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Ins Blaue – Kritik

Wenn Frauen keinen Sex wollen, dann haben sie ihre Tage. Und Männer wollen eigentlich nur kuscheln. Wir lernen wieder viel über die Geschlechter in Rudolf Thomes neuem Film.

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„Ich besitze kein Handy – mit Gott kann man nicht telefonieren.“ Diesen typischen Thome-Satz sagt eine typische Thome-Figur: ein Mönch, der früher Automechaniker war und sich jetzt als Missionar – ja, im doppelten Sinn – für drei junge Frauen zur Verfügung stellt, die eine Reise Ins Blaue durch Italien unternehmen und den patenten Mönch nach einer Autopanne aufgabeln. Die Reise ist ein Film im Film, der von einem alternden Regisseur und Produzenten mit dem biblischen Namen Abraham (Vadim Glowna) finanziert und seiner Tochter Nike (Alice Dwyer) inszeniert wird. Als das Geld knapp wird, muss Abraham auch vor die Kamera treten, wo er, ebenso wie dahinter, eine Affäre mit Laura (Elisabeth Marie Leistikow) hat – als Nachfahre Ludwig Wittgensteins.

Dass Laura, die darauf insistiert, keine Nutte, sondern Schauspielerin zu sein, über die Besetzungscouch des Vaters in ihrem Film gelandet ist, weiß Nike (noch) nicht. Nicht nur mangelt es der jungen Regisseurin an Durchblick und Professionalität, die gesamte Produktion schwankt zwischen putzig und planlos, trotzdem visiert man ganz bescheiden die Goldene Palme an. Erst am Set wird überprüft, ob genügend Filmblut vorhanden ist; wenn die Schauspieler gut waren, bekommen sie eine herzige Umarmung von Nike, die, als sich herausstellt, dass der alkoholisierte Tonmann eine Szene verbockt hat, auf Papas Schoß Platz nimmt, um dort zu schmollen.

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Ins Blaue präsentiert auch einen typischen Thome-Plot, sprich einen ausgiebigen Beziehungsreigen: Abraham verguckt sich in Laura, die Regisseurin in den Tonmann, und die drei Frauen im Film bändeln mit dem Mechaniker-Mönch, dem Wittgenstein-Nachfahren und einem taubstummen Fischer an. Dabei wird über Gott, die Ewigkeit und das Paradies philosophiert, oder man hat Sex in einer Höhle. Autos werden gestreichelt, um sie zur Weiterfahrt zu animieren, und kurz darauf wird verkündet: „Wir sind doch keine Kuschelmädchen! Sondern moderne Frauen, die mitten im Leben stehen!“

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Kurz nach dem Autokuscheln behauptet, mag dieser Ausruf wahrscheinlich (oder hoffentlich) ironisch gemeint sein, allerdings scheinen der Regisseur (Thome) und die Regisseurin (Nike) von Ins Blaue ihre weiblichen Figuren nicht komplett ironisch angelegt zu haben, sondern sehen in ihnen anscheinend tatsächlich moderne Frauen. Das heißt hier aber leider vor allem niedlich, naiv und von Männern beeindruckt, die Autos reparieren oder Fische ausnehmen. Im Fall von Laura bedeutet es sogar, dass sie sich hinter der Kamera an den Produzenten verkauft und in einer Film-im-Film-Szene auch davor eher unwillig mit dessen Rollen-Alter-Ego schläft: Er: „Darf ich Sie ausziehen?“ Sie: „Eigentlich nicht, aber wenn Sie meinen …“

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Thome (Das rote Zimmer, 2010; Pink, 2009) wird von manchen Kritikern für seine starken, selbstbewussten Frauenfiguren gelobt – in seinem neuesten Film sucht man vergeblich nach ihnen. Vielmehr wirken seine weiblichen Charaktere wie die Männerfantasien eines alternden Regisseurs, der wie Abraham eine Tochter hat, die (Kurz-)Filme dreht. Joya Thome ist in einigen Werken ihres Vaters auch als Darstellerin aufgetreten. Hier wird der Spieß umgedreht, und der Vater tritt im Film der Tochter auf. Wie viel Thome in Abraham steckt, wäre Spekulation, doch der Vater-Tochter-Konflikt, der erst spät im Handlungsverlauf aufbricht, ist eigentlich das Spannendste an Ins Blaue, wird aber leider in nur wenigen Szenen abgehandelt, nachdem die Inszenierung viel Zeit an banales Geplänkel verschwendet hat. Mit heiterer Hintergrundmusik und einer unergründlich zoomenden Kamera soll das vielleicht Urlaubsstimmung evozieren, stattdessen fühlt man sich in die 1980er Jahre zurückversetzt, als die Eltern einen dazu nötigten, seichte Abendunterhaltung im Öffentlich-Rechtlichen mit ihnen auszusitzen.

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Fairerweise muss man sagen, dass Thomes männliche Protagonisten nicht besser dastehen als seine weiblichen – ohne dass der Autor, Regisseur und Produzent über ihr Verhalten urteilt. Vor allem Abraham, der sich selbst als „traurigen alten Mann“ bezeichnet und mit Blumen spricht, wirkt mit Hängehintern und -brüsten und dem kläglichen Versuch, eine junge Frau mit seinem Besitz an sich zu binden, in erster Linie bemitleidenswert. Der im Januar verstorbene Vadim Glowna – in einer seiner letzten Rollen – verleiht ihm dabei trotz aller Klischees eine beachtliche Dreidimensionalität und berührende Verletzlichkeit, wie überhaupt sämtliche Darsteller von Ins Blaue das Herausragendste an der Inszenierung sind.

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Unterhaltung bietet Thomes neuer Film trotz seiner Schwächen. Allein schon im Rätseln darüber, ob die teils unglaublichen Dialoge ernst oder ironisch gemeint sind. Das schönste Bespiel: Er: „Darf ich heute Nacht bei dir bleiben?“ Sie: „Mir geht’s nicht so gut – ich hab meine Tage.“ Er: „Ich wollte doch nur kuscheln.“

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Kommentare


tompower

Geradezu schmerzhaft ist der Dilettantismus des Films im Film. Ruckelige Zoomfahrten wie aus einem Homevideo, aufgeklebte Bärte und unsägliche Dialoge. Am italienischen Strand vor sich hinphilosophierene deutsche Philosophen und deutsche Automechaniker-Mönche aus dem toskanischen Kloster.

Um in diesem Film (dem Regieerstling einer knapp 20jährigen!) mitspielen zu können, muss die Schauspielerin "she's a famous star in Germany" mindestens einmal mit dem Produzenten schlafen, das war der Deal! Man hofft auf die goldene Palme und bei der Uraufführung gibt es tatsächlich einen roten Teppich mit jubelnden Fans und Paparazzi. Oje!!

Das Filmteam - und mit ihm eigentlich die gesamte (reale wie verfilmte) Story - ist haarsträubend naiv, das Drehbuch streckenweise fast schon infantil ("du bist nicht mehr mein Vater, ich verfluche dich"). Die Leistung der (richtigen) Schauspieler ist trotzdem recht gut, wobei die Mädchen überzeugender sind als die Männer (einschließlich Vadim Glowna, leider).

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