Erasure

Schwul sein ist so langweilig geworden.

Andy Bell Erasure über das Album "Nightbird", den Erasure-Sound, Homosexualität und seine Vorliebe für Tauschbörsen

Erasure

© Jason Bell / Mute Records

Andy, "Nightbird" ist euer erstes Album seit fünf Jahren – wieso hat man so lange nichts von euch gehört?
Bell: So lange? Das klingt als hätten wir uns ausgeruht, dabei haben wir die ganze Zeit gearbeitet. Bis 2003 haben wir getourt, haben ein Remix-Album herausgebracht, ein Album mit Coverversionen, eins mit akustischen Versionen unserer Songs, ich habe ein Soloalbum aufgenommen – und wir haben "Nightbird" fertig gemacht.

Das heißt, dein Soloalbum liegt jetzt fertig irgendwo rum?
Bell: Ja, so in der Art, ich werde es hoffentlich bald veröffentlichen können.

Du bist ja auch bei Erasure der absolute Frontman. Warum bewegt sich dein Kollege Vince Clarke eigentlich immer im Hintergrund?
Bell: Er mag es absolut nicht, berühmt zu sein, was sehr bewundernswert ist. Ich bin da viel oberflächlicher, ich liebe das. Man kommt umsonst in alle Clubs und am schönsten ist, dass man live vor Publikum spielen kann.

In Internet-Foren liest man bereits, dass auf "Nightbird" der "klassischen Erasure Sound" zu hören ist. Wie würdest du den beschreiben?
Bell: Wird sind hoffnungslos romantisch und unsere Synthie-Sounds sind einzigartig, so wie die von Kraftwerk vielleicht. Und bei all den melancholischen Texten sind unsere Beats sehr fröhlich und aufbauend. Wir sind ja zwei fröhliche Menschen, das merkt man auch unserer Musik an. Zwar sind manche unserer Songs auch trauriger, aber der Spaß überwiegt.

Erasure gibt es nun schon seit fast 20 Jahren – wann war es denn für euch am spaßigsten?
Bell: Definitiv in den 80ern, da waren die Menschen irgendwie lockerer und ungezwungener – und klüger. Heute sind alle verrückt nach Robbie Williams, warum auch immer.

Den magst du nicht?
Bell: Naja, der ist ok, aber generell lässt sich das Publikum so leicht von großen Firmen manipulieren und sich etwas aufdrücken. Robbie ist da nur ein Beispiel von vielen. Früher war das Publikum viel offener für Neues und experimentierfreudiger. Die Zeiten sind leider vorbei.

Die erste Single von neuen Album, "Breathe", habt ihr in England zuerst nur als kommerziellen Download veröffentlicht.
Bell: Ja, das haben wir überhaupt das erste Mal gemacht, einen Monat vor dem offiziellen Veröffentlichungsdatum (der Maxi-CD) – und das hat dem Verkauf sehr geholfen. Es ist einfach angenehm, Musik auf Knopfdruck zu bekommen. Ich persönlich liebe zum Beispiel die Tauschbörse Limewire, auch wenn ich weiß, dass das verboten ist. Ich habe denen sogar eine Menge Geld gespendet, ich habe also etwas für die Musik bezahlt. Hinterher habe ich mir allerdings überlegt, dass ich damit eigentlich nur die Piraterie mitfinanziere, was ja eigentlich noch schlimmer ist.

Hat es dich denn nie geärgert, wenn Leute eure Musik einfach runterladen, ohne dafür zu bezahlen?
Bell: Nein, das ist schon ok, solange das nicht alle machen. Ich finde es nur nicht gut, wenn dies vor der Veröffentlichung passiert, wenn manche Lieder noch nicht vollständig fertiggestellt sind. Eigentlich ist es doch auch eine spannende Sache, auf die Veröffentlichung eines Albums zu warten und es dann als Ganzes genießen zu können. Das Schlimmste war aber, dass kurz nachdem wir unser Album fertig aufgenommen hatten, Vince zu mir kam und sagte, man könne schon das gesamte Album im Internet runterladen, bei uns gäbe es irgendein Leck. Ich hatte nun ein paar Tage zuvor Limewire entdeckt und hatte totale Panik, dass ich selbst das Leck war, da die Songs natürlich auch auf meinem Computer waren. Ich habe das dann aber von einem Fachmann durchchecken lassen, der mir gesagt hat, dass die Songs nicht von meinem Computer aus ins Netz gelangt sind.

Wie genervt bist du, wenn viele Kritiker auf deine Homosexualität zu sprechen kommen?
Bell: Ach genervt gar nicht, aber schwul sein ist so langweilig geworden. Es ist für viele so modern und ein Instrument für Tabubrüche geworden, was es eigentlich nicht sein sollte und nicht ist.

Glaubst du denn, du hattest Einfluss auf die Szene?
Bell: Naja, ein bisschen vielleicht. Aber da gibt es Leute, die hatten viel mehr Einfluss, und die tun auch viel mehr für die Akzeptanz. Ich habe mehr den Müttern von schwulen Söhnen geholfen. Die haben sich ihre Söhne angesehen und sich gedacht: wenigstens ist mein Sohn nicht so schlimm wie der Typ von Erasure.

Und hatte das Schwulsein Einfluss auf euren Erfolg?
Bell: Ja, ein bisschen vielleicht. Aber es sind ja auch nicht alle Leute, die zu unseren Konzerten kommen, schwul. Das Publikum ist eher ist ein gesunder Durchschnitt unserer Gesellschaft, also in etwa 30 Prozent Schwule.

30 Prozent?
Bell: Ja, das scheint mir in etwa realistisch, viele sind halt nur trotzdem mit Frauen verheiratet.

Unsere Schlussfrage: Das Leben ist ein Comic – welche Figur bist du?
Bell: Ich wäre Tweety Bird, ich fliege gern so ein wenig rum, ich singe gern, ich kann mich gut verteidigen, kann aber auch ein bisschen gemein sein.

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