socialnet Rezensionen: Globalisierung und soziale Arbeit
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Ulrich Pfeifer-Schaupp (Hrsg.): Globalisierung und soziale Arbeit

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 08.08.2006

Cover Ulrich Pfeifer-Schaupp (Hrsg.): Globalisierung und soziale Arbeit ISBN 978-3-89965-156-0

Ulrich Pfeifer-Schaupp (Hrsg.): Globalisierung und soziale Arbeit. Grundbegriffe - Problemfelder - Perspektiven. VSA-Verlag (Hamburg) 2005. 240 Seiten. ISBN 978-3-89965-156-0. 17,80 EUR. CH: 31,70 sFr.

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Die Globalisierung ist angekommen - wo?

Über die Ursachen, Wege und Irrwege, Ein- und Auswirkungen der Tatsache, dass sich unsere Welt immer interdependenter entwickelt, auf allen Gebieten des menschlichen Lebens und Wirkens, wird viel geschrieben, philosophiert, spekuliert, geunkt und kassandriert. In erster Linie sind es die theoretischen Arbeiten, die die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Dimensionen der Globalisierung analysieren, kartographieren, katalogisieren und systematisieren. Von Globalisierungsbefürwortern und -gegnern, die sich mittlerweile in machtvollen, nationalen und internationalen Zusammenschlüssen vernetzt haben, kommen dann die Fragen nach den Vor- und Nachteilen der globalen Entwicklung. (Noch) nicht so machtvoll und drängend äußern sich Pädagogen zu dem Komplex; wiewohl am Anfang jeder theoretischen Analyse wie jeder praktischen Handlungsanweisung, wie mit dieser Entwicklung umzugehen sei, die Forderung nach Bildung und Aufklärung steht. Schulische und außerschulische Pädagogik sind also in vermehrtem Maße gefragt, wenn es darum geht, eine gerechtere, humanere und friedliche Weiterentwicklung der Menschheit mit zu gestalten. In der Sozialpädagogik und Sozialarbeit, die sich versteht "als Reflex und Bestandteil einer sozialen Bewegung, die Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit (zu) befreien bzw. Hilfestellung gegen verordnete Unmündigkeit und Knechtschaft (zu) geben" (Ronald Lutz, Hrsg., in: Befreiende Sozialarbeit. Skizzen einer Vision, 2005), ist diese Aufgabe umso dringlicher, denn "zu den VerliererInnen (der Globalisierung, JS) gehören vor allem die KlientInnen der Sozialen Arbeit" (Ulrich Pfeifer-Schaupp).

Inhalt

  • Der Sozialarbeitswissenschaftler an der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit in Freiburg / Br. und Leiter des Freiburger Instituts für systemische Therapie und Beratung, Ulrich Pfeifer-Schaupp, legt einen Sammelband vor, in dem er ausgewählte Aspekte der Anforderungen an sein Berufsfeld, als auch Erfahrungsberichte aus der konkreten Sozialen Arbeit vorstellt. In seinem Beitrag "Die Schatten der Globalisierung und die Soziale Arbeit" geht es ihm vor allem darum, die Diskussion, die sich weitgehend auf die wirtschaftlichen Aspekte und hier insbesondere aus dem Blickwinkel einer "neoliberalen Globalisierungsentwicklung" fokussiert, auszuweiten auf die vier Ebenen der Globalisierung - als ethisch-religiöses, als philosophisches, als politisches und ökonomisches Projekt. Unter seiner Prämisse, dass sich Soziale Arbeit in zunehmendem Maße als "Menschenrechtsprofession" versteht, nennt er "Konsequenzen einer globalisierungskritischen Perspektive für die Soziale Arbeit", die er auf drei Ebenen ansiedelt: der persönlichen, der Profession und der Praxis Sozialer Arbeit, sowie der Wissenschaft und Ausbildung. Die Attac-Parole "Eine andere Welt ist möglich" muss in der Tat gleichwertig wirksam werden auf den Gebieten des individuellen Daseins, der gesellschaftlichen Zugehörigkeit und der theoretischen Reflexion und professionellen Tätigkeit.
  • Die ebenfalls an der Freiburger Fachhochschule tätige Gisela Rudoletzky nimmt sich als Ökonomin der Grundfrage an, wie sich wirtschaftliche, soziale und ökologische Zielsetzungen im Welthandel durchsetzen lassen: "Die Globalisierung braucht neue Regeln". Die Forderungen nach einer Neuen Weltwirtschaftsordnung sind alt und doch so aktuell wie kaum je vorher. Die Grundlagen dafür sind bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 gelegt. UNO-Erklärungen, Konferenzen und internationale Einrichtungen, wie etwa der IWF und die WTO, fordern seit Jahrzehnten eine gerechtere, globale Wirtschaftsordnung. Und doch gilt die immer wieder zitierte Analyse, lokal und global: Die Reichen werden reicher, die Armen werden ärmer. Die Lösung kann nur sein, "die Rolle von Staat und Markt auf nationaler und globaler Ebene neu zu bewerten".
  • Der Diplomsozialarbeiter und Diplompädagoge Martin Albert zeigt verschiedene Formen sozialer Ungleichheit in unserer Gesellschaft auf und nennt die Konsequenzen für die Soziale Arbeit: "Armut und Reichtum in Deutschland". Besonders die Auseinandersetzung mit der Armutsentwicklung in unserem Land und in unserer Mitte stellt eine Herausforderung auf der theoretischen Reflexions- und Forschungs-, als auch der praktischen Handlungsebene in der Sozialen Arbeit dar. Die im Berufsfeld professionell Tätigen sollten sich hier als aktive und innovative Gestalter und nicht als Verwalter einer Armutsfürsorge verstehen.
  • Der Lehrbeauftragte Markus Breuer bringt seine langjährigen Erfahrungen im Zusammenhang von Migration und Globalisierung ein: "Menschen in Bewegung". Das unselige, selbst eingerichtete Schlaflied - Wir sind kein Einwanderungsland! - hat gerade auf diesem Forschungs- und sozialen Gebiet ein "Missing link" in der gesellschaftlichen Diskussion geschaffen. Die Auseinandersetzung mit Fremdheits- und rassistischen Denken und Handeln, besonders in den Bereichen der Migration und Integration, ist genuiner Bestandteil der Profession der Sozialen Arbeit, in der Aus- und Weiterbildung genau so wie in der Forschung und Praxis.
  • Der Politikwissenschaftler Konrad Maier reflektiert "Globalisierung und die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ als Chance und Herausforderung für die Soziale Arbeit". Mit den beiden Stichworten "Globalisierung und Globalismus" zeigt er auf, wie sich die Entwicklung auf den Güter-, Kapital- und Arbeitsmärkten lokal und global gestaltet. Die Aufgabe der Sozialen Arbeit sollte es dabei sein, die "krisenhafte Situation … (zu) nutzen, das bestehende System (der "Arbeitsgesellschaft", JS) aus der Perspektive ihres professionellen Auftrags kritisch zu überprüfen".
  • Sigrid Haefner, Diplom-Sozialwirtin stellt "ihr" Thema als Gender-Expertin dar: "Frauenleben - Frauenarbeit unter den Bedingungen der Globalisierung". Sie plädiert, "Hoffnungszeichen" zu setzen. Dabei aktiviert sie, sicherlich nicht nur für Frauen, eine alte, sich vielleicht als neuer Innovationsschimmer darstellende Binsenweisheit: "Die wichtigsten Voraussetzungen für Kreativität, Innovationsfreude und Risikobereitschaft, die permanent für unser Arbeits- und Wirtschaftsleben angemahnt werden, sind Angstfreiheit und Fehlerfreundlichkeit".
  • Der Verwaltungsfachmann Günter Rausch ruft das "Lernziel Solidarität in Zeiten der Globalisierung" aus; ohne Zweifel ein wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, es nicht beim Lamentieren und Protestieren gegen die Folgen der globalen wirtschaftlichen Entwicklung zu belassen. "Hochhausgärtner und Global Player" gehören zwar diametral unterschiedlichen Spezies an. Die Menschen, die in den marginalisierten Quartieren der Großstädte leben, sind vielfach die, die im Schatten des lokalen, regionalen und globalen Wohlstands leben. Wenn Solidarität "gelerntes Vertrauen in die Verlässlichkeit der anderen" bedeutet und die Erkenntnis, aufeinander angewiesen zu sein, kann diese durch gemeinsam organisierte Aktionserfahrungen "vor Ort" gewonnen werden. Die Gemeinwesenarbeit im Viertel ist ein empfehlenswerter Ansatz dafür.
  • Jan Kruse als Diplom-Sozialpädagoge nimmt eine kritische Analyse der Auseinandersetzung um Professionalisierung und Modernisierung Sozialer Arbeit vor. Unter dem Gesichtspunkt der "Ökonomisierung des Sozialen" (Michel Foucault) zeigt er mit dem Erklärungsmodell von Jean Baudrillard die Probleme in der Moderne des Neoliberalismus auf, in der die klassische Auffassung vom Wert der Ware, im marxschen Sinne des Zweiklangs von Kapital und Arbeit, aufgehoben wird und als Simulation entsteht, mit der volkstümlichen Auffassung: Tun-wir-einfach-so-als-ob. Mit der Foucaultschen Auffassung vom Subjekt des Menschseins, als eine besondere Form des "Unterworfenseins" unter eine Disziplinierung durch andere Menschen oder Institutionen, haben wir, nach Meinung von Jan Kruse, die "selbsttechnologische Disziplinierung der Sozialen Arbeit" vor uns. Wie kommt man aus dem Problem heraus, "dass die Soziale Arbeit bereits begonnen hat, sich in neoliberale „Selbstaktivierungs-Doktrinen“ zu verstricken"?
  • Der an der brasilianischen Universität Vale do Rio dos Sinos lehrende Erziehungswissenschaftler Danilo R. Streck plädiert für eine "Pädagogik eines neuen Gesellschaftsvertrages", in dem er, unter Bezugnahme auf Paulo Freire sich aufmacht, "die Macht neu zu erfinden", neue Formen der gesellschaftlichen Beteiligung und des demokratischen Selbst- und Mitbestimmungsgedankens zu diskutieren. Und zwar anhand der Erfahrungen, wie sie im "Fröhlichen Hafen", der deutschen Übersetzung des portugiesischen Wortes Porto Alegre, der Hauptstadt des brasilianischen Bundeslandes Rio Grande do Sul, mit dem so genannten "Beteiligungshaushalt" (oder: partizipativer Haushalt) der Stadt gemacht wurden; ein gesellschaftliches Experiment, bei dem es darum geht, die fiskalische und kommunale Politik radikal offen zu legen und den Bürgern die Möglichkeit zur direkten Beteiligung bei der Gestaltung und Kontrolle der Stadtverwaltung zu geben. Mit diesem Blick über den Gartenzaun tun sich -  auch für uns? -  Perspektiven auf, wie eine "Ethik der Solidarität oder Fürsorge gelernt…, die menschlichen Beziehungen als Teil einen effizienten Beziehung behandelt und auf die Tagesordnung der staatlichen Politik" gesetzt werden kann.

Fazit

Auch wenn in dieser Sammlung von Beiträgen zu den Aspekten "Globalisierung und Soziale Arbeit" nur ausgewählte Fragestellungen aus dem komplexen Feld der sozialpädagogischen und bürgergesellschaftlichen Zielsetzungen und Tätigkeiten angeboten werden, ist dieses Buch ohne Zweifel ein wichtiger Baustein für die notwendige Diskussion um Veränderung, Vernetzung und Kooperation von Sozialberufen im Spannungsfeld von Markt - Macht und Malaise der globalen Entwicklung. Die Veröffentlichung richtet sich in erster Linie an Studierende der sozialpädagogischen und sozialwissenschaftlichen Professionen; sie ist als Handreichung sicherlich auch für erziehungswissenschaftliche Berufe und für die Arbeit in Politik und Verwaltung nützlich.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1653 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 08.08.2006 zu: Ulrich Pfeifer-Schaupp (Hrsg.): Globalisierung und soziale Arbeit. Grundbegriffe - Problemfelder - Perspektiven. VSA-Verlag (Hamburg) 2005. ISBN 978-3-89965-156-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/3429.php, Datum des Zugriffs 03.06.2024.


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