Kindern wird heutzutage ja auch nichts geschenkt. Wenn sie im deutschen Kino eine Rolle spielen wollen jedenfalls. Da muss schon mindestens ein Elternteil sterben. Oder depressiv werden. Oder beides.
Die Kinder müssen eine gewisse Neigung zur Pummeligkeit mitbringen, die Welt von einer eher schrägen Position aus betrachten, was wiederum dazu führt, dass nicht nur sie alles ertragen, was ihnen das Leben oder der jeweilige Drehbuchautor an Tort antun, sondern wir Zuschauer halt auch.
Weil sich die Welt und sie und der Tod für 90 Minuten aneinander solange derart reiben, bis in leisen Funken der Humor aus ihren Geschichten sprüht. Was wiederum wie ein Defibrillator noch für das totgeschriebenste Drehbuch wirkt.
Was in der deutschen Provinz irgendwann in den 70ern funktioniert hat, in „Der Junge muss an die frische Luft“, der Geschichte von Hape Kerkeling und wie er wurde, was er vermutlich immer noch ist, funktioniert auch in der deutschen Provinz der Gegenwart. In Anca Miruna Lazarescus „Glück ist was für Weicheier“.
Die Häuser, in denen man da zu Gast ist, an denen man vorbei fährt, dürften ihre Grundsteinlegung ungefähr zur selben Zeit erlebt haben, in der Klein-Kerkeling erfolgreich begann, die Verzweiflung darüber, dass er das Gemüt seiner Mutter mit gespielten Witzen nicht hell genug machen konnte, in Witz zu verwandeln.
Der Sensenmann schlägt zu
Jetzt wohnt da beispielsweise ein trauriger Mann, der zum einen traurig aussieht, weil Martin Wuttke ihn mit aller zerknautschten Hängeschulterhaftigkeit spielt, zu der er fähig ist, und der zum Zweiten mitten im Leben nicht nur vom Tod umgeben ist, sondern von ihm geradezu verfolgt wird.
Irgendwas, darüber könnte er mal nachdenken, wenn er an Wiedergeburt glauben würde, hat Stefan, der Bademeister ist, in irgendeinem früheren Leben grundlegend falsch gemacht. Der Sensenmann senst ihm jedenfalls ständig von hinten die Beine weg.
Die Frau ist vor elf Jahren gestorben. Die ältere Tochter hat ein unheilbares Lungenleiden. Die Sterbenden, denen er mit Sprüchen, wie dem, dass der Tod doch eigentlich bestimmt der größte, der finale Orgasmus sei, kümmern sich einen Dreck um seine Sterbehilfe.
Trauer füllt alle Räume
Sie leben einfach ab, während er sich in langwieriger Philosophiererei ergeht und ihnen den Rücken zuwendet. Dass er zum Eingrooven in seine Palliativbetreuung Walgesänge hört, macht es auch nicht besser.
Mitten zwischen den Toten, den Sterbenden des Bademeisters, beansprucht noch ein Mädchen einen Platz, der eigentlich nicht da ist, weil Trauer alle Räume füllt.
Jessica, „Neutrum“ genannt von ihren Mitschülern, die in der Latzhose hängen geblieben ist und sich beim Versuch, ein Mädchen zu werden und ihre todkranke Schwester zu heilen, in einer wahren Neurosenhecke verrennt.
Sie hält gewisse Zahlen für gefährlich, zupft solange an ihren Strümpfen, bis beinahe Blut kommt, und setzt alles daran, die Theorie eines okkulten Todesbuchs in die Tat umzusetzen, dass Beischlaf eine Sterbende heilen kann.
Ella Frey macht exakt das, was Julius Weckauf als Hape Kerkeling hingekriegt hat. Sie nimmt den Film mit all seinem Gewicht auf die Schultern und trägt ihn zum Erfolg.
„Glück ist was für Weicheier“ war der Eröffnungsfilm der Hofer Filmfestspiele. Anca Miruna Lazarescu, die in Rumänien zur Welt kam und in Deutschland aufwuchs, hat sich mit „Die Reise mit Vater“, ihrem Debüt, einen Namen gemacht.
Großer Erfolg bei der Kritik, ein kleiner in den Kinos
Noch so eine Krankheitsgeschichte war das. Das Roadmovie eines todkranken Rumänen, den sein Sohn mehr oder weniger zur Fahrt in die DDR zwingt, um sich operieren zu lassen. Weil aber gerade Prager Frühling ist und die Grenzen dicht sind, landet er in der Bundesrepublik.
Ein schöner Film, ein großer Erfolg in den Zeitungen und ein kleiner in den Kinos. Was nichts daran ändert, dass Lazarescu an der deutsch-rumänischen Serie „Hackerville“ beteiligt war, für Netflix an einer Serie arbeitet und gut im Geschäft ist.
Mit allerdings immer leicht moribunden Geschichten. Was im Fall vom Glück, das was für Weicheier ist, natürlich die Untertreibung dieses des Monats sein dürfte.
Die Moritat von Jessi und wie sie das Sterben um sie herum bewältigt, wird von mindestens einem Plotfaden zuviel stranguliert. Und es gibt ein paar Figuren, deren Schrägheit derart gewollt ins ohnehin schon proppenvolle Geschehen gestellt ist, dass man den unbedingten Drang hat, mit der Sense durch die Dramaturgie zu gehen (so gern man beispielsweise prinzipiell Christian Friedel zuschaut, was er da als Psychotherapeut an Jessi verbricht, diskreditiert einen ganzen Berufsstand).
Das „Glück“ der Anca Miruna Lazarescu ist kein perfekter Film. Aber einer, von denen man gern mehr sehen würde in Deutschland. Stille Filme, in denen alles Mögliche passieren kann, gern auch bei Kindern, falls sie so geradezu extremistisch begabt sind wie Frey und Weckauf.
Filme auch, in denen Humor gewagt wird, nachtschwarz und lebenswahr, was ja in Deutschland eine eher tote Kunst ist. Und in denen ein Herz schlägt.
Filme, die fein tanzen auf des Messers Schneide zwischen Kitsch und Tiefe. Kinder, die das spielen können, die einem Film das Herzschlagen beibringen, gibt es nämlich gegenwärtig mehr als genug.