Kulturkenner

Der Schauspieler Yehuda Almagor

BühneArnsberg
Von Israel ins Sauerland: Yehuda Almagor und seine Frau Ursula leiten seit 30 Jahren ihr Teatron Theater in Arnsberg. Der Schauspieler und Theatermacher bringt nicht nur Lessing, Büchner und Heine heraus und hat eine Bürgerbühne für die Region etabliert, sondern steht auch vor der Kamera für israelische und internationale  Filmemacher, darunter dem aktuellen Berlinale-Gewinner „Synonymes“ von Nadav Lapid.

Er besitzt eine „Arbeitserlaubnis“ für Deutschland, zeitlich unbegrenzt. Yehuda Almagor nutzt sie seit 30 Jahren. Die Berufsbezeichnung würde lauten: Schauspieler, Regisseur, Autor, Theaterdirektor. Junge Israelis heutzutage zieht es gewöhnlich, wenn sie sich für Deutschland entscheiden, nach Berlin, zumal wenn sie im Kreativ-Künstlerischen unterwegs sind. Vor 30 Jahren beschloss Yehuda Almagor, im sauerländischen Arnsberg zu leben und ein Theater zu etablieren: tief im Westen, wo, wenn man ankommt, die Luft deutlich leichter und gesünder durch die Atemwege geht, als in Düsseldorf, Köln und Dortmund. Es mag ein bisschen weit hergeholt sein, aber der Vorgang erinnert von fern an Robert Redford, als der ausgerechnet in Utah sein Sundance Film Festival gegründet hat.

Almagors Visitenkarte war ein Monodrama: der „Zwerg“ aus Pär Lagerkvists Erzählung. Das Plakat der Aufführung hängt neben vielen anderen, nicht selten entworfen von Sohn Daniel, im Flur zum Büro. Damit sei er in 600 Aufführungen durch Europa und die USA gereist, schließlich auch ins Sauerland, wo die Politik ihnen – ihm und seiner aus Arnsberg stammenden Frau Ursula, die ihm während des Gastspiels einer Jugendtheatergruppe begegnet war –  ein Angebot offerierte: „Das Land NRW suchte nach Künstlern, die in den Regionen sesshaft wurden, um Theater zu produzieren.“ Bald nannten sie sich „Teatron Theater“ und hatten eine Basis. Auch wenn das Publikum erst für „die bunten Vögel“ gewonnen sein wollte. „Gemeinsam“ sei man „gewachsen“, „gemeinsam“ habe man die Theatersprache gelernt, gerade auch das daran „herausfordernde“ Idiom.

Als beim Besuchstermin der Fotograf den Mikrofon-Galgen über seinem Kopf anbringt, sagt Almagor verschmitzt, nein, vor dem Mikro habe er keine Scheu. Er kennt die Prozedur des Einrichtens auf dem Filmset.

Ich muss Mut haben, um in die Filme zu gehen, in denen ich mitspiele. Denn ich sehe alle Fehler und Macken, sehe mich, wie ich bin, und weniger die Rolle.
Yehuda Almagor

Almagor, ein agiler Anfang-Sechzigjähriger mit klugem blauen Blick, hat in seinem Geburtsland eine exzellente Schauspiel-Ausbildung an der Universität Tel Aviv absolviert, nach der er von einem seiner Dozenten, dem Intendanten  Yossi Israeli, an dessen städtisches Chan-Theater (zu übersetzen mit Karawanserei) in Jerusalem engagiert wurde. Gemeinsam habe man dort „wie in einem Laboratorium“ versucht, „sich auf Spuren des jüdischen Theaters zu begeben und die biblischen und dichterischen Überlieferungen mit dem europäischen und anglosächsischen Theater zu verbinden“.

Das Judentum als Kultus und das Theater seien „eigentlich zwei einander fremde Körper“. Dann erzählt er noch, dass er mit dem gefeierten Barrie Kosky zweimal in Wien gearbeitet habe, dessen „Handschrift vom jüdischen und amerikanisch-jüdischen Vaudeville geprägt“ sei, was ihn wiederum inspiriert habe. Ebenso wie die Begegnung mit interdisziplinären Formen während seiner Jahre in Jerusalem. Obgleich er selbst von „einer sehr klassischen Schauspiel-Tradition“ komme, habe er sich gern konfrontiert mit ganz anderen Bezügen, die weniger philosophisch, naturalistisch, psychologisch begründet seien. 

So auch das „Story Telling“ und seine Techniken, das sich herleitet aus dem orientalischen Kulturkreis. Gemeint ist die Form mündlichen Erzählens, so wie Märchenerzähler einst ihre Geschichten an eine Gruppe Zuhörer fort- und weitertrugen. Kein Identifikations-Theater also vom Darsteller mit der Rolle, sondern der Schauspieler als Berichterstatter, der Abstand nimmt zur Kunstfigur. Oder zur historischen Figur. Etwa Anne Frank, die sie bei einem Projekt am Chan-Theater sozusagen aus dem Jenseits ins (Bühnen-)Leben zurückgeholt und als Ausgangspunkt dabei ihren ersten Kuss mit Peter bzw. dessen Verhinderung durch die Umstände gewählt hätten.

In dieser schlichten Kunstform steckt etwas ganz und gar Nicht-Naives, vielmehr Reflektierendes und Reflektiertes. Der Erzähler im Theater als Instanz des Zwischenraums, die das Erzählte mehr ‚vermittelt’ als verkörpert. So ist auch die Heine-Fantasie des Teatron Theaters von 2011 angelegt: ein Nachtstück mit „Doppelgänger“, montiert aus Leben und Werk mit Selbstzeugnissen, Briefen, Dokumenten, Zitaten, literarischen Auszügen und ihrer wechselseitigen Beeinflussung. Beständiger Dialog und unaufhörliche Korrespondenz. Auf leerer Bühne stehen vier Männer um einen Quader – Sitzbank, Schreibpult, Barrikade, Bettlager, Sarg. Einer stimmt den lyrischen Gesang vom „wunderschönen Monat Mai“ an, in dem das „Sehnen und Verlangen“ zum Gefühlsausdruck gerinnt. Ein zweiter, Manuel Quero, beginnt zu tanzen, ein dritter spielt auf dem Marimbaphon. Almagor berichtet als Gast des leidenden Heine in Paris und hüllt sich in den Morgenmantel und Krankheitskörper des Dichters selbst, teilt dessen Sorgen und Ingrimm, wettert gegen die falschen Patrioten in Deutschland und den großen Lümmel Volk und wird in seiner Spannung und seinem Verfangen-Sein zwischen reiner Poesie, Liebesschmerz, Lust und politischer Menschheits-Revolte kenntlich. Biografie – ein Kinder- und Erwachsenenspiel in Fragmenten. Ein zersplitternder Spiegel. Heine als lebendiges Denkmal, eingehüllt in roten Stoffbahnen.

Als wir an einem sonnigen Vormittag die Kulturschmiede von Arnsberg erreichen – im Foyer mit Bar-Theke sieht man noch Teile des alten Handwerkbetriebs –, hat sich Almagor für das Treffen von der Probe zum aktuellen Projekt „Der Zettelmann“ losgeeist und sitzt deshalb etwas auf heißen Kohlen, was wiederum zum Ort, der ehemaligen Schmiede, passt. Der Besucher denkt unwillkürlich an „Heimat“ und Schabbach, Edgar Reitz’ fiktiven Ort seiner Jahrhundertserie, in der die Schmiede der Familie Simon das Zentrum bildet.

Anfänglich hätten sie auf der Hinterbühne des Sauerland-Theaters gearbeitet, bis das städtische Kulturbüro ihnen dieses Gebäude anbot und für sie umbaute. Ein fester Produktions- und Aufführungs-Standort – „ein Traum“, so Almagor: „Wir sind zu hundert Prozent frei, zu entscheiden, was wir machen, wie oft wir spielen und mit wem wir arbeiten.“

Das Konzept veränderte sich im Lauf der Zeit. „Die ersten zehn Jahre haben wir in Arnsberg fast nur produziert, uns selbst gemanagt und sind mit unseren Projekten, Ein- oder Zwei-Personen-Stücken, häufig verbunden mit einem Puppenspieler zum Figurentheater, auf Tour und zu Festivals gefahren: dreisprachig auf Deutsch, Englisch, Hebräisch." Die zweite Phase begann mit dem eigenen Gebäude, das zu einer Art städtischen Bühne wurde.

Wir fühlten uns nicht mehr wohl damit, dauernd in alle Welt zu verschwinden. So haben wir eine Form von Regional-Konzept entwickelt mit engagierten Gast-Künstlern und zu Themen, die das Interesse des Publikums im Hochsauerland finden.
Yehuda Almagor

Darunter Dramen, die Abiturstoff sind wie Büchners „Woyzeck“ und „Danton“ oder Lessings „Emilia Galotti“. „Dafür müssen die Schüler nicht nach Dortmund fahren.“ Da bringe man es dann auf 30 Aufführungen. Auch die Amateurszene – Almagor sagt lieber „Non-professionell actors – wurde einbezogen, sie haben Workshops veranstaltet, bis eine Qualität erreicht war, die für eine „Teatron Bühne Zwei“ tragfähig wurde, dort wurden schon u.a. Brechts „Mutter Courage“ und die „Antigone“ von Anouilh inszeniert. Almagor nennt eine dritte Schiene, die der Bürger-Beteiligung, wenn etwa Senioren als „Kinder von damals“ eigene Lebensgeschichte verkörpern. Auch das experimentelle Projekt „Der Zettelmann“ ruft persönliche Biografie auf: „Wir sind geschichtserzeugende Figuren“.

Die Almagors sorgen sich um die Auswirkung der Pandemie auf ihre Arbeit, um das Rückkehren oder aber Ausbleiben des Publikums. Es käme ihm beinahe so vor wie bei Kafka, wenn dort der Andere verdächtig sei. Vor Corona hätten sie, sagt er, zwei bis drei Stücke pro Saison produziert – neben denen, die sie im Repertoire halten. Nun seien es weniger. Als Yehuda Almagor auf die ihm unbekannte deutsche Theaterlandschaft, speziell die in NRW, und das reiche Fördersystem traf, schien es ihm wie „das Schlaraffenland“. Das Teatron Theater, dessen Profil er und seine Frau Ursula als  Dramaturgin gemeinsam bestimmen, wurde von Beginn an bis heute sowohl von der Stadt Arnsberg wie von Landesseite in Düsseldorf sehr unterstützt. Gleichwohl, um im Bild zu bleiben, der volle Bauch des Schlaraffenland-Bewohners muss sich auch durch eigenen Impuls füllen. Das Unermüdliche ist ihm anzumerken. „Man macht, wenn man muss“, sagt er in Abwandlung von Kafka.

Almagors Filmkarriere führt auf die Festivals von Berlin und Venedig. Daneben gibt es Almagors Karriere im Film. Er schickt voran, wie „winzig klein“ die Kulturszene Israels sei. Vielleicht halb so groß wie die im Ruhrgebiet, vergleicht er lachend. Und dass dadurch nie Kontaktschwierigkeiten untereinander bestünden, schon im Studium, wo an der Hochschule parallel eine Filmklasse bestand. Aber in jungen Jahren habe er sich wenig für Angebote und das Spiel vor der Kamera interessiert, das habe sich erst geändert, als er schon lange in Deutschland war.

Wenn er dreht, dann meistens mit israelischen Filmemachern, die er als ungemein innovativ, radikal und aufregend wahrnimmt. Er tut das sehr ausgewählt und dosiert, auch was das Volumen der Rollen beträfe, sonst sei es zu kompliziert, um es mit dem Teatron Theater zu vereinbaren. Nach dem Tod seiner Eltern gibt es keinen familiären Ort mehr in Haifa, Freunde wohl, ja, und eben Aufenthalte, wenn er filmt: etwa 2017 mit Samuel Maoz für den international, unter anderem in Venedig ausgezeichneten „Foxtrot“ und jüngst mit Nadav Lapid für „Synonymes“, einer hypnotisch suggestiven Identitäts-Studie – Gewinner des Goldenen Bären.

Gab es für ihn als Juden der zweiten Generation mit Eltern aus der Ungarisch sprechenden Ukraine und aus Rumänien kein Zögern, nach Deutschland zu gehen und zum Deutschen zu werden? Almagor erinnert an die besondere deutsch-jüdische Symbiose, die einseitig aufgekündigt wurde – mit aller Gewalt. Dem Ehepaar Almagor geht es um „Brückenbau“, so auch in ihrer Trilogie über Heine, über Kafka als dem Versuch, den unergründlichen Zustand des Mensch-Seins in all seinem Beklemmenden auszuleuchten; schließlich über Tucholsky, dessen Revue sich das bunt bemalte Berlin der Weimarer Republik aufschminkt und danach die Verfinsterung in Ausdruckstänzen und Klaggesang aufruft. Auch hier gilt für Yehuda Almagor, sich der „Herausforderung“ zu stellen.

https://teatron-theater.de

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