Michaela Puzicha forscht zu Leben und Wirken des Benedikt von Nursia

Benediktinerin: Ordensregel gibt bis heute geistliche Heimat

Veröffentlicht am 25.02.2023 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Varensell ‐ Die Ordensregel des heiligen Benedikt von Nursia ist bis heute erfolgreich, weil sie Gemeinschaft stiftet, sagt die Benediktinerin Schwester Michaela Puzicha im katholisch.de-Interview. Das liege auch an der Gratwanderung zwischen Tradition und Reform.

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Benedikt von Nursia gründete vor mehr als 1.500 Jahren eine monastische Gemeinschaft – die es heute noch gibt. Woher kommt dieser Erfolg? Im Interview spricht die Benediktinerin und ehemalige Leiterin des Instituts für benediktinische Studien in Salzburg, Schwester Michaela Puzicha, über weit zurückliegende Anfänge und eine lebendig getragene Tradition.

Frage: Schwester Michaela, was wissen wir über Benedikt von Nursia?

Puzicha: Es gibt zwei schriftliche Zeugnisse, die uns eigentlich gut über Benedikt unterrichten. Allerdings nicht im modernen, neuzeitlich biographischen Sinn, sondern eher über seine Spiritualität und über die Art und Weise, wie er das Mönchtum verstanden und gelebt hat. Das erste Dokument ist seine Regel, die auch mit seinem Namen überliefert ist. Nach der Benediktusregel leben heute noch weltweit Mönche und Nonnen, aber auch viele Menschen in völlig unterschiedlichen Lebens- und Berufssituationen, die sich mit dieser Spiritualität verbunden fühlen. Das zweite Dokument ist eine Lebensbeschreibung von Gregor dem Großen, die relativ kurz nach dem vermuteten Todesjahr Benedikts verfasst wurde. Diese Vita verbindet spirituelle Ansätze mit der Darstellung eines vollendeten Menschen und vollendeten Christen.

Frage: Fangen wir mit dem biographischen Aspekt an.

Puzicha: Die Vita Benedikts von Gregor dem Großen nennt einige zeitgenössische Persönlichkeiten und Vorkommnisse wie Hungersnöte oder Kriegsausbrüche. Anhand dessen können wir die Lebensdaten in etwa rekonstruieren. Das traditionelle Datum seiner Geburt wird mit 480 angegeben, beim Todesjahr schwanken die Schätzungen zwischen 548 und 570. Sehr viel mehr wissen wir nicht. Denn vor allem die Regel ist überliefert, die er für seine Gemeinschaft auf dem Monte Cassino geschrieben hat.

Frage: Der Monte Cassino, auf dem das erste Benediktinerkloster gegründet wurde, ist ein Berg irgendwo im italienischen Nirgendwo. Benedikt war also auch in gewisser Hinsicht ein Eremit. Was hat ihn dazu angetrieben, diese Lebensform zu wählen?

Puzicha: Gregor der Große gibt als Motiv Benedikts an, er wollte alleine Gott gefallen. Deshalb habe er Vaterhaus und Besitz verlassen. Er hat sich die Frage gestellt: Wie kann ich meinen Glauben und meine Gottesbeziehung leben? Dadurch ist er auf die Spur des Mönchtums gekommen. Laut der Beschreibung Gregors des Großen hat er eine Zeit lang im Rückgriff auf die Anfänge des Mönchtums in der ägyptischen Wüste als Einsiedler in Subiaco gelebt. Schon sehr bald hat er aber mit den Menschen, die sich aufgrund seiner glaubwürdigen Lebensweise um ihn versammelt haben, eine Form des gemeinsamen Lebens aufgebaut. Diese wurde dann die Lebensform des Klosters in Subiaco und später auf dem Monte Cassino. Für die Gemeinschaft auf dem Monte Cassino hat er dann seine Regel des gemeinsamen Lebens geschrieben.

Der Heilige Benedikt von Nursia (480-547), Gründer des Benediktinerordens.
Bild: ©Christa Eder/Fotolia.com

Der Heilige Benedikt von Nursia ist Gründer des Benediktinerordens.

Frage: Welche Breitenwirkung hatte Benedikt denn schon zu seiner Lebenszeit? Bei dem Kloster auf dem Monte Cassino ist es ja nicht geblieben.

Puzicha: Es gab zur Zeit Benedikts sehr viele Klöster und sehr viele Klosterregeln. Von diesen Regeln sind uns heute noch etwa 30 überliefert. Wir wissen aus der Benediktusregel und dem gesamten altkirchlichen monastischen Umfeld, dass der Austausch unter den Klöstern durch pilgernde Mönche sehr groß gewesen ist und sich so auch die Lebensformen gegenseitig beeinflusst haben. Das geschah etwa durch wandernde Mönche. Historisch nachvollziehen können wir bis heute, dass sich nach Benedikts Tod fast ausschließlich seine Regel nach Norden hin sehr rasch ausgebreitet hat, bis weit ins Pariser Becken hinein. Das erste schriftliche Zeugnis der Verwendung der Benediktusregel ist 625 in der Regel des Donatus von Besançon überliefert. Er und andere haben sogenannte Mischregeln aus unterschiedlichen Vorgängern zusammengestellt, wobei die Benediktusregel aber immer prominent vertreten ist.

Frage: Was steht denn in der Benediktusregel?

Puzicha: Das ist ein ganzes christliches Lebensprogramm. Benedikt geht von der Heiligen Schrift aus, es gibt kaum einen Satz, der nicht irgendwo einen Anknüpfungspunkt in der Heiligen Schrift hat. Darum geht es ihm auch: Er will schriftgemäß leben. Die zweite Perspektive, die Benedikt aufnimmt, ist das frühchristliche Gemeindeleben, das sich an der Taufe orientiert. Die dritte Perspektive ist die Form gemeinsamen Lebens, bei der er auf das große Modell der Urgemeinde in Jerusalem zurückgreift, wie es in der Apostelgeschichte steht. Dazu gehören etwa die Gütergemeinschaft, die Glaubensgemeinschaft, die Gebetsgemeinschaft, die Bekehrungsgemeinschaft und die Aufforderung, man soll "ein Herz und eine Seele" sein.

Frage: Es geht also darum, eine Gemeinschaft zu sein und als Gemeinschaft auch zu wachsen – geistig wie körperlich?

Puzicha: Ja, genau. Einerseits geht es um praktische Vorteile: Eine große Waschmaschine ist günstiger als 20 kleine. Dazu kommt aber auch eine geistliche Gemeinschaft, um losgelöst von konkreten Aufgabenbereichen nach dem Vorbild der Heiligen Schrift ein glaubwürdiges Zeugnis gelebten Glaubens zu sein.

Bild: ©katholisch.de/cph

Michaela Puzicha lebt in der Benediktinerinnenabtei Varensell in der Nähe von Gütersloh.

Frage: Ist das benediktinische Klosterleben heute noch das Gleiche wie vor 1.500 Jahren?

Puzicha: In den Grundstrukturen unbedingt. Das ist auch deswegen möglich, weil die Benediktusregel einen Transformationsmechanismus in sich trägt: Die Gemeinschaft muss sich natürlich nach den Grundvorgaben der Heiligen Schrift und der monastischen Überlieferung richten, aber ebenso muss sie sich immer wieder an den Ort- und Zeitverhältnissen orientieren. Das heißt, jede Generation muss schauen, was in ihrer Umwelt und Zeit notwendig ist, um dieses Leben so zu gestalten, dass es nicht zum Museum erstarrt.

Frage: Was hat sich auf diese Weise denn verändert?

Puzicha: Da gibt es äußerliche Aspekte wie den Wechsel von der lateinischen zur Volkssprache in der Liturgie. Man geht aber mittlerweile auch insgesamt kommunikativer miteinander um. Wie in der Gesellschaft allgemein hat sich die Frage nach der Autorität verändert. Was wir als demokratisches Element bezeichnen würden, wird heute mehr gelebt als früher – wobei schon die Benediktusregel eine gewisse demokratische Struktur vorsieht. Er geht von einer Gemeinschaft von gleichwertigen und auf gleicher Augenhöhe lebenden Mönchen aus und besteht darauf, dass alle in Beratungs- und Gestaltungsprozesse mit eingebunden werden. Die Frage nach der Kompatibilität dieser Anpassungsprozesse mit den überzeitlichen Grundsätzen des benediktinischen Lebens ist immer auch eine Gratwanderung. Was ist das Bleibende, was nicht aufzugeben ist? Was können wir verändern, ohne die eigentliche Intention und den eigentlichen Impetus dieser Lebensform zu verformen?

Frage: Die Benediktusregel hat auch über das monastische Leben hinaus Wirkung gezeigt. Auch manche Manager-Ratgeber orientieren sich etwa daran. Halten Sie das für sinnvoll?

Puzicha: Es gibt sehr viele Menschen im Umkreis unserer Klöster, die von der Spiritualität der Benediktusregel für ihr eigenes Leben viele Anregungen übernehmen. Man darf dabei durchaus hinterfragen, ob man Benedikt im Sinne einer Optimierung der Menschenführung instrumentalisieren sollte.

Frage: Wie kann benediktinisches Leben außerhalb eines Klosters denn konkret aussehen?

Puzicha: Die Regel bietet die Möglichkeit, sich mit dem Stundengebet eine Struktur für den Tag zu schaffen. Dadurch entsteht auch eine Gemeinschaft, da man weiß, dass viele andere ebenso beten. Allein die Tatsache, dass Menschen sich in dieser Weise zu unserer Gemeinschaft zugehörig fühlen, kann für die Betreffenden eine Basis sein, um ihren Alltag zu gestalten und eben nicht in ihrem Glauben alleine gelassen zu sein, sondern eine Art geistliche Heimat hier zu haben, die auch dann trägt, wenn sie nicht vor Ort sind.

Von Christoph Paul Hartmann