Tootsie-Musical im Gärtnerplatztheater: Komödie mit Tiefgang | Abendzeitung München
Kritik

"Tootsie"-Musical im Gärtnerplatztheater: Komödie mit Tiefgang

Das Gärtnerplatztheater zeigt die europäische Erstaufführung des Musicals "Tootsie" nach dem Film mit Dustin Hoffman.
| Robert Braunmüller
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Die große Frauenfreundschaft: Armin Kahl als Tootsie (links) mit Bettina Mönch im Gärtnerplatztheater.
Die große Frauenfreundschaft: Armin Kahl als Tootsie (links) mit Bettina Mönch im Gärtnerplatztheater. © Jean-Marc Turmes

München - Der Anfang könnte irritieren. Ein Musical-Ensemble besing ziemlich seifig die schöne Stadt New York, und den Zuschauer beschleicht der Gedanke, dass der bekannte Song von Frank Sinatra doch unübertrefflich bleibt. Dann unterbricht ein anstrengender Regisseur die Probe und wirft einen widerspenstigen Nebendarsteller hinaus, dessen rasanten Karriere-Abstieg der Chor wie im Epischen Theater referiert.

Vorstellung vergeht wie im Flug

"Tootsie" von David Yazbek (Musik und Gesangstexte) und Robert Horn (Buch) kam 2019 am Broadway heraus. Das Gärtnerplatztheater zeigt nun die europäische Erstaufführung dieses Musicals, das sich frei an der gleichnamigen Film-Komödie mit Dustin Hoffman aus dem Jahr 1982 orientiert.

"Tootsie" im Gärtnerplatztheater.
"Tootsie" im Gärtnerplatztheater. © Jean-Marc Turmes

Vor allem vor der Pause wird die Geschichte so rasant erzählt, dass garantiert niemand auf die Uhr schaut. Gil Mehmerts Inszenierung drückt mit den vermutlich schnellsten choreografierten Umbauten der Theatergeschichte noch zusätzlich aufs Tempo (Bühne: Karl Fehringer, Judith Leikauf, Choreografie: Adam Cooper).

Jeder Dialog kommt gleich auf den Punkt, jeder Satz mündet in eine Pointe. Yazbek und Horn gelingt das Kunststück, der Geschichte ein Update auf die Gender-Debatten der Gegenwart zu verpassen, ohne das Genre der Komödie zu verlassen. Mehmerts Inszenierung hält da ohne deutsche Schwere kongenial mit, und wenn hin und wieder die Grenze zum Klamauk gestreift wird, geschieht das mit Respekt vor dem guten Geschmack.

Musical steht dem Film in nichts nach 

Natürlich erscheint Tootsie vor der Pause wie Dustin Hoffman im ikonischen roten Glitzerkleid. Aber sonst läuft das Musical dem Film nicht nach. Dass der Rollentausch im Internet-Zeitalter womöglich leichter auffliegt als in der Gegenwart des Films vor 40 Jahren, ist den Autoren nicht entgangen: Sie erwähnen die Frage immerhin als Problem.

"Tootsie" im Gärtnerplatztheater.
"Tootsie" im Gärtnerplatztheater. © Jean-Marc Turmes

Aus der TV-Soap des Films von Sidney Pollack wurde die Theaterbranche: Der erfolglose Schauspieler spricht hier bei einem obskuren Romeo-und-Julia-Musical als Frau vor und bekommt die Rolle der Amme, weil sein selbstbewusster Auftritt der auch nicht mehr ganz jungen Produzentin (Dagmar Hellberg) imponiert.

Alles bleibt im Rahmen der Komödie

Armin Kahl schafft es perfekt, den nervigen Perfektionismus des Schauspielers Michael Dorsey mit dem herben Selbstbewusstsein seines weiblichen Alter Ego Dorothy Michaels zu einem komplexen Charakter zusammenzubringen. Wie alle haut er ziemlich auf den Putz. Aber immer im Rahmen der Komödie. Darin folgt ihm auch die liebreizende Bettina Mönch, die als Julie damit fertig werden muss, dass kein Mensch zu 100 Prozent hetero ist.

Es dürfte Absicht sein, dass Alexander Franzen als übergriffiger Brachial-Regisseur optisch mit lockigem Haar und Brille an Dieter Wedel erinnert. Ensemblemitglieder wie Julia Sturzlbaum und Veteranen wie Erwin Windegger und Dagmar Hellberg bilden zusammen mit den Gästen ein Ensemble scharf gezeichneter Figuren, als würden sie schon seit Jahren zusammenspielen.

"Tootsie" im Gärtnerplatztheater.
"Tootsie" im Gärtnerplatztheater. © Jean-Marc Turmes

Ein Stück mit ausreichend Psychologie und ein wenig Realismus

Das gekonnt gesteigerte erste Finale mit der Vision von Tootsies kommender Musical-Karriere mündet sehr überraschend in einen Kuss und dem Ausruf "Oh Shit!". Nach der Pause wird das Tempo der Aufführung ein wenig ruhiger, obwohl die Gag-Dichte keineswegs abnimmt.

Den offenen Schluss zwischen Michael und Julie spielen Bettina Mönch und Armin Kahl menschlich bereichert mit herbsüßer Zartheit. Das alles bleibt stimmig, weil die Komödie immer mit ausreichend Psychologie und einer kleinen Dosis Realismus unterfüttert wird.

"Tootsie" ist vor allem Theater auf dem Theater. Die der Branche eigene Brutalität gegenüber Schwierigen und Erfolglosen trägt zwar komische Züge, lässt einen in ihrer Gnadenlosigkeit aber auch hin und wieder kalt erschauern.

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Stehender Applaus für das Ensemble

Im Graben sitzt eine von Andreas Partilla mit Drive angeleitete Band aus Bläsern, Streichern und Schlagzeug. Die sehr amerikanische, zwischen Rock und Musical-Normalität schweifende Musik enthält keinen nachhaltigen Hit. Aber sie ist effizient, gut gemacht und fasst sich sachdienlich kurz.

Das Premierenpublikum lässt sich im Gärtnerplatztheater schnell begeistern. Am Donnerstag applaudierte es sofort stehend. "Tootsie" ist eben genau das, wofür das Gärtnerplatztheater steht: Perfekt gemachtes Unterhaltungs-Musiktheater mit einer gehörigen Dosis Tiefgang. Und Gil Mehmert beweist nach "Hair" und "Priscilla" nun schon zum dritten Mal, dass es dafür derzeit keinen besseren Regisseur gibt.


Wieder am 09.,10., 13., 21. und 24. Juli  um 19.30 Uhr, sowie in der kommenden Spielzeit. Karten unter gaertnerplatztheater.de und Telefon 2185 1960

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