Wie die Wangenheims den Tsunami überlebten
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Wie die Wangenheims den Tsunami überlebten

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Die Tsunami-Welle riss in Südostasien mehr als 230.000 Menschen in den Tod – darunter viele Touristen, die in den Hotelanlagen an der Küste logierten.
Die Tsunami-Welle riss in Südostasien mehr als 230.000 Menschen in den Tod – darunter viele Touristen, die in den Hotelanlagen an der Küste logierten. © dpa

München - Ob Zeit wirklich Wunden heilt? Ob zehn Jahre Unfassbarkeit fassbarer machen? Ob die Bilder biblischer Zerstörung jemals verblassen? Und wie ein paar Minuten den Rest des Lebens verändern können? Den Glauben. Das Vertrauen. Den ganzen Sinn. 8000 Tote allein in Thailand. Warum?

Es sind viele Fragen, die der Tsunami in Südostasien am 26. Dezember 2004 zurückgelassen hat, und die sich bei den Überlebenden jeden Tag neu stellen. Manche erlitten so großes Leid, dass man es sich gar nicht vorstellen mag, wie die Münchnerin Billi Cramer, die ihren Mann Burkhard – Bodyguard u. a. von Boris Becker) und ihre Buben Henry († 5) und Mika († 4) an jenem Weihnachtsfeiertag für immer verloren hat.

Der Stuttgarter Ingenieur Michael Schäffer erlitt ein ähnliches Schicksal – er trauert noch immer um seine Töchter Elli († 10) und Patricia († 8) sowie um seine Frau Emmanouela († 43). In diesem Leid haben sich Billi Cramer und Michael Schäffer gefunden, und sie wurden sogar noch einmal Eltern eines gemeinsamen Wunschkindes, Sienna(5). Ihr unfassbares Schicksal wurde auch verfilmt – mit Veronica Ferres und Hans- Werner Meyer in den Hauptrollen. Doch trotz des neu gewonnenen Glücks sind Billi Cramer und Michael Schäffer nicht mehr die, die sie am 26. Dezember 2004 beim Frühstück noch waren. Bevor um 10.20 Uhr die tödliche Welle kam. Die Trauer um ihre Liebsten ist täglicher Teil ihres Lebens geworden.

Andere wiederum überlebten wie durch ein Wunder, wenn auch mit Blessuren. Wie die Wangenheims. Doch angesichts eines solch betäubenden Schicksals wie dem von Billi Cramer und Michael Schäffer möchten der Münchner Immobilien-Unternehmer Detlev Freiherr von Wangenheim und seine Frau Leslie überhaupt gar nicht von einem Trauma reden, das sie durch den Tsunami in Khao Lak erlitten haben: Detlev von Wangenheim wurde zwar wie in einer Waschmaschine durch die Hotelanlage gespült und schwer am Bein verletzt; aber er konnte sich letztendlich an einer Buddha- Statue festklammern, während um ihn herum die Menschen ertranken.

Und seine Frau Leslie sowie die beiden Kinder Theresa (heute 23) und Constantin (heute 21) hatten das unfassbare Glück, in diesem Moment der tödlichen Welle im Royal Meridien Hotel Khao Lak an Stellen gewesen zu sein, wo sie eine Überlebenschance hatten. Den dreien ist nichts passiert. Das einzig Schlimme – und das war wohl das Qualvollste ihres ganzen Lebens – waren die 40 Minuten, bis sie einander wiedergefunden haben.

Detlev von Wangenheim musste sogar davon ausgehen, dass sein Sohn die Katastrophe nicht überlebt haben könnte. Aber Constantin war nicht, wie angenommen am Strand, sondern spielte am Computer im Jugendclub der Hotelanlage. Als der Strom ausfiel, und er die Wasserlawine auf sich zukommen sah, stürzte er in Panik aus dem Pavillon auf eine Brücke und konnte sich so unverletzt retten. Was für ein unfassbares Glück in all dem unfassbaren Leid!

Heute studiert Constantin am King’s College in London War Studies (Konfliktlösung) und Philosophie, Theresa in New York Kommunikationswissenschaften. Das Schicksal hatte diesen beiden Kindern ihre Zukunft gelassen.

Dass dies das größte Geschenk ihres Lebens sein würde, wussten die Wangenheims schon, als sich diese eine Welle ausgetobt hatte und überall Leichen lagen – erschlagen von der Wassergewalt und allem, was diese mitriss. Getroffen hat es alle, doch die Thailänder, die überlebt hatten, kümmerten sich erst um die Gäste und am wenigsten um sich selbst.

Diese Hilfsbereitschaft und diese Gnade, überlebt zu haben – das geben Detlev und Leslie Wangenheim mit ihren Kindern und Freunden seither jeden Tag zurück: Sie schenkten 25 Waisenkindern, deren Eltern im Hotel gearbeitet hatten und bei dem Versuch, Gästen zu helfen, ums Leben gekommen sind, eine Zukunft; versprachen, Schul- und gegebenenfalls auch die Uni zu finanzieren. Ein paar der Kinder studieren inzwischen tatsächlich. „Dabei waren sogar welche dabei, in deren Familien noch überhaupt niemand zur Schule gegangen ist“, erzählt der Immobilien-Unternehmer.

Und jedes Jahr zu Weihnachten besuchen die Wangenheims ihre Schützlinge und machen Urlaub in Thailand – ohne Angst. „Wir haben eine große Verbundenheit mit den Menschen dort“, ergänzt Leslie, „und kein schlechtes Gefühl, wenn wir dorthin fahren. Das war ein singuläres Ereignis.“

Letzte Woche sind die Wangenheims wieder losgeflogen – für drei Wochen. Am 26. Dezember um 10.20 Uhr werden die Bilder zurückkommen – aber sie machen keine Panik mehr. „Wir haben das alles verarbeitet, weil wir nach dem Tsunami gleich zu Ostern wieder dorthin gefahren sind und uns mit dem Erlebten auseinandergesetzt haben.“

Trotz all ihres Glücks – auch die Wangenheims sind nicht mehr die, die sie einmal waren, auch bei ihnen hat der Tsunami Spuren hinterlassen: „Wir sind uns bewusst geworden, dass alles von einem Moment zum anderen vorbei sein kann. Dass es sich nicht lohnt, zu viel Zeit mit Unnützem und mit Ärger zu verbringen, und dass Familie alles ist! Als Familie sind wir gereift!“

Ulrike Schmidt

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