Ob der Überfall auf das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ in Paris im Januar 2015, die Attacken von Boko Haram in Nigeria oder der Angriff auf Hotels und Bahnhöfe in Mumbai 2008: Wo immer Terroristen zuschlagen, benutzen sie besonders gern automatische Gewehre des Typs AK-47, besser bekannt unter dem Namen des Entwicklers Michail Kalaschnikow.
Jetzt wird in Russland sein 100. Geburtstag gefeiert und damit zugleich die mit Abstand meistgebaute und meistgenutzte Schusswaffe aller Zeiten. Schätzungen gehen von mindestens 100 Millionen Exemplaren aus – und selbst viele Jahrzehnte alte Kalaschnikows werden immer noch benutzt.
Kalaschnikow wurde am 10. November 1919 in Zentralasien geboren und starb im fast biblischen Alter von 94 Jahren und einem Monat erst zu Weihnachten 2013. In Russland gilt er als Symbol für den früheren Stolz des Landes. Anlässlich seines hundertsten Geburtstages veröffentlichte das Moskauer Bildungsministerium Unterrichtsmaterial für Lehrer im Fach Patriotismus. In den Papieren wird vor allem die tödliche Wucht der „Wunder-Waffe“ gefeiert.
Mit dem Sturmgewehr Kalaschnikow seien „mehr Menschen getötet worden als durch Artilleriefeuer, Luftbombardierungen und Raketenbeschuss“, heißt es darin. Die AK-47 in ihren zahlreichen Varianten – AKM, AKMS, AK-74, dem chinesischen Typ 56, den jugoslawischen Modellen M-64 und M-70 sowie weiteren – dürfte tatsächlich für die überwiegende Zahl aller in Kriegen und Bürgerkriegen seit Mitte der 1950er-Jahre umgekommenen Menschen verantwortlich sein.
Im Vietnamkrieg, bei den Grenzkonflikten in Zentral- und in Südasien, in Afghanistan, im Golfkrieg 1980 bis 1989, im Jugoslawienkrieg der 1990er-Jahre und im Nahen Osten setzten mindestens eine Seite, manchmal auch mehrere auf die Kalaschnikow. Kaum ein bewaffneter Konflikt, bei dem nicht die Gewehre mit dem charakteristisch gebogenen Magazin zum Einsatz kamen und kommen.
Im Moskauer Unterrichtsmaterial heißt es, dass jedes Jahr mindestens eine Viertelmillion Menschen durch Kugeln aus AK-Gewehren sterben. Was macht, ganz nüchtern betrachtet, diesen „Erfolg“ von Michail Kalaschnikows Konstruktion aus?
Mehrere Faktoren kommen hier zusammen: Einerseits ist die Kalaschnikow günstig in der Produktion. Außerdem funktioniert sie äußerst zuverlässig, auch bei Regen und Kälte, ob im Wüstensand und im Schlamm. Passende Munition ist weltweit problemlos verfügbar. Schließlich braucht man, anders als bei den oft komplizierter konstruierten ähnlichen Waffen aus westlicher Produktion, keinerlei Ausbildung, um mit dieser Waffe umzugehen. Eine AK-47 auseinanderzunehmen und zu reinigen, lernt man mit höchstens ein- oder zweimal probieren.
Der gängigen Version nach tüftelte Kalaschnikow nach einer Kriegsverletzung an der Schulter im Krankenhaus an der „perfekten Waffe zum Schutze der Heimat“. 1947 habe der junge Leutnant dann erstmals den Prototyp seines Gewehrs präsentiert. Zwei Jahre später führte die sowjetische Armee es dann als Standardbewaffnung ein.
Die wirkliche Geschichte der AK-47 war komplizierter und Kalaschnikows Rolle kleiner. Schon im Zweiten Weltkrieg hatte die Rüstungsbürokratie der Roten Armee erkannt, dass eine neue Waffe benötigt wurde, die einerseits Dauerfeuer schießen konnte wie die Maschinenpistole PPD-40 und die damals neueste Waffe im Arsenal, die PPsch-41, andererseits leistungsstärkere Munition verfeuerte als diese Waffen, die normale Pistolenpatronen verwendeten.
Aus dieser Erkenntnis entstand die erste sowjetische Mittelpatrone im Kaliber 7,62 x 41 Millimeter, für die alle wesentlichen sowjetischen Waffenkonstruktionsbüros passende Prototypen entwickeln sollten. Der Grund: Die längeren und mit mehr Pulver geladenen Gewehrpatronen des Typs 7,62 x 54 Millimeter für den Standardkarabiner Mosin-Nagant waren zu stark, um damit Dauerfeuer zu geben.
Für diese Patrone 7,62 x 41 Millimeter lagen bald neun passende Entwürfe vor – und laut dem amerikanischen Waffenexperten Edward Clinton Ezell war keine von Kalaschnikow dabei. Erst in einem zweiten Schritt, nachdem die Patrone verändert und gekürzt worden war, beteiligte sich Kalaschnikow mit einem Entwurf, für den er allerdings auf Ideen eines bereits verstorbenen anderen Konstrukteurs zurückgriff.
Entgegen immer wieder zu hörenden Behauptungen ist die Kalaschnikow keine Kopie des deutschen Sturmgewehrs 44. Auch wenn es keine andere Waffe gibt, die einer Kalaschnikow äußerlich so ähnlich sieht. Wie weit die Inspiration ging, ist unter Fachleuten umstritten.
Die erste Version der AK-47 war 1948 serienreif, entstand aber nur in wenigen Exemplaren. Ihre Metallteile waren zum großen Teil geprägt. Die beiden nächsten Varianten wurden stattdessen gefräst, waren besser und stabiler, aber aufwendig in der Produktion. Sie wurden bereits massenhaft hergestellt, später auch in China, der DDR und Jugoslawien.
1959 führte Kalaschnikow dann die Vorzüge beider Versionen im AKM zusammen. Dies ist die klassische Kalaschnikow: wieder aus Metall geprägt, damit preisgünstig, gleichzeitig unverwüstlich und extrem zuverlässig. In dieser Form (und weiteren Varianten wie der für das neue Kaliber 5,45 x 39 Millimeter hergestellten AK-74) wurde die Kalaschnikow zum tödlichen Mythos.
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