Schloss Solitude – das Grab der Familie von Weiszäcker

Schloss Solitude – das Grab der Familie von Weiszäcker

Neben dem Schloss Solitude in Stuttgart liegt – zwischen Bäumen versteckt – ein kleiner Friedhof aus dem 19. Jahrhundert. Auf ihm gibt es ein Familiengrab derer von Weizsäcker.

Gräber von Ernst und Heinrich von Weizsäcker auf dem Solitude-Friedhof
Gräber von Ernst und Heinrich von Weizsäcker auf dem Solitude-Friedhof in Stuttgart. Foto: Frank Hilbert

Die Buslinie 92 fährt auf dem Weg von Stuttgart nach Leonberg durch einen Wald, den ich in dieser dicht besiedelten Industrieregion nicht erwartet hätte. Noch überraschter bin ich, als der Bus direkt neben einem Schloss mit ausladender repräsentativen Freitreppe hält. „Schloss Solitude“ entziffere ich auf dem Haltestellenschild. Mit den Worten „Lass uns aussteigen“ treibt mich mein Stuttgarter Freund aus dem Bus. Durch einen Gang unterhalb der Treppe gelangen wir auf die nördliche Seite des Schlosses. Vor mir öffnet sich eine parkähnliche Landschaft mit einer Allee, die schnurgerade den Berg hinabführt. „Da staunst du, was?“, fragt mich mein Freund, schlägt sein schier unerschöpfliches Geschichtslexikon in seinem Kopf auf und präsentiert die historischen Eckdaten: Die Solitudeallee diente als Verbindungsachse zum Residenzschloss im zehn Kilometer entfernten Ludwigsburg, das in der Ferne nicht zu erkennen ist, weil eine Anhöhe den Blick versperrt. Herzog Carl Eugen ließ sie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts anlegen.

Nordseite des Schlosses Solitude
Schloss Solitude diente im 19. Jahrhundert vorübergehend als Lazarett. Foto: Frank Hilbert

Gefallen in der Tucheler Heide

Was hat das Schloss Solitude nun aber mit Polen zu tun? Ganz in der Nähe, an der Bergheimer Steige, versteckt sich zwischen Bäumen ein kleiner Friedhof. Zwischen Efeu liegen hier drei Grabplatten, die zu den Gräbern von Heinrich, Ernst und Marianne von Weizsäcker gehören. Heinrich von Weizsäcker diente als Offizier und Zugführer im Potsdamer Infanterie-Regiment 9. Im Sommer 1939 wurde das Regiment auf den Truppenübungsplatz Groß Born im Nordwesten des heutigen Polens verlegt. Dort wartete es auf den Befehl zum Einmarsch in den polnischen Korridor, der am 1. September erteilt und ausgeführt wurde. Es war der Tag, an dem der Zweite Weltkrieg (1939 – 1945) begann. Am 2. September traf den 22-jährigen von Weiszäcker bei Kämpfen in der Tucheler Heide ein tödlicher Schuss in den Hals. Sein Bruder Richard, der spätere Westberliner Regierende Bürgermeister und 6. Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, war nur wenige Meter entfernt, als der Schuss fiel.

Ernst von Weizsäcker – Münchner Abkommen ausgehandelt

Auch der Vater der beiden, Ernst von Weizsäcker, fand auf dem Schlossfriedhof seine letzte Ruhestätte. Seine Rolle in der Zeit, als die Nationalsozialisten in Deutschland an der Macht waren (1933 – 1945), ist umstritten. Er arbeitete im deutschen Außenminister und dort ab 1938 als Staatssekretär. In dieser Funktion verhandelte der Diplomat 1938 das Münchner Abkommen mit Großbritannien, Frankreich und Italien aus, das zunächst einen europäischen Krieg verhinderte. Der Preis war das „Sudetenland“, das die Tschechoslowakei an das Deutsche Reich abtreten musste. 1938 war Ernst von Weizsäcker in die NSDAP und in die SS eingetreten. Für die Beteiligung an der Deportation von französischen Juden nach Auschwitz wurde er im vorletzten Prozess des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals zu fünf Jahren Haft verurteilt. Richard von Weizsäcker half seinem Vater, indem er sein Jurastudium in Göttingen unterbrach, um bei der Verteidigung seines Vaters zu assistieren. Im Zuge einer Amnestie wurde Ernst von Weizsäcker 1950 frühzeitig aus der Haft entlassen. Er starb 1951. Richard von Weizsäcker hat seinen Vater bis zu seinem Tode 2015 konsequent verteidigt. Sein Verdienst ist dagegen eine Rede, die er als Bundespräsident anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes hielt und in der er vom 8. Mai 1945 als „Tag der Befreiung vom menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ sprach. Es sind Worte, die 1985 noch nicht für alle Konservative selbstverständlich waren.

Friedhof Solitude – zuerst Soldatenfriedhof

Der dritte Grabstein gehört  Marianne von Weizsäcker (1889–1983), der Ehefrau von Ernst. Die Weizsäckers wurden auf dem Solitude-Friedhof beigesetzt, weil sie zeitweise in einem der Häuser neben dem Schloss gewohnt hatten. Angelegt wurde der Friedhof 1866, als das Schloss im Zuge des preußisch-österreichischen Krieges zu einem Lazarett umfunktioniert wurde. Die verstorbenen Soldaten beerdigte man auf dem Solitude-Friedhof. Ein Gedenkstein erinnert daran. (Frank Hilbert)

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