Satire oder nicht? "Megalopolis" von Coppola wird zur Trash-Farce, die nicht auszuhalten ist | Abendzeitung München
Kritik

Buhrufe für Coppolas Lebenswerk: "Megalopolis" wird zur Trash-Farce, die nicht auszuhalten ist

Eine chaotische, unausgegorene Farce: Der Film "Megalopolis" von Francis Ford Coppola macht die Zuschauer fassungslos.
| Adrian Prechtel
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Auch Hauptdarsteller Adam Driver scheint in Francis Ford Coppolas "Megalopolis" der Durchblick verloren gegangen zu sein.
Auch Hauptdarsteller Adam Driver scheint in Francis Ford Coppolas "Megalopolis" der Durchblick verloren gegangen zu sein. © American Zoetrope/Megalopolis/Mihai Malaimare Jr.

Cannes - Buhs in der Pressevorführung, aber die meisten sind am Ende vor allem fassungslos: Was hat man da eigentlich zweieinviertel Stunden gesehen? Es könnte Science-Fiction gewesen sein. Immerhin spielt "Megalopolis" in naher Zukunft und könnte uns warnen, so nach dem Motto: Wir amüsieren uns zu Tode. Und so man sieht Julia (Nathalie Emmanuel), die Tochter des Bürgermeister-Präsidenten der Stadt New York (Giancarlo Esposito) sich mit ihren High-Society-Freundinnen an der medienträchtigen Promiveranstaltung aufgeilen.

Und es gibt Tanzclubs, die allerdings so verrucht sind, wie sich das eine Spießerin in verbotenen Glitzer-Träumen vorstellt – inklusive Frauenzungenkuss. Dann werden noch Spiele veranstaltet – Wagenrennen wie in "Ben Hur" und Gladiatoren-Wrestlings.

Science Fiction oder romantische Komödie – was ist "Megalopolis" eigentlich?

"Megalopolis" könnte aber auch eine Art romantischer Komödie sein – immerhin gibt es Caesar Catilina (Adam Driver), einen utopischen Architekten, in den sich die junge Julia verliebt, obwohl ihr Bürgermeistervater der politische Gegner des Architekturprojekts "Megalopolis" ist. Und der Film hat sogar ein Happy End für die Liebe und das Stadt-Umbauprojekt.

Hier wiederum gibt es sogar fast eine intellektuelle Diskussion: Kann Architektur (also Kunst) soziale Verwerfungen heilen, wenn Politik und Geld sich dahinterklemmen? Als am Ende aber der Umbau beginnt und Teile fertig gestellt sind, wirkt die Vision wie eine konservative Zukunftsvision, wie man sie aus den fortschrittsgläubigen Disney-Fortschrittspropagandafilmen der 60er Jahre kennt – mit Individualverkehr in schwebenden Familienauto-Blasen. Und das Zusammenspiel von Geld und Macht für diese Utopie ist eine rein machiavellistische – also aus Machterhalt geboren.

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Der Film "Megalopolis" ist voller reaktionärer Rollenbilder

Das hat im Film zu der oft beschworenen spätrömischen Dekadenz geführt, also zu dem, was uns nach konservativ-wirtschaftsliberalen Untergangsfantasien ja blühen soll. Denn "Megalopolis" nimmt klare Anleihen an die Republikzeit Roms, bevor es ins totalitäre Caesarentum kippte. Catilina, unser Sympathieträger und sozialer Architekt, wäre dann aber ein unmoralischer Verschwörer. Der Bürgermeister als Cicero dagegen sein konservativ-moralischer, jedenfalls aber republikanischer Gegenspieler. Und wenn am Ende Adam Driver eine glühende Rede für die Selbstermächtigung des Volkes hält, könnte er wirklich ein kommender, undemokratischer Volkstribun werden. Wobei nicht klar ist, ob Coppola davor warnt oder damit sympathisiert.

Gleichzeitig wimmelt der Film noch von reaktionären Rollenbildern, wie dem faschistischen Verschwörer, der ein gelangweilter Mann der Oberschicht ist, der gerne auch in Frauenkleidern rumrennt. Frauen wiederum vergöttern hier wieder die Männer und versuchen, über Sex Zugang zu Macht und Geld zu bekommen. Volksverhetzer kommen auch vor, die die Stadt in Aufruhr versetzen – durchaus wegen sozialer Probleme, die an den Stummfilmklassiker "Metropolis" von Fritz Lang erinnern. Aber soll man deshalb auf der revolutionären Seite sein, während sich der Redner dafür auf ein geschnitztes Hakenkreuz stellt. 

In "Megalopolis" ist der Zuschauer einem komplett verwirrenden Salat ausgeliefert

Das alles könnte auch eine Satire sein, aber man verliert komplett den Überblick und vermisst jede Form von politischer Haltung. Auch das wäre erfrischend undogmatisch, wenn man nicht einem komplett verwirrenden Salat ausgeliefert wäre – inhaltlich und dramaturgisch. Und es beschleicht einen schon früh die Ahnung, dass das ganze politische Pathos von Coppola ernst gemeint ist, auch wenn es am Ende sogar splattert – mit einem Pfeil in die Brust der machtgeilen Edelhure Wow Platinum (Aubrey Plaza) und in den Hintern des effeminierten Bankerneffen (Shia Labeouf).

Dazwischen hagelt es weitere absurde Themenbruchstücke, die nie weiterverfolgt werden: wie einem atomar verseuchter, ehemaliger Sowjetsatellit, der auf die Erde zu stürzen droht oder kurzen willkürlich eingeschnittenen Aufnahmen von Hitler und Chruschtschow.

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Warum wagt es Constantinfilm überhaupt, diesen Film in die deutschen Kinos zu bringen?

Sci-Fi, Satire, Geschichts- und Politseminar war das alles aber nicht. Oder wenn, dann immer nur ansatzweise. Man war in einer chaotischen, unausgegorenen Farce, von der man nicht weiß, ob sie so gemeint war. Denn Coppolas Abschlusswerk, an dem er 40 Jahre lang schrieb und das kein Studio haben wollte wirkt so, als ob er auf einem jahrelangen Drogentrip der gesamten Filmwelt eine lange Nase zeigen wollte. Ein teurer Spaß, von Coppola mit 120 Millionen Dollar Eigenkapital finanziert, für den sich nicht einmal ein US-Verleih gefunden hat. Warum die deutsche Constantinfilm es wagt, "Megalopolis" bei uns ins Kino zu bringen? Ein Rätsel.

Und oft wirken die Schauspieler selbst so, als wüssten sie nicht, welche Richtung sie ihrem Spiel geben sollen, manchmal sogar, als würden sie heimlich in sich hineinlachen, weil sie die unfreiwillige Trash-Farce nicht auszuhalten ist oder sie sich im falschen Pathos verloren fühlen.

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