirkt sich ein steigender Zins negativ auf die Vorsichtskassennachfrage aus, da der Anleger auf die Zinsanlage verzichten muss, um die Kasse zu halten. Die Vorsichtskassennachfrage kann aber aufgrund ihres geringen Umfangs vernachlässigt werden. Ferner wirken Zins und Einkommen auf sie wie auf die Transaktions- und Spekulationskassennachfrage. Wie die Transaktionskassennachfrage hängt sie positiv vom Einkommen (unvorhergesehene Ausgaben) ab und wie die Spekulationskassennachfrage negativ vom Zins als Opportunitätskosten. Deshalb fällt sie nicht ins Gewicht.

Zur Veranschaulichung der Spekulationsnachfragekurve kann man sie in einer Gruppe praktisch herleiten, indem man in die Runde fragt, wer 1000 € auf zehn Jahre für einen festen Zinssatz anlegen würde. Man startet mit einem sehr niedrigen Zinssatz, bspw. mit 2 %. In der Regel meldet sich hier niemand. Das bedeutet hier ist die Spekulationskassennachfrage unendlich groß. Wenn dies die Zinsschwelle ist, nach der niemand mehr Wertpapiere kauft, wäre dies der kritische Zinssatz. Alles Geld wird in der Kasse gehalten, niemand kauft Wertpapiere. Wenn man jetzt den Zins langsam steigert, werden immer mehr Anleger Wertpapiere kaufen. Bis schließlich bei einem Zinssatz von bspw. 10 % alle Anleger Wertpapiere gekauft haben und kein Geld mehr als Kasse halten. I max ist der maximale kritische Zins der Anleger. Ist er überschritten, haben alle Anleger in Wertpapiere investiert und die Spekulationskasse ist leer. Umgekehrt ist i min der minimale kritische Zinssatz der Anleger. Ist dieser unterschritten, sind alle Anleger aus den Wertpapieren ausgestiegen und halten nur noch Spekulationskassennachfrage.

Für den geldwirtschaftlichen Bereich gelten damit folgende Angebots- und Nachfragefunktionen:

$$ \begin{aligned} {\text{M}}/{\text{p}}& = {\text{autonom}} \\ 1.\;{\text{L}}_{\text{T}} &= {\text{k}} \cdot {\text{Y}} \\ 2.\;{\text{L}}_{\text{S}} &= {\text{L}}_{\text{S}} \left( {{\text{i}}, - } \right) \\ {\text{L}} &= {\text{k}} \cdot {\text{Y}} + {\text{L}}_{\text{S}} \left( {\text{i}} \right) \\ \end{aligned} $$

Die Geldnachfrage besteht folglich aus zwei Komponenten:

  • Transaktionskassennachfrage, d. h. Nachfrage nach Geld für Transaktionen, Tausch: Geld gegen Güter (Konsum). Die Transaktionskassennachfrage ist abhängig von Y und k;

  • Spekulationskassennachfrage, d. h. Nachfrage nach Geld zum späteren Kauf festverzinslicher Wertpapiere. Die Anleger spekulieren auf Zinssteigerungen. Sie ist negativ abhängig vom Zins. Je niedriger die Zinsen, desto mehr Anleger erwarten in Zukunft höhere Zinsen und wollen Kasse halten.

Die Gleichgewichtsbedingung lautet demnach:

$$ 3.\;{\mathbf{M}}/{\mathbf{p}} = {\mathbf{k}} \cdot {\mathbf{Y}} + {\mathbf{L}}_{{\mathbf{S}}} \left( {\mathbf{i}} \right) $$

Wir haben also jetzt ein gegebenes Geldangebot und zwei Geldnachfragen. Die eine, die Transaktionskassennachfrage, ist vom Einkommen abhängig und die Spekulationskassennachfrage ist vom Zins abhängig. Um das Geldmarktgleichgewicht zu bestimmen, muss man also wie bei der IS-Kurve die Kombinationen von Einkommen und Zins finden, die genauso viel Geldnachfrage erzeugen wie Angebot vorhanden ist. Die sogenannte LM-Kurve ist der geometrische Ort aller Kombinationen von Einkommen und Zins, die einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage am Geldmarkt bewirken. Der Name bedeutet Gleichheit von L, der Geldnachfrage („demand for liquidity“) und dem Geldangebot M („money“). Wie bestimmt man die LM-Kurve, also das Geldmarktgleichgewicht?

Wie bei der IS-Kurve ist bei vier Variablen (LT, LS, Y und i) und drei Gleichungen die Bestimmung des geldwirtschaftlichen Gleichgewichts möglich, wenn man den Wert einer Variablen als gegeben annimmt (vgl. Abb. 6.22).

Abb. 6.22
figure 22

Die Geldmarktgleichgewichtskurve

Bei der LM-Kurve nehmen wir i als gegeben an und leiten hieraus die Spekulationskassennachfrage mit der entsprechenden gegebenen Funktion ab (1). Der Schenkel des gleichschenkligen Dreiecks zeigt uns die reale Geldmenge M/p an. Wir ziehen die Spekulationsnachfrage ab und erhalten einen Rest, der übrig ist für die Transaktionskassennachfrage (2). Wir benötigen jetzt eine Transaktionskassennachfrage, die genauso groß ist wie die nicht von der Spekulationskassennachfrage benötigte Geldmenge, damit ein Gleichgewicht zwischen Geldangebot und Geldnachfrage erreicht wird. Da sich die Transaktionskassennachfragekurve in einem anderen Quadranten befindet, müssen wir wie bei der IS-Kurve spiegeln, aber dieses Mal so, dass sich der restliche, der Transaktionskasse zuzuordnende Geldbetrag an der Y-Achse befindet. Deshalb spiegeln wir an der Hypotenuse des gleichschenkligen Dreiecks (3). Der andere Schenkel des Dreiecks repräsentiert das Geldangebot, das jetzt umgekehrt aufgeteilt uns zuerst den für die Transaktionskassennachfrage übrigen Rest anzeigt. Hiervon ausgehend können wir nun über die Funktion der Transaktionskassennachfrage das dazu gehörende Einkommen ableiten. Bei diesem Einkommen wird also genauso viel Transaktionskassennachfrage entstehen, wie benötigt wird, um den von der Spekulationskassennachfrage nicht benötigten Teil nachzufragen (4). Wir haben somit die erste Zins-Einkommenskombination ermittelt, bei der auf dem keynesianischen Geldmarkt das Geldangebot gleich der Geldnachfrage ist. Wir können so weitere Punkte herleiten, indem wir immer einen anderen Zins als gegeben annehmen und dann hiervon die Spekulationskassennachfrage ableiten und dann den Rest auf die Transaktionskassennachfrage mit dem dazugehörenden Einkommen verteilen.

Die Bildung des Gleichgewichtszinses

Wie bereits ausgeführt, bildet sich bei Keynes am Geldmarkt der Zins, der dann am Kapitalmarkt den Anpassungsprozess über das Einkommen an ein IS-Gleichgewicht und damit auch an ein Gütermarktgleichgewicht einleitet. Wie bildet sich der Gleichgewichtszins auf dem Geldmarkt? (Abb. 6.23).

Abb. 6.23
figure 23

Die Anpassungsprozesse der LM-Kurve

  1. 1.

    Fall (1): Alle Punkte links (z. B. Y1 und io) von der LM-Kurve stellen Einkommen – Zins – Kombinationen dar, bei denen ein Geld-Überangebot besteht (M>L). Die tatsächliche Kassenhaltung ist höher als die bei vorliegenden Zinsen und Einkommenshöhe geplante (gewollte) Kassenhaltung (M > L). Der Zinssatz ist höher als der kritische Zinssatz einiger Anleger, weshalb diese Wertpapiere kaufen. Um die zu hohe Liquidität abzubauen, fragen die Wirtschaftssubjekte vermehrt Wertpapiere nach. Die Anleger halten mehr Geld in der Kasse als sie möchten, weshalb sie Wertpapiere kaufen. Die so entstehende Übernachfrage nach verzinslichen Papieren lässt die Kurse steigen, was gleichbedeutend ist mit einer Renditesenkung. Die Rendite aller sich im Umlauf befindenden Wertpapiere nennt man Umlaufrendite. Sie repräsentiert den Marktzins. So kommt es, dass der Marktzins fällt, wenn die Anleger Wertpapiere kaufen.

    $$ \Downarrow {\text{Rendite}}\,\left( {10\,\% } \right) = \frac{{{\text{Nominalverzinsung}}\;{\text{oder}}\;{\text{Couponverzinsung}}}}{{{\text{Kurs}} \Uparrow }} $$

    Mit sinkenden Zinsen steigt, gemäß der Spekulationskassennachfragenfunktion, die Nachfrage nach Kasse, bis der zu dem Einkommen gehörende Punkt auf der LM-Kurve erreicht wurde. Dort ist die tatsächliche Kassenhaltung gleich hoch wie die geplante Kassenhaltung. Die Spekulationskassennachfrage ist über den sinkenden Zins solange gestiegen, bis sie zusammen mit der gegebenen Transaktionskassennachfrage gleich dem Geldangebot ist.

    In Kürze:

    Zins zu hoch für Gleichgewicht LS (i, –), LT (Y), d. h. L < M

    $$ \Rightarrow {\text{K}}\ddot{\rm a} {\text{ufe}}\;{\text{von}}\;{\text{WP}} \Rightarrow {\text{Kurse}}\; \uparrow \Rightarrow {\text{i}} \downarrow $$
  2. 2.

    2. Fall (2): Alle Punkte rechts (z. B. Y2 und i0) von der L/M-Kurve stellen Einkommen – Zins – Kombinationen dar, bei denen eine Geldübernachfrage besteht (M < L). Die tatsächliche Kassenhaltung ist geringer als die bei vorliegenden Zinsen und Einkommenshöhe geplante (gewollte) Kassenhaltung (M < L).

    Der Zinssatz ist niedriger als der kritische Zinssatz einiger Anleger, weshalb diese WP verkaufen. Um Liquidität zu bekommen, verkaufen die Wirtschaftssubjekte Wertpapiere. Die Anleger halten weniger Geld in der Kasse als sie aufgrund des geringen Zinssatzes möchten, weshalb sie Wertpapiere verkaufen. Das so entstehende Überangebot festverzinslicher Wertpapiere lässt die Kurse sinken, was gleichbedeutend ist mit einer Zinserhöhung.

    $$ \Uparrow {\text{Rendite}} = \frac{{{\text{Nominalverzinsung}}{\mkern 1mu} \;{\text{oder}}{\mkern 1mu} \;{\text{Couponverzinsung}}}}{{{\text{Kurs}} \Downarrow }} $$

    Mit steigenden Zinsen sinkt gemäß der Spekulationskassennachfragenfunktion die Nachfrage nach Kasse, bis der zu dem Einkommen gehörende Punkt auf der LM-Kurve erreicht wurde. Dort ist die tatsächliche Kassenhaltung gleich hoch wie die geplante Kassenhaltung. Die Spekulationskassennachfrage ist über den steigenden Zins solange gefallen, bis sie zusammen mit der gegebenen Transaktionskassennachfrage gleich dem Geldangebot ist.

    In Kürze:

    Zins zu niedrig für Gleichgewicht LS (i, −), LT (Y), d. h. L > M

    $$ \Rightarrow {\text{Verk}}{\ddot{\text{a}} }{\text{ufe}}{\mkern 1mu}\;{\text{von}}{\mkern 1mu}\;{\text{WP}} \Rightarrow {\text{Kurse}} \downarrow \Rightarrow {\text{i}} \uparrow $$

    Warum steigt die LM-Kurve im mittleren Bereich? Anders formuliert, warum geht mit einem steigenden Einkommen ein steigender Zins einher. Was passiert auf dem Geldmarkt, wenn das Einkommen bei gleicher Geldmenge steigt?

    Die Gleichgewichtsbedingung für den Geldmarkt lautet:

    $$ {\text{M}}/{\text{p}} = {\text{L}}_{\text{T}} \left( {{\text{Y}}, + } \right) + {\text{L}}_{\text{S}} \left( {{\text{i}}, - } \right) $$

    Steigt das Einkommen, so steigt auch die Transaktionskassennachfrage, weil die Haushalte mehr Geld für ihre Güterkäufe benötigen. D. h. der Zins muss steigen, damit sich bei gleicher Geldmenge ein Gleichgewicht zwischen Geldangebot und Geldnachfrage bildet. Nur bei einem höheren Zins geht die Spekulationskassennachfrage zurück, womit es Spielraum für eine höhere Transaktionskassennachfrage gibt. Nur bei höherem Zins ist genügend Geld für die Transaktionskassennachfrage übrig.

    Es gibt noch eine praktischere Erklärung. Mit steigendem Einkommen steigt auch die Transaktionskassennachfrage. Um die für das höhere Einkommen notwendige Geldmenge in die Kasse zu bekommen, verkaufen die Anleger Wertpapiere, weshalb die Kurse sinken, und damit die Rendite, also das allgemeine Zinsniveau steigt. Nur bei einem höheren Zins kann die Spekulationskassennachfrage zugunsten der Transaktionskassennachfrage zurückgehen.

6.12 Das IS/LM-Modell

Wie wirken Geld- und Kapitalmarkt zusammen? Das Geldangebot ist gegeben. Zusammen mit der Liquiditätspräferenz in Relation zum Einkommen (LT, Transaktionsmotiv) und zum Zins (LS, Spekulationsmotiv) ergibt sich die Geldmarktgleichgewichtskurve LM. Auf dem Geldmarkt bildet sich der Zins. In Abhängigkeit vom Einkommen passt sich i an, bis gilt:

$$ {\text{M}}/{\text{p}} = {\text{L}}_{\text{T}} \left( {{\text{Y}}, + } \right) + {\text{L}}_{\text{S}} \left( {{\text{i}}, - } \right). $$

Bei Keynes bildet sich am Geldmarkt der Zins, der die Höhe der Investitionen bestimmt. Das Nationalprodukt bzw. Einkommen passt sich an.

Die Sparfunktion zeigt die Sparneigung in Relation zum Einkommen und die Investitionsfunktion die Kapitalnachfrage in Relation zum Zins und beide ergeben zusammen die IS-Kurve. Auf dem Kapitalmarkt passt sich das Einkommen bzw. die Produktion entsprechend dem Zins an.

Während für den Kapitalmarkt und den Geldmarkt eine große Zahl gleichgewichtiger Einkommens – Zins – Kombinationen bestimmbar waren, gibt es nur eine einzige Einkommens – Zins – Kombination, die für beide Bereiche gleichzeitig ein Gleichgewicht garantiert. Diese wird durch den Schnittpunkt zwischen der IS- und der LM-Kurve bestimmt.

Prinzipiell kommen vier Nicht-Gleichgewichtskombinationen in Frage. Der erste Punkt (1) in Abb. 6.24 liegt unterhalb der LM-Kurve. Der Zins ist deshalb bei dem gegebenen Einkommen für ein Geldmarktgleichgewicht zu niedrig. Die Wertpapierrendite ist zu unattraktiv, weshalb es eine Übernachfrage nach Spekulationskasse gibt. Die Anleger verkaufen Wertpapiere, um ihre Nachfrage zu befriedigen. Die Wertpapierkurse sinken. Damit steigt die Rendite der Wertpapiere, also auch das allgemeine Zinsniveau. Es gibt eine Tendenz zum Gleichgewichtszins, die durch den Pfeil dargestellt wird.

Abb. 6.24
figure 24

Gleichgewichtsprozesse im IS/LM-Modell

Der erste Punkt liegt auch oberhalb der IS-Kurve. Somit besteht ein Kapitalmarktüberangebot. Die Investitionsnachfrage ist bei dem vom Geldmarkt gegebenen Zins zu niedrig, um das durch das Nationalprodukt vorgegebene Kapitalangebot S (Y) durch Investitionen I (i) nachzufragen. Dies bedingt ein Überangebot auf dem Gütermarkt, weshalb die Unternehmen das Angebot verringern. Das Nationalprodukt und das Volkseinkommen sinken über den Multiplikatoreffekt, da die Unternehmen Mitarbeiter entlassen und diese weniger konsumieren also nachfragen. Es besteht demnach eine Tendenz zum Gleichgewichtsnationalprodukt, die der Pfeil symbolisiert.

Für die anderen Punkte gibt es entsprechende Tendenzen zum Gleichgewichtszins und Gleichgewichtsnationalprodukt. Liegt der Zins oberhalb der LM-Kurve, ist er bei gegebenem Einkommen zu hoch. Die Haushalte wollen bei dem hohen Zins weniger Spekulationskasse halten und ihr Geld lieber in Wertpapiere anlegen. Sie kaufen Wertpapiere. Die Kurse steigen, womit die Wertpapierrendite und damit das allgemeine Zinsniveau fallen.

Liegt der Punkt unterhalb der IS-Kurve, ist der Zinssatz zu niedrig für ein Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren. Ist der Zinssatz zu niedrig, sind die Investitionen zu hoch, also höher als das Sparen, was einer Übernachfrage auf dem Gütermarkt entspricht. Die Unternehmen weiten die Produktion aus. Das Nationalprodukt und damit das Einkommen steigen und somit auch das Sparen als Nachfrageausfall, bis wieder ein Gleichgewicht zwischen Sparen und Investieren und damit auch ein Gütermarktgleichgewicht zwischen Nachfrageausfall und zusätzlicher Nachfrage erreicht wird.

Prinzipiell könnte der Kapitalmarkt im Gleichgewicht sein (I = S), aber nicht der Geldmarkt. Dann würde sich auch der Zins auf dem Geldmarkt anpassen, also ändern, was wiederum einen Anpassungsprozess des Kapitalmarkts an das neue Zinsniveau zur Folge hätte. Je nachdem, ob der Zins dann über der IS-Kurve liegt oder darunter ergibt sich eine Unter- oder Übernachfrage auf dem Gütermarkt mit einem entsprechenden Anpassungsprozess.

Die IS-Kurve kann die LM-Kurve in drei Bereichen schneiden (Abb. 6.25):

Abb. 6.25
figure 25

Bereiche der LM-Kurve

  1. 1.

    Klassischer Bereich: der Zins ist so hoch, dass alle Anleger in Wertpapiere bereits investiert haben, die Spekulationskasse ist leer. Die Geldnachfrage ist unabhängig vom Zins wie bei der Neoklassik.

  2. 2.

    Gekrümmter Bereich (Normalfall): höheres Einkommen bedingt höhere Zinsen, da für die Transaktionskassennachfrage die Spekulationskassennachfrage zurückgehen muss. Steigt das Einkommen, verkaufen die Haushalte Wertpapiere, um das Geld für die Transaktionskasse zur Verfügung zu haben. Die Kurse fallen, womit die Wertpapierrendite und damit das allgemeine Zinsniveau steigen.

  3. 3.

    Keynes Bereich oder Liquiditätsfalle: Ist der kritische Zins von allen Anlegern unterschritten (imin), ist die Spekulationskassennachfrage hundertprozentig elastisch. Die Anleger wollen nur Kasse halten und nicht in Wertpapiere investieren, weshalb der Zins nicht weiter fallen kann. Der kritische Zins ist konstant niedrig, d. h. in diesem Bereich kann das Einkommen steigen, ohne dass der Zins steigt, da die Haushalte über genügend Geld in der Kasse verfügen (vgl. auch Siebe und Wenke 2014; Blanchard 2014; Blanchard und Illing 2006; Wagner und Böhne 2003; Felderer und Homburg 2005; Drost et al. 2003; Mankiw 2013; John 2004 sowie Mussel 2009).

Zusammenfassung

Das Geldangebot ist gegeben. Zusammen mit der Liquiditätspräferenz in Relation zum Einkommen (LT, Transaktionsmotiv) und zum Zins (LS, Spekulationsmotiv) ergibt sich die Geldmarktgleichgewichtskurve LM. Auf dem Geldmarkt bildet sich der Zins. Die Sparfunktion zeigt die Sparneigung in Relation zum Einkommen und die Investitionsfunktion die Kapitalnachfrage in Relation zum Zins. Der Schnittpunkt von IS-LM-Kurve bestimmt damit das Gleichgewichtseinkommen, bei dem Geld- und Kapitalmarkt im Gleichgewicht sind. Es gilt I = S, womit dann auch der Gütermarkt im Gleichgewicht ist (nach einem möglichen Anpassungsprozess).

Verständnisfragen

  1. 1.

    Erklären Sie den Anpassungsprozess zur Gleichgewichtszins- und Einkommenskombination, wenn der Zins rechts bzw. unterhalb der LM-Kurve liegt.

  2. 2.

    Erklären Sie den Anpassungsprozess zur Gleichgewichtszins- und Einkommenskombination, wenn der Zins links bzw. unterhalb der IS-Kurve liegt.

  3. 3.

    Warum gibt es einen Bereich der LM-Kurve, der unendlich zinselastisch ist? Wie verhalten sich hier die Anleger?

Übungsaufgabe: Rechnerische Bestimmung des Gleichgewichtseinkommens am Geldmarkt

  1. 1.

    Im Rahmen einer keynesianischen Modellwelt seien gegeben:

    autonomes Geldangebot: 460 Mrd. 

    Kassenhaltungskoeffizient: 0,2

    zinsabhängige Spekulationskassennachfrage:

    $ \begin{aligned} {\text{L}}_{{\text{S}}} \left( {\text{i}} \right) & = {\mkern 1mu}^{{180}} /_{{\text{i}}}{\mkern 1mu} \;{\text{f}}\ddot{\rm u}{\text {r}}1 \le i \le 10 \\ {\text{f}}\ddot{\rm u}{\text {r}} & = 0{,}99\;{\text{L}}_{{\text{S}}} \left( {\text{i}} \right) = {\text{vollkommen}}\;{\text{elastisch}} \\ {\text{f}}\ddot{\rm u}{\text {r}}\;{\text{i}} & \ge 10\;{\text{L}}_{{\text{S}}} \left( {\text{i}} \right) = 0 \\ \end{aligned} $

    Bestimmen Sie die Höhe der Gleichgewichtseinkommen

    für i = 1; 1,5; 2 und 3.

  2. 2.

    Nehmen Sie an für die deutsche Wirtschaft gelten folgende keynesianische Rahmenbedingungen:

    Konsumfunktion lautet: C = 300 + 0,60 (Y−T)

    Die Investitionsfunktion lautet: I = 300 – 50i. Die Geldnachfragefunktion lautet L = Y − 200i. Die Staatsausgaben und die Steuern betragen jeweils 100. Das Geldangebot M entspricht 2000 und das Preisniveau P ist gleich 4. Bestimmen Sie den gleichgewichtigen Zinssatz i und das Gleichgewichtseinkommen Y.

  3. 3.

    Nehmen Sie an, für die deutsche Wirtschaft gelten folgende keynesianische Rahmenbedingungen. Die Konsumfunktion lautet: C(Y) = 60 + 0,5 Y. Die Investitionsfunktion lautet: I(i) = 50 − 500i. Die Staatsausgaben betragen 40. Die Geldnachfragefunktion lautet L (Y, i) = Y − 4000i. Das Geldangebot M beträgt 800 und das Preisniveau P ist gleich 4.

    1. a)

      Bestimmen die die Gleichungen für die IS- und die LM-Kurve.

    2. b)

      Bestimmen Sie den gleichgewichtigen Zinssatz i und das Gleichgewichtseinkommen Y.

    3. c)

      Wie hoch sind die Investitionen und der Konsum im Gleichgewichteinkommen?

    4. d)

      Nehmen Sie an, das Einkommen (bzw. BIP) würde beim Gleichgewichtszinssatz 350 betragen. Beschreiben Sie die Situation auf dem Geld- und dem Gütermarkt. Wie würden sich Einkommen und Zinssatz anpassen, damit das Gleichgewicht erreicht wird?

6.13 Ein allgemeines Keynesianisches Gesamtmodell (Neoklassische Synthese)

Was folgt warum?

Um gesamtwirtschaftliche Aussagen ableiten zu können, benötigen wir noch ein Keynesianisches Totalmodell, das alle Märkte umfasst. Die sogenannte Neoklassische Synthese ist im engeren Sinne nicht keynesianisch. Sie wurde nach Keynes von einigen Volkswirten entwickelt. Mit ihr gelingt aber die Einbeziehung der normalen wirtschaftlichen Situation, womit ein generell anwendbares Gesamtmodell entsteht.

Lernziel

Ziel ist, dass Sie in der Lage sind, die Funktionsweise des Keynesianischen Gesamtmodells zu erklären und die gleichgewichtige Kombination von Zins und Einkommen rechnerisch zu ermitteln. Darüber hinaus sollen Sie erläutern können, welche Wirtschaftspolitik in welcher Situation erforderlich ist.

In der sog. Neoklassischen Synthese verbindet man den neoklassischen Angebotssektor, also den Arbeitsmarkt und die Produktionsfunktion, mit dem nachfrageorientierten keynesianischen IS/LM-Modell für den Geld- und Kapitalmarkt (vgl. Abb. 6.26). Wir erinnern uns, nachfrageorientiert ist das keynesianische IS/LM-Modell, weil hier nicht wie bei der Neoklassik immer auch automatisch die Menge nachgefragt wird, die angeboten wird.

Abb. 6.26
figure 26

Herleitung der gesamtwirtschaftlichen Nachfragekurve

Das Saysche Theorem gilt nicht und es kann, wenn die Investitionsnachfrage, bspw. aufgrund von plötzlichen negativen Erwartungen (sinkende Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals), zu gering ist, zu einem Überangebot kommen. Dies ist der Fall in einer Depression.

Neu ist der III. Quadrant, der das Preisniveau bestimmt. Hier trifft die neoklassische Angebotsfunktion auf die vom IS/LM-Modell abgeleitete Nachfragefunktion.

Es wird gefragt, inwiefern sich das Gleichgewichtseinkommen im IS/LM-Modell ändert, wenn sich das gesamtwirtschaftliche Preisniveau verändert. Das Preisniveau findet sich im IS/LM-Modell nur beim realen Geldangebot. Für das Geldmarktgleichgewicht muss gelten: M/p = LT (Y, +) + LS (i −). Erhöht sich das Preisniveau, sinkt das reale Geldangebot M/p. Damit verschiebt sich die LM-Kurve, weil das Geldangebot eine exogene Variable ist. Um auf dem Geldmarkt ein neues Gleichgewicht zu finden, muss bei einem geringeren realen Geldangebot der Zins höher sein (vgl. Abb. 6.27a), damit die Haushalte weniger Spekulationskasse nachfragen und/oder das Nationalprodukt bzw. Einkommen geringer sein (vgl. Abb. 6.27b), damit auch die Transaktionskassennachfrage sinkt. Anders ausgedrückt, die Wirtschaftsakteure versuchen, die geringere reale Geldmenge durch den Verkauf von Wertpapieren auszugleichen. In der Folge fallen die Kurse und die Rendite der Papiere, also der Zins, steigt. Höhere Zinsen auf dem Geldmarkt bewirken auf dem Kapitalmarkt ein Ungleichgewicht. Die zinsabhänigen Investitonen sinken, was über die sinkende Investitionsnachfrage eine Unternachfrage auf dem Gütermarkt erzeugt. Die Unternehmen passen ihr Angebot an, indem sie es reduzieren. Es kommt zu einem negativen Multiplikatorprozess, bei dem identisch Produktion und Einkommen sinken. Das Gleichgewicht und das Gleichgewichteinkommen verschieben sich nach links.

Abb. 6.27
figure 27

b Wirkung von Preisniveauerhöhungen auf die LM-Kurve

Preisniveauerhöhungen

(M/p↑)↓ d. h. für den Prozess zum neuen Geldmarktgleichgewicht M/p = LT (Y, +) + LS (i −) muss gelten:

$$ {\text{L}}_{\text{T}} \left( {{\text{Y}} \downarrow } \right) \downarrow +\, {\text{L}}_{\text{S}} \left( {{\text{i}} \uparrow } \right) \downarrow \Rightarrow {\text{i}} \uparrow \Rightarrow {\text{I}}\left( {{\text{i}} \uparrow } \right) \downarrow \Rightarrow {\text{Y}}^{\text{D}} \downarrow $$

Die LM-Kurve verschiebt sich also nach links, womit sich auch das Gleichgewichtseinkommen im IS/LM-Modell nach links verschiebt. Somit sinkt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, wenn das Preisniveau steigtFootnote 4.

Übungsaufgabe

Berechnung der Güternachfragefunktion

Stellen Sie sich vor, die Geldnachfragefunktion laute in Deutschland L(Y, i) = 3Y − 200i, die Sparfunktion S(Y) = 0,6 Y und die Investitionsfunktion I (i) = 6 − 60i sind empirisch ermittelt.

  1. a)

    Die Realkasse sei M/P = 5. Wie lauten dann Realeinkommen und Zins?

  2. b)

    Nehmen Sie an die Geldmenge beträgt 30. Nun können Sie die Güternachfragefunktion YD berechnen.

Keynes Effekt: Gleichgewichtsprozess bei Preisabweichungen

Gleichgewichtsprozess: Nehmen wir den Fall an, dass das Preisniveau über dem Gleichgewichtspreisniveau liegt (vgl. Abb. 6.28). Aufgrund der geringen realen Geldmenge M/p müssen im Geldmarktgleichgewicht die Zinsen höher sein als im Gesamtgleichgewicht, damit die Spekulationskassennachfrage geringer ist und das Einkommen niedriger, damit die Transaktionskassennachfrage geringer ist. Damit muss die LM-Kurve links von der Gleichgewichts-LM-Kurve liegen. Da die Zinsen zu hoch sind, ist die Investitionsnachfrage auf dem Gütermarkt zu gering und es entsteht ein Güterüberangebot. Als Folge hiervon sinken die Preise und die reale Geldmenge steigt wieder an. Die Anleger haben mehr Geld als sie halten wollen und kaufen Wertpapiere, weshalb die Kurse steigen und die Rendite und somit das Marktzinsniveau sinken. Da die Zinsen fallen, steigen Investitionsnachfrage und damit auch die Güternachfrage, bis das Gleichgewichtseinkommen wieder erreicht ist. Die LM-Kurve verschiebt sich nach rechts, bis die Gleichgewichts-LM-Kurve wieder erreicht ist.

Abb. 6.28
figure 28

Der Keynes Effekt

Diesen indirekten Zusammenhang zwischen Preisniveau und Güternachfrage über die Realgeldmengen induzierte LM-Kurvenabsenkung nennt man Keynes-Effekt.Footnote 5 Unter dem Strich führt somit auch bei Keynes wie bei der Neoklassik eine Verdopplung der Geldmenge zu einer Verdoppelung des Preisniveaus vice versa. Bei einer doppelt so hohen Geldmenge kaufen die Wirtschaftssubjekte Wertpapiere. Die Zinsen sinken, die Investitionen steigen und es kommt zu einer entsprechenden Übernachfrage, die eine Preisniveauerhöhung bewirkt, bis die alte Realkasse wiederhergestellt ist.

$$ {\mathbf{Keynes - Effekt}} :{\mathbf{p}} \downarrow \Rightarrow {\mathbf{M/p}}\uparrow \Rightarrow {\mathbf{WP^D}} \uparrow \Rightarrow {\mathbf{i}} \downarrow \Rightarrow {\mathbf{I}}\left( {\mathbf{i}} \right) \uparrow \Rightarrow {\mathbf{Y}} \uparrow $$

6.14 Keynesianische Wirtschaftspolitik in der Normalsituation

6.14.1 Expansive kreditfinanzierte Fiskalpolitik

IS: \( {\text{S}}\left( {\text{Y}} \right) = {\text{I}}\left( {\text{i}} \right) + {\text{G}} \)

Der Effekt der Kapitalnachfrage ist wie bei dem Ausgabenmultiplikator:

$$ {\text{m}} = \frac{1}{{1 - {\text {c}}^{\prime}}},\;{\text{mit}}\;{\text {c}}^{\prime} = \frac{\rm{dc}}{\text{dY}} $$

Er entspricht der Veränderung des Gleichgewichtseinkommens.

Der Staat fragt am Kapitalmarkt in Höhe der geplanten Staatsausgaben G Kapital nach. Hierbei werden parallel über die Kredite die Staatsausgaben erhöht. In der Kapazitätsunterauslastung führt die zusätzliche Nachfrage zu einem sofortigen Anstieg der Produktion. Menschen werden wieder eingestellt und konsumieren mit ihrem zusätzlichen Einkommen. Der Multiplikator wirkt (vgl. Abb. 6.29).

Abb. 6.29
figure 29

Expansive Fiskalpolitik in der IS-Kurve

Anders als in der Neoklassik hängt das Kapitalangebot nicht vom Zins, sondern vom Einkommen ab. (S = S(Y) (vgl. Abb. 6.30). Die Produktion steigt an und somit auch das Einkommen und das Sparen der Haushalte. Dies führt automatisch zu einem größeren Kapitalangebot. Der Zins muss nicht ansteigen, um mehr Kapitalangebot zu erzeugen. Der Kapitalmarkt befindet sich im Gleichgewicht, wenn gilt: Kapitalangebot = Kapitalnachfrage. Die IS- Kurve verschiebt sich nach rechts.

Abb. 6.30
figure 30

Der Ausgabenmultiplikator bei kreditfinanzierter expansiver Fiskalpolitik. (Grafische Darstellung des Multiplikatoreffektes mittels der Gleichgewichtsbedingung I+G=S)

Wir betrachten für die Fiskalpolitik wiederum die beiden Fälle, dass der Staat seine Ausgaben entweder über Kredite oder über Steuern finanziert (Abb. 6.31).

Abb. 6.31
figure 31

Kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik in der Normalsituation

1. Die kreditfinanzierte Staatsausgabenerhöhung (G) führt zu einer entsprechenden Kapital- und Güternachfrage, weshalb sich die IS-Kurve nach rechts verschiebt. Die Rechtsverschiebung entspricht den mit dem für die Investitionen hergeleiteten Ausgabenmultiplikator multiplizierten Staatsausgaben (1).

Bei gegebener Geldmenge muss der Zinssatz steigen, damit die Spekulationskassennachfrage zurückgeht und so für die mit dem höheren Einkommen gestiegene Transaktionskassennachfrage Geld frei wird. Aus diesem Grund werden Wertpapiere verkauft und deren Kurs fällt, was einem Anstieg der Rendite und des Marktzinssatzes entspricht. Durch den gestiegenen Zinssatz werden die privaten Investitionen verdrängt.

Aufgrund der Staatsausgaben haben wir immer noch eine positive Nachfrageerhöhung. Die Güternachfragekurve verschiebt sich aufgrund der gestiegenen Staatsnachfrage nach rechts, aber weniger stark, da die Investitionsnachfrage durch das auf dem Geldmarkt gestiegene Zinsniveau abgeschwächt wird (2).

Bei gegebener Produktionsmenge steigt der Preis an (3).

Wenn vorher ein Kaffee 2 € gekostet hat, konnte sich der Haushalt mit 100 € 50 Kaffee kaufen. Jetzt ist der Preis auf 4 € gestiegen, womit er zusätzliche 100 € benötigt, um die gleiche Menge an Kaffee zu kaufen. Wenn das Preisniveau ansteigt, steigt auch die Isolohnlinie, da die Haushalte keiner Geldillusion unterliegen. Die reale Geldmenge wird geringer. Man kann nun für sein Geld weniger kaufen als vorher.

Da die Haushalte weniger Geld in der Kasse haben, müssen sie Wertpapiere verkaufen, um an Geld zu kommen. Der Kurs der Wertpapiere fällt und das Zinsniveau steigt an.

4. Die Preissteigerung bewirkt eine Reduzierung der realen Geldmenge, weshalb sich die LM-Kurve solange wieder nach links verschiebt bis das Gleichgewichtsniveau S (Y) = I (i) + G bei dem gegebenen Einkommen wieder erreicht wurde (4). Höhere Preise bewirken also ein höheres Zinsniveau.

Durch das steigende Zinsniveau wird die Investitionsnachfrage zunehmend durch die Staatsnachfrage verdrängt.

Dieser Effekt setzt sich solange fort, bis genauso viel private Investitionsnachfrage verdrängt wurde, wie Staatsnachfrage dazu gekommen ist und sich somit der gleiche Effekt wie in der Neoklassik einstellt (Totales Crowding Out).

$ \begin{gathered} 1.\;{\text{G}} \uparrow \Rightarrow {\text{Y}} \uparrow \Rightarrow {\text{L}}_{{\text{T}}} ({\rm {Y}} \uparrow ) \uparrow +\, {\text{L}}_{{\text{S}}} ({\rm{i}} \uparrow ) \downarrow = {\text{M/P}},\;{\text{d}}.\,{\text{h}}.\;{\text{i}} \uparrow \Rightarrow {\text{I}}\left( {\text{i}} \right) \downarrow \hfill \\ 2.\;{\text{p}} \uparrow \Rightarrow {\text{M/P}} \downarrow = {\text{L}}_{{\text{T}}} ({\rm{Y}} \downarrow ) \downarrow +\, {\text{L}}_{{\text{S}}} ({\rm{i}} \uparrow ) \downarrow ,\;{\text{d}}.\,{\text{h}}.\;{\text{i}} \uparrow \Rightarrow {\text{I}}\left( {\text{i}} \right) \downarrow \hfill \\ \end{gathered} $

Exkurs offene Volkswirtschaft

An dieser Stelle soll kurz auf die Wirkungen einer kreditfinanzierten expansiven Fiskalpolitik in der Normalsituation bei einer offenen Volkswirtschaft eingegangen werden. Wie oben gezeigt wurde führt eine solche Politik bei ausgelasteten Kapazitäten lediglich zu Lohn- und Preis- und Zinssteigerungen. In der Folge verschlechtert sich die Wettbewerbssituation des Landes. Diese Verschlechterung kann nur durch einen flexiblen Wechselkurs ausgeglichen werden kann, der die Preise in ausländischer Währung wieder reduziert. Ist dies nicht möglich wie bspw. In einer Währungsunion, wird zwar der Kapitalimport aufgrund der gestiegenen Zinsen ansteigen und sich damit eventuelle eine ausgeglichene Zahlungsbilanz einstellen (vgl. Abschn. 6.19), aber die Verschuldung wird ansteigen und die Beschäftigung fallen. Dies war auch das Problem Griechenlands in der Eurokrise, das zuvor eine expansive kreditfinanzierte Fiskalpolitik durchgeführt hatte.

6.14.2 Expansive steuerfinanzierte Fiskalpolitik

Bei der Steuerfinanzierung kommt es ebenfalls zu einem totalen Crowding Out. Die Staatsausgaben werden durch die Einnahme höherer Steuern finanziert. Somit hängen Konsum und Ersparnis nicht mehr vom Realeinkommen ab, sondern vom verfügbaren Einkommen, also dem Rest, der nach dem Abzug vom Einkommen übrig ist. Das Einkommen der Haushalte verringert sich somit um den realen Steuerbeitrag. Die Nachfrage sinkt damit um den Teil, den die Haushalte von dem Einkommen konsumiert hätten. Besteuert wird hier das Einkommen, also sowohl Konsum als auch das Sparen. Deshalb geht hier die höhere Staatsnachfrage über ein (verglichen mit der Kreditfinanzierung weniger stark) gestiegenes Zinsniveau sowohl zulasten der Investitionen als auch durch die Konsumverringerung zulasten der privaten Nachfrage.

Auch bei Steuerfinanzierung kommt es zu einem totalen Crowding Out. Bei einer Konsumquote von 80 %, wird dieser Teil der privaten Nachfrage von vornherein verdrängt. Somit sinkt durch die höhere Staatsnachfrage die private Nachfrage. Der Rest des Einkommens, den die Haushalte gespart, also nicht nachgefragt hätten, stellt zusätzliche Nachfrage dar. So verschiebt sich die IS- Kurve auch in diesem Fall nach rechts. Die Wirkung ist hier aber schwächer als im Fall der Kreditfinanzierung. Bei einer Konsumquote von 80 % also rund 20 %. Für die 20 % zusätzliche Nachfrage gibt es die gleichen Effekte wie bei der zuvor dargestellten kreditfinanzierten Staatsnachfragenerhöhung. Diese 20 % effektive Nachfrageerhöhung erhöhen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage. Da die Kapazitäten aber ausgelastet sind, kommt es nur zu Preiseffekten. Die LM-Kurve verschiebt sich nach links. Die Zinsen steigen und verdrängen die privaten Investitionen bis das ursprüngliche Gleichgewichtseinkommen wiederhergestellt ist. Wie bei der Neoklassik kommt es zum totalen Crowding Out der privaten Nachfrage (Konsum und Investieren) durch den Staat.

Der Unterschied zwischen den beiden Finanzierungsalternativen liegt darin, dass infolge einer Kreditaufnahme nur die Investitionsnachfrage verdrängt wird, während steuerfinanziert sowohl zulasten der Investitionen als auch zulasten des Konsums gehen und, dass der Nachfrageeffekt geringer ist. Bei ausgelasteten Kapazitäten kommt es allerdings nur zu Preiserhöhungen und zum Crowding Out. Es gibt keine Beschäftigungseffekte.

Fazit

Aufgrund des höheren Nachfrageeffekts haben somit kreditfinanzierte Staatsausgabenerhöhungen stärkere Zins- und Preiswirkungen als steuerfinanzierte.

Wenn man die Fiskalpolitik insgesamt betrachtet, ist sie jedoch wirkungslos. Sie kann weder Wachstum noch Beschäftigung erzeugen. Das Crowding Out, also die Verdrängung privater Investitionen durch den Staat und die Preiserhöhungen sind vielmehr negative Effekte.

6.14.3 Expansive Geldpolitik

In diesem Fall wird die Geldmenge von der Zentralbank erhöht. Auf diese Weise kommt mehr Geld in Umlauf. Mit dem nicht für die Transaktionskasse oder die Spekulationskasse benötigtem Geld kaufen die Haushalte Wertpapiere. Der Kurs der Wertpapiere steigt an, die Rendite und die Zinsen fallen. Die LM-Kurve verschiebt sich nach rechts (1).

Um im Geldmarktgleichgewicht zu bleiben, müssen bei einer höheren Geldmenge die Zinsen fallen und oder das Einkommen steigen, damit dem höheren Geldangebot eine höhere Spekulationskassennachfrage und eine höhere Transaktionskassennachfrage gegenüberstehen (vgl. Abb. 6.32).

Abb. 6.32
figure 32

Verschiebung der LM-Kurve aufgrund von expansiver Geldpolitik

Wenn die Zinsen fallen, werden Investitionen rentabler. Die Investitionen steigen an. Aufgrund der gestiegenen Investitionsnachfrage, steigt die gesamtwirtschaftliche Nachfrage an und somit auch die Produktion (2).

Durch die gegebene Produktionsmenge steigt das Preisniveau. (3) Die reale Geldmenge sinkt aufgrund der gestiegenen Preise (Abb. 6.33).

Abb. 6.33
figure 33

Wirkung der expansiven Geldpolitik

Das Preisniveau steigt solange, bis die LM-Kurve sich wieder auf ihrem ursprünglichen Platz befindet. Auch der Nominallohn hat sich angepasst, da keine Geldillusion vorliegt. Die reale Geldmenge sinkt aufgrund der gestiegenen Preise. Es kommt nun zum umgekehrten Effekt wie zuvor beschrieben. Wenn man die Geldmenge erhöht, steigt auch entsprechend das Preisniveau. Das Ergebnis sind ein gleicher Zinssatz und ein höheres Preisniveau, somit gibt es auch bei der Geldpolitik im wirtschaftlichen Normalfall keinen Unterschied zur Neoklassik.

Fazit

In der Normalsituation ausgelasteter Kapazitäten sind die Wirkungen im neoklassischen sowie im keynesianischen Modell identisch.

6.15 Keynesianische Depressionserklärungen

6.15.1 Die große Depression und die Finanzkrise

Wir erinnern uns an die Übersicht über die Entwicklung während der Weltwirtschaftskrise 1929 am Anfang des Kap. 6. Die Preise fielen, aber die Nachfrage stieg nicht. Auffällig ist auch, dass sich die Investitionen von 40,4 Mrd. US$ in 1929 auf 4,7 Mrd. US$ in 1932 annähernd gezehntelt haben und das, obwohl sich die Zinsen von 5,9 % auf 2,7 % im gleichen Zeitraum mehr als halbiert haben. Sinkende Investitionen trotz sinkendem Zinssatz sind ein Widerspruch zur Neoklassik. Gemäß der Neoklassik ergibt sich über dem Markmechanismus am Kapitalmarkt immer ein Gleichgewicht zwischen Investitionen und Sparen. Sinken bei gegebenem Sparen die Investitionen, werden durch einen sinkenden Zinssatz wieder ausreichende Investitionen angeregt bis wieder I = S gilt. In der großen Depression reagierten die Investitionen aber nicht auf die Zinsen, weil die Unternehmen bereits ihre aktuelle Produktion nicht absetzen konnten und es deshalb keinen Grund gab, in Erweiterungsinvestitionen zu investieren. Die Zinsen fielen, die Investitionsnachfrage sank aber trotzdem weiter. Hier entwickelte Keynes seine berühmte Investitionsfalle als Erklärung.

Allerdings sanken die Zinsen bis 1933 nur auf 1,7 %, was angesichts dieser Krise immer noch ein hohes Zinsniveau war. Die Frage, warum sie nicht weitergefallen sind, hat Keynes mit der sogenannten Liquiditätsfalle beantwortet.

Die Finanzkrise

Warren Buffet sah schon 2003 in den Kreditderivaten „financial weapons of mass destruction, carrying dangers that, while now latent are potentially lethal.“ Auch andere warnten davor, dass Kreditderivate zu einer zu großen Konzentration von Kreditrisiken verbunden mit einer zu geringen Transparenz führen. Leider sollten sie Recht bekommen.

Als Derivate waren die sog. Collateral Debt Obligations (CDO) der Auslöser und die Hauptursache der Subprimekrise und damit der größten Finanzkrise seit dem Börsencrash 1929. CDOs sind als Wertpapier strukturierte Portfolios von Krediten, Anleihen, Forderungen.Footnote 6 Strukturiert wurden die CDOs überwiegend von den US-Investmentbanken, die vor allem amerikanische Häuserkredite in die Portfolios packten. Sie strukturierten die CDOs nach Vorgabe der US-Ratingagenturen, die sich ihrerseits auf komplizierte ökonometrische Modelle und Statistiken stützen. Zwei scheinbar geniale Zusammenhänge erlaubten, dass bei diesen Finanzinnovationen das Risiko des gesamten Kreditportfolios kleiner sein konnte als die Summe der Einzelrisiken.

Basis für die Einstufung der Kreditrisiken durch die Ratingagenturen waren die historischen Ausfallraten von amerikanischen Immobilienkrediten. Da diese nicht immer verfügbar waren, musste man auch auf Schätzungen zurückgreifen, damit man die Portfoliotheorie anwenden konnte, nach der sich die Risiken eines Portfolios gegenseitig verringern können. Hierzu werden die Beziehungen, die Korrelationen, zwischen den einzelnen Titeln ermittelt, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass beide oder mehrere Titel zusammen ausfallen. Es wurden also komplexe statistische Rechenmodelle angewendet, die auch nicht ohne weiteres nachvollziehbar und auch nicht allen Marktteilnehmern zugänglich waren. Nach den Geflogenheiten des Kapitalmarktes war dies auch gar nicht notwendig, da die Ratingagenturen die Prüfung übernahmen. Ihre Risikoeinschätzung bestimmte immerhin schon seit Jahrzehnten die Konditionen der am Kapitalmarkt gehandelten Kredite. Nach der Subprimekrise wurde jedoch die Objektivität der Ratingagenturen infrage gestellt, da diese von den Investmentbanken als CDO-Verkäufern bezahlt wurden.

Der zweite Ansatz mit dem das Rating der Portfolios verbessert werden konnte, war die Unterteilung in verschiedene Risikotranchen. Kam es zu Ausfällen, so wurden diese zuerst aus der sogenannten Junior Note bedient. Reichte dieses Kapital nicht aus, verloren auch die Investoren der sogenannten Mezzanine Note (Rating AA bis BB) ihr eingesetztes Kapital bis dann auch die Senior Notes Gläubiger mit scheinbar sicherem AAA-Rating von den Ausfällen betroffen wurden.

Über Jahrzehnte waren die amerikanischen Immobilien immer nur im Wert gestiegen. Die USA waren schließlich auch ein Land mit starkem Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum. Dies erklärt auch die historisch niedrigen Ausfallraten bei den Immobilienkrediten. Die Verwertungserlöse der Immobilien reichten in der Regel aus, um den Kredit abzudecken. Und so ging man immer mehr dazu über, die Kredite auf die zukünftigen Preissteigerungen abzustellen. Waren die Preise wieder gestiegen, erhöhte man sogar die Kredite der Schuldner, damit diese mehr konsumieren konnten. Politisch war eine Kreditvergabe an sozial Schwache nicht nur gewünscht, sondern die Vergabe staatlich vergünstigter Refinanzierungen an die Hypothekenbanken Freddie Mac und Fannie Mae wurde in einem immer stärkeren Maß an die Kreditvergabe an sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten geknüpft. Schon Mitte der 90er Jahre wurden die Kreditvergabekriterien von der Clinton Administration gelockert.Footnote 7 Die Bush-Regierung setzte diese Politik fort. Bereits 2003 warnte der Kongressabgeordnete Ron Paul davor, dass diese Politik dazu führt, dass sich Menschen Häuser kaufen, die sie sich nicht leisten können, was später einmal eine staatliche Rettungsaktion erforderlich machen würde.

Die Subprimehypotheken stiegen von 35 Mrd. US$ (5 % der Hauskredite) in 1994 auf 600 Mrd. US$ in 2006 (20 % der Hauskredite). Mit dem gestiegenen Volumen wurde auch die Kreditvergabepraxis immer laxer. So bekamen auch Menschen Kredite, die weder Einkommen noch Job noch Vermögenswerte hatten (sog. NINJA-loans: No Income, No Job and no Assets). Begünstigt wurde die Kreditvergabe durch das in Folge der Zinssenkungen von Alan Greenspan sehr niedrige kurzfristige Zinsniveau von bis zu 1 % in 2004. Auch Subprime Schuldnern wurden ARM (Adjustable Rate Mortgages) angeboten, bei denen nur die variablen Zinsen zu zahlen sind, oder sog. Teaser Loans, bei denen der Schuldendienst anfänglich unter dem Marktniveau liegt, dafür aber später stark ansteigt oder sog. Payment Options, bei denen der Schuldner nur das zahlen muss, was er möchte und alle Zahlungsverpflichtungen immer wieder in die Zukunft verschoben werden. Insgesamt stieg die Verschuldung der amerikanischen Haushalte von 680 Mrd. US$ in 1974 auf 14.000 Mrd. US$ in 2001. Von den insgesamt 8,8 Mio. Hausbesitzern hatten (nur) 10,8 % kein oder negatives Eigenkapital. Verglichen mit anderen Ländern fielen allerdings die Preissteigerungen der Häuser moderat aus. Die durchschnittlichen Einfamilienhauspreise stiegen zwischen 1997 und 2006 um 126 % und die Relation der durchschnittlichen Hauspreise zu den durchschnittlichen jährlichen Hauseinkommen vom 2,9fachen in 2001 auf das 4,6fache in 2006. Solange die Haushalte über die Mittel verfügten, um den Schuldendienst zu tragen, spielte jedoch die Entwicklung der Hauspreise nur eine untergeordnete Rolle. Die Krise wurde vor allem durch die Finanzierungsform CDO ausgelöst.

Die goldene Regel der Kreditvergabe, die jeder Banklehrling lernt, heißt fristenkongruente Refinanzierung. Banken können – aber nur sehr eingeschränkt – eine Fristentransformation vornehmen. Das Zinsänderung- und Refinanzierungsrisiko müssen sie dann mit ihrem Eigenkapital tragen. Diese grundlegende Finanzierungsregel wurde allerdings bei den CDOs mit einem Volumen von rd. 2000 Mrd. US$ verletzt. Die langfristigen Hausfinanzierungen wurden zu einem Großteil von den Banken in Objektgesellschaften (Conduits) gekauft, die sich mit geringem Eigenkapital ausgestattet über sogenannte Commercial Papers (CP) refinanzierten. Auf diese Weise konnten die CDOs zu Geldmarktzinssätzen refinanziert werden, was die Gewinnmarge der Banken erhöhte. Die CDOs dieser Objektgesellschaften tauchten in den Bankbilanzen nicht auf. Wie im Fall Enron war die Verschuldung also in nicht zu konsolidierende Drittgesellschaften ausgelagert und deshalb auf den ersten Blick hin nicht erkennbar. In den Bankbilanzen gab es nur den Hinweis auf sogenannte Eventualverbindlichkeiten. Für den als unwahrscheinlich angenommenen Fall, dass die Schuldverschreibungen am Markt nicht mehr platzierbar gewesen wären, mussten sich die Banken bereit erklären, Liquiditätslinien zur Verfügung zu stellen. Kreditfinanzierter Aktienerwerb, also Leveraging, war auch die Hauptursache für die Finanzkrise 1929.

Begünstigt wurde die starke direkte und indirekte Verschuldung durch Deregulierungen. Beispielsweise erlaubte die SEC im Jahr 2004 den Investmentbanken ihre Verschuldung wesentlich zu erhöhen, indem sie die Mindesteigenkapitalquote von 8 % auf 6 % senkte. 2007 wiesen die fünf größten US-Investmentbanken eine Verschuldung von 4100 Mrd. US$ aus, was ungefähr 30 % des amerikanischen Bruttoinlandprodukts entsprach. Was trieb die Banken dazu, dieses hohe Risiko einzugehen? Es war die Zeit des Shareholder-Values, der kurzfristigen Ziele und Bonuszahlungen. Der einfachste Weg, den Shareholder-Value beziehungsweise den Aktienkurs zu steigern, war mit einer höheren Verschuldung die Eigenkapitalrendite zu erhöhen. Nicht zuletzt forderten die Ratingagenturen für ein ausgezeichnetes Bankenrating eine Eigenkapitalverzinsung von 25 % und das Bankenrating bestimmte die Refinanzierungskosten der Banken. Das Schöne an den CDOs war, dass sie nicht als Kredite, sondern als Wertpapiere eingestuft wurden. Damit mussten sie nicht mit teurem Eigenkapital unterlegt werden und konnten darüber hinaus weiterverkauft werden, was neue Profite ermöglichte. Mit CDOs ließ sich somit die Eigenkapitalrendite steigern und die internen Zielvorgaben erreichen. Die Kredite wurden als CDO-Wertpapiere gehandelt und nicht in die Bücher genommen. Die CDOs waren damit scheinbar ohne Risiko. Nicht zuletzt bekamen sie ja auch von den Ratingagenturen ein AAA-Rating, also das Null-Risiko Testat. Als Wertpapiere unterlagen sie auch nicht den strengen Kreditregularien der Finanzaufsicht und auch nicht den Kreditprüfungen der eigens hierfür geschulten Fachabteilungen der Banken. So gesehen konnten die Investmentbanker, unbehelligt von externer Finanzaufsicht und interner Kreditprüfung ein Eigenleben entfalten, das ihnen immer höhere Boni sicherte. Im Jahr 2006 betrugen die Bonizahlungen allein aus den amerikanischen Hauskrediten 23,9 Mrd. US-$. Allein die UBS schüttete in 2007 10 Mrd. Schweizer Franken Boni aus. Die Handelbarkeit der Hauskredite erweckte nicht nur bei den Händlern ein Gefühl der Unbetroffenheit, sondern auch bei den Kreditvermittlern und Bankberatern, die die Kredite an immer ungeeignetere Personen vergaben. Schließlich verkauften sie die Kredite weiter und trugen damit nicht das Ausfallrisiko. Kreditvergabe und Kreditrisikoübernahme fielen auseinander, was ein fundamentaler Verstoß gegen das Ordnungsprinzip Haftung war. Die notwendige Transparenz der Kredite war durch die komplexe Konstruktion der CDOs ebenso nicht gegeben, weshalb das Risiko von den Marktteilnehmern nicht beurteilt werden konnte. Später stellte man fest, dass eine Rückabwicklung der CDOs größtenteils nicht möglich war, weil die Kredite nicht bis zu den Kreditnehmern zurückverfolgt werden konnten. Auch die Bonisysteme der Unternehmen verstießen gegen das Prinzip Haftung, weil nur die kurzfristige Zielerreichung belohnt wurde. Langfristige Negativentwicklungen wurden nicht berücksichtigt.Footnote 8

Die amerikanische Immobilienblase platzte in 2006. Die inzwischen stark gestiegenen kurzfristigen Zinsen machten es vielen Kreditnehmern unmöglich, ihren Schuldendienst zu leisten. Immer mehr Häuser mussten zwangsverkauft werden. Die Häuserpreise fielen. Deutlich wurde die Problematik für den Finanzsektor zum ersten Mal als im Februar 2007 die HSBC die erste Abschreibung auf CDOs in Höhe von 10,5 Mrd. US$ vornehmen musste. Zunächst schien die Krise jedoch sehr begrenzt zu sein und sich nicht auf die Realwirtschaft auszuwirken. Im November 2007 wurde das Volumen fauler Subprimekredite noch auf 148 Mrd. US$ geschätzt. Jetzt rächte sich jedoch die Finanzierungsform der CDOs. Ihre Intransparenz führte dazu, dass niemand mehr bereit war, CDOs zu kaufen, weil er nicht kalkulierbare Subprimerisiken in ihnen vermutete. Der CDO-Markt brach vollkommen zusammen, weshalb die Objektgesellschaften die Liquiditätslinien ihrer Banken ziehen mussten. Dies führte bei den Banken zu einem unerwarteten Liquiditätsabfluss. Im Dezember wurde dann die Zahl der faulen Subprimekredite auf 200 bis 300 Mrd. US$ nach oben korrigiert und schließlich im März 2008 noch mal auf 350 bis 600 Mrd. US$.

Das AAA-Rating war nichts mehr wert und das Vertrauen in die Ratingagenturen verloren. Ohne glaubwürdiges Rating war der Kapitalmarkt massiv gestört. Es zeigte sich, dass es sich nicht um eine rein amerikanische Krise handelte. Da die CDOs am internationalen Kapitalmarkt gehandelt worden waren, verteilte sich das Risiko auch international. So hatten auch Schweizer Banken, wie die UBS, und deutsche Banken, wie die IKB und die Sachsen LB Objektgesellschaften, mit CDOs aufgebaut und gerieten deshalb im August 2007 in Liquiditätsnot. Zusätzlich brauchten die Banken frisches Eigenkapital, um immer neue Abschreibungen auf die CDOs zu absorbieren und die Liquiditätslinien mit Eigenkapital unterlegen zu können. Die Banken, die zu viel Fremdkapital eingesetzt hatten waren konkursgefährdet. Die US-Investmentbanken und andere Großbanken, wie die UBS, führten Eigenkapitalerhöhungen durch. Andere Banken, wie die deutsche IKB und die Sachsen LB, mussten vom Staat gerettet werden. Die britische Hypothekenbank Northern Rock erlebte einen Bankenrun und musste verstaatlicht werden.

Die Krise breitete sich immer mehr aus. Es kamen jetzt zwei Probleme hinzu: zunehmendes Misstrauen und ständig neue Abschreibungen auf die CDOs, was die Liquiditäts- und Eigenkapitalkrise verschärfte. Die Banken trauten sich untereinander nicht mehr und liehen sich kein Geld mehr. Die Transparenz unter den Banken fehlte. Niemand wusste, wie viel Subprimekredite der andere hatte und noch abschreiben musste. Die Ratingnoten der Banken waren längst hinfällig und unglaubwürdig geworden. Der Interbankenmarkt brach zusammen. Gerade Banken, die keine Filialen und deshalb auch keine Einlagen hatten, wurde damit der Zugang zur Liquidität abgeschnitten. Die Zentralbanken waren gezwungen, dem Geldmarkt kurzfristig hohe Refinanzierungsvolumina zur Verfügung zu stellen und die Zinsen zu senken. Am schlimmsten wirkten sich jedoch auf die Marktstimmung die quartalsweise zunehmenden Abschreibungen der Banken aus. Hier rächte sich erneut die Finanzierungsform der CDOs als Wertpapiere in Verbindung mit den amerikanischen Bilanzierungsregeln US-GAAP und den stark am US-GAAP ausgerichteten internationalen Bilanzierungsregeln IFRS, die vor allem von europäischen Banken benutzt wurden. Nach den amerikanischen Shareholder orientierten Bilanzierungsrichtlinien müssen Wertpapiere zu Marktpreisen bewertet werden. Im Gegensatz zu europäischen Bilanzvorschriften können nicht die Anschaffungskosten angesetzt werden, wenn die Wertminderung nur vorübergehend ist. Die Immobilienkredite wurden zwar größtenteils nach wie vor bedient, der Markt für CDOs war allerdings weggebrochen, sodass die Banken auf die irrationalen Marktpreise, teilweisen bis zu 70 %, abschreiben mussten. Diese Entwicklung gipfelte in der teilweisen Illiquidität der US-Investmentbank Bear Stearns im März 2008. Der Deutsche Bank Chef Josef Ackermann wurde zu diesem Zeitpunkt mit der Aussage zitiert, dass er nicht mehr an die Selbstheilungskräfte der Märkte glaube. Die Banker riefen den Staat zur Hilfe. Bear Stearns wurde zusammen mit einem Kredit der US-Notenbank in Höhe von 29 Mrd. US$ von JP Morgan für 1,2 Mrd. US$ übernommen. Nach dieser staatlich initiierten Rettungsaktion beruhigten sich die Märkte. Die Gefahr des Ausfalls eines großen Finanzinstituts war damit scheinbar gebannt. Seit Anfang 2007 war es immer wieder zu zeitlichen Zwischenphasen gekommen, in denen die Marktteilnehmer glaubten, die Subprimekrise sei überstanden. Das Finale stand jedoch noch bevor. Die Krise musste sich solange verschlimmern wie die CDOs an Wert verloren und die Banken nach den Bilanzierungsvorschriften auf den niedrigeren Marktwert abschreiben mussten. Die Preise auf dem US-Immobilienmarkt und dem praktisch nicht mehr vorhandenen CDO-Markt sanken aber weiter. Die Liquiditätsknappheit zwang die Banken auch immer mehr, andere Wertpapiere zu verkaufen, was auch dort die Preise sinken ließ. Das Misstrauen in die Ratings der Ratingagenturen und die allgemeine Verunsicherung führten dazu, dass auch Unternehmensanleihen und Aktien massiv verkauft und die Mittel in Staatsanleihen umgeschichtet wurden.

Im September 2008 brach dann das Finanzsystem fast zusammen. Nur durch massive staatliche Eingriffe bis hin zur Verstaatlichung vieler Banken konnte ein Stillstand der Finanzströme verhindert werden. Viele Zeitungen verglichen die Entwicklung an den Finanzmärkten mit der Krise von 1929. Die US-Hypothekenbank Silver State Bank und viele kleinere Immobilienfinanzierer wurden geschlossen sowie die beiden größten Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac verstaatlicht. Den Super-GAU löste jedoch die Insolvenz der viertgrößten Investmentbank Lehman Brothers aus. Ein Chef einer deutschen Bank wurde mit den Worten zitiert: „Lehman war der Sündenfall, der aus der schwelenden Finanzkrise eine Massenpanik gemacht hat.“

Der US-Finanzminister Paulson wollte ein Exempel statuieren. Paulson hatte sich jedoch gewaltig verschätzt. Nach Mohamed El-Erian, Co-Chef des weltgrößten Anleihefonds Pimco, sei nach dem Fall von Lehman das Vertrauen völlig geschwunden, dass Bankgeschäfte überhaupt ordentlich abgewickelt wurden. Tatsächlich war der Ausfall der viertgrößten amerikanischen Investmentbank ein bis dahin unvorstellbares Ereignis gewesen. Alle gingen davon aus, dass Lehman „too big to fail“ war und deshalb den Schutz der US-Regierung genoss und dies erst recht, nachdem zuvor Bear Stearns gerettet worden war. Das unerwartete Fallenlassen von Lehman durch Paulson verunsicherte die Finanzwelt total. Nichts war mehr sicher, auf nichts konnte man sich noch verlassen.

Die Gefahr für das Finanzsystem wurde dadurch, dass Lehmann einer der größten Derivatehändler und – emittent war vergrößert. Das Damoklesschwert, das lt. George Soros in Form von Milliarden Derivatekontrakten über den Märkten hing, fiel. Nach der geplatzten Internetblase entdeckten die Banken Derivate als neue grenzenlose Einnahmequelle. Derivate sind Forderungen oder Verbindlichkeiten, deren positiver oder negativer Wert sich von der Wertentwicklung eines anderen Wertpapiers ableitet oder sich auf spezielle Ereignisse oder Entwicklungen bezieht. Derivate können zu Absicherung eigener Risiken verwendet werden, wie beispielsweise der Besitzer von Aktien eine Verkaufsoption (Put) kaufen kann, aber auch zur Spekulation. Das verlockende an Derivaten ist, dass ein Spekulant mit relativ geringem Kapitaleinsatz ein vielfaches Risikovolumen eingehen kann, also einen hohen Hebel- oder Leverageeffekt erzielt. Besonders gefährlich wurde eine Finanzinnovation, die sog. Credit Default Swaps (CDS). Auch sie wurden Anfang der 90er Jahre in den USA zur Absicherung von Kreditrisiken entwickelt. Möchte beispielsweise eine Bank das Risiko bei einem Kreditnehmer senken, kann sie sich gegen den Ausfall bei einem Dritten durch den Kauf eines CDS versichern. Mit dem CDS gelang es den Banken, ihre Eigenkapitalrendite zu erhöhen, weil versicherte Kredite mit weniger Eigenkapital unterlegt werden mussten. Im Gegensatz dazu, unterlagen die Versicherungsgeber aber keiner Regulierung. Sie mussten kein Eigenkapital vorhalten, sodass das Ausfallrisiko (Kontrahentenrisiko) nicht ausreichend abgesichert war. Teilweise waren Investmentbanken und hoch geleveragedte Hedge FondsFootnote 9 die Versicherungskontrahenten. 2001 betrug der Nominalwert der ausstehenden CDS-Kontrakte rd. 1000 Mrd. US$, im Jahr 2005 bereits 10.000 Mrd. US$. Es wurde immer mehr spekuliert als abgesichert. Den 5,2 Mrd. US$ Krediten und Anleihen aus der Insolvenz des Automobilzulieferers Delphi standen beispielsweise 28 Mrd. US$ CDS-Kontrakte gegenüber. Im Jahr 2008 betrug der Nennwert aller CDS rd. 62.000 Mrd. US$. Das Kontrahentenrisiko war unüberschaubar geworden.

Nach dem Zusammenbruch der Lehman Bank brach die pure Panik aus. Der Dominoeffekt war enorm. Nicht nur, dass die Banken auf die Zahlungsfähigkeit untereinander nicht mehr vertrauten, sondern es wurde alles infrage gestellt, sodass es zum Worst Case Szenario kam. Der Kapitalmarkt brach zusammen. Die Banken konnten sich nicht mehr fristenkongruent refinanzieren. Auch Nicht-Subprime-Papiere wie Unternehmensanleihen waren nicht mehr oder nur noch mit großen Abschlägen verkaufbar. Die Übertragung in die Realwirtschaft fand unmittelbar statt. Lehman-Zertifikate waren an viele Privatanleger auf der ganzen Welt verkauft worden. Jetzt waren sie wertlos. Die Medien nutzen die Negativmeldungen für Schlagzeilen und verbreiteten mit Untergangsszenarien Angst und Schrecken. Auf diese Weise schürten sie die Panik. Jeder war inzwischen von der Katastrophe und der Weltrezession überzeugt, sodass Investitionen und Konsum unmöglich schienen. Es kamen selbstverstärkende psychologische Effekte dazu. Die Haushalte hatten Angst um ihren Job und kauften nicht mehr. Aufgrund des Liquiditäts- und Eigenkapitalengpasses reduzierten die Banken die Kreditvergabe. Es kam zum Credit Crunch. Die Wirtschaft hatte Angst vor Absatz- und Liquiditätsproblemen und investierte nicht mehr. Die Sparer fürchteten um ihre Einlagen und zogen ihr Geld von den Banken ab, was die Liquiditätssituation der Banken verschlechterte. Um Liquidität zu generieren, verkauften die Banken Aktien. Die fallenden Kurse zogen weitere Verkäufe nach sich, da durch den Kursverfall die Risikolimite vieler Hedgefonds unterschritten wurden.

Die Investmentbank Merrill Lynch wurde von der Bank of Amerika übernommen. Die US-Regierung richtete einen 700 Mrd. US$ Fonds ein, der die notleidenden Kredite der Banken aufkaufen sollte. Nach einem umgekehrten Versteigerungsverfahren durften die Banken ihre Wertpapiere an den Staatsfonds verkaufen, die die höchsten Abschläge anboten. Die beiden verbliebenden US-Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley mussten ihr Geschäftsmodell aufgeben, um als Universalbanken Zugang zu den Refinanzierungsmitteln der Fed zu bekommen. Ferner vergab der amerikanische Staat an notleidenden Banken frisches Eigenkapital. Der weltgrößte Versicherungskonzern AIG wurde auf diese Weise teilverstaatlicht. AIG hatte sich auf der Basis der mathematisch-statistischen Modelle von Yale Professor Gary Gorton als Kontrahent von CDSs und CDOs in Milliardenhöhe verspekuliert. Die von Gorton berechneten Ausfallwahrscheinlichkeiten stellten sich als falsch heraus. Weitere Banken wurden übernommen oder liquidiert. In Deutschland retteten private Banken und der Staat die Hypo Real Estate. In Großbritannien und anderen Ländern mussten Banken verstaatlicht werden, um das Finanzsystem vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Deutschland und andere Staaten retteten ihre Banken durch stille Eigenkapitaleinlagen und staatliche Bürgschaften. Inzwischen waren die Weltbörsen seit ihrem Höchststand im August 2007 um über 50 % gefallen und die Welt auf dem Weg in die Rezession. Das FBI verhaftete zwischen dem 1. März und dem 18. Juni 2008 rd. 406 Menschen wegen Hypothekenbetrugs, angefangen von kleinen Vertretern bis hin zu den Bankmanagern, die verdächtigt wurden, die Investoren über die Risiken des Subprimemarktes falsch informiert zu haben.Footnote 10

Merrill Lynch war wie Enron zahlungsunfähig. Der CEO O´Neal hatte mit rd. 9 Mrd. US$ Abschreibungen das schlechteste Ergebnis der Bank in ihrer 93-jährigen Geschichte zu verantworten. Und in 2008 kam es zu weiteren Abschreibungen von rd. 15 Mrd. US$. Wie Skillings bei Enron wurde auch OʹNeal ein außerordentlich robuster Führungsstil und eine starke Renditeorientierung nachgesagt. Kurzfristig ging die Rechnung auf. OʹNeal konnte mit einem höheren Risiko eine höhere Rendite erzielen und das Topmanagement von Merrill Lynch verdiente glänzende Boni. Auch der Citigroup Chef Prince hatte mit 20 Mrd. US$ sehr hohe Abschreibungen zu vertreten. Auch hier kam es in 2008 zu weiterem Abschreibungsbedarf. Beide, OʹNeal und Prince, eint aber nicht nur die Verantwortung für Mrd. Abschreibungen, sondern auch Topgehälter (Prince rd. 26 Mio. US$ und OʹNeal rd. 48 Mio. US$ in 2006Footnote 11) und zusätzlich Abfindungen in dreistelliger Millionenhöhe. O´Neal bekam rd. 160 Mio. US$ an Bargeld und Aktienoptionen und Prince rd. 100 Mio. US$. Die Verluste trugen die anderen: die Aktionäre verloren einen Teil ihres Vermögens und die Mitarbeiter teilweise ihren Job. Die einseitige variable Entlohnung der Bankmanager ist ein Grund für die Subprimekrise. Sie erklärt, warum die Bankmanager ein Interesse hatten, diese hohen Risiken einzugehen.Footnote 12

Für unsere weiteren Überlegungen wollen wir Folgendes festhalten. In der Finanzkrise konnte man einen Auftragseinbruch von bis zu 40 % beobachten (vgl. Abb. 6.34). Vor diesem Hintergrund rentierten sich für die Unternehmen Investitionen nicht mehr. Die Investitionsnachfrage brach weg. Zusätzlich wurde die Investitionsnachfrage zinsunelastisch, weil aufgrund der schlechten Erwartungen die Zinsen fallen können, die Unternehmen aber trotzdem nicht investieren. Die Kapazitäten der Unternehmen waren nicht ausgelastet und sie erwarten auch keine Besserung der Nachfragesituation. Wie 1929 kam es somit zu einer Investitionsfalle wie Keynes es nennt.

Abb. 6.34
figure 34

(Quelle: Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/VGR/VolkswirtschaftlicheGesamtrechnungen.html)

Auftragseingang in der Finanzkrise.

6.15.2 Die Investitionsfalle

Auftragseingang in der Finanzkrise

Aufgrund der pessimistischen Erwartungen der Unternehmen, sind die Investitionen weggebrochen. Die Investitionsfunktion ist vollkommen zinsunelastisch. Auch Zinssenkungen rufen keine neue Investitionsentscheidung hervor. Die IS-Kurve verschiebt sich nach unten und wird zu einer Parallele der Y-Achse. Aufgrund der Unternachfrage sinken die Preise. Die reale Geldmenge steigt und die LM-Kurve verschiebt sich nach rechts. Da die Leute nun über mehr Geld verfügen, werden Wertpapiere gekauft. Dieser Kauf bewirkt, dass der Wertpapierkurs steigt, die Rendite, also die Marktzinsen fallen. Jedoch funktioniert der Keynes Effekt in diesem Fall nicht. Die Zinssenkungen bewirken keinen Investitionsanstieg, da die Investitionsfunktion vollkommen zinsunelastisch ist (Abb. 6.35).

Abb. 6.35
figure 35

Keynes-Effekt sowie expansive Geldpolitik in der Investitionsfalle

Die effektive Nachfrage entscheidet über die Arbeitsnachfrage. Es werden nur noch so viele Mitarbeiter benötigt, wie für die Produktion der gesunkenen Nachfrage notwendig ist. Vor der Depression produzierten die Unternehmen angebotsorientiert gewinnmaximierend gemäß der Bedingung Grenzprodukt der Arbeit gleich den Grenzkosten, also dem Reallohn. Da sie die Produktion aber nicht absetzen können, orientieren sie sich jetzt an der effektiven Nachfrage, sind also nachfrageorientiert. Es fand also ein Wechsel von Angebotsorientierung zu Nachfrageorientierung statt. Da die Nachfrage fällt, steigt die Arbeitslosigkeit. Die Unternehmen haben Absatzprobleme und fragen nur noch die Arbeit nach, die sie für die effektive Nachfrage brauchen, d. h. die Arbeitsnachfrage geht zurück. Das Arbeitsangebot richtet sich nach dem Reallohn, der gleichgeblieben ist. Es entsteht ein Arbeitsüberangebot als Differenz zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Da der Keynes-Effekt aufgrund der zinsunabhängigen Investitionen nicht greift, kommt es zu einer stabilen Situation der Unterbeschäftigung.

Fazit

Aufgrund des Überangebots kommt es zu Preissenkungen und in der Folge durch die Verschiebung der LM-Kurve zu Zinssenkungen, die aber nicht zu einer Erhöhung der Investitionsnachfrage führen. Anders als bei der Neoklassik steigt die Nachfrage trotz Zins- und Preissenkungen nicht. Der Keynes-Effekt funktioniert nicht.

Solange der Pessimismus anhält, entsteht eine stabile Situation der Unterbeschäftigung. Anders als bei der Neoklassik funktioniert der Marktmechanismus nicht. Der Staat muss intervenieren, um wirtschaftlichen Schaden zu verhindern. Eine expansive Geldpolitik ist in der Investitionsfalle wirkungslos, da die Investitionen nicht auf die Zinssenkung reagieren.

Anhand dieses Beispiels können wir sehen, dass ohne Renditeerwartungen der Unternehmen der Zinssatz für Kredite unerheblich ist. Hier kann dann auch die Geldpolitik durch Zinssenkungen oder Geldmengenausweitung keinen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung nehmen.

6.15.3 Die Liquiditätsfalle

In der Situation einer Depression fallen normalerweise die Zinsen solange, bis der Gleichgewichtszins erreicht ist und ausreichend Investitionsnachfrage und spiegelbildlich Investitionsgüternachfrage erzeugt wurde. In der Liquiditätsfalle kann jedoch der Zins nicht unter den sogenannten kritischen Zins fallen, da die Anleger am Geldmarkt keine Wertpapiere mehr kaufen, sondern nur noch Kasse halten. Der Keynes-Effekt funktioniert nicht. Das Verhalten der Anleger ist dabei wie folgt begründet (Abb. 6.36):

Abb. 6.36
figure 36

Die Liquiditätsfalle

1. Erklärung

Die LM-Kurve besitzt einen Knick (Liquiditätsfalle oder Keynes-Bereich) und der kritische Zins ist unterschritten. Die Geldnachfrage ist unendlich elastisch. Für die Wirtschaftssubjekte ist der Zins außergewöhnlich niedrig, sodass diese hohe Kursverluste bei festverzinslichen Wertpapieren befürchten und deshalb die Geldhaltung vorziehen. Die Spekulationskasse steigt ins Unendliche. Das heißt, sie wollen alles Geld, was sie bekommen in die Spekulationskasse legen und keine Wertpapiere halten. Sie erwarten, dass der Zins nur noch steigen kann und somit die Kursverluste höher als die Kursgewinne sind.

2. Erklärung

In großen Depressionen halten die Leute Kasse und investieren nicht. Es besteht die Befürchtung, das investierte Kapital nicht mehr zurückzubekommen. Der Deutsche Bank Chef Josef Ackermann sagte während der Finanzkrise, dass alle Anleger Kasse halten. Er sprach sogar von einem „Investorenstreik“.

Zwischenfazit: Beim kritischen Zins erwarten die Anleger, dass der zukünftige Zins höher sein wird als die entgangenen Zinserträge aus der Nichtanlage. Sie halten deshalb Kasse um Kursverluste zu vermeiden. Die Anleger halten zudem Kasse, weil sie das Risiko der Investitionen scheuen. Sie rechnen nämlich auch mit Ausfällen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit. Sie kaufen dann weder Unternehmens- noch Bankanleihen. Aus diesem Grund kann der Zins nicht fallen und die Unternehmen und Banken sich nicht refinanzieren. Es kommt zu einem sog. Credit Crunch.

Der für einen Gütermarkt notwendige Zins kann sich also nicht einstellen. Die entsprechende Geldpolitik der Zentralbank als Nachfragestimulation wird unwirksam. Alles zusätzliche Geld wird in der Kasse gehalten. Auch der Keynes-Effekt funktioniert nicht, da eine höhere reale Kasse nicht zum Kauf von Wertpapieren verwendet wird, da die Haushalte Angst vor Kursverlusten aufgrund steigender Zinsen oder Angst vor einem Verlust ihrer Anlage haben, wenn die Schuldner wie Unternehmen oder Banken in der Depression Konkurs anmelden müssen.

Die effektive Nachfrage entscheidet über die Arbeitsnachfrage. Es werden nur noch so viele Mitarbeiter benötigt wie zur Produktion der Güternachfrage notwendig ist. Vor der Depression produzierten die Unternehmen angebotsorientiert gewinnmaximierend gemäß der Gewinnmaximierungsbedingung „Grenzprodukt der Arbeit gleich den Grenzkosten“, also dem Reallohn. Da sie die Produktion aber nicht absetzen konnten, orientieren sie sich jetzt an der effektiven Nachfrage, sind also nachfrageorientiert. Es fand also ein Wechsel von Angebotsorientierung zu Nachfrageorientierung statt. Da die Nachfrage fällt, steigt die Arbeitslosigkeit. Die Unternehmen haben Absatzprobleme und fragen nur noch die Arbeit nach, die sie für die effektive Nachfrage brauchen, d. h. die Arbeitsnachfrage geht zurück. Das Arbeitsangebot richtet sich nach dem Reallohn, der gleichgeblieben ist. Es entsteht ein Arbeitsüberangebot als Differenz zwischen Arbeitsangebot und Arbeitsnachfrage. Da der Keynes-Effekt aufgrund der zinsunabhängigen Investitionen nicht greift, kommt es zu einer stabilen Situation der Unterbeschäftigung (Abb. 6.37).

Abb. 6.37
figure 37

Expansive Geldpolitik in der Liquiditätsfalle

Eine Erhöhung der Geldmenge (expansive Geldpolitik) führt zwar zu einer Verschiebung der LM-Kurve nach rechts, aber alles zusätzliche Geld wird von den Anlegern in der Kasse gehortet. Die Spekulationskassennachfrage ist unendlich zinselastisch. Bei fallendem Einkommen kaufen die Anleger bei gegebener Geldmenge nicht wie sonst Wertpapiere, weshalb die Zinsen nicht sinken und deshalb die Investitionen und damit die Nachfrage nicht steigen können. Der Keynes-Effekt funktioniert nicht.

Die Preise sind gefallen und somit ist die reale Geldmenge gestiegen. Auf diese Weise verschiebt sich die LM-Kurve nach rechts. Obwohl die reale Geldmenge gestiegen ist, werden von den Wirtschaftssubjekten keine Wertpapiere gekauft. Sie halten ihr Geld. Somit sinkt der Zins nicht und der Gleichgewichtszins kann sich nicht einpendeln. Die Spekulationskassennachfrage ist unendlich zinselastisch. Die Investitionen und die Nachfrage steigen nicht an. Auch hier herrscht Arbeitslosigkeit.

Zusammenfassung

Im Keynesianischen Modell wird der Zins durch den Geldmarkt vorgegeben. In Depressionsphasen ist das Zinsniveau generell niedrig. Beim kritischen Zins erwarten die Anleger, dass der zukünftige Zins (Rendite) höher sein wird als die entgangenen Zinserträge aus der Nichtanlage. Sie halten deshalb Kasse, um Kursverluste zu vermeiden. In Krisensituationen, wie in der Weltwirtschaftskrise 1929, haben die Investoren darüber hinaus extrem schlechte Erwartungen. Die Anleger halten die Kasse deshalb auch, weil sie das Risiko einer Investition scheuen. Sie rechnen nicht nur mit Kursverlusten durch Zinserhöhungen, sondern auch mit Ausfällen aufgrund von Zahlungsunfähigkeit. Sie kaufen dann weder Unternehmensanleihen noch Aktien.

In der Situation einer Depression fallen normalerweise (wie in der Neoklassik) die Zinsen solange, bis der Gleichgewichtszins erreicht ist und ausreichend Investitionsnachfrage (als Kapitalnachfrage) und spiegelbildlich Investitionsgüternachfrage erzeugt wurde (normalerweise: Unternachfrage → p ↓ → M/p↑ → WPD↑ → i ↓ → I (i)↑).

In der Liquiditätsfalle kann jedoch der Zins nicht unter den kritischen Zins fallen, da die Anleger am Geldmarkt keine Wertpapiere mehr kaufen, sondern nur noch Kasse halten (absolute Liquiditätspräferenz). Der für ein Gütermarktgleichgewicht notwendige Zins kann nicht erreicht werden.

In dieser Situation muss der Staat zur Ankurbelung der Wirtschaft durch eine expansive Fiskalpolitik aktiv werden.

6.16 Keynesianische Wirtschaftspolitik in der Depression

6.16.1 Kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik in der Investitionsfalle

Die Expansive Fiskalpolitik ist eine finanzpolitische Maßnahme des Staates. Die Grundidee ist dabei folgende: Der Staat muss in der Depression die weggefallene private Nachfrage durch Staatsnachfrage ersetzen, indem die Staatsausgaben erhöht werden. Der Staat geht an den Kapitalmarkt, fragt das Kapital nach und gibt es aus, was der Wirkung von einer gleich großen Erhöhung der Investitionen entspricht. Solange mit der Kapitalnachfrage auch gleichzeitig die Produktion und damit das Einkommen steigen, steigt auch das Kapitalangebot als das vom Einkommen abhängige Sparen mit (Abb. 6.38).

Abb. 6.38
figure 38

Kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik in der Investitionfalle

Durch die erhöhten Staatsausgaben steigt die Produktion und somit das Einkommen. Mit dem höheren Einkommen (Produktion) steigt auch die Transaktionskassennachfrage. Die Haushalte benötigen mehr Geld, um die gestiegene Anzahl an Gütern kaufen zu können. Um dieses Geld zu bekommen, müssen sie Wertpapiere verkaufen. Der Verkauf führt zu sinkenden Kursen und somit einem Ansteigen der Rendite aller sich im Umlauf befindenden Wertpapiere, was dem Marktzins entspricht. Da wir uns aber in einer Depression befinden, sind die Investitionen nicht zinsabhängig. Die Unternehmer investieren nicht, weil ihre Kapazitäten unterausgelastet sind. Sie können ihre Produktion nicht absetzen, weshalb sie sie auch nicht erweitern wollen. Aus diesem Grund können die gestiegenen Zinsen die privaten Investitionen nicht verdrängen (kein Crowding Out). Wo nichts ist, kann auch nichts verdrängt werden. Das Problem bzw. der Nachteil wird zu einem Vorteil.

Das Preisniveau hingegen steigt nicht an, da während der Depression Kapazitätsunterauslastung herrscht. Aufgrund der zu geringen Nachfrage fallen die Preise vielmehr tendenziell. So gesehen wird der Preisrückgang ausgeglichen. Die Preise bleiben stabil. Die LM-Kurve bleibt konstant und verschiebt sich nicht nach links, es gibt kein Crowding Out. Es kommt vielmehr zu einem Crowding In privater Investitionen. Aufgrund fehlender Verkäufe hatten die Unternehmen bereits den Konkurs vor Augen. Nun haben sie Dank der staatlichen Nachfrage wieder Auftragseingänge. Die Kapazitäten werden wieder ausgelastet. Es wird wieder genauso viel von den Unternehmen bei ausgelasteten Kapazitäten angeboten wie nachgefragt. Die Stimmung steigt. Investitionen lohnen sich wieder. Die Wirtschaft wird stimuliert und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt.

Auf dem Arbeitsmarkt kommt es aufgrund der Produktionserhöhung zu einer Zunahme der Beschäftigung. Die Unternehmen benötigen jetzt wieder die zuvor entlassenen Arbeiter zur Befriedigung der staatlichen Nachfrage. Es entsteht auf dem Arbeitsmarkt Vollbeschäftigung.

Der Staat hat den Ausfall der privaten Nachfrage ersetzt. Aufgrund der guten Stimmung in der Wirtschaft, als Folge des Crowding Ins gehen die Unternehmen wieder davon aus, dass die angebotenen Güter auch wieder abgesetzt werden. Sie fragen deshalb am Arbeitsmarkt wieder entsprechend der Gewinnmaximierungsbedingung dY/dN = w/p nach. Der Crowding In bewirkt auch, dass sich die IS-Kurve wieder in ihre ursprüngliche Position verschiebt.

Die Kapitalnachfrage des Staates führt über das gestiegene Nationalprodukt zu einem Anstieg des Zinsniveaus (G↑ ⇒ Y↑, ⇒ i ↑, da M/P = const. = LT (Y)↑ + LS (i)↓). Aufgrund der zinsunelastischen Investitionsnachfrage bewirkt der Zinsanstieg jedoch keine Verdrängung privater Investitionen. Es kommt vielmehr zu einem Crowding-In. Da sich die Wirtschaft in einer Depression befindet, sind die Kapazitäten unterausgelastet, weshalb es nicht zu Preissteigerungen und damit auch nicht zu einer Linksverschiebung der LM-Kurve kommt. Der Nachfragemultiplikator wirkt ungebremst.

Beispiel für cʹ = 0,8, ΔG = 10:

$$ \Delta {\text{Y}} = \frac{1}{{\left( {1 - 0{,}8} \right)}}10 = 50 $$

Im Gegenteil, da sich die Wirtschaft in einer pessimistischen Grundstimmung befindet (negative Erwartungen) kann die unerwartete Nachfrageerhöhung über den Ausgabenmultiplikator hinaus zu einer Initialzündung für weitere Investitionen, also weiterer Nachfrage, führen. Die staatliche Intervention bewirkt somit eine Tendenz zum Vollbeschäftigungsgleichgewicht (Crowding In).

\(\Rightarrow {\text{Y}} \uparrow \Rightarrow {\text{L}}_{\text{T}} ({\rm {Y}} \uparrow ) \uparrow + \,{\text{L}}_{\text{S}} ({\rm {i}} \uparrow ) \downarrow = {\text{M/P}} \), normalerweise i ↑⇒ I (i) ↓ aber hier I = const.

6.16.2 Expansive steuerfinanzierte Fiskalpolitik in der Investitionsfalle

Bei Steuerfinanzierung kommt es ebenfalls nicht zu einem Crowding Out. Besteuert wird hier jedoch das Einkommen, also sowohl Konsum als auch das Sparen. Die Staatsausgaben wirken aber hundertprozentig als Nachfrage, da der Staat nicht spart, sodass der Ausgabenmultiplikator eins beträgt. Es gibt keinen Crowding Out, weil es kaum Investitionen gibt und diese zinsunabhängig sind. Nach dem sog. Haavelmo-Theorem eignet sich somit auch eine steuerfinanzierte Staatsnachfragenerhöhung zur Depressionsbekämpfung. Allerdings sind die Wirkungen wesentlich geringer als bei einer kreditfinanzierten Ausgabenerhöhung.

6.16.3 Kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik in der Liquiditätsfalle

In der Situation einer Depression fallen normalerweise die Zinsen solange, bis der Gleichgewichtszins erreicht ist und ausreichend Investitionsnachfrage und spiegelbildlich Investitionsgüternachfrage erzeugt wurde. In der Liquiditätsfalle kann jedoch der Zins nicht unter den sogenannten kritischen Zins fallen, da die Anleger am Geldmarkt keine Wertpapiere mehr kaufen, sondern nur noch Kasse halten. Die Anleger kaufen weder Unternehmens- noch Bankanleihen. Aus diesem Grund kann der Zins nicht fallen und die Unternehmen und Banken können sich nicht refinanzieren. Es kommt zu einem sog. Credit Crunch (Abb. 6.39).

Abb. 6.39
figure 39

Kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik in der Liquiditätsfalle

Der Staat ersetzt die weggefallene private Nachfrage durch Staatsnachfrage, indem er die Staatsausgaben entsprechend erhöht. Der Staat geht an den Kapitalmarkt, fragt das Kapital nach und gibt es aus, was der Wirkung von einer gleich großen Erhöhung der Investitionen entspricht. Solange mit der Kapitalnachfrage auch gleichzeitig die Produktion und damit das Einkommen steigen, steigt auch das Kapitalangebot als das vom Einkommen abhängige Sparen mit. Die Wirkungen sind die gleichen wie bei der expansiven Fiskalpolitik in der Investitionsfalle.

Durch die erhöhten Staatsausgaben steigt die Produktion und somit das Einkommen. Mit dem höheren Einkommen (Produktion) steigt auch die Transaktionskassennachfrage. Die Haushalte benötigen mehr Geld, um die gestiegene Anzahl an Gütern kaufen zu können. Um dieses Geld zu bekommen, müssten sie eigentlich Wertpapiere verkaufen. In der Liquiditätsfalle besitzen sie aber keine Wertpapiere, sondern halten nur Kasse. Die Spekulationskasse ist voller Geld. Um ihre Käufe durchzuführen, müssen sie somit keine Wertpapiere verkaufen, sondern können auf das Geld in der Spekulationskasse zurückgreifen. Da keine Wertpapiere verkauft werden, steigt auch nicht der Zins und somit werden auch keine privaten Investitionen verdrängt (kein Crowding Out). Der Nachteil der Liquiditätsfalle wird somit zu einem Vorteil.

Warum steigt in der Liquiditätsfalle der Zins nicht mit der steigenden Nachfrage an, wie dies in Normalsituationen der Fall ist? Auf dem Kapitalmarkt ist das Kapitalangebot unabhängig vom Zins (anders als bei der Neoklassik) durch das Sparen gegeben und wächst mit steigendem Einkommen, weshalb nicht unbedingt der Zins bei der steigenden Kapitalnachfrage des Staates steigen muss. Bei Keynes ist der Zins durch den Geldmarkt vorgeben (in Abhängigkeit vom Einkommen). In der Liquiditätsfalle ist der Zins bis zu einem gewissen Einkommen unabhängig vom Einkommen und liegt konstant niedrig beim kritischen Zins. In diesem Bereich ist für ein höheres Einkommen nicht wie normalerweise ein höherer Zins notwendig, um die Spekulationskassennachfrage zugunsten der Transaktionskasse zu reduzieren, weil die Anleger über genug Kasse verfügen. Sie wollen nur keine Wertpapiere kaufen. Ohne Liquiditätsfalle wäre das Zinsniveau bei sinkendem Einkommen weiter gefallen, weil weniger Transaktionskasse benötigt wird und die Anleger mit dem überschüssigen Geld Wertpapiere gekauft hätten.

Das Preisniveau hingegen steigt ebenfalls nicht an, da während der Depression Kapazitätsunterauslastung herrscht. Aufgrund der zu geringen Nachfrage fallen tendenziell die Preise. So gesehen wird der Preisrückgang ausgeglichen. Die Preise bleiben stabil. Die Realkasse bleibt konstant, weshalb die LM-Kurve sich nicht nach links verschiebt. Es gibt kein Crowding Out. Es kommt vielmehr zu einem Crowding In privater Investitionen. Aufgrund fehlender Verkäufe hatten die Unternehmen bereits den Konkurs vor Augen. Nun haben sie Dank der staatlichen Nachfrage wieder Auftragseingänge. Die Kapazitäten werden wieder ausgelastet. Es wird wieder genauso viel von den Unternehmen bei ausgelasteten Kapazitäten angeboten wie nachgefragt. Die Stimmung steigt. Investitionen lohnen sich wieder. Die Wirtschaft wird stimuliert und die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigt.

Auf dem Arbeitsmarkt kommt es aufgrund der Produktionserhöhung zu einer Zunahme der Beschäftigung. Die Unternehmen benötigen jetzt wieder die zuvor entlassenen Arbeiter zur Befriedigung der staatlichen Nachfrage. Es entsteht Vollbeschäftigung auf dem Arbeitsmarkt.

Der Staat hat den Ausfall der privaten Nachfrage ersetzt. Aufgrund der guten Stimmung in der Wirtschaft als Folge des Crowding Ins gehen die Unternehmen wieder davon aus, dass die angebotenen Güter auch wieder abgesetzt werden. Sie fragen deshalb am Arbeitsmarkt wieder entsprechend der Gewinnmaximierungsbedingung dY/dN = /p nach. Der Crowding In bewirkt auch, dass sich die IS-Kurve wieder in ihre ursprüngliche Position verschiebt.

Fazit

Wie bei der Investitionsfalle gibt es ohne Zinsanstieg keine Verdrängung privater Investitionen. Es kommt vielmehr zu einem Crowding In. Da sich die Wirtschaft in einer Depression befindet, sind die Kapazitäten unterausgelastet, weshalb es nicht zu Preissteigerungen und damit auch nicht zu einer Linksverschiebung der LM-Kurve kommt. Der Nachfragemultiplikator wirkt ungebremst.

Beispiel

für c′ = 0,8, ΔG = 10:

$ \Delta {\text{Y}} = \frac{1}{{\left( {1 - 0{,}8} \right)}}10 = 50 $

Im Gegenteil, da sich die Wirtschaft in einer pessimistischen Grundstimmung befindet (negative Erwartungen) kann die unerwartete Nachfrageerhöhung über den Ausgabenmultiplikator hinaus zu einer Initialzündung für weitere Investitionen, also weiterer Nachfrage, führen. Die staatliche Intervention bewirkt somit eine Tendenz zum Vollbeschäftigungsgleichgewicht.

$ \Rightarrow {\text{Y}} \uparrow \Rightarrow {\text{L}}_{\text{T}} ({\rm{Y}} \uparrow ) \uparrow + \,{\text{L}}_{\text{S}} \left( {{\text{i}} = {\text{const}}.} \right) \downarrow \, = {\text{M/P}},\;{\text{d}}.\,{\text{h}}. \Rightarrow {\text{I}}\left( {\text{i}} \right) = {\text{const}}. $

6.16.4 Expansive steuerfinanzierte Fiskalpolitik in der Liquiditätsfalle

Werden die Staatsausgaben in der Liquiditätsfalle über Steuern finanziert, kommt es ebenfalls nicht zu einem Crowding Out. Besteuert wird hier jedoch das Einkommen, also sowohl Konsum als auch das Sparen. Die Staatsausgaben wirken aber hundertprozentig als Nachfrage, da der Staat nicht spart, sodass es einen Nettoeffekt in Höhe des weggesteuerten Sparens gibt. Bei einer marginalen Sparneigung von 20 % beträgt der Ausgabenmultiplikator eins. Es gibt keinen Crowding Out, weil die Zinsen aufgrund der Liquiditätsfalle nicht ansteigen. Nach dem sog. Haavelmo-Theorem eignet sich somit auch eine steuerfinanzierte Staatsnachfragenerhöhung zur Depressionsbekämpfung. Der Effekt bei Steuerfinanzierung ist wie bei der Investitionsfalle wesentlich geringer als bei einer Kreditfinanzierung.

6.17 Keynesianische Wirtschaftspolitik

Die IS-Kurve und die LM-Kurve weisen je nach konjunktureller Lage unterschiedliche Elastizitäten auf:

1. Gute Konjunktur/Boom Situation/klassischer Bereich

Der Zins ist so hoch, dass alle Anleger in Wertpapiere bereits investiert haben, die Spekulationskasse ist leer. Die Geldnachfrage ist unabhängig vom Zins wie bei der Neoklassik. Aufgrund der guten Konjunktur ist die IS-Kurve relativ zinselastisch und die LM-Kurve unelastisch. (Hochkonjunktur: hohe Zinselastizität der IS-Kurve, niedrige (oder keine) Zinselastizität der LM-Kurve).

Die Geldnachfrage ist, wie bei der Klassik, nur vom Einkommen abhängig, weshalb man hier auch vom klassischen Bereich spricht. Bei dem Zins i2 haben alle Anleger in Wertpapiere investiert (vgl. Abb. 6.40). Es gibt keine Spekulationskassennachfrage. Die Zinsen sind so hoch, dass man nicht erwartet, dass sie noch wesentlich steigen. Im klassischen Bereich sind die Investitionen sehr zinsreagibel. Es wird alles investiert und die Erwartungen sind positiv. In der Boom Situation ist die Nachfrage größer als das Angebot. Das kann auf Dauer steigende Preise verursachen (Inflation). Ebenso kann es zu Überinvestitionen kommen, da die Unternehmen ihre Kapazitäten aufgrund der hohen Nachfrage ausweiten wollen. Die Investitionen brauchen oft mehr als ein Jahr, um realisiert zu werden. Das Problem ist, dass die Unternehmen nicht sehen können, was die konkurrierenden Unternehmen investieren. Überkapazitäten und Überinvestitionen sind die Folge, die dann einen Abschwung bewirken können. Je größer der Boom, desto größer ist dann auch der Abschwung.

Abb. 6.40
figure 40

Elastizitäten und Konjunkturen der IS- und LM-Kurve

Welche Politik ist in dieser Situation am sinnvollsten? Eine restriktive Fiskalpolitik wirkt nicht. Zwar würde die Nachfrage und damit auch Produktion und Einkommen kurzfristig fallen und damit auch die Transaktionskassennachfrage nach Geld. Allerdings würden die Wirtschaftsakteure das übrige Geld sofort in Wertpapiere anlegen, womit der Zins fällt und die sehr zinsempfindlichen Investionen ansteigen und damit den staatlichen Nachfragerückgang ausgleichen.

Eine restriktive Geldpolitik ist in dieser Situation zielführend. Auf diese Weise wird die Geldmenge reduziert. Die Geldpolitik ist wirksamer als die Fiskalpolitik, da aufgrund des Konjunkturoptimismus alles Geld zum Kauf von Wertpapieren verwendet wird. Umgekehrt steigen dann aber auch die Zinsen, wenn die Geldmenge verringert wird (z. B. restriktive Geldpolitik der EZB). Weil alle Anleger in Wertpapiere investiert haben, müssen sie in gleicher Höhe Wertpapiere verkaufen wie die Geldmenge sinkt. Die Kurse der Wertpapiere fallen und die Zinsen steigen an. Die Investitionen sind zinselastisch, weshalb die Investitionen stark zurückgehen, was einen dämpfenden Effekt auf die Nachfrage hat.

Fazit zur Wirtschaftspolitik: Restriktive Geldpolitik, um die Preiseffekte abzumildern. YD > YS

2. Normale Konjunktur (Gekrümmter Bereich)

In diesem Bereich befinden sich Nachfrage und Angebot im Gleichgewicht. Alle Kapazitäten sind ausgelastet. Hier besteht ein totales Crowding Out der Fiskalpolitik, da YS gegeben und Zins- und Preiseffekte wie bei der Neoklassik zu einer gleich hohen Verdrängung der privaten Nachfrage führen (vgl. Abschn. 6.14). Eine expansive Geldpolitik führt nur zu Preis- und Lohnsteigerungen.

In dieser Situation sollte vonseiten der Politik kein Eingriff getätigt werden, da es nicht erforderlich ist und auch nur Crowding Out hervorgerufen wird, also die Verdrängung der privaten Investitions- oder Konsumnachfrage durch den Staat.

Fazit zur Wirtschaftspolitik: Keine Politik erforderlich.

3. Mittelschlechte Konjunktur (Rezession)

Sofern die Anleger noch Wertpapiere kaufen, wir uns also noch nicht in der Liquiditätsfalle befinden und auch die Investitionen noch zinsreagibel sind, ist in eine expansive Geldpolitik erfolgreich. Die Anleger kaufen mit dem zusätzlichen Geld, das sie bei gegebenem oder gesunkenem Einkommen nicht benötigen, Wertpapiere. Die Kurse steigen, womit die Rendite aller sich im Umlauf befindenden Wertpapiere, also der Marktzins, sinkt. Die Investitionen reagieren auf die gefallenen Zinsen und erzeugen einen expansiven Nachfrageeffekt.Footnote 13

Fazit zur Wirtschaftspolitik: Expansive Geldpolitik.

4. Schlechte Konjunktur/Keynes Bereich/Liquiditätsfalle und/oder Investitionsfalle

In diesem Bereich befindet sich die Wirtschaft in einer Depression. Auf dem Markt ist die Nachfrage kleiner als das Angebot. Wir haben hier keine Zinselastizität der IS-Kurve und unendliche Zinselastizität der LM-Kurve. Die Geldmengenerhöhung führt in diesem Extremfall zu keiner Zinssenkung und ist auch aufgrund der nicht zinselastischen Investitionen unwirksam (Investitionsfalle). Die Fiskalpolitik wirkt maximal, da im Extremfall keine Investitionen verdrängt werden (das Einkommen kann steigen, ohne dass der Zins steigt [Liquiditätsfalle der LM-Kurve]).

Die expansive Fiskalpolitik ist die einzige Möglichkeit, aus der Liquiditäts- und Investitionsfalle herauszukommen. Wobei die kreditfinanzierte Variante besser ist als die steuerfinanzierte. Durch die Erhöhung der Steuern wird den Haushalten Einkommen weggenommen, womit der Konsum der privaten Haushalte fällt (private Konsumnachfrage wird verdrängt). Der Nachteil dieser Politik ist jedoch, dass der Schuldenstand des Staates ansteigt. Eine solche Politik ist deshalb nur gerechtfertigt, solange eine Depression vorliegt, also eine andauernde Unternachfrage verbunden mit Deflation (Preissenkungstendenzen). Die Kapazitäten müssen stark unterausgelastet sein und die Erwartungen sehr negativ. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass wenn die Staatsausgaben steigen, auch die Preise und Löhne ansteigen. Das Land verliert an Wettbewerbsfähigkeit. Aufgrund der geringeren Wettbewerbsfähigkeit gehen die Produktion und die Beschäftigung zurück und der Staat kann seine Schulden nicht mehr zurückbezahlen.

Fazit zur Wirtschaftspolitik in der Depression: Kreditfinanzierte expansive Fiskalpolitik YD < YS

6.18 Expansive Geldpolitik bei starren Löhnen

Starre Löhne führen bei Keynes zu einem stabilen Unterbeschäftigungsgleichgewicht.

Es gibt in diesem Modell die Besonderheit der gekrümmten YS-Kurve. Bei steigendem Preisniveau und konstantem Nominallohn verringert sich der Reallohn, weshalb das Güterangebot zunimmt. Ab einem bestimmten niedrigen Reallohn krümmt sich die YS-Kurve allerdings zurück, da die Arbeitnehmer anfangen ihr Arbeitsangebot einzuschränken.

Ab dem Gleichgewichtseinkommen kann es auch zu einer Überschussnachfrage auf dem Arbeitsmarkt kommen. Das Gütermarktgleichgewicht ist durch den Schnittpunkt der YD- und YS-Kurve vorgegeben.

Es herrscht keine Dichotomie. D. h. durch eine Geldmengenerhöhung kann über den sinkenden Reallohn ein Arbeitsmarkt- und Gütermarktgleichgewicht hergestellt werden, da bei den Arbeitnehmern Geldillusion unterstellt wird. Die LM-Kurve verschiebt sich auf LM2. Das Zinsniveau sinkt, weshalb die Investitionen steigen und mit ihnen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage und mit der Nachfrage das Preisniveau. Dadurch sinkt die reale Geldmenge, weshalb sich die LM Kurve wieder zurückschiebt, auf LM3. Trotzdem hat sich durch das gesunkene Reallohnniveau Vollbeschäftigung eingestellt (Abb. 6.41) (vgl. auch Siebe und Wenke 2014; Blanchard 2014; Blanchard und Illing 2006; Wagner und Böhne 2003; Felderer und Homburg 2005; Drost et al. 2003; Mankiw 2013; John 2004 sowie Mussel 2009).

Abb. 6.41
figure 41

Expansive Geldpolitik bei starren Löhnen

Zusammenfassung

Keynes gelingt es, die Weltwirtschaftskrise mit nachhaltigen Nachfrageeinbrüchen zu erklären. Es handelt sich zwar um Ausnahmesituationen, die aber nachhaltig sind, also auch langfristig schädigen können, weil sich stabile Unternachfragesituationen einstellen können, bei denen die Unternehmen ihr Angebot dauerhaft einschränken. Wir können festhalten, dass in der Investitionsfalle und in der Liquiditätsfalle nur eine Fiskalpolitik erfolgreich ist. Ferner hängt die wirtschaftliche Situation davon ab, in welchem Bereich die LM-Kurve von der IS-Kurve wie geschnitten wird: Hierbei ist die kreditfinanzierte Fiskalpolitik erfolgreicher als die steuerfinanzierte, da keine private Konsumnachfrage verdrängt wird.

Die Geldpolitik wirkt nur als antizyklische Geldpolitik, um die Konjunkturzyklen abzuschwächen.

Rezession: expansive Geldpolitik: M↑, i ↓ ⇒ (p ↑) ⇒ i ↓ ⇒ I (i)↑ sowie

Boom: restriktive Geldpolitik: M↓, i ↑ ⇒ p ↓ ⇒ i ↑ ⇒ I (i)↓

Eine antizyklische Fiskalpolitik hat sich als kontraproduktiv herausgestellt (vgl. hierzu Abschn. 7.3).

Zum Abschluss sollen noch einmal die Unterschiede zwischen Keynes und der Neoklassik zusammengefasst werden:

Neoklassik

Keynes

1. Konsum und Sparen sind zinsabhängig

Einkommensabhängig

2. Geldnachfrage ist einkommensabhängig

Einkommens- und zinsabhängig (Spekulationskassennachfrage)

3. Investitionen sind Grenzproduktivitätsabhängig und zinsabhängig

Autonom oder zinsabhängig und abhängig von der erwarteten Rendite (Grenzleistungsfähigkeit des Kapitals)

4. Flexible Preise und Löhne

Starre Preise und Löhne möglich, deshalb auch Über- oder Unternachfrage

5. Geldpolitik unwirksam Dichotomie

Geldpolitik wirkt im Boom und der Rezession keine Dichotomie

6. Angebotsorientiert, Say’s Theorem gilt

Nachfrageorientiert, Say’s Theorem gilt nicht

7. Immer Marktgleichgewicht

Stabile Ungleichgewichte wie Investitionsfalle und Liquiditätsfalle möglich, deshalb in Ausnahmefällen:

8. Kein Staatseingriff

Staatseingriff

Verständnisfragen

  1. 1.

    Erklären Sie, warum die Geldpolitik in der Investitionsfalle unwirksam ist. Warum stellt sich die gesamtwirtschaftlich notwendige Nachfrage nicht von alleine ein?

  2. 2.

    Erklären Sie, warum die Geldpolitik in der Liquiditätsfalle unwirksam ist. Warum stellt sich die gesamtwirtschaftlich notwendige Nachfrage nicht von alleine ein?

  3. 3.

    Erklären Sie, inwiefern die jüngste Finanzkrise mit den von Keynes beschriebenen Situationen vergleichbar ist.

Übungsaufgaben

  1. 1.

    In dem fiktiven Land Utopia gilt das Modell der neoklassischen-keynesianischen Synthese. Gegeben sind:

    • Produktionsfunktion Y = 4N1/2,

    • Arbeitsangebotsfunktion NS = 1/2 w/p,

    • Sparfunktion S = 0,2 Y,

    • Investitionsfunktion I = 2 − 20i und

    • Geldnachfragefunktion L = 6Y − 30i.

    Berechnen Sie die Gleichgewichtswerte für die Beschäftigung, das Realeinkommen, den Nominallohn, das Preisniveau und den Zins für die Geldmenge M = 28,8.

  2. 2.

    Zeichnen Sie die Wirkung einer expansiven Fiskalpolitik im keynesianischen Gesamtmodell in der Investitionsfalle.

  3. 3.

    Zeichnen Sie die Wirkung einer expansiven Fiskalpolitik im keynesianischen Gesamtmodell in der Liquiditätsfalle.

6.19 Das Mundell-Flemming-Modell der offenen Volkswirtschaft

Was folgt warum?

Wie wirken die oben skizzierten wirtschaftspolitischen Maßnahmen in der offenen Volkswirtschaft? Dies soll im Folgenden untersucht werden.

Lernziel

Sie sollen die Wirkungen einer expansiven Fiskalpolitik auf das außenwirtschaftliche Gleichgewicht auch in Relation zur Geldpolitik erläutern können.

Mundell und Flemming fragten sich, ob man generell durch die Kombination einer expansiven Fiskalpolitik mit einer expansiven Geldpolitik die Beschäftigung bei gleichzeitigem außenwirtschaftlichem Gleichgewicht erhöhen kann. Hintergrund ist, dass man Wechselkursänderungen durch die Wirtschaftspolitik vermeiden wollte, bspw. weil man sich in einem System fester Wechselkurse befunden hat (Fleming 1962 sowie Mundell 1962).

Zunächst müssen die Bedingungen für ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht bestimmt werden. Die Bedingung für eine ausgeglichene Zahlungsbilanz lautet, dass der Saldo der Leistungsbilanz (Ex-Im, die anderen Teilbilanzen werden vernachlässigt) gleich dem Saldo der Kapitalbilanz (Kapitalexport-Kapitalimport) sein muss, weil sich dann Devisennachfrage und Devisenangebot ausgleichen.

Die sogenannte Z-Kurve ist dann die geometrische Kombination aller Zinsen i und Einkommen Y, bei denen die Leistungsbilanz gleich der Kapitalbilanz ist, also die Zahlungsbilanz ausgeglichen ist, ohne dass Ungleichgewichte Wechselkursveränderungen ausgelöst haben. Hierbei sind die Exporte gegeben und die Importe hängen positiv vom Einkommen ab. Auch die Kapitalexporte sind gegeben und die Kapitalimporte hängen positiv vom inländischen Zinssatz ab. Das bedeutet, dass man ebenfalls das Preisniveau in In- und Ausland als gegeben und konstant annimmt. Des Weiteren spielt in dem Modell die Finanzierung der Fiskalpolitik keine Rolle und es wird eine Unterauslastung der Produktionskapazitäten unterstellt, damit die Produktion bei Nachfrageerhöhungen sofort ausgedehnt werden kann. Es gilt:

$ \begin{aligned} {\text{Ex - Im}}\left( {\text{Y}} \right) = {\text{Kapital}}_{\text{Ex}} - {\text{Kapital}}_{\text{Im}} \left( {{\text{i}}_{{{\text{inl}}.}} } \right) \hfill \\ \quad \quad \quad \quad + \quad \quad \quad \quad \quad \quad \quad \quad \quad \quad \quad + \hfill \\ \end{aligned}$

Ansonsten gilt das bekannte keynesianische IS-LM-Modell.

Für die Einkommensentstehung auf dem Gütermarkt gilt:

${\text{Y}} = {\text{C}}\left( {\text{Y}} \right) + {\text{I}}\left( {\text{i}} \right) + {\text{Ex}} -{\text {Im}}+ {\text{G}}$

Annahme: Der Wechselkurs, das ausländische Nationalprodukt bzw. Einkommen und das inländische und ausländische Preisniveau ist konstant.

Für den Geldmarkt gilt:

$$ {\text{M}} = {\text{konstant}} = {\text{L}}\left( {{\text{i}}_{{{\text{inl}}.}} ,{\text{Y}}} \right) $$

Für die Kapitalbilanz gilt:

$$ {\text{K}}_{\text{Saldo}} = {\text{K}}\left( {{\text{ i}}_{{{\text{inl}}.}} ,{\text{i}}_{{{\text{ausl}}.}} = {\text{konstant}}} \right) $$

Um einen Ausgleich zwischen den bei steigendem Einkommen Y steigenden Importen in der Kapitalbilanz durch Kapitalimporte zu erzeugen, müssen die Zinsen ebenfalls ansteigen. Es gibt zwei mögliche Kombinationen (vgl. Abb. 6.42 und 6.43):

Abb. 6.42
figure 42

Binnen- und außenwirtschaftliches Gleichgewicht im Mundell-Flemming-Modell Lage 1

Abb. 6.43
figure 43

Binnen- und außenwirtschaftliches Gleichgewicht im Mundell-Flemming-Modell Lage 2

Somit hängt das Gleichgewicht als Schnittpunkt der LM- und Z-Kurve von der Zinsreagibilität des ausländischen Kapitalangebot und der Zinsreagibilität der Liquiditätsnachfrage ab. Die Liquiditätsnachfrage muss mit den steigenden Zinsen zurückgehen, damit Geld für die Transaktionskasse frei wird, die mit dem Einkommen ansteigt.

Expansive Fiskalpolitik Lage 1

Ist der Zinsanstieg im IS-LM-Modell zum neuen Gleichgewicht geringer als zum Ausgleich der Zahlungsbilanz notwendig (vgl. Punkt 1 in Abb. 6.44), kommt es zu einer Passivierung der Zahlungsbilanz, da das Leistungsbilanzdefizit aufgrund des durch den Einkommensanstieg angestiegenen Imports nicht durch einen entsprechend hohen Kapitalimport ausgeglichen werden kann. Hier ist eine restriktive Geldpolitik notwendig, um ein Gesamtgleichgewicht herzustellen. Durch den Zinsanstieg steigt der Kapitalimport und gleicht das Leistungsbilanzdefizit aus (vgl. Abb. 6.45).

Abb. 6.44
figure 44

Expansive Fiskalpolitik in der offenen Volkswirtschaft

Abb. 6.45
figure 45

Ausgleich der Zahlungsbilanz durch restriktive Geldpolitik Lage 1

Expansive Fiskalpolitik Lage 2

Ist der Zinsanstieg im IS-LM-Modell zum neuen Gleichgewicht größer als zum Ausgleich der Zahlungsbilanz notwendig (vgl. Punkt 1 in Abb. 6.46), kommt es zu einer Aktivierung der Zahlungsbilanz, da das Leistungsbilanzdefizit aufgrund des durch den Einkommensanstieg angestiegenen Imports durch den Kapitalimport überkompensiert wurde. Es wurde zu viel Kapital importiert, weshalb es eine Aufwertungstendenz gibt. Hier ist eine expansive Geldpolitik notwendig, um ein Gesamtgleichgewicht herzustellen. Durch die daraus folgende Zinssenkung fällt der Kapitalimport, bis das Gleichgewicht erreicht ist (vgl. Abb. 6.47). Die beschriebene Wirtschaftspolitik zum Ausgleich der Zahlungsbilanz bzw. Wechselkursanpassungstendenzen nennt man Mundells-Policy-Mix.

Abb. 6.46
figure 46

Expansive Fiskalpolitik in der offenen Volkswirtschaft Lage 2

Abb. 6.47
figure 47

Ausgleich der Zahlungsbilanz durch expansive Geldpolitik

Kritik am Mundell-Flemming-Modell

  1. 1.

    Die Annahmen des Modells treffen in der Realität selten zu. Eine Kapazitätsunterauslastung, sodass es im Inland nicht zu Preiserhöhungen kommt, gibt es – wie schon dargestellt wurde – nur in der Depression oder in einer sehr starken Rezession. Normalerweise müssten die Preisniveauänderungen der Geld- und Fiskalpolitik berücksichtigt werden, was zu anderen Ergebnissen führen würde. In der Normalsituation gäbe es nur Preiseffekte und keine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes bzw. Einkommens.

  2. 2.

    Der Zinseffekt beschränkt sich auf das keynesianische Geldmarktgleichgewicht, also auf die LM-Kurve. Das Kapitalangebot steigt mit dem Einkommen und dem dadurch gestiegenen Sparen. In der Normalsituation würde bei ausgelasteten Kapazitäten der Preiseffekt zu einer Linksverschiebung der LM-Kurve und damit zu noch höheren Zinsen führen und es gäbe kein Wachstum, weil die Investitionen in der Folge sinken würden. Es gäbe ein totales Crowding out, also die Verdrängung der privaten Investitionen durch den Staat.

  3. 3.

    Das Verschuldungsproblem wird ausgeklammert, weil unterstellt wird, dass das Bruttoinlandsprodukt und damit auch die Steuereinnahmen steigen. Dies gilt nur bei Kapazitätsunterauslastung und dann handelt es sich nicht um Wachstum, sondern um eine Wiederherstellung des alten Staus quo mit dann höherer Verschuldung.

  4. 4.

    Das Modell ist komparativ statisch. Die Rückwirkungen der inländischen Wirtschaftspolitik aus dem Ausland werden nicht berücksichtigt.

Verständnisfragen

  1. 1.

    Wie wirkt eine expansive Fiskalpolitik auf das außenwirtschaftliche Gleichgewicht? Unterscheiden Sie die verschiedenen Fälle.

  2. 2.

    Wie kann man trotz einer expansiven Fiskalpolitik ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht herstellen?

  3. 3.

    Wie realitätskonform ist das Mundell-Flemming-Modell?