Deichkind

Wir verstehen unsere Arbeit als wechselseitiges Sender-Empfänger-Verhältnis.

Philipp Grütering von Deichkind über den Wert von Musik, Künstlertum, Zahnärzte, Humor, Download-Tantiemen und den Slogan "Leider Geil"

Deichkind

© Nikolaus Brade

Philipp Grütering, die aktuelle Deichkind-Platte "Befehl von ganz unten" ist zehn Monate alt und wird in Elektromärkten gerade für knapp 7 Euro verkauft. Was steckt hinter so einem Preisverfall?
Grütering: Die Plattenfirma möchte, dass wir noch Platin-Status erreichen und verscherbelt nun unser Produkt zu Ramschpreisen.

Hat so ein Platin-Status heute denn überhaupt noch eine Bedeutung?
Grütering: Platin würde bedeuten, dass wir 200.000 Alben verkauft hätten. Das erreicht man heute kaum noch. Wir würden darüber schon wahnsinnig freuen, vor allem, weil wir immer eine Band waren, die eher so 50-60 000 Platten verkauft hat. Da haben mehr Leute unsere Konzerte gesehen. Wir sind ja eine Live-Abend, unser Fokus liegt auf den Konzerten, unsere ersten Platten haben bisher auch in den Charts die Top 10 eher so geschrammt. Aber uns ist auch immer wichtiger geworden, dass unsere Musik auch ohne Show interessant ist und Leute anspricht.

Das erste Deichkind-Album "Bitte ziehen sie durch" kam 2000 noch bis auf Platz 18 der Charts. Wahrscheinlich wurde genauso oft verkauft wie euer aktuelles, das im Februar dieses Jahres auf Platz 2 der Charts gelangte.
Grütering: Klar, damals hat man ja noch viel mehr Platten verkauft als heute. Aber in der Debatte um die Auswirkungen des Internets sind wir immer gegen diese Angst "Zerstört das Netz jetzt unsre Verkäufe?" angegangen. Deshalb haben wir einen Song wie "Illegale Fans" auch als Gratis-Download ins Netz gestellt. Wenn man das Internet seinen Möglichkeiten entsprechend nutzt, ist es eigentlich nur positiv. Wir nutzen alle Werkzeuge, die es da so gibt: Soundcloud, Facebook und Co. Uns tut das nur gut.

Es scheint allerdings, dass vor allem die bereits etablieten Künstler vom Internet profitieren, während es neue Bands schwer haben, überhaupt wahrgenommen zu werden.
Grütering: Ja, das stimmt schon. Aber Newcomer haben es in jeder Zeit schwer gehabt, das hat mit dem Netz nichts zu tun. In den 80ern hat man auch gesagt: "Die Stars haben ja alle Möglichkeiten, aber ich sitze hier immer im Proberaum, mich sieht keiner." So waren wir ja auch mal, wir hatten auch keine Deals oder Auftritte. Aber wenn man als Band eine Energie hat und etwas wirklich will, dann hat man heute eben auch neue Möglichkeiten, die es früher nicht gab. Du kannst deine Nummern direkt bei Itunes verkaufen, das ging früher nicht. Du kannst dir heute ein Stück weit deinen eigenen Markt gestalten.

Immer mehr Menschen können sich mit einem Job alleine kaum noch finanzieren. Warum sollte eigentlich ausgerechnet ein Künstler nur von seiner Kunst leben können?
Grütering: Zum einen: Künstler zu sein kostet Zeit. Künstlerische Qualität kostet Zeit. Zum anderen: um wirklich erfolgreich Kunst zu machen, musst du heutzutage sowieso auch selbst Geschäftsmann sein, oder zumindest Lust haben, dich darum zu kümmern. Oder du verdienst genug, um dir jemanden dafür zu holen, dem du vertraust. Das geht den Künstlern manchmal wie den Zahnärzten, ist mir neulich bei einer TV-Reportage aufgefallen. Da sitzt so ein Zahnarzt 80% seiner Arbeitszeit daran, Rechnungen zu schreiben und irgendwelche administrativen Aufgaben zu erledigen und möchte aber viel lieber Zahnarzt sein und Menschen behandeln, so wie es einem Künstler eigentlich darum geht, Musik zu machen, kreativ zu sein. Es geht darum, die richtige Balance hinzukriegen, sich genug Zeit freizuschaufeln.

Da Zeit ja angeblich Geld ist – welcher Preis wäre für einen Deichkind-Song angemessen? 99 Cent, wie ihn Download-Shops anbieten?
Grütering: Man kann das nicht mehr so pauschal sagen. Mittlerweile gibt es so einen Stream-Anbieter wie Spotify, wo man ein Abo zum Beispiel für 10 Euro kauft. Da sehe ich auch eher die Zukunft des Musikmarktes. Itunes wird sicherlich auch auf dieses System umstellen, dann fällt das mit den 99 Cent pro Song auch weg. Da wird dann der Wasserhahn nur noch aufgemacht und Musik fließt.

Was verdienten Deichkind bisher an so einem 99-Cent-Song?
Grütering: Das ist eigentlich mies bezahlt, aber anders als bei der GEMA weiß man zumindest, was man verdient. Ich glaube Apple kriegt 40 Prozent, die Plattenfirma 60. Und weil wir unsere Platte auch selbst produzieren, bleiben uns von diesen 60 Prozent so 20 bis 30 Prozent. Wenn man dann an so ein Abo-Preis-System denkt, wird es einem manchmal schon etwas kippelig und man denkt: Oh, verdiene ich daran überhaupt noch was? Aber ich bin da im Grunde sehr optimistisch…

Je mehr der erwähnte Wasserhahn an Musik laufen lässt, desto wichtiger wird es, dass man als Künstler auffällt. Deichkind gelingen das bisher sehr gut. Welche Werbeagentur schreibt eigentlich eure Texte?
Grütering: (Lacht) Die schreibe ich mit Porky, da gibt es keine Agentur. Aber wir gucken uns schon um, was passiert und was auch zur Show passt. Was passt zum Fan, was möchte der gerne hören. "Ich mache meine Kunst nur für mich" – das ist bei uns nur zum Teil so. Man macht natürlich in erster Linie Musik, die einem Spaß bringt. Aber wir verstehen unsere Arbeit schon so als wechselseitiges Sender-Empfänger-Verhältnis.

Zitiert

Ein Musik-Download ist eigentlich mies bezahlt, aber anders als bei der GEMA weiß man zumindest, was man verdient.

Deichkind

"Leider geil" oder "Arbeit nervt" heißen zwei eurer größten Hits. Das sind schon sehr griffige Slogans, die wie Werbetexte funktionieren.
Grütering: Ja schon, aber das sind eben auch Themen, die uns im Alltag einfach beschäftigen. Gerade bei der aktuellen Platte war es so, dass wir erstmal Texte geschrieben haben und dann die Musik. Früher war es eher umgekehrt. Aber wir fanden es diesmal wichtig, auf den Tisch zu legen: Welche Themen interessieren uns, welche Themen interessieren unsere Fans? Das hat dann eine gemeinsame Schnittmenge ergeben.

"Leider geil" ist anscheinend zu einem geflügelten Wort geworden. Haben Deichkind das aufgegriffen oder geprägt?
Grütering: Ganz klar Letzteres. Das hat einfach eingesmasht, das war ein Hit. Das schwelte natürlich schon länger irgendwo rum. Man hat eben öfter ein schlechtes Gewissen bei dem, was man macht oder kauft, macht es aber trotzdem, weil es eben "leider geil" ist. Das hat sicher auch schonmal jemand gesagt, aber nicht in der Form auf den Punkt gebracht. Durch den Song ist es erst populär geworden.

Reden wir noch ein bisschen über Humor. Deichkind stammen aus Hamburg-Bergedorf – war dieser Ort schon eine Steilvorlage für euer ironisches Selbstverständnis?
Grütering: Wieso? Wie sieht man dann Hamburg-Bergedorf von außerhalb?

Naja, weder Dorf noch Berg sind Worte, die man gemeinhin mit Hamburg assoziiert.
Grütering: Es ist tatsächlich hügelig in Bergedorf. Aber natürlich gibt es da keinen Berg.

Die Gegend wurde wohl vor 1000 Jahren von Sachsen besiedelt, die wurden von den Einheimischen Berger genannt.
Grütering: Sachsen treffen auf Hamburger. Das klingt wie eine Kollision der Superlative.

Mittlerweile lebt ihr aber in Berlin. Ist das humortechnisch ein Problem?
Grütering: Also verstanden wird unser Humor da auf jeden Fall. Aber Berlin ist eben auch ein riesengroßer Moloch. Hier ist es sehr viel internationaler, gerade die Musik. In Hamburg gab es die Hamburger Schule, die sich so ein bisschen selber zerschlagen hat und den Hamburger Hiphop. In Berlin gibt es so viele Kieze, wo so viele Leute so verschiedene Musik machen. In meiner Nachbarschaft gibt es tausende Studios, verschiedenste Musikstile werden da durchgezogen. Da kann man viel Energie rausziehen. Hier ist der musikalische Wasserhahn schon richtig aufgedreht.

Warum heißen Deichkind eigentlich Deichkind?
Grütering: Der Name passte damals irgendwie zu dem Hamburger Hiphop-Umfeld. Ich habe ihn mir nicht ausgedacht. Irgendwer hat ihn vorgeschlagen und ich dachte: Cool! Wir haben uns da nichts Konzeptionelles zu ausgedacht. Kleine Kids waren wir, die keine Ahnung hatten, was überhaupt Sache ist. Damals passte es und heute ist es egal.

Eine vielleicht überraschende Eigenart von Deichen ist ja, dass sie zum Meer hin, also auf der Seite von der ihnen die Gefahr droht, vor der sie schützen sollen, flach ansteigen und zur Landseite steil abfallen.
Grütering: Ja, mittlerweile. Früher war das anders. Dann hat man erkannt, dass sich die Sturmflut am flacher ansteigenden Deich totläuft.

Ist das auch ein Bild für den Sinn von flachem Humor?
Grütering: Da habe ich noch nicht drüber nachgedacht, aber das stimmt eigentlich. Den Leuten mit flachem Witz den Wind aus den Segeln nehmen – das gefällt mir!

Als Deichkind 1997 in Hamburg-Bergedorf das Licht der Welt erblickten, waren sie Teil der prosperierenden norddeutschen HipHop-Szene um Der Tobi & Das Bo und Fettes Brot. Im 15. Jahr ihres Bestehens ist der Musiker, Texter und Performer Philipp mehr

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