bundeswehr-journal Das Potsdamer ZMSBw erstellte seit 2018 etliche Gutachten zu Namensgebungen bei der Bundeswehr.
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Berlin/Potsdam. Am 28. März 2018 unterzeichnete die damalige Bundesministerin der Verteidigung Ursula von der Leyen die überarbeiteten „Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“ für unsere Streitkräfte – kurz „Traditionserlass“. In ihrem Tagesbefehl hieß es dazu unter anderem: „Der neue Erlass setzt nur einen Rahmen für die Traditionspflege in der Bundeswehr. Er gewährt bewusst Freiräume. Ich fordere die Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche, die Truppengattungen, Verbände und Dienststellen der Bundeswehr, vor allem aber jeden einzelnen Angehörigen der Bundeswehr auf, diese Freiräume verantwortlich zu gestalten. Tragen Sie dazu bei, Tradition zu pflegen, die werteorientiert und sinnstiftend ist.“ Bei der Kursbestimmung hilft das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam.

Eine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Jan Korte (Gruppe Die Linke) macht deutlich, welche Bedeutung das ZMSBw als „Hort der Expertise“ bei dieser Aufgabenstellung hat.

Korte (Wahlkreis Anhalt) wollte von der Bundesregierung beziehungsweise vom Verteidigungsministerium wissen: „Welche Gutachten zu Namensgebern der Bundeswehr – beispielsweise für Liegenschaften, Denkmäler, Traditionsräume oder Preise und Auszeichnungen – wurden im Zuge einer Einzelfallüberprüfung ihrer Vereinbarkeit mit den Richtlinien des [aktuellen] Traditionserlasses beim ZMSBw seit Inkrafttreten des Erlassen im März 2018 in Auftrag gegeben, und in welchen Fällen kam das ZMSBw zur Einschätzung, dass eine Vereinbarkeit nicht länger gegeben ist oder sein sollte?“

Historische Expertisen ja, Aussagen zur Traditionswürdigkeit nein

In ihrer Antwort vom 13. November 2023 wies die Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Verteidigung Siemtje Möller zunächst darauf hin, dass die Gutachten und Stellungnahmen des ZMSBw zwar historische Expertise zu bestehenden oder möglichen Namensgebern enthalten. Die Einrichtung in Potsdam würde diese jedoch nicht bewerten und damit auch keine Aussagen zur Traditionswürdigkeit von Namengebern treffen.

Wie Möller mitteilte, sind seit Inkrafttreten der Zentralen Dienstvorschrift „Innere Führung Selbstverständnis und Führungskultur“ A-2600/1, Anlage 7.3 („Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“) beim ZMSBw wissenschaftliche Gutachten und historische Stellungnahmen zu folgenden Personen und Begriffen in Auftrag gegeben worden:

– Begriff „(Bayerische) Ostmark“
– Rudolf Bleidorn
– Ferdinand Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel
– Johann Christian von Düring
– Maximilian Vogel von Falckenstein
– Walter Gericke
– Ursula von Gersdorff
– Gottlieb Graf von Haeseler
– Werner Herrmann
– Paul von Hindenburg
– Max Immelmann
– Rolf Johannesson
– Andreas von Mirbach
– Jörn Radloff
– Karl von Rettberg
– Emil Schäfer
– Harro Schulze-Boysen
– Jürgen Schumann
– Fürst Karl von Sondershausen
– Georg Friedrich Fürst von Waldeck
– Erich Paul Webe
– Graf August von Werder
– Emil Zenetti

Reichspräsident Paul von Hindenburg im Fokus der Wissenschaft

Wie eine ZMSBw-Expertise ausfallen könnte, zeigt eine weitere Anfrage Kortes. Er erkundigte sich vor längerer Zeit bereits nach dem früheren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, Namensgeber für rund ein Dutzend ehemaliger und aktueller Kasernen in Deutschland. Der Parlamentarier der Linken wollte wissen: „Erachtet die Bundesregierung Paul von Hindenburg, der als Leiter der III. Obersten Heeresleitung von 1916 bis 1918 de facto einer Militärdiktatur vorstand […], den uneingeschränkten Uboot-Krieg verantwortete, nach Kriegsende vor dem Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung für die Schuldfragen des Weltkrieges am 18. November 1919 erstmals die Dolchstoßlegende verbreitete und in der Folge Hitler und den Nationalsozialisten aktiv den Weg zur Macht geebnet hat, nach wie vor für die Bundeswehr als traditionsstiftend? Und wenn nein, wird sie Maßnahmen ergreifen, damit die Hindenburg-Kaserne in Munster, in der das Artillerielehrbataillon 325 und das Panzergrenadierlehrbataillon 92 ihre Standorte haben, umbenannt wird?“

Die Antwort von Staatssekretärin Möller vom 4. September 2023, wohl basierend auf dem Gutachten des Zentrums in Potsdam, lautete: „Paul von Hindenburg war von 1925 bis 1934 der zweite Reichspräsident der Weimarer Republik. Er wurde zwei Mal vom deutschen Volk direkt gewählt, 1932 als Gegenkandidat zu Adolf Hitler (NSDAP) sowie zu Ernst Thälmann (KPD) und mit Unterstützung der demokratischen Kräfte der sogenannten ,Weimarer Koalition‘, der unter anderem die SPD und das Zentrum angehörten. In seine erste Präsidentschaft fällt die Stabilisierung der ersten Demokratie auf deutschem Boden.“

Hindenburg habe sich dabei stets strikt an die Verfassung gehalten und die auf Ausgleich mit den einstigen Kriegsgegnern abzielende Locarno-Politik von Außenminister Gustav Stresemann unterstützt, so die Regierungsantwort weiter. Die Rolle des hochbetagten Reichspräsidenten bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 sei in der Geschichtswissenschaft umstritten. Gesichert sei jedoch, dass er Hitler persönlich abgelehnt und lange Zeit versucht habe, die Nationalsozialisten trotz anderslautendem Wählervotum von einer Regierungsbeteiligung oder Regierungsübernahme fernzuhalten.

Hindenburg habe nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in der Tat die „Dolchstoß-Legende“ befördert, die in der Folge eine innenpolitische Belastung für die Weimarer Republik bedeutet habe. Er habe jedoch – im Gegensatz zu General Erich von Ludendorff – keine antidemokratischen Strömungen unterstützt, sondern habe sich vielmehr an der Seite von republikanischen Kräften als Reichspräsident in die Pflicht nehmen lassen.

Die Regierungsantwort kommt mit Blick auf den aktuellen Traditionserlass zu der Schlussbewertung: „Das Traditionsverständnis der Bundeswehr beruht auf einer kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Traditionsstiftung und Traditionspflege sind dynamisches und niemals abgeschlossenes Handeln. Sie setzen staatsbürgerliches Bewusstsein sowie Verständnis für historische, politische und gesellschaftliche Zusammenhänge voraus. Dies schließt ausdrücklich ein, inwieweit sich bei eingehender Einzelfallbetrachtung und sorgfältiger Abwägung von Taten und Leistungen einer Person eine Sinnstiftung ergibt, die bis in die Gegenwart wirkt. Für Paul von Hindenburg ist dies seine Amtsführung als direkt gewähltes Staatsoberhaupt der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie und sein auf Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung ausgerichtetes Handeln.“ Die Expertise endet: „Unbenommen davon unterliegt auch die Sinnstiftung durch Paul von Hindenburg einem andauernden kontinuierlichen Prozess der Gesamtabwägung seiner Person auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse. Dieser Prozess kann im Ergebnis auch zu einer Umbenennung der in Rede stehenden, bisher nach Paul von Hindenburg benannten Liegenschaft führen.“

Tagesbefehl und Traditionserlass vom März 2018

Den Tagesbefehl der früheren Verteidigungsministerin von der Leyen vom 28. März 2018 zusammen mit den Richtlinien des neues Traditionserlasses haben wir für Sie in unserem Servicebereich „bundeswehr-journal (Bibliothek)“ beim Dienstleister Yumpu-Publishing eingestellt. Sie können dort den Inhalt ansehen und ausdrucken, auch ein Download der Datei ist möglich. Über die ESC-Taste in Yumpu kommen Sie hierhin zurück. Zu der 14 Seiten umfassenden Datei „Tradition der Bundeswehr (Tagesbefehl und Richtlinien)“:

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Hintergrund                           

Im Zuge der in den Jahren 2010 bis 2013 erfolgten Neuausrichtung der Bundeswehr hatte damals das Bundesministerium der Verteidigung entschieden, seine beiden bislang unabhängig voneinander tätigen geisteswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen am Standort Potsdam zum Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr/ZMSBw zu fusionieren.

Das seit 1957 bestehende Militärgeschichtliche Forschungsamt in Freiburg und das 1968 in München gegründete und 1994 nach Strausberg verlegte Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr wurden so zum 1. Januar 2013 unter dem neuen Dach des ZMSBw zusammengeführt. Dienstsitz des Zentrums ist die Villa Ingenheim.

Das Zentrum betreibt mit mehr als 60 zivilen und militärischen Wissenschaftlern nicht nur militärhistorische, sondern auch sozialwissenschaftliche Forschung. Hinzu kommen die Angehörigen des Stabes und des Unterstützungsbereichs.

Untersucht wird am ZMSBw zum einen die deutsche Militärgeschichte (mit Schwerpunkt auf dem Zeitalter der Weltkriege sowie der Militärgeschichte der Bundesrepublik und der Deutsche Demokratische Republik in ihren Bündnissen) nach den Methoden und Standards der allgemeinen Geschichtswissenschaft. Dabei werden auch die Wechselbeziehungen zwischen Militär, Staat, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Öffentlichkeit berücksichtigt.

Mit seiner sozialwissenschaftlichen Forschung leistet das ZMSBw zum anderen einen Beitrag zur Fortentwicklung der Militärsoziologie und der Sicherheitspolitik sowie zur wissenschaftsbasierten Politikberatung. Geschichts- und sozialwissenschaftliche Forschungen stehen in Potsdam in einem wechselseitigen Austausch.


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Zu unserem Bild: Die Villa Ingenheim, Dienstsitz des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.
(Foto: ZMSBw)

Kleines Beitragsbild: Symbolaufnahme „Namensgebung Kasernen“. Die Aufnahme zeigt den Eingangsbereich der ehemaligen, Ende 2003 geschlossenen Hindenburg-Kaserne der Bundeswehr in Neumünster.
(Foto: nr; Bildgestaltung: mediakompakt)


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