Eine Frau mit systemischer Sklerose und eine effektive Antikörper-Therapie | Univadis

Eine Frau mit systemischer Sklerose und eine effektive Antikörper-Therapie

  • Dr. med. Thomas Kron
  • Patienten-Fall
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Kernbotschaften

Die Behandlung mit dem biphasischen Antikörper Blinatumomab hat bei einer jungen Frau mit schwerer systemischer Sklerose (SSc) die Symptome lindern können. Dies berichten ihre Ärzte von der LMU München im „European Journal of Cancer“. Nach Angaben von Erstautorin Prof. Dr. Marion Subklewe und ihren Mitarbeitern habe es sich dabei um die weltweit erste  Blinatumomab-Therapie bei einer Patientin mit einem rasch fortschreitenden schweren Verlauf von SSc gehandelt.

Die Patientin und ihre Geschichte

Die 35-jährige Frau habe sich im Oktober 2022 zum ersten Mal bei einem Rheumatologen mit typischem Raynaud-Phänomen an den Händen vorgestellt, berichten Marion Subklewe und ihre Kollegen. In der Kapillarmikroskopie habe sich ein typisches SSc-Muster mit rarer Kapillardichte, Megakapillaren und Kapillarblutungen gezeigt. Serologisch seien antinukleäre Antikörper (Titer von 1:6400) und stark erhöhte Antikörper gegen Scl70 aufgefallen. Lungenfunktion und auch Echokardiographie seien unauffällig gewesen; allerdings habe die Patientin ausgeprägte ventrikuläre Extrasystolen gehabt.

Die Erkrankung sei bis Juli 2023 relativ stabil gewesen. Digitale Ulzerationen seien seit Beginn einer Bosentan-Behandlung nicht mehr aufgetreten, die Raynaud-Symptome hätten zugenommen und zunehmend sowohl die Füße als auch die Hände betroffen, so dass eine Behandlung mit Azathioprin und einem weiteren Iloprost-Zyklus begonnen worden sei. Dies habe die akralen Symptome jedoch nicht gelindert.

Im Herbst 2023 habe die Frau über ausgeprägte Schmerzen in den kleinen Gelenken der Hände und Füße, den Handgelenken und den Knien zu klagen begonnen. Außerdem sei die Haut an beiden Händen und Füßen sowie an den Unterarmen rasch steifer geworden. Aufgrund der Fibrose der ventralen Halshaut habe ihre Hals-Beweglichkeit abgenommen; zudem seien erstmals Schluckbeschwerden aufgetreten. Im November 2023 sei von Azathioprin auf Mycophenolat umgestellt worden. 

Ende Dezember 2023 war die Patientin nach weiteren Angaben der dann Autoren nicht mehr in der Lage, ein Hemd anzuziehen, da die Steifheit der Haut am Hals und im oberen Brustbereich ihre Fähigkeit, die Arme zu bewegen, stark einschränkte. Darüber hinaus sei die Haut extrem empfindlich für Berührungen geworden.

Therapie und Verlauf

Nach intensiven Gesprächen mit der 35-Jährigen entschlossen sich die behandelnden Ärzte aufgrund des progredienten Verlaufs und auch des Kinderwunsches der Patientin, eine Therapie mit Blinatumomab zu erproben. Der Antikörper wird traditionell zur Behandlung bestimmter Leukämie-Formen eingesetzt und ist ein „maßgeschneiderter“ biphasischer Antikörper. Er bindet sich an das CD19-Molekül auf der Oberfläche von B-Zellen und gleichzeitig an das CD3-Molekül auf der Oberfläche von T-Zellen. Dadurch werden die B-Zellen gezielt zerstört, ohne die T-Zellen zu beeinträchtigen.

Die Behandlung wurde von Marion Subklewe, Spezialistin für Immuntherapie, und ihrem Team durchgeführt. Subklewe erklärt: „Die Patientin erhielt das Medikament intravenös über mehrere Tage in niedriger Dosierung, gefolgt von höheren Dosierungen.“ Das Ergebnis sei erstaunlich gewesen, heißt es in einer Mitteilung: „Sobald die B-Zellen aus dem Blut entfernt waren, verbesserten sich die Symptome der Patientin drastisch“, so Professor Dr. Michael Bergwelt (Direktor der Medizinischen Klinik und Poliklinik III). Bisher seien keine Nebenwirkungen unter der Therapie aufgetreten, aber: „Wir werden jetzt genau beobachten, wie sich die Therapie auf die Körperabwehr auswirkt und wie stark das Immunsystem durch Blinatumomab beeinträchtigt wurde“, so Professor Dr. Alla Skapenko, leitende Immunologin in der Sektion Rheumatologie und Klinische Immunologie.

Diskussion

Die systemische Sklerose ist eine seltene, aber potenziell lebensbedrohliche Autoimmunerkrankung, bei der das Immunsystem des Körpers körpereigenes Gewebe angreift und zu dauerhaften Entzündungen führt, insbesondere der Haut. Durch den ihr zugrundeliegenden Mechanismus der Entzündung hat die systemische Sklerose eine Gemeinsamkeit mit Krebs.-Erkrankungen. Das entzündliche Milieu treibt nicht nur die für Autoimmunkrankheiten charakteristische Dysregulation des Immunsystems voran, sondern spielt auch eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Krebs.

Unter den beteiligten zellulären Komponenten haben sich, wie die Autoren erklären, B-Zellen als Schlüsselakteure bei hämatologischen Tumor- und Autoimmunkrankheiten herausgestellt, die zur Dysregulation des Immunsystems und zur anhaltenden Gewebefibrose bei systemischer Sklerose sowie zur Tumorprogression bei Krebs beitragen. Daher sind neue therapeutische Strategien, die auf B-Zellen abzielen, bei beiden Erkrankungen vielversprechend.

CD19-CAR-T-Zellen haben die Bedeutung von CD19-positiven B-Zellen bei der Entstehung und dem Fortschreiten verschiedener rheumatischer Autoimmunerkrankungen belegt. Jüngste Forschung zu CD19-CAR-T-Zellen bei Patienten mit schwerer systemischer Sklerose hat auch ein großes Potenzial dieser Therapie gezeigt, allerdings auch mögliche Risiken und Nachteile, etwa den großen Aufwand, die Nutzung viraler Vektoren, die hohen Kosten und die Notwendigkeit einer organotoxischen und fertilitätsschädigenden Chemotherapie (etwa mit Cyclophosphamid und Fludarabin). Aus diesem Grund hatten sich die Münchener Wissenschaftler für einen anderen Therapie-Ansatz gegen B-Zellen entschieden.

Fazit von Marion Subklewe und ihren Kollegen „Der Fall zeigt, dass Blinatumomab sicher und wirksam ist und bei Patienten mit rasch fortschreitender schwerer systemischer Sklerose eingesetzt werden kann. Die Behandlung wurde in allen Dosierungen gut vertragen und führte zu einer tiefgreifenden Depletion der B-Zellen.“ T-Zellen und Leukozyten seien nur in den ersten beiden Tagen des ersten Therapiezyklus dezimiert worden und zwischen und während der nachfolgenden Behandlungszyklen im Normalbereich geblieben. Klinisch habe die Therapie die Symptome rasch gelindert. Dies könnte den Forschern zufolge darauf hindeuten, „dass die B-Zell-Depletion auch eine unmittelbare Auswirkung auf die entzündliche Komponente der aktiven Erkrankung hatte und dass die lymphozytäre Infiltration zu Beginn der Therapie zu Spannungsgefühlen und Steifheit der Haut beigetragen haben könnte. Neben der Verbesserung der mRSS könnte jedoch auch die Verbesserung der akralen Perfusion darauf hindeuten, dass die B-Zell-Depletion zu einer Verbesserung der Fibrose bei SSc führt, wie dies bereits in früheren Studien vorgeschlagen wurde“.

Finanziell unterstützt wurden die Wissenschaftler durch die EU sowie die Deutsche Forschungsgemeinschaft.