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Auf den Spuren von Jimi Hendrix durch Seattle

Vor 40 Jahren starb Jimi Hendrix an einer Überdosis Drogen. Lange tat man sich in seiner Geburtsstadt Seattle deshalb mit Gedenken schwer.

Der Immigrationsbeamte am Flughafen Seattle fragt nach dem Grund der Reise. Ob wir Ferien machen wollen oder der Musik wegen gekommen seien. Seattle sei doch die Musikstadt in den USA. Wissen wir, entgegnen wir, hier haben schließlich Jimi Hendrix und der Grunge das Licht der Welt erblickt. Der Beamte lächelt, wünscht viel Spaß und winkt uns nach dem obligatorischen Fingerabdruck plus Pupillenfoto durch.

Seattle gilt als eine der beliebtesten Urlaubsstädte der USA. Grund dafür sind die unmittelbare Nähe zum Meer und die herrliche Naturlandschaft mit dem knapp 4400 Meter hohen Vulkangipfel des Mount Rainier. Ende der 80er-Jahre wurde in der liberalen Metropole im Nordwesten der USA der Grunge geboren, jene Musik abseits des Mainstream, laut und dröhnend, eine Mischung aus Hardcore Punk und Metal. Ausdruck einer zornigen Jugend, die sich von ihren Eltern der 68er-Generation verschaukelt fühlte. Nirvana-Frontmann Kurt Cobain galt als Galionsfigur dieser desillusionierten Grungeszene. Bis dahin war die Musik eher ein kulturelles Mauerblümchen im Schatten von Boeing, Microsoft und Starbucks.

Kaum jemand weiß, dass Jimi Hendrix hier am 27. November 1942 in einer Hinterhofbaracke geboren wurde. Als Jugendlicher schlief er mit einer kaputten Gitarre im Bett und war von Elvis fasziniert. Von Seattle aus ging er nach New York und trat von dort seinen Siegeszug um die ganze Welt an. Was bleibt vom Mythos „Hendrix“ in seiner Heimatstadt, wo findet man noch Spuren des „schwarzen Elvis“?

Unsere Reise beginnt in Renton, einem Vorort von Seattle. Auf dem Greenwood Cemetery steht das Hendrix Memorial. Mit dabei ist Carla DeSantis: „Lange Zeit lag Jimi in einem bescheidenen Grab, bis sich seine Familie für eine angemessenere Ruhestätte entschied.“ Carla DeSantis ist um die fünfzig und zählt nicht mehr zur Hendrix-Erlebnisgeneration. Aber sie ist gelernte Fremdenführerin in Sachen Rockgeschichte und kennt die Musikszene Seattles wie ihre Handtasche. Greenwood Cemetery sei zu einer Pilgerstätte geworden, sagt Carla und lächelt dabei etwas gequält. Für die Rockfans aus aller Welt ist das Grab geheiligter Boden. Unwillkürlich versucht man die rauschhafte Aura des Säulenheiligen zu erahnen, irgendeine Spur von Sex, Drugs and Rock 'n Roll, von marihuanaumwölkten Erinnerungen an Woodstock. Stattdessen entpuppt sich Jimis letzte Ruhestätte als plumpes Monstrum aus Granit, das die Hendrix-Fangemeinde in Aufruhr versetzt. „Viel zu wuchtig“, kommentiert Carla scharf, „irgendwie eine Nummer zu groß.“

Wir blicken über eine weite Rasenfläche, auf der Grabplatten in geometrisch exakter Anordnung liegen. Nicht weit davon flattern US-Flaggen im Wind und schmücken die Gräber gefallener Marines des Irak-Krieges. In der Luft meinen wir die schmerzenden Akkorde von „Purple Haze“ zu hören.

Sein Sound war Klang gewordenes LSD

Wenn Jimi Hendrix auf der Bühne stand, elektrisierte er sein Publikum mit einer Mischung aus musikalischer Genialität und schamloser Selbstdarstellung. Sein Gitarrensound war Klang gewordenes LSD, schrieben Kritiker. Als Jimi Hendrix im Londoner Hotel „Samarkand“ unter nie ganz geklärten Umständen starb, war die Welt der Rockmusik auf den Kopf gestellt. 40 Jahre nach seinem Tod zerfleischen sich die Erben immer noch bei der Aufteilung seines Vermögens.

Jimi Hendrix und Seattle – das ist keine Liebe auf den ersten Blick. Als Anfang der 80er-Jahre in Seattle ein Denkmal zu Ehren von Hendrix errichtet werden sollte, schlugen die Wellen hoch. Es war die Zeit der „Just say no“-Antidrogen-Kampagne. Einen schwarzen, drogensüchtigen Rockstar öffentlich zu ehren, einen, der Amerika liebte, aber die Regierung und den Vietnam-Krieg vehement ablehnte, das hatte damals keine Chance auf Erfolg. So einigten sich Fans und die besorgten Stadtvertreter auf einen bizarren Kompromiss: Im Zoo von Seattle sollte ein beheizter Gedenkstein in einem der afrikanischen Savanne nachempfundenen Areal aufgestellt werden. Bis heute liegt der Stein dort, allerdings ohne Heizelement.

Am nächsten Tag geht es mit dem Taxi ins Rathaus. Seit der Demokrat Greg Nichols zum Bürgermeister gewählt wurde, gehört das Musikleben zum unverzichtbaren Bestandteil des städtischen Marketings. Denn Hendrix & Co. ziehen Touristen aus aller Welt magisch an. Unser Taxifahrer hört Countrymusic. Er war als Soldat in Ramstein stationiert. Der hünenhafte Fahrer mit Schnauzer dreht das Autoradio lauter. In der Nähe liege das berühmteste Hausboot der Welt. Man ahnt, worauf er hinaus will: „Schlaflos in Seattle“. Sein Schwager habe das Hausboot, auf dem Tom Hanks den verliebten Witwer gespielt hat, weiterverkauft. Das Boot sollte man sich unbedingt einmal anschauen. Mitten in der Stadt liegt es am Lake Union. Schließlich hält das Taxi Downtown.

Im 19. Stock eines Hochhausturmes wartet James Keblas auf uns. „Seattle ist eine Stadt, die in vielerlei Hinsicht mit ihrem Image hadert. Das offizielle Seattle tut sich schwer mit der Tatsache, dass Jimi Hendrix an einer Überdosis starb. Drogen und das ganze kriminelle Umfeld gehören irgendwie zum Rock 'n' Roll. Das lief nicht immer glücklich ab“, sagt Keblas. Der Endzwanziger ist zuständig für Musik- und Filmförderung. Denn mittlerweile hat Seattle die Bedeutung des Rock 'n' Roll und vor allem von Jimi Hendrix als wichtigen Wirtschaftszweig erkannt. Sogar eine eigene Behörde wurde dafür gegründet: das Seattle Film and Music Office. Keblas ist der Direktor.

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„Mein Job ist es, Seattle zur Musikhauptstadt der Welt zu machen“, verkündet Keblas etwas großmäulig gleich am Anfang des Gesprächs. Trotz der Wirtschaftskrise, die auch Seattle, Boeing und Amazon erreicht hat, präsentiert der Direktor stolz seine Zahlen in der Art eines Wirtschaftsprüfers: Musik gehöre zum dreizehntgrößten Industriezweig. 1,2 Milliarden Dollar setze man jährlich mit Musik um. 9000 Arbeitsplätze seien durch die Musikindustrie geschaffen worden. Hinter diesen Zahlen verbergen sich Dienstleistungen aller Art: Vom CD-Verkäufer bis zum Taxichauffeur, vom Hendrix-Fanartikel-Hersteller bis hin zum Museumskurator reicht die Palette der Berufe, die vom Image der Musikmetropole leben. Erst an der Spitze dieser Dienstleistungspyramide finden sich die Künstler wieder.

40 Jahre nach dem Tod von Jimi Hendrix am 18. September 1970 versteht die Stadt Kapital aus ihrem großen Sohn zu schlagen. Musikindustrie, Politik und Tourismus gehen Hand in Hand. Es gibt die üblichen Jimi-Hendrix-Andenken: Kaffeetassen mit seinem Konterfei, T-Shirts mit seinem Namenszug und Stadtrundfahrten zu seinen Wirkungsstätten. Keblas kritisiert, dass Seattle noch immer keine Straße nach seinem großen Sohn benannt hat. Lediglich eine kleine Bronzestatue in Downtown gibt es, natürlich mit Hendrix in wilder Rock-'n'-Roll-Pose: auf einem Granitstein kniend, mit der Gitarre in der rechten Hand, Afrolook und Stirnband, das Hemd über der Brust geöffnet, ekstatisch singend, ein zu Metall gewordenes Klischee.

1606 Broadway, Ecke East Pine Street: Als wir aus dem Taxi steigen, hält ein Bus der Subseattle Tour neben dem Denkmal. Touristen aus aller Welt steigen aus. Vorneweg Stadtführerin Lucy Wilma: Mit ihrem Tigerhemd, knallroten Lippenstift, ihrer Baskenmütze und Sonnenbrille gibt sie die burschikose Expertin in Sachen Musik und Subkultur. Ab und zu lugt sie frech über ihre Brillengläser und spricht mit ihrer dunklen Stimme in das Mikrofon. Nicht nur Jimi Hendrix habe das Musikleben in Seattle maßgeblich verändert. In den Music Clubs in Downtown gaben sich auch Jazzgrößen wie Quincy Jones und Ray Charles die Klinke in die Hand. Das war Ende der 50er-Jahre, als auch Hendrix im „Black Elks Club“ auftrat, erzählt Lucy: „Damals herrschte in der Musikergewerkschaft Rassentrennung. Was dazu führte, dass die Schwarzen nur in ihren Clubs spielten. Dass sich die Musikergewerkschaften nach Rassen trennten, ist ungeheuerlich, förderte aber auch ein enorm kreatives Potenzial.“ Heute hängt hier in der South Jackson Street nicht einmal eine Plakette, die an den Club und Jimi Hendrix erinnert.

Die Subseattle Tour geht weiter. Wir rauschen an dem ehemaligen Musikgeschäft vorbei, in dem Jimi Hendrix Ende der 60er-Jahre seine erste E-Gitarre kaufte. Schließlich hält der Bus vor einem futuristischen Gebäude: dem Experience Music Project, entworfen von Stararchitekt Frank O. Gehry. Microsoft-Milliardär Paul Allen ließ im Jahr 2000 das 280 Millionen Dollar teure Gebäude zu Ehren von Hendrix bauen, erzählt Jacob McMurray, der hier als Museumskurator arbeitet. „Eine eigensinnige, verrückte Architektur. Man muss sich das wie bei Jimi Hendrix vorstellen, der seine Gitarren zertrümmert und zu Holzstapeln aufgetürmt hat: Unser Museum ist sehr kurvenreich, es gibt kaum rechte Winkel.“

Das Museum mit seiner fensterlosen, blau und rot schimmernden Oberflächenfassade wirkt wie ein Raumschiff, das sich aus einem anderen Sonnensystem hierher verirrt hat. „Wir sind überhaupt kein traditionelles Museum“, erklärt Jacob McMurray. „Man geht hier nicht rein, um Texte zu lesen oder sich Exponate anzuschauen, die an den Wänden hängen. Wir bieten interaktives Material!“

Aus allen Ecken flackern Videoclips, tönen Geräusche und Musik. Es gibt eine Menge Kuriositäten und Sammlerstücke zu bestaunen. Hier findet man die alten Plattencover von Hendrix und sogar einige seiner Gitarren. 8000 Jimi-Hendrix-Devotionalen gibt es zu bestaunen. Zum Beispiel den Originalflyer von seinem letzten Konzert auf der Insel Fehmarn.

Das von der Erotikversandunternehmerin Beate Uhse gesponserte Fehmarn-Konzert am 6. September 1970 war sein letzter öffentlicher Auftritt. Alles versank in Schlamm und Chaos. Jimi Hendrix wurde mit dem Hubschrauber aus Puttgarden eingeflogen, eine geradezu überirdische Erscheinung, die von allen Elementen in Szene gesetzt wurde: Die schwarze Wolkendecke riss plötzlich auf, der Regen hielt inne, und die Sonne brach strahlend durch. „Jimi Hendrix war kein Gott“, resümiert McMurray durchaus kritisch, „keine mythisch überhöhte Figur. Hendrix hatte enorm viel Talent und ähnliche Träume, Hoffnungen und Sehnsüchte wie wir alle. Wenn ich das den Besuchern hier vermitteln kann, habe ich einen guten Job gemacht.“

Die meisten Besucher wollen außerdem wissen, warum so viele bekannte Musiker gerade aus Seattle kamen. „In Seattle regnet es ziemlich viel“, lautet McMurrays Theorie, „da hat man schon mal Langeweile, spielt zum Beispiel Gitarre, trinkt viel. Daraus kann eine Menge Kreativität entstehen!“

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