Große Literaten und die verspielte Freiheit: In Farchant entstand ein Buch über Erich Kästner und Kurt Tucholsky
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Große Literaten und die verspielte Freiheit: In Farchant entstand ein Buch über Erich Kästner und Kurt Tucholsky

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Ein Mann sitzt auf einem Brunnen.
Die historischen Hintergründe verknüpft der Wahl-Farchanter Norbert Wollschläger in seinem Roman geschickt mit der Fiktion. © privat

Auf einer Terrasse am Lago Maggiore treffen Erich Kästner und Kurt Tucholsky das erste Mal aufeinander. Eine Zufallsbegegnung, die Norbert Wollschläger zum Anlass nahm, sich mit den beiden Schriftstellern zu befassen. „Wetterleuchten – Das Jahrzehnt der verspielten Freiheit“ heißt sein äußerst lesenswertes Buch, das er in Farchant geschrieben hat.

Farchant – „Das wurde ein Wochenende, wie lauter Himbeeren mit Schlagsahne!“ – nicht nur beim Ausflug an den Eibsee in seinem Roman für Kinder „Das doppelte Lottchen“ machte Erich Kästner deutlich, wie gut ihm Garmisch-Partenkirchen und seine Bergwelt gefiel. Immer wieder finden sich in seinem Werk Bezüge zu den Orten, die der Schriftsteller, der vor 50 Jahren gestorben ist, schon als Kind mit seinem Muttchen besucht hat.

Erich Kästner
Erich Kästner liebte das Werdenfelser Land. © MM-Archiv

Auch Kurt Tucholsky beschäftigte sich mit dem Werdenfelser Land. Für ihn war es allerdings weniger ein Kraftort, als vielmehr ein Ärgernis. Gerade nach dem Hitler-Putsch im November 1923 empfahl der Autor, der unter verschiedenen Pseudonymen in diversen Zeitschriften veröffentlichte: „Reisende, meidet Bayern!“ Ein paar Jahre später besuchte er doch Garmisch und stellte fest, dass „äußerlich alles praktischer, aber auch beinahe alles hübscher ist als in Frankreich: Konditoreien, Hotels, Straßen, Häuschen...“. Dennoch blieb die Skepsis, schließlich war die NSDAP in Bayern groß geworden. Den Attraktionen verschloss er sich freilich trotzdem nicht. „Die Zugspitzbahn ist ein Triumph menschlichen Erfindergeistes, ein Wunderstück deutscher Technik, die Überwindung der Elementargewalten durch die Kraft der Beharrlichkeit und etwas völlig Blödsinniges“, schrieb er. Abgesehen von den Ski-Leuten sei der Berg durch nun möglichen Ansturm „entzaubert, von seinem Thron jäh heruntergeholt, eine Plattitüde von 3000 Metern. Oben stehen die Leute und wissen nicht genau, was sie da sollen.“ Unbestritten aber auch bei Tucholsky: Dieser Landstrich ist etwas Besonderes.

Buch regt an, auf eigene Faust weiterzuforschen

Das kann Norbert Wollschläger nur bestätigen. Der 79-Jährige hat seinen persönlichen Kraftort in Farchant gefunden und dort sein zweites Buch „Wetterleuchten – Das Jahrzehnt der verspielten Freiheit“ geschrieben. Ein Werk, das sich in eine ganz andere Richtung entwickelte, als er zunächst dachte. Das aber unbedingt lesenswert ist. Und das animiert, tiefer in die Materie einzusteigen, auf eigene Faust weiterzuforschen. Intensiv recherchiert hat auch der gebürtige Berliner, nachdem er von einer zufälligen Begegnung im August 1930 zwischen Kästner und Tucholsky am Lago Maggiore erfuhr. Je tiefer Wollschläger in die Thematik eintauchte, sich mit dem Geschehen im Tessin – „dem Hauptschauplatz des antifaschistischen Widerstands“ – auseinandersetzte, desto klarer wurde: „Dieses Buch wird sehr politisch.“ Plötzlich tauchten noch Erich Maria Remarque, dessen Antikriegsroman „Im Westen nichts Neues“ gerade in Hollywood verfilmt worden war, und Emil Ludwig in der Idylle auf. „Die vier auflagenstärksten deutschen Schriftsteller, da liegt es nahe, dass sie sich im Grandhotel in Brissago getroffen haben.“

Ein Rätsel der Kästner-Biographie gelöst

Ob es dazu kam, weiß Wollschläger nicht: „Aber es hätte so sein können.“ Sechs Worte, die perfekt zu seinem Buch passen. In anschaulich kurzen Kapiteln nimmt er seine Leser mit auf eine Reise durch das Jahrzehnt nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Erstarken der Nationalsozialisten. Wie viele haben auch Kästner und Co. die Gefahr lange kleingeredet und waren überzeugt, dass der Spuk bald vorübergeht. In Literaturarchiven durchforstete Wollschläger, der Soziologie, Psychologie und Publizistik studiert hat, den Briefwechsel der Autoren. Er stieß auf viel, was seinem Roman diente. Und auf eine handfeste Überraschung. Kästner, zeitlebens den Frauen sehr zugetan, schrieb seiner Mutter immer wieder von einer gewissen „Moritz“. Wer das war, darüber rätselten auch Kästner-Biografen – bis jetzt. Auf einem Brief entdeckte der Wahl-Farchanter „eine winzige, mit Bleistift am Rand angebrachte Notiz“. Über die Telefonnummer kam er darauf, dass es sich um Steffa Bernhard handelte, die bildhübsche Schauspielerin und Tochter des Chefredakteures der Vossischen Zeitung. Nachdem es sich der Autor mit dem nicht verderben wollte, entschied er sich für dieses Versteckspiel.

Kurt Tucholsky
Kurt Tucholsky stand Bayern kritisch gegenüber. © dpa

Es sind solche Entdeckungen, die Wollschläger Freude bereiten. Die ihn motivieren, weiterzuforschen. „Irgendwie macht das süchtig“, sagt er und schmunzelt. Zumal es noch viel zu erzählen gibt. Und zu mahnen. „Wir leben ja wieder in einer Zeit, in der wir viel verspielen.“ Erschreckend gut passt dazu die Mahnung, die Kästner 25 Jahre nach der Bücherverbrennung in Deutschland aussprach: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“

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